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21.08.10 - Mountainman

Vom Moor gen Abend

Der Wechsel zum Trailabenteuer lässt nicht lange auf sich warten. Die Streckenmarkierung führt uns von der Straße weg ins Gelände, auf eine Weide im Moor, wo alle Zutaten für ein erstes Sumpfabenteuer warten. Dank einiger Planken und Bohlen besteht die Chance, diesen Abschnitt zu durchqueren, ohne so tief einzusinken, dass Morast und Wasser von oben in die Schuhe eindringen. Das Idealmaß eines Läufers ist hier 48/48. Die erste Zahl steht für das Gewicht in Kilogramm, das zweite für die Schuhnummer. Je ungünstiger das Verhältnis der vorderen zur hinteren Zahl ist, also je größer die erste und je kleiner die zweite, umso mehr gibt es den Stöckelschuh-Effekt mit großer Sinkrate.

Nach dieser ersten kurzen Einstimmung geht es hinter einer Erhebung wieder durch einen Wald. Beim Heraustreten werden wir für einen Moment von der Sonne von vorne gegrüßt, bevor uns eine Spitzkehre zur nächsten Verpflegung leitet. Motivierte, aufmerksame Freiwillige sorgen für unser Wohl. Ans Aussteigen denkt jetzt vermutlich noch niemand, auf das Angebot der Bergretterin geht jedenfalls niemand ein, und so setzt sie das große spitze Messer wieder seinem ihm ursprünglich zugedachten Zweck zu, dem Schneiden von Bananen…
Trotz Zeitdruck haben solche Einlagen wider den tierischen Ernst Platz. Und mit ein bisschen Galgenhumor lässt sich dieses Unterfangen sowieso besser über die Bergbühne bringen.

30 Kilometer der Strecke führen durch das größte Moorgebiet der Schweiz. Deshalb geht es auch wieder auf Singletrails weiter, deren Bewältigung einige zusätzliche Energie kosten.  Nach knapp 20 Kilometern bietet eine befestigte Straße eine kleine Verschnaufpause und die Gelegenheit, die Augen vom Pfad abschweifen und in die friedliche Landschaft des Hochmoors blicken zu lassen.

Den Wegweisern nach zu schließen, gibt es hier im Winter verschiedene Loipen, für Familienwanderungen mit gleichzeitiger Stillung des Wissensdurstes der Sprösslinge sind am Wegrand Informationsecken eingerichtet. An einer sehe ich ein Schild mit der Aufschrift „Von Morgarten zum Moorgarten“. Details lese ich nicht, dazu fehlt mir die Zeit. Ich denke aber, dass der Kontext ein anderer ist, als der, welcher sich mir in diesem Moment erschließt. Bei der Schlacht am Morgarten gaben sich vor bald 700 Jahren die Eidgenossen und die Habsburger erstmals aufs Dach, am heutigen Tag kämpfe ich die Schlacht im Moorgarten und ich zweifle daran, dass die Kombattanten damals das gleiche Hochgefühl erlebten wie ich in diesem Augenblick.

Wer in diesem Landstrich das Sagen hat, zeigen drei Kühe. Bei Langis bleiben sie in gut indischer Manier  mitten auf der Straße stehen und zwingen uns zu Ausweichmanövern. 

Beim Einbiegen in die Straße des Glaubenbergpasses ruft mir jemand von den Zuschauern zu, was mich sehr verwundert, denn ich erwarte niemanden am Streckenrand. Roland, zweimaliger Weggefährte im Val de Travers und am Trail in Verbier betreut einen Kumpel und bereitete sich mental auf den bevorstehenden UTMB vor.

 

Glaubenberg bis Glaubenbielen

 

 
© trailrunning.de 26 Bilder

Wir laufen ein Stück der Straße entlang. Auf der linken Seite ist ein größerer, gut in die Landschaft eingepasster Gebäudekomplex, der aussieht wie eine Mischung aus sterilem Resort und Straßenmeisterei. Wer nicht draufkommt, welchem Zweck diese Anlage dient, den weist ein Wegweiser darauf hin: Truppenlager. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Abzweigung nach der nächsten Verpflegung nicht auf eine Schotterstraße, sondern auf eine zwar steile aber asphaltierte Piste führt, errichtet im Schweizer Verteidigungsfieberwahn.

Das Kontrastprogramm folgt aber schon nach Kilometer 25. Weich, tief, feucht und rutschig. So geht es weiter. Die folgenden geografischen Fixpunkte heißen Sattelpass und Glaubenbielen und nach einem Drittel der gesamten Strecke stehen schon wieder freundliche Helfer mit einer Verpflegungsstelle bereit. Ich bin noch nicht weit vom Verpflegungsposten entfernt, da glaube ich nicht richtig zu sehen. Halluzinationen können es nicht sein. Eben erfrischt und hydriert wie ich bin, ist das auszuschließen, und die die Temperatur ist doch noch zu wenig hoch, als dass ich einer Fata Morgana auf den Leim kriechen könnte. Wer mir da entgegenläuft ist leibhaftig – tatsächlich es ist Ricarda. Durch ihren Arbeitsplan ist sie zwar an der Teilnahme verhindert, trotzdem ist sie angereist und lässt es sich nicht nehmen, ihre Kumpels wenigstens für ein paar Kilometer laufend zu begleiten, bevor sie wieder zur Arbeit fahren muss.

Nass sind meine Füße schon seit einer geraumen Weile und meine Trailschuhe sind ziemlich schmutzig. Ein Tritt an den falschen Ort bringt jetzt noch eine weitere Veränderung meines Aussehens und Befindens. Es ist nicht Bräunungscrème; der rötlich-braune Farbton an meinen Waden ist dem Schlamm geschuldet. Dort, wo ich vorher noch meine Schuhe sah, ist eine dicke Schicht Matsch zu finden. Haxen im Schlammmantel würde Anton vermutlich sagen. Spätestens ab diesem Zeitpunkt sind alle diesbezüglichen Hemmungen verschwunden. Schlimmer, sprich unangenehmer, kann das Klima für die Füße nicht mehr werden, also kann ich aus dem Vollen schöpfen, auch wenn das bedeutet, dass ich dabei wirklich nicht nur einen Schuh rausziehe, sondern wirklich aus dem Vollen schöpfe.

 

Glaubenbielen bis Brünig

 

 
© trailrunning.de 37 Bilder

Bei Kilometer 35 werden wir am Verpflegungsstand mit der Feststellung motiviert, dass schon bald die Hälfte des Laufs hinter uns liege. Selektive Offenheit nennt sich das. Wer das Profil studiert hat, lässt sich davon nicht besäuseln, denn in Sachen Höhenmeter geht es erst jetzt richtig los. Zuerst auf einem Wirtschaftsweg, dann unter schroffen Felsen hindurch auf einen Trail, welcher sich immer mehr an den steilen Hang klammert und uns schließlich auf 2000 Metern über die Krete hinweg hinab nach Schönbüel leitet. Dort ist ziemlich genau die Hälfte der Strecke zurückgelegt und gibt es wieder Speis und Trank.

 

Informationen: Mountainman
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