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27.09.14 - Patagonian International Marathon

„Puro, Chile, es tu cielo azulado“

Anschlussprogramm: W-Trek ohne W-Lan

 

 
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Ab jetzt gehöre ich zu den Mochileros – wie man die Rucksacktouristen hier bezeichnet. Jenseits des Lederhosen-, Rote-Socken- oder dem Tatzen-Jacken-Image. Bei diesem abenteuerlichen Treck bekomme ich hoffentlich die Extraportion Abstand zum Alltag. Raus aus der Zivilisation und rein ins Abenteuer.

Aber was ist ein Abenteuer? Der Vorstoß in mir unbekanntes Terrain? Nur eine neue Herausforderung hat noch das ein- oder andere persönliche abenteuerliche Geheimnis. Abenteuer ist etwas, mit dem man sich schon lange beschäftigt. „Wenn dem Wollen ein Tun folgt, ist das der erste Schritt zu einer neuen Erfahrung“ – Monika Minder. Für mich stehen unter den Outdoor-Zielen mit Abenteuerpotential Patagonien neben Nepal und Kanada ganz oben. Für den einen mag es die Besteigung des Kilimandscharo oder des Everests bedeuten, für mich reicht schon die „beste Trekking-Tour der Welt“ und die beginnt, wie für die meisten Backpacker vor dem Hotel Las Torres im chilenischen Nationalpark des Torres del Paine.

Diese Trekkingtour hat ihren ganz besonderen Reiz: Ich dringe in Landstriche vor, die Autofahrern und Tageswanderern verschlossen bleiben, ich kehre der Zivilisation tagelang den Rücken und erlebe bei der Übernachtung im Zelt die Natur intensiver als sonst. Ich laufe mal weniger oder mache an einem anderen Tag Strecke, um an einem besonders schönen Platz mehrere Nächte zu verweilen. Und selbst das Fertigessen schmeckt unter freiem Himmel besser als zu Hause.

Mein Abenteuer heißt "Dabbelju-Trek" der mich Tage lang in W-Form durch den Nationalpark Torres del Paine führt. Es ist ein kalkulierbares Abenteuer. Wer sich die Karte vom Nationalpark anschaut, erkennt schnell die zwei unterschiedlichen Wegmöglichkeiten. Der eine heißt O, weil man darauf in acht bis zehn Tagen einmal um den Gebirgsstock herumgeht (vielen ist der Rundweg zu anstrengend, sie quartieren sie sich in den wenigen Unterkünften ein, und unternehmen von dort aus Tagestouren) und der andere heißt „W“ und führt im Laufe von vier bis fünf Tagen im Zickzack zu den eindrucksvollsten Punkten. Nachdem das „O“  wegen Schnee nicht zu machen ist, ich aber genügend Zeit habe, habe ich mir den „W-Weg“ doppelt vorgenommen – hin und wieder zurück. Das hat den Vorteil, dass ich mich nie umdrehen muss.

Meine Statur würde ich als eher klein und zierlich beschreiben und ich schleppe schwer an meinem riesigen Rucksack, der an meinem Rücken festgezurrt ist. Bepackt mit reichlich Lebensmittel, Wasser kann man getrost aus den Flüssen und Bächen trinken, dazu all die Ausrüstung, die man braucht, um in der Wildnis zu überleben. Jedes Kleidungsstück habe ich zuhause gewogen, die Waschanleitungszettel rausgeschnitten, den Stiel der Zahnbürste abgesägt und immer, immer wieder etwas aussortiert. Dennoch ist ein Zelt, eine Isomatte, ein Schlafsack, Regenbegleitung, Kochtopf unverzichtbar. Jetzt fürchte ich gar bis zum Ende der Reise auf ein Bonsai-Format zu schrumpfen.

Nach der ersten Etappe sind die angstvollen Visionen von stundenlangem qualvollem Gehen, in Sturm und Dauerregen, vom Winde verweht.

Zum ersten Mal weckt mich der Wind. Es ist morgens um drei, immer wieder zerren Böen an meinem, für starke Stürme gemachten Zelt. Rau und wild peitscht der Wind in einer Geschwindigkeit oftmals 120 Stundenkilometer darüber hinweg. Um mich herum donnert es, wie man es von einer Herde galoppierender Büffel in der amerikanischen Prärie erwartet und nicht von eine Horde übergroßer Pampashasen. Weitere Schläge kommen vom Berg: Wie das Getöse eines Orkangewitters rollen immer wieder Stein- oder Schneelawinen in die Schlucht. Nur Frühaufsteher können sie mit ein wenig Glück erleben: Die Magie der „Türme“ bei den ersten Sonnenstrahlen.

Um 5:00 Uhr heißt es im sogenannten „Base Camp“, einem auf das Gemüt schlagender düsterer Wald der als Selbstversorgercampingplatz aber Ideal gelegen, sozusagen direkt an der Wurzel der Torres-Zähne, Schlafsack in den Rucksack packen, lange Funktionsunterwäsche, Mütze, Buff und Handschuhe anziehen und zum Schluss die Stirnlampe aufsetzen. Dann steige ich auf. Mein Körper dampft in der Kälte der Nacht. Sternenklarer Himmel. Ich starre in den Kegel meines Lichtes. Rechts und links davon ist es finster. Weit hinter mir sehe ich, wie an einer Kette, andere Lampen aufblitzen. Gerade jetzt fällt mir der Puma ein. Hält er sich nicht hier in Bergen auf? Beobachtet er mich nicht gerade aus seiner Höhle? Der Winter ist gerade erst vorbei und er sicherlich noch ausgehungert. Aber wäre es nicht auch irgendwie toll, einen wildlebenden Puma vor die Linse zu bekommen, der sich zu Hause selbst im Zoogehege vor uns Menschen versteckt? 

Eine gute Stunde und einige Höhenmeter später habe ich das Fotostativ im Schnee aufgebaut, meine fast erfrorenen Finger umklammern die Tasse mit heißem Tee. Die Luft und der Himmel sind glasklar. Da schmerzen auch 5 Grad Celsius unter null wie 20 Grad Celsius unter null in dem eigentlich kuschligen warmen Schlafsack. Eisiger Wind pfeift mir um die Ohren, aber es fühlt sich gut an, diese eiskalte, klare Luft und die unglaubliche Ruhe. Das einzige was tobt, ist der Tinnitus in meinem Ohr. Im Schlafsack eingewickelt warte ich an der Wurzelspitze der berühmtesten Bergspitzen der Welt auf das gleich einsetzende Schauspiel: Der Sonnenaufgang an den Cuernos del Paine, den "Hörnern des Parks", die obwohl ich sie schon zuhause auf der gemütlichen Couch im wohltemperierten Wohnzimmer auf so vielen Titelblättern von Outdoor-Magazinen, im Fernsehen und auf Postkarten gesehen hatte.

Die Sonne und die „Torres del Paine“ sind die Hauptdarsteller auf der Naturbühne Patagoniens. Ich sitze leibhaftig wie ein Zuschauer im unbeheizten Theater in der ersten Reihe und warte gespannt auf den Beginn der Torres-Show. Dabei handelt es sich, realistisch betrachtet, doch nur um drei nadelartige Granitberge, die senkrecht wie Türme in den Himmel ragen; sie sind noch nicht mal sonderlich hoch (2.600 und 2.850 Meter). 1952 wurde zum ersten Mal der Paine Grande, der höchste Berg im Torres del Paine, bestiegen. Dieser Berg ist zwar nicht viel höher als die Zugspitze, aber er gilt mit seinen Gletschern, Granitwänden und Wetterwechseln als extrem anspruchsvoll.

Es dämmert und dennoch zieht mich die Magie dieser mächtigen Türme sofort in ihren Bann. Melancholische Schweigsamkeit und nur ab und zu ein Seufzer, so überwältigend ist die Schönheit. Die Show beginnt ganz zaghaft um sich nach und nach in den Höhepunkt zu steigern. Was jetzt beginnt, ist die Torres-Show. Als wenn jemand ein Streichholz anzündet, fangen die Spitzen der Türme zu glühen, dann goldgelb zu leuchten an. Minuten später erscheinen die vollständigen Türme im strahlenden Glanz des wärmenden Sonnenlichts.

Nach dem Abstieg schmeckt ein aufgebrühter Pulverkaffee nochmal so gut.

Nach jedem Tag, jeder Stunde, noch jeder Kurve, nach jedem zurückgelegten Höhenmeter jagt ein Höhepunkt den Nächsten. Der gut vorgespurte schmale Single Trail ist ideal für Tagestouren von einer bis zu mehreren Stunden. Je nach Lust, Wetter und körperlicher Verfassung. So genieße ich z. B. nach einer Nacht im „Campamento Italiano“ einen Marsch ins sogenannte französische Tal. Entlang des milchigen Flusses “Río Francés” laufe ich bergauf bis zum Gletscher “Glaciar Francés”, begleitet vom ständigen Krachen der Lawinen, die sich staubend aus dem Gletscher lösen und über eine dunkelgraue Felswand ins Tal hinabstürzten, weiter bis zum Ende des Tales dem “Mirador del Valle del Francés”. Von dort eröffnet sich der Blick auf eine der beeindruckenden Naturkulissen des ganzen Nationalparks, ein Amphitheater aus Felswänden und -gipfeln des Paine Grande, Catedral, Hoja, Máscara, Espada, Aleta de Tiburón und Cuerno Norte…  Dazwischen gibt es immer wieder Sahne-Nuss-Schokolade, Paprika-Chips, Nüsse und jede Menge Kekse.

An keiner Stelle übt sich die Natur in Bescheidenheit. Jeder See spiegelt in einer anderen Farbe. Von smaragdgrün, türkis, tiefblau, und dem Lapislazuli-Blau. Am kalbenden Ende des Lago Grey Gletschers genieße ich den Fernblick auf die im dem See schwimmen mächtigen Eisberge. "Tierra del Fuego ist keine Gegend für Sonnenbäder und Bikinis", schreibt T. C. Boyle in seinem Buch "Zähne und Klauen". Die Nacht ist kalt. Weiter oben in den Bergen fällt Schnee. Was mir gerade fehlt, ist eine wärmende Nasszelle und ein heißer Tee der von innen wärmt. Bereits nach fünf Tagen ohne Dusche wird jedes Aufflackern von Abenteuerromantik durch die kalte Dusche, die unglücklicherweise nach dem Einseifen meiner langen Haare, ganz ihren Dienst versagt, im Keim erstickt. Ich zweifle an meiner Tauglichkeit als Abenteurerin, wenn ich hier schon… Und dabei habe ich die Bücher und Erlebnisse von Amundsen, Scott, Messner und Co. zu Hause auf der Couch am warmen Kamin regelrecht verschlungen. Selbst in der Antarktis war es scheinbar wärmer…

 
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In der Saison jedenfalls können der Weg und seine Hütten/Campingplätze sicherlich bedingt durch die Menschen- insbesondere Studentenmassen sicherlich zum Albtraum werden, jetzt jedenfalls ist es einfach nur ein Traum, zu der auch schon mal eine kalte Dusche gehört. Unterwegs treffe auf die unterschiedlichsten Charaktere: Aussteigern auf Zeit, die sich mit einem RTW-Ticket eine Reise um die Welt gönnen und die hier am Lago Pehoé ihr Ende findet. Oder auf eine allein reisende junge Medizinstudentin aus Frankfurt, die in Punta Arenas ein Praktikum macht. Weiter einer jungen Schweizerin, die mich ernsthaft fragt, ob der Zauberberg von Thomas Mann eine Fernsehserie sei.

Auch treffe ich überraschend Yassin und Matt sowie zwei weitere Profi-Trail-Läufern wieder. Sie nutzen das abwechslungsreiche Gelände und trainieren noch einige Tage im Park. Mit ihren kurzen Laufshorts und minimalistischen Rucksäckchen sowie ihrer hohen Laufgeschwindigkeit sind sie die Exoten auf diesem Trail. Im Gegensatz zu mir haben lassen sie es sich für eine andere Übernachtungsvariante entschieden. Sie genießen die Tage im schönen Refugio Los Cuernos.

Ein Backpacker aus Namibia, mit deutscher Mutter und dem gleichen Zelt in anderer Farbe, fragt mich mit ernstem Blick und ohne dass ich vorher ein Wort gesprochen hätte, ob ich Deutsche sei? Woran er das erkenne, antworte ich. „Your tent is bolt upright“, und macht die entsprechende Handbewegung dazu, indem er eine gerade Linie andeutet „That‘s typical German“!

Mehr als sechs Backpacker oder Tagestouristen begegne ich nie auf meinem Weg. Es folgt, fast schon ein Ritual, die immer gleichen Konversation: „Wo kommst du her?“, „Wo willst du hin?“ Ach ja, das Leben kann so einfach sein. Nach 9 Tagen im Zelt und dann doch immerhin 145 Trekking-Kraftausdauer-Kilometer und 6.848 Höhenmetern liege ich in wohliger Erschöpfung auf dem Bett des Hotels las Torres und nehme einen kräftigen Schluck Sekt aus der Flasche, die ich vor einigen Tagen beim Ultra-Marathon gewonnen habe und die ich hier im Hotel für diesen Tag deponieren ließ.

Meine Ausrüstung war o.k., was ich mir hätte sparen können, war die wasserfeste Handyhülle. Nachdem ein gewaltiger Waldbrand vor vier Jahren im Park 15 000 Hektar Wald zerstört hatte, forderten viele einen Sendemast. Vermutlich wäre der Brand schneller gelöscht worden, hätte es  Handyempfang gegeben. Die Parkverwaltung entschied sich für die Waldbrandgefahr und gegen die Klingeltöne.

Was mich morgen auf der Reise nach Europa erwartet, weiss ich. Die Bilder der letzten Tage erscheinen vor meinem inneren Auge. Noch einmal wecken sie die Sehnsucht nach eisiger Luft, nach der puren Ruhe in meinem Kopf. Ja, so mein Resümee: Auch wenn die Höhenunterschiede unwesentlich sind, die landschaftlichen Eindrücke sind erstklassig. Die Outdoor-Erlebnisse im Nationalpark Torre del Paine sind großartiges Kino; sozusagen Patagonien im Breitwandformat – und die mehr als dreißig Reisestunden allemal wert.

 

Steckbrief für den ULTRA-MARATHON:


63 Kilometer / 9:30 Stunden / 1200 Höhenmeter / 100 % Schotterpiste

Anreise nach Chile:

Die Erreichbarkeit ist (fast) kein Problem, lediglich die Zeit ist es. Von Frankfurt am Main fliegt die TAM über São Paulo weiter nach Santiago de Chile. Weiterflüge nach Punta Arenas gibt es mehrmals am Tag. Ein gültiger Reisepass genügt zur Einreise.

Den Nationalpark Torres del Paine erreicht man ab Punta Arenas mehrmals täglich mit Linien-Bussen, die über Puerto Natales fahren. Ein Busticket von Punta Arenas nach Punta Natales kostet 6.000 Peso für die zweieinhalb stündige Fahrt. Ein guter Ausgangs-, Zwischen- oder Endpunkt ist das Design-Hotel Remota in Punta Natales.
Wechselkurs: 1000 Peso = 1,33 EURO. Die Landewährung ist der Chilenische Peso. Alle Preise sind in Peso ausgezeichnet.

Die Amtssprache ist spanisch: Die Chilenen sind sehr freundlich und man kommt mit englisch und Zeichensprache immer weiter.

Veranstalter: Nomadas International Group, S.A.

Verpflegung: Wasser, Äpfel und Bananen

Wettbewerbe: Neben dem Ultramarathon (63 km), Marathon (42 km), Halbmarathon (21 km) und den 10 km Lauf, wird seit diesem Jahr auch ein Ultra-Traillauf über 109, 67 und 42 Kilometer angeboten.

Finisher Patagonien International Marathon:

Ultramarathon Finisher: 40 Männer, 13 Frauen

Marathon Finisher: 123 Männer, 42 Frauen

Halbmarathon Finisher: 266 Männer, 176 Frauen

10-KM Finisher: 158 Männer, 164 Frauen

Angemerkt: Der Gesamtanteil der Frauen liegt bei 40 %!

Ultra Trail:

109 Kilometer Ultra Trail Finisher: 8 Männer, 1 Frau
67 Kilometer Ultra Trail Finisher: 29 Männer, 4 Frauen
42 Kilometer Ultra Trail Finisher: 25 Männer, 8 Frauen

 

Informationen: Patagonian International Marathon
Veranstalter-WebsiteHotelangeboteOnlinewetterGoogle/Routenplaner

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