Was für ein Tag! Es ist ein Genuss hier in dieser fantastischen Berglandschaft sein zu dürfen. Ein sanftes Lächeln huscht mir übers Gesicht. Zufrieden schaue ich hoch an den wolkenfreien Himmel, an dem die Sonne wie eine Königin thront. Dabei macht sich eine Gänsehaut auf meinem ganzen Körper breit.
In mir ist es ganz warm. Nicht nur von den heißen Temperaturen, sondern vor allem von dem spektakulären Ausblick, der sich mir hier oben auf über 2.100 Meter bietet. Berge, Berge und nochmals Berge. Ich sitze einfach nur auf der Bank, genieße diesen Moment und nehme zum wiederholten Male ein alkoholfreies Weizenbier zu mir. Hhmmm, was für eine Wohltat! Ich befinde mich, zusammen mit meinem Lauffreund Michael, auf der Bergstation Pilatus Kulm, südlich von Luzern in der Zentralschweiz. Die vergangenen zehn Stunden waren wunderschön, ereignisreich und gleichzeitig auch anstrengend. Denn: ich bin ein Mountainman.
Nach einer unruhigen Nacht im Massenlager in Alpnach, einer Gemeinde im Schweizer Kanton Obwalden, beginnt schon der erste Teil des Mountainman Marathons, den ich heute laufen werde. Mit der Bahn fahren wir von Alpnachstad nach Sarnen, steigen dort in eine andere Bahn, die uns nach Lungern bringt. Dort folgt ein 15-minütiger Fußmarsch, bevor wir mit der Gondel hoch zur Skistation Lungern-Schönbüel fahren, wo wir uns dann nochmals ein paar hundert Meter zu Fuß bis zum Start „aufwärmen“ dürfen. Es ist 9:45 Uhr. Zusammen mit gut hundert Läuferinnen und Läufer freue ich mich auf den Startschuss des Mountainmans, der in diesem Jahr seine dritte Ausgabe feiert. 42,195 Kilometer und 2.561 Meter im Aufstieg sowie 2.005 Meter im Abstieg liegen vor uns. „Der härteste Marathon der Welt“, so steht es auf der Website des Veranstalters. Ich bin gespannt und freue mich auf die kommenden Stunden.
Als Läufer kann man beim Mountainman zwischen sechs unterschiedlichen Laufkategorien wählen: dem Ultra, der eine Länge von 80 Kilometern bei 5.000 positiven Höhenmetern aufweist. Der Startschuss erfolgt hier um 6:30 Uhr am Trübsee, einem idyllischen Bergsee im Engelbergertal. Oder dem „Ultra 2*2“ beziehungsweise „Ultra 4*4“, bei dem die Ultradistanz als Team gelaufen wird, aufgeteilt in zwei oder vier Etappen. Auch den Mountainman Marathon kann man als Zweierteam laufen. Daneben wird noch ein Halbmarathon, der immer noch stolze 1.395 Höhenmeter aufweist, angeboten.
Schon die ersten Kilometer machen deutlich, dass es sich um einen anspruchsvollen Berglauf handelt. Denn vom technischen Anspruch her hat der Mountainman einiges zu bieten. Knackige An- und Abstiege in herausforderndem Terrain erwarten die Läufer. Asphaltierte, breite Wege findet man hier, bis auf wenige Ausnahmen, vergebens. Der Kurs verläuft überwiegend auf schmalen Pfaden durch Berge, Wälder, Moore und Wiesen. Das Angebot reicht vom romantischen Wiesenweg, knorrigen Wurzelpfad, felsigen Aufstieg, steilen Abhang bis zum schattenspendenden Waldweg.
Mittlerweile habe ich den Sattelpass, den dritten Verpflegungspunkt bei der Marathondistanz, nach 15 gelaufenen Kilometern erreicht. Ich nehme mir bewusst die Zeit und lasse meinen Blick schweifen und genieße das einzigartige Panorama der Unterwaldener Bergwelt: imposante Berggipfel, saftig grüne Wiesen, kühle Wälder und malerische Almen lassen mein Herz höher schlagen. Berner Alpen, Brienzersee, Thunersee – es gibt schon auf dem ersten Streckenabschnitt viel zu sehen. Wenig später folgt schon das nächste Highlight: ein traumhafter Weg über Bohlenstege durch das Moor entlang fast märchenhafter Waldlandschaften. Zu meiner Freude säumen immer wieder Brunnen den Weg, dessen kühles Quellwasser meinen Kopf und Arme zumindest für einen Moment wieder auf Wohlfühltemperatur bringt.
Ein kurzes Stück asphaltierte Straße führt nach Langis, wo Halbzeit des Marathons ist. Es wird immer wärmer, die Sonne steht fast senkrecht über mir. Über jede schattenspendende Möglichkeit bin ich dankbar. Zwei Becher Iso, eine Cola und zwei Riegel - dann geht es wieder weiter. Trotz der landschaftlichen Idylle muss ich konzentriert bleiben, denn der schmale Pfad verläuft nun überwiegend bergab. Ein Trailrun wird nicht bergauf-, sondern bergab entschieden. Jeder Schritt kann hier über deine Gesundheit bestimmen. Mach einen falschen und das Rennen kann vorbei sein. Der Singletrail ist übersät mit Geröll, Felsen und Wurzeln. Immer wieder tauchen auch kleine Matschlöcher auf. Wie gut, dass ich meine Stöcke dabei habe. Diese stellen einen ungemein großen Vorteil dar, da sie die Beinarbeit durch den verstärkten Einsatz des Oberkörpers etwas entlasten.
In Rischigenmatt bei Kilometer 31 darf ich wieder meinen Energiespeicher etwas auffüllen. Dort treffe ich auf einen Schweizer Läufer, der schon seit geraumer Zeit ein paar Meter vor mir läuft. „Super“, motiviert er mich in seinem Schweizer Dialekt. Er ist begeistert von diesem Lauf und erzählt mir voller Stolz, dass er im kommenden Jahr seinen ersten Bergultra beim Mountainman laufen will. „Was für eine Hitze. Ich brauche jetzt eine Pause. Wir sehen uns im Ziel“, gibt er mir zu verstehen, als ich wieder weiterlaufe.
Am Verpflegungspunkt Lütholdsmatt bei Kilometer 36,7 habe ich es fast geschafft. Die Betonung liegt dabei ganz klar auf dem Wort „fast“. Ein Schild weist uns Läufer daraufhin, dass es noch 5,5 Kilometer und 880 Höhenmeter bis zum Ziel sind. Und diese Zahlen sollten halten, was sie versprachen. Zunächst geht es noch auf einem moderaten, asphaltierten Weg bergauf. Doch wer denkt, dass es nicht mehr steiler wird, wird wenige Minuten später eines Besseren belehrt. Denn: nach einem kurzen Bergabstück geht es nochmals richtig hoch und steil hinauf – bis auf fast 2.100 Meter. Das Ziel, die Bergstation Pilatus Kulm, liegt fast zum Greifen nah, doch leider gefühlte 400 Höhenmeter über mir. Ein schmaler Pfad, übersät mit Geröll und Steinen, schlängelt sich im Zickzackkurs steil nach oben. Wer vor dem Anstieg schon am Anschlag gelaufen ist, bekommt jetzt richtige Probleme. Dann kommen noch ein paar Treppenstufen hoch zur Aussichtsplattform und weiter durchs blaue Zielbanner. Geschafft!
Wenn man nach oben blickt, kann man weiterhin keine einzige Wolke ausmachen. Die Sonne, die noch immer wie eine Königin am Himmel thront, kitzelt mit ihren wärmenden Strahlen meine Haut. Ich genieße nochmals die sagenhaften Ausblicke und brauche nichts weiter in diesem Augenblick. Was für ein Tag!
Fazit: Sonniges Wetter, blauer Himmel und eine reizvolle Gegend. Definitiv ein landschaftlich sehr beeindruckender und vielseitiger Lauf mit durchaus anspruchsvollem Streckenprofil. Wenn es das Orgateam noch schafft, kleinere organisatorische Dinge zu optimieren, wie zum Beispiel den Fahr- und Zeitplan zum Start den Läufern besser zu kommunizieren, dann ist der Mountainman auf einem guten Weg zu einem der empfehlenswertesten Trailruns in Europa zu gehören.
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