Wird eine Laufveranstaltung, dazu ein Marathon, zum 25stenMal durchgeführt, gehört sie schon zu den reifen Semestern. Anders als Kinder haben Leute in diesem Alter häufig keine oder kaum welche Geburtstagswünsche. „Bring einfach dich selber mit, das ist Geschenk genug!“ Hast du das auch schon gehört? Das schmeichelt zwar dem Ego ungemein, löst hingegen die Frage „Was soll ich schenken?“ in keiner Art und Weise. „Ich habe doch schon alles was ich brauche“, höre ich dann auf mein erneutes Nachfragen.
Für den Napf Marathon trifft das zu, darum fahre ich zum wiederholten Mal in die Heimat meiner Mutter, ins Emmental. Eine freundliche Gemeinschaft organisiert einen Marathon auf wunderschöner Strecke in einer bezaubernden Landschaft und sorgt sich mit 16 (!) Verpflegungsposten um das Wohl der Teilnehmer. Der hat wirklich schon alles. Läuferherz, was willst du mehr? Dazu kommt, dass…
Die kürzlich auf TRAILRUNNING.DE aufgeworfene Frage „Was ist Trailrunning?“ hat nicht nur – wie zu erwarten – zu unterschiedlichen Definitionen geführt. Regelrechte Glaubenskämpfe sollen darob entflammt sein, obwohl gar nie zur Diskussion stand, ob „übers Wasser laufen“ auch dazugezählt werden kann.
Egal, was andere dazu meinen, für mich ist der Napf Marathon ein Trail-Marathon. Da ändert in meiner Beurteilung auch das erste Sechstel der Strecke nichts, welches auf Asphalt (das Böse unter unseren Füßen, wie Günther K. es kürzlich ausgedrückt hat) gelaufen wird.
Im Startfeld mache ich deswegen keine niedergeschlagenen Gesichter aus. Es ist allgemein bekannt, worauf man sich hier einlässt. Wer nicht zu den Wiederholungtätern gehört, ist meist durch die Empfehlung eines anderen Läufers hierhergekommen. Bevor der Präsident des Kantonsparlaments den Startschuss gibt, werden noch die ganz Hartgesottenen erwähnt, welche keine Austragung ausgelassen haben.
Mein Wunsch ist es, dass ich mich heute etwas spritziger als im vergangenen Jahr über die Strecke bewege und finde mich schon nach kurzer Zeit fast am Schluss des Feldes wieder. Ich lasse mich davon nicht beirren und laufe mein Tempo, welches ich zwischendurch auch mit Gehen aufrecht halten kann. Zuerst geht es nämlich einfach hoch. Vorbei an prächtigen Gehöften mit Blumenschmuck, Beifall spendenden Familien und Kirchgängern, Kühen, Hühnern und Schafen.
Auf der Hinfahrt hat es noch geregnet. Untermalt vom Geräusch der Scheibenwischer vermeldete eine sonore Stimme die Wettervorhersage mit der Aussicht auf vorübergehender sonniger Aufhellung im Verlauf des Tages. Das war doch mal eine Ansage. In der Tat lichten sich die Nebelschleier und –fetzen mehr und mehr. Wenn es so weitergeht, dann stehen wir auf dem Napf in der Sonne.
Bevor es nach ungefähr sieben Kilometern vom Asphalt weg ins Gelände geht, gibt es Verpflegung. Es ist bereits der dritte Posten. Wer darben will muss sich beeilen, sonst steht er schon am nächsten Verpflegungsstand.
Wenn ich den nun folgenden Weg als Trail bezeichne, werden mir sicherlich auch die Jünger der reinen Lehre des Trailrunnings beipflichten. Dem Gelände ist es egal, dass wir auf den Napf hoch wollen. Wir müssen uns der Gesamttopographie anpassen, was den Eindruck gibt, dass auf zwei positive Höhenmeter ein negativer kommt. Und das ist gut so.
Schneereste, knorrige Wurzeln, versumpfte Wege, schmierige Wiesenpfade, so macht es Spaß, so muss es sein. Auf dem Grat zwischen den Kantonen Bern und Luzern geht es weiter. Zwischendurch spielt uns der Nebel wieder einen Streich und bleibt hartnäckig in den Senken zwischen den Hügeln, wohin er sich verkrochen hat. Da wir vorher schon Klareres gesehen haben, gefällt es mir weniger, auch wenn es zur besonderen Stimmung beiträgt. Wie ein Kind am Geburtstag ein aufwändig und mehrschichtig eingewickeltes Päckchen öffnet, so schält die Sonne nun eine Nebelhülle nach der anderen weg. Es fehlen nur noch die Fanfaren, als wir fast von einem Moment auf den anderen gänzlich in die Sonne hinauslaufen. Am siebten Verpflegungsposten kann Energie für den Schlussaufstieg zum Napf getankt werden. Abgesehen von einem flachen Zwischenstück geht es da steigungsmäßig recht zur Sache. Dafür entschädigt die Aussicht auf die frisch verschneiten Alpen.
Auch auf dem Napf liegt noch Schnee und aus südlicher Richtung ziehen sich wieder ein paar Nebelschleier hoch, es jedoch vorhersehbar, dass die zweite Streckenhälfte ein Lauf in der Sonne sein wird. Für den Team-Bewerb steht auf dem Napf die Ablöse bereit und auch der Halbmarathon startet hier. Wer es kürzer mag und nur einen verschwindend geringen Anteil Asphalt will, ist damit bestens versorgt.
Im Streckenprofil fällt nach dem Napf besonders ein Aufstieg auf: Der nach Höchänzi. Doch all die anderen sind auch nicht zu vernachlässigen. Auch wenn die Grundtendenz der Abstieg nach Trubschachen ist, sind die Trampelpfade ein Auf und Ab wie auf der Achterbahn. Der einzige Rhythmus ist der, dass der Rhythmus so schnell gebrochen wird wie er sich einstellen will. Und allenfalls der, den die „Stöpselläufer“ (heute ganz wenige) auf ihrem Musikwiedergabegerät haben.
Die Schneemänner bei der Luushütte gibt es nicht jedes Jahr, das von Treichlern gebildete Spalier weiter unten gehört aber einfach zum Inventar. Der Klang der Treicheln hinter mir und der Blick auf die Alpenkette vor mir beflügelt. Nicht nur ich habe den Eindruck, dass mir mein Vorhaben, einen flotteren Lauf hinzulegen, glückt. Auch das aufgestellte Team beim zwölften Verpflegungsposten staunt, mich jetzt schon zu sehen. Dass ich unter diesen Umständen kaum Zeit fürs Mitrühren im Fondue habe, ist selbstredend. Dafür wird mir ein Becher Hopfen-Iso angeboten. Wohl bekomm’s!
Die schnell wechselnden Lichtverhältnisse in Waldabschnitten erfordern hohe Konzentration, damit nicht eine Wurzel oder ein Stein den Lauf bremst oder Morast die Schuhe auszieht. Trotzdem nehme ich mir genügend Zeit, um Aussicht, Landschaft und Sonne satt zu genießen.
Wenn es nur noch abwärts geht, dann ist das Ziel nicht fern. Zuerst werden noch kräftig Höhenmeter abgebaut und dann steht dem, der noch kann, nichts entgegen, um zu einem langgezogenen Zielsprint anzusetzen. Das mache ich auch, wohl wissend, dass damit nichts gewonnen wird. Das Gefühl, es dennoch tun zu können, ist ein befriedigendes. Wenn nachher auch der Gang zur heißen Dusche so problemlos und ohne Gangbeeinträchtigung möglich ist, wird es noch besser.
Es freut mich, dass der Himmel dem Napf Marathon das besondere Wettergeschenk gemacht hat, wenn ich schon mit leeren Händen gekommen bin. Gefreut hätte mich auch, wenn der örtliche Keksfabrikant über seinen Schatten gesprungen wäre. Es wirkt schon gar knauserig, dass er es nicht einmal beim Jubiläum geschafft hat, die Finisher mit einer kleinen Packung Keksen im Ziel zu empfangen.
Überleben kann man auch ohne die Kekse dieser Marke. Der Napf Marathon hingegen gehört meines Erachtens zwingend ins Palmarès eines Trail-affinen Marathonläufers. Also, Agenda zücken und die 26ste Auflage eintragen.