Im Herbst strahlen die Laubwälder Neu Englands und Ostkanadas in leuchtenden Farben und machen eine Rundreise durch den Indian-Summer zu einem unvergesslichen Erlebnis. Unvergesslich war es gestern für mich auch an der Elbe zwischen Königstein und Dresden. Noch nie habe ich in so kurzer Zeit so viele Bleichgesichter gesehen, die sich in so kurzer Zeit in Rothäute verwandelt haben.
Es ist Samstag, 24.04.2010, kurz nach 08:00 Uhr morgens, und es ist so kalt und zugig wie es auf Flughäfen nördlich des Weißwurstäquators um diese Uhrzeit nur sein kann. Schlappe 6°C hat der Wetterbericht für den Vormittag angedroht; Gefühlt, bei Gott, scheinen es deutlich weniger zu sein.
Etwas zerschlagen ob des nicht gerade üppigen Platzangebotes an Bord des Fliegers zieht die kleine Reisegruppe unserer Laufgemeinschaft in Richtung Kellergeschoß. Direkt unter dem Terminal liegt Sachsens einziger unterirdischer S-Bahnhof. Die modernen Doppelstockzüge verkehren von dort aus alle 30 Minuten bis ins Stadtzentrum hinein. Die einfache Fahrt kostet dabei pro Person 1,90 Euro und ist damit ein vergleichsweise billiges Vergnügen.
Wenn wir am Sonntag nach dem Lauf zurück fahren, wird es noch günstiger sein, denn dann wird unsere Startnummer gleichzeitig auch als Fahrtausweis für den Dresdener Nahverkehr dienen. Heute jedenfalls fahren wir in etwas über 30 Minuten bis zur Haltestelle Freiberger Straße, überqueren dort die Straße und machen es uns in einem Cafe im World-Trade-Center so lange bequem, bis die Marathonmesse um 10:00 Uhr die Pforten öffnet und wir unsere Startunterlagen abholen können.
Natürlich kann niemand erwarten, dass die Messe mit ihren Gegenstücken bei den großen Citymarathons konkurrieren kann, aber nicht immer ist Masse gleich Klasse. Hier jedenfalls hat man Muße und Auswahl genug, um sich selbst auf die Probe zu stellen, ob man nicht doch noch unbedingt dieses Shirt mehr oder jenes Paar Schuhe zusätzlich benötigt.
Nach nunmehr einem Dutzend Auflagen des Oberelbe-Marathons ist auch die Ausgabe der Startunterlagen übersichtlich und gut geregelt. Trotz neuem Melderekord - erstmalig in der Historie des OEM sind über 4.000 Meldungen per offiziellem Meldeschluss im Organisationsbüro eingegangen – gibt es keine längeren Wartezeiten.
Bei Armin Baer und seinem Zeitmessteam geht es ruhig und gelassen zu. Kleinere Problemchen und einige Nachmelder werden freundlich und zügig im 1. Stock des WTC bedient. Einen Tipp will Armin noch loswerden: „Kannst Du was zum diesjährigen Parkhauslauf am 07.08.10 in Dresden schreiben?“ So wie Achim erzählt, handelt es sich um eine karitative Veranstaltung, bei der Distanzen von 5km bis Marathon angeboten werden. Sicherlich eine ungewöhnliche Nummer, die nicht ohne besonderen Reiz ist, zumal beim Marathon fast 700 Höhenmeter zu bewältigen ist. Wie wäre es mit Dir Joe? Nach dem Knastmarathon bist Du enge Kurse gewöhnt und hättest mehr Schatten.
Wir verlassen das WTC und brechen zu unserer Unterkunft und ausgiebiger Stadtbesichtigung auf.
Anderntags zerstreut sich unsere kleine Reisegruppe wieder per öffentlichen Nahverkehr zu den unterschiedlichen Startorten. Mit leicht gemischten Gefühlen steige ich in den Zug, der mich nach Königsstein bringen soll. Hoffentlich funktioniert die Verbindung dieses Mal reibungsloser als letztes Jahr, als der Start des Marathons wegen einer Betriebsstörung um eine Stunde nach hinten geschoben werden musste. Bahn und Marathonveranstalter hatten das Problem aber im Griff und sorgten durch schnell beschaffte Busse und eine Startverschiebung für Abhilfe.
Gemächlich zieht die S-Bahn am Ufer der Elbe aufwärts und erreicht nach knapp 50 Minuten unseren Startort Königstein. Bis zum Bahnhof kurz vor Pirna muss ich mich mit einem Sitzplatz auf dem Boden begnügen. Scheinbar hatte es sich bei den Halbmarathonläufern nicht ganz rund gesprochen, dass für sie Sonderzüge fuhren.
Mit jedem Meter flussaufwärts wird mir mehr bewusst, wie weit 42 Kilometer doch tatsächlich sind.
In Königsstein angekommen, geht es dann wieder schnell; geübte Routine mischt sich mit Aufregung. Auch wenn ich dieses Jahr im Januar schon einmal an einem Marathonstart gestanden habe: Das Prickeln im Bauch ist wieder da, die Ungewissheit, das Gefühl hier eigentlich gar nicht sein zu wollen und trotzdem an genau der richtigen Stelle zu sein. Der Gedanke „Auf was hast Du dich da schon wieder eingelassen“ nagt zänkisch an meinem Ego.
Mit lautem Knall und hellem Pulverqualm geht es los. Scheinbar haben die Starter viel von den Artilleristen der oberhalb der Stadt gelegenen Festung Königstein gelernt. Nebenbei bemerkt wurde die über der Stadt liegende Festung in den letzten Jahren von etwa 500.000 Menschen pro Jahr besucht. Eine Besucherzahl, von der die Macher des 350 Millionen teuren Projekts „Nürburgring 2009“ zu Hause nur träumen können.