Die letzten sechzehn Kilometer beginnen mit einer Passage bergab, bevor ein kurzer heftiger Gegenanstieg zum Kulminationspunkt des Mountainman führt, dem Balmeregghorn. Mit dem schnell wechselnden Gewölk, dem Gegenlicht auf der einen, mit Schnee bedeckten Gipfeln auf der anderen Seite, wechselt die Stimmung sehr schnell. Also, nicht meine. Die bleibt ziemlich stabil. Am rechten Fuß hat sich zwar eine schmerzende Blase an der Sohle gebildet und die Uhr läuft unerbittlich weiter, trotzdem bin ich zuversichtlich, dass ich – Unvorhergesehenes ausgeschlossen – innerhalb des Zeitlimits den Mountainman schaffen werde. Ein Wanderwegweiser, auf welchem bis zum Jochpass 3:30h Marschzeit angegeben sind, beunruhigt mich dann aber doch nochmals für einen Moment. Auf dem kurzen Straßenstück vor der nächsten Verpflegung auf der Tannalp ist der Schatten vor mir im warmen Abendlicht dann auch tatsächlich schon ziemlich lang.
Gut zwei Stunden müsse man von hier bis auf den Jochpass einrechnen, lasse ich mir bei einem Becher Cola sagen. Gut zu hören, doch ich glaube es erst wenn ich dort bin. Auf der Karte und dem Höhenprofil ist es nur eine kleine Episode gegen Schluss, die Wirklichkeit betrachte ich schon bald weitaus differenzierter.
Den Höhenwanderweg, welchem wir über die teilweise bizarr geschliffenen Steinformationen folgen, würde ich für Leute mit Grundkenntnissen im Ultra-Berglauf als Panoramatrail für Fortgeschrittene bezeichnen. Hoch über dem Engstlensee geht es weiter, zuerst mit ganz langen Schatten vor mir, später im Nebel. Für mich, der ich keinen Meter der Strecke kenne (schließlich bin ich hier als Sechsjähriger das letzte Mal gewandert) ist überhaupt nicht mehr abzuschätzen, wie weit es bis zum Jochpass wirklich noch ist. Jeder Kilometer kommt mir wie eine Meile vor. Ich will jetzt nicht gleich übertreiben und sagen wie eine badische Meile – aber mindestens wie eine nautische, die doch noch etwas länger ist als die aus dem amerikanischen Straßenverkehr bekannte Landmeile.
Umso größer ist die Überraschung, als rechts unterhalb die Bergstation eines Sessellifts zu sehen ist und es links um eine Biegung herum direkt zum Jochpass geht. Ein kurzes Verschnaufen, ein Blick auf die Uhr und die feste Zuversicht ist da, dass ich es packen werde. Es sind nämlich nur noch drei Kilometer, die mich vom Ziel trennen. Am Jochpass befreie ich mich nach 13:15h vom Joch des Zeitdiktats.
Der Abstieg zum Trübsee hat es allerdings in sich. Auf dem groben Schotter fährt mir das Gefälle mehr in die Oberschenkel als alles Vorhergegangene. Die Unterstützer anderer Läufer lenken mich mit ihrem Beifall zwar etwas ab, doch ich bin froh, dass ich weiß, dass nach diesem Gefälle das Ziel in Sichtweite sein wird. Kurz nach dem Einbiegen auf die befestigte Straße steht das lang ersehnte Kilometerschild. Garniert ist es mit einem wunderbaren Ausblick auf den Titlis, welcher in den letzten Strahlen der Abendsonne leuchtet. Immerhin gibt es auch für langsamere Läufer ein paar Exklusivitäten. Die nächste ist nämlich die Stimmung über dem Trübsee zu meiner Linken, welche mir zu einem Bild verhilft, das sich in meiner umfangreichen Laufbericht-Galerie gerade zu meinen Favoriten katapultiert. Ich nehme es als Belohnung für das laufende Ausharren vom Mo(o)rgen bis zum Abend.
Die letzten Meter sind noch Zugabe und dann bin auch ich im Ziel. Viel Puffer bleibt mir nicht, aber ich habe es geschafft, ich bin ein Mountainman!
Der Termin für die zweite Austragung steht und Florian Spichtig und das ganze Organisationsteam sind bereit, Rückmeldungen entgegenzunehmen und konstruktive Kritik in die Planung einzubeziehen, damit das Gute, was sie mit dieser Premiere auf die Beine gestellt haben, noch besser wird.
Ein Punkt, der mir besonders positiv aufgefallen ist, sei an dieser Stelle noch erwähnt. Die Präsenz von Samaritern und Bergrettung war spürbar und ihr Auftreten und Verhalten strahlte auf der ganzen Strecke eine hohe Kompetenz aus, die ein Gefühl von Sicherheit vermittelte, das ich bei einem Traillauf besonders schätze. Ich gehe jetzt nicht näher darauf ein, wie ich das auf dem Weg hinunter nach Engelberg dann auch noch rein praktisch erleben konnte – durfte – musste; es hat aber den Eindruck bestätigt…