Ich stehe auf knapp 2000 m Höhe im Schnee, sehe rings um mich herum die verwunderten Blicke der Skifahrer und denke mit dem breitest möglichen Grinsen im Gesicht: „Was für ein Brett!“ Damit meine ich aber nicht die Bretter unter den Füßen der Freunde des klassischen Wintersports, sondern das, was ich auf den letzten Kilometern geschafft habe. Anstrengend! Sehr anstrengend!
Bei der Premiere des neuen MOUNTAINMAN Wintertrail im Skigebiet KitzSki habe ich mich für den Start auf der 32 km langen L-Distanz entschieden. Mittersill liegt ungefähr in der Mitte zwischen Kitzbühel und Zell am See.
Schon am Freitagmittag stehen auf dem Stadtplatz in Mittersill ein paar Holzbuden, in denen Partner des Events Schuhe, Spikes und mehr anbieten, aber natürlich auch ein MOUNTAINMAN-Infostand, an dem man Merchandise-Artikel kaufen kann und spät angemeldete Läufer ihre Startunterlagen der inzwischen ausverkauften Veranstaltung abholen.
Um 19 Uhr findet in einem gut gefüllten Saal die Renninfo statt. Diese beginnt recht lustig, da Veranstalterin Jutta erzählt, wie ungläubig während dem Markieren der Strecke die Skifahrer oben auf den Pisten reagiert haben. "Zu Fuß bis hier oben? Und wirklich ohne Ski?" Sehr gelobt wird die hervorragende Zusammenarbeit mit den regionalen Partnern.
Ab 20 Uhr ist ein Get Together an den Hütten am Stadtplatz organisiert, aber bei kaltem Regen bleiben die zwei Getränkestände recht einsam und der DJ legt vergeblich auf.
Am Samstagmorgen fahre ich mit dem kostenlosen Shuttlebus hinauf zum Start am Pass Thurn. Für Autofahrer gibt es oben genügend kostenlose Parkplätze. Noch liegt der Pass im Nebel, doch bald erscheinen die ersten blauen Flecken am Himmel.
Hervorragend finde ich, dass wir nicht bis zum Start in der Kälte warten müssen. Direkt neben Start und Ziel steht ein beheiztes Zelt. Am Eingang wird die Pflichtausrüstung kontrolliert. Dann bleiben wir bis unmittelbar zum Start im Warmen. Etwa ein Drittel von uns zieht hier bereits Spikes über die Schuhe. Grödeln oder Spikes zählen zur Pflichtausrüstung. Wer keine hat, kann auch welche ausleihen. Stöcke werden für den Lauf sehr empfohlen.
Um 8.30 Uhr starten M und L Distanz gemeinsam. Nach dem Startschuss sind es nur wenige Schritte aus dem Zelt hinaus auf die Strecke. Zuerst geht es wenige Meter bergauf, dann kurz bergab.
Eine Besonderheit aller MOUNTAINMAN Veranstaltungen ist es, dass es eine eigene Wertung für Teilnehmer mit Hunden gibt. Diese starten jeweils eine halbe Stunden nach dem Hauptfeld. Heute wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass man die Hunde auf den Skipisten an der kurzen Leine halten soll. "Die Skifahrer kennen das nicht." Insgesamt werden heute auf alle vier Strecken verteilt 39 Hunde das Ziel erreichen.
Inzwischen ist es schon recht sonnig. Wir laufen ausschließlich auf sehr gut von Pistenfahrzeugen präparierter Strecke. Die Schneeverhältnisse sind fast ideal. Dennoch kostet das Laufen auf Schnee natürlich deutlich mehr Kraft, als auf sommerlichen Trails. 31,9 km für die L-Distanz klingt nicht allzu viel, aber auf dieser relativ kurzen Strecke gilt es, jeweils 2034 Höhenmeter Auf- und Abstieg zu bewältigen, also mehr als bei manchen alpinen Ultratrails. Durchschnittlich 127 Höhenmeter pro Kilometer ist ordentlich steil und im Schnee eine besondere Herausforderung.
Es beginnt ein sehr langer Aufstieg. Die Spitze des Feldes rennt hier sicherlich den Berg hinauf, weiter hinten sieht es eher nach einer Wanderveranstaltung aus.
Heute marschiere ich wegen dem Zeitlimit von Anfang an so schnell ich kann. Auf den Fotos sieht die Strecke viel flacher aus als sie in Wirklichkeit ist. Doch trotz aller Anstrengung ist dies heute pures Vergnügen. Die Sonne, der Schnee, die herrliche Bergwelt – einfach herrlich, hier unterwegs sein zu dürfen! Wenn ich mich umblicke, sehe ich nur strahlende Gesichter.
Noch verhüllen einige Wolken die Gipfel der Umgebung, aber bald lösen sie sich auf.
Bald komme ich am Gasthaus Resterhöhe vorbei. Zum Gipfel ist es aber noch weit. Unsere Route führt meist am Rande der Skipisten entlang, sehr gut mit Flatterbändern, Schildern und oft auch mit grünen Linien auf dem Schnee markiert. Die Zeit vergeht wie im Traum. Dann stehe ich vor der ersten Verpflegungsstelle beim Restaurant Pinzgablick auf der Resterhöhe (1887 m). Mehr als 600 Höhenmeter Aufstieg habe ich in den ersten 1,5 Stunden bereits geschafft und fühle mich noch pudelwohl. Die Wolken geben nun immer mehr 3000er Gipfel der Hohen Tauern frei. Großglockner und Großvenediger grüßen. Fast jeder bleibt hier stehen und fotografiert. Ich trinke zwei Becher warmen Tee.
Die L-Distanz zählt zur MOUNTAINMAN-Winter-Triforia und zum MOUNTAINMAN-Trailcup 2024. Die XL Strecke hat 42,5 km und 2858 Höhenmeter. Auf der M-Distanz mit 21,3 km und 1390 Höhenmetern wird heute die Österreichische Meisterschaft SkySnow ausgetragen. SkySnow ist eine neue Disziplin im Skyrunning. Vor zwei Jahren wurde erstmals eine offizielle Weltmeisterschaft ausgetragen, an der 15 Nationen teilnahmen. Außerdem können noch 10,7 km mit 708 Höhenmetern gelaufen oder gewandert werden.
Es folgt ein kurzer, knackiger Abstieg. Dann marschiere ich wieder längere Zeit bergauf und meine Begeisterung wächst, je höher ich in diesem Skigebiet komme. Nochmal renne ich kurz steil bergab, dann folgt der Aufstieg zum höchsten Punkt der Strecke, der 1957 m hohen Panoramaalm. Hier ist bei km 8 schon die zweite Verpflegungsstelle. Viele Skifahrer sitzen vor der Hütte und genießen den Blick auf die weiße Winterwunderwelt. Ich trinke erneut genügend Tee und laufe dann auf zuerst recht moderater Strecke weiter.
Doch bald sause ich innerhalb von sehr kurzer Zeit 350 Höhenmeter bergab. Ein paar vorsichtige Läufer stochern hier mit den Stöcken sehr vorsichtig den steilen Hang hinunter, aber viele rennen mit Vollgas in die Tiefe. Wie schon gestern beim Briefing angekündigt, macht es hier saumäßig viel Spaß, einfach auf dem Hosenboden hinab zu „rodeln“. Ich liebe es! Später erfahre ich, dass ein Läufer hier seine Hose zerrissen hat. Kann passieren! Ein anderer Läufer erzählt mir, dass sein Hund völlig verwundert reagierte, als er sitzend neben ihm vorbei sauste. Wintersport für Verrückte! Genau so will ich es.
Kurz nach Ende der „Rodelbahn“ zweigt bei km 10 die M-Route rechts ab. Wer auf der L-Strecke hier nach 11 Uhr ankommt, muss auf die M-Strecke wechseln, was als DNF zählt. Obwohl ich während der letzten Wochen mehr trainierte als seit vielen Jahren, war ich nicht sicher, ob ich diese Cut-Off-Zeit schaffe. Doch gerade wegen der besonderen Herausforderung der steilen Aufstiege im Schnee freute ich mich auf diesen Lauf so sehr, dass selbst der aktuelle Bahn-Streik mit entsprechenden Problemen bei Hin- und Rückfahrt mich nicht stoppen konnte. Nun stelle ich überrascht fest, dass ich die Stelle mit dem Zeitlimit sogar schon nach 2 statt den möglichen 2,5 Stunden erreiche.
Anschließend geht es kurz wieder etwas kräftiger bergauf, dann etwa 2 km weit mit nur moderater Steigung weiter. Obwohl alle Wetterberichte ab 11 Uhr ungetrübt blauen Himmel angekündigt hatten, verschwindet immer mehr von der Umgebung in Wolken. Zeitweise laufe ich nun sogar durch Nebel. Bei der Bärenbadalm beginnt und endet für die L-Distanz eine weite Schleife. Ich laufe nach links in den Wald und darf kurz darauf erneut ein Stück weit auf dem Hosenboden rodeln. Einige Läufer, die von ihren Hunden rasant in die Tiefe gezogen werden, sind hier dennoch schneller.
Die Wolken verhüllen die Landschaft immer stärker. Schade, bei Sonnenschein würde es sicherlich auch hier schöne Fotomotive geben, aber nun lasse ich vorläufig die Kamera in der Tasche und beschleunige mein Tempo. Die Strecke führt hinab auf 1267 m und anschließend hinauf zur 1351 m hohen Bruggeralm, wo die nächste Verpflegungsstelle ist.
Dass ich einmal unfreiwillig von der Strecke abkomme, passiert äusserst selten. Warum ich heute trotz guter Markierung den Aufstieg zur Bruggeralm „verpasse“ und damit etwas abkürze, verstehe ich bis heute nicht. Obwohl körperlich und mental fit, muss ich wohl kurz einen geistigen Blackout haben.
Es geht viele Kilometer bergab bis auf 1166 m, dann wieder aufwärts. Noch immer verhüllen meist Wolken die Gipfel von Großglockner und Großvenediger. Erst am späten Nachmittag ist der Himmel komplett wolkenlos. Nach einem langen Aufstieg erreiche ich wieder die Bärenbadalm. Nun führt die L-Route 2,5 km weit auf der bereits vom Hinweg bekannten Strecke bergab und zweigt danach auf die Route der M-Distanz.
Mal aufwärts, mal abwärts, nun wieder mit immer mehr Sonnenschein und mit herrlicher Aussicht, kann nichts meine Lauffreude trüben. Ich fühle mich nach wie vor sehr gut. Was für ein großartiger Tag! Welch eine grandiose Strecke durch eine märchenhafte Winterwelt!
Kurz vor der 1711 m hohen Sonnalm bei km 25 kommt noch einmal ein kurzer etwas steilerer Aufstieg. Dann laufe ich hinab zur nächsten Verpflegungsstelle. Hier gibt es auch leckeren Kirschkuchen.
Die letzten fünf Kilometer führen durchgehend über eine schneebedeckte Forstwirtschaftsstraße mit mäßigem Gefälle. Am Anfang ist dies eine leichte und sehr entspannende Strecke, doch auf den letzten zwei Kilometern wird der Schnee durch das Tauwetter sulzig und daher recht anstrengend.
Schließlich erreiche ich glücklich und zufrieden das Ziel.
Ich weiss, dass ich auch ohne die nicht beabsichtige Abkürzung die Strecke auf jeden Fall deutlich vor Zielschluss geschafft hätte. Viel wichtiger als das Ergebnis ist mir aber der unglaubliche Spaß, den ich heute hatte.
Um 20 Uhr findet zum Abschluss auf dem Stadtplatz für uns eine Ö3 Hitradio Party statt. Bei den Gesprächen gestern und heute stelle ich fest, dass viele Teilnehmer bereits bei anderen MOUNTAINMAN Events gestartet sind bzw. sich für weitere 2024 angemeldet haben. Einige erzählen mir, dass der Wintertrail in Reit im Winkl, bei dem ich in fünf Wochen die Marathonstrecke laufen möchte, viel leichter sei als das, was wir heute geschafft haben.
Für Januar 2025 habe ich schon jetzt in Mittersill wieder ein Zimmer gebucht - dieses Mal für Annette und mich.