Im Paznaun gab es viele Jahre mit dem Silvrettarun 3000 eine attraktive und beliebte Trail-Veranstaltung. Jetzt wurde das Konzept und das Streckenangebot vom Tourismusverband Galtür-Ischgl in Zusammenarbeit mit dem erfahrenen Trailrunner Lukas Kocher, der auch für den Tschirgant verantwortlich ist (Laufberichte gibt es hier) überarbeitet. Als PIUT (Paznaun Ischgl Ultra Trail) hatte das Event dieses Wochenende Premiere. Neu ist nicht alleine der Name, auch die durchweg anspruchsvolleren Trails führen durch bislang unbekanntes Terrain. Zur Premiere haben sich Teilnehmer aus über 30 Nationen angemeldet.
Wetterdienste haben für den Freitag bis zu 49 Liter Regen ankündigt, worauf der Kinderlauf von Freitagmittag auf Samstag verschoben wird. Doch die Frösche irren sich. Am Freitagmittag scheint die Sonne.
Da die Startnummernausgabe am Freitag in der Talstation der Bergbahn in Ischgl ist, nutze ich die Gelegenheit und fahre am Nachmittag auf das 2752 m hohe Flimjoch. Von dort oben blickt man über das Paznaun hinüber zu den Gipfeln des Verwall. Diese kann man beim PIUT bei sonnigem Wetter auf dem Streckenabschnitt über den Rauhen Kopf aus näherer Distanz bewundern. Außerdem sieht man vom Flimjoch auch die Gipfel der Silvretta und auf der anderen Seite blickt man in die Schweiz.
Der Sommer 2024 verlief bisher fast überall in den Alpen nicht wie gewohnt. Es gab nach viel Schnee (Reste liegen noch heute) noch mehr Regen und in der Folge außergewöhnlich viele Muren, die Wanderwege zerstörten. Daher überrascht es wohl niemanden, dass auch die PIUT-Strecken kurzfristig geändert werden mussten.
Beim Briefing sagt Rennleiter Lukas Kocher, er sei in den letzten Tagen um vier Jahre gealtert. Immer wieder war er mit Helfern auf der Strecke, schaufelte an manchen Stellen die von Muren bedeckten Trails frei. Dann sorgten die starken Regenfälle der letzten Tage für weitere erhebliche Schäden.
Im Paznaun setzt man auf öffentlichen Nahverkehr. Den ganzen Tag über fahren Busse im Halbstundentakt in beide Richtungen. Für Läufer gibt es zusätzlich einen Transferbus von allen Orten im Tal zum Startpunkt. Wer am Ziel den letzten Linienbus um 19:20 Uhr verpasst, wird später mit einem Shuttle zum Übernachtungsort gefahren.
Kurz vor 6 Uhr muss ich nur eine Minute von meiner Unterkunft in Kappl zum Start des mit 50 km und 3110 Höhenmeter ausgeschriebenen PIUT 50 gehen. Zuerst laufen wir etwa 200 m weit durch das Dorf. Dann führt uns bereits ein schmaler Trail mit kräftiger Steigung bergauf. Dann geht es noch einmal kurz auf einem breiteren Weg voran, wo sich das Läuferfeld schnell verteilen kann.
Urige Trails führen uns durch den Wald bergauf. Oberhalb der Wolken türmen sich die Berge unter blauem Himmel vor uns auf. Ein wunderschöner Anblick! Schneller als erwartet erreiche ich bei den Speicherteichen der Diasalpe die erste Verpflegungsstelle. Bei strahlendem Sonnenschein marschiere ich weiter durch die herrliche Berglandschaft. Das Läuferfeld ist jetzt schon weit auseinander gezogen. Ab und zu überholen mich schon ein paar schnelle Teilnehmer des PIUT 85 (85 km, 5200 Höhenmeter), die bereits um 2 Uhr in See gestartet sind, nach 35 km Kappl erreichten und nun bis zum Ziel der 50er Strecke folgen.
Zwischen vielen blühenden Alpenrosen führt der in diesem Bereich technisch recht leichte Trail weiter. Allmählich steigt die Wolkendecke, die bisher unten das Tal verdeckte, weiter in die Höhe. Dies ergibt im Gegenlicht großartige Anblicke.
Ich komme an einem hohen Wasserfall vorbei. Dann erreiche ich den kleinen Seßsee und gleich danach VP 2 bei der Niederelbehütte.
Bis vor drei Tagen war geplant, dass wir nun auf dem Paznauner Höhenweg hinauf zur 2760 m hohen Obere Fatlarscharte laufen und von dort auf technisch anspruchsvoller Strecke vorbei am wunderschönen Vergrößsee hinab nach Ischgl. Doch die Muren der letzten Tage haben hier sogar an manchen Stellen die Seilsicherungen in die Tiefe gerissen. Heute müssen wir daher auf einem steilen Trail durch das Tal des Alschnerbach absteigen. Bald erreichen wir die Nebelgrenze. Der Pfad ist manchmal rutschig, an einigen Stellen dürfen wir auch Wassertreten, aber für erfahrene Trailrunner ist er heute nicht gefährlich. Da habe ich schon ganz andere Rutschpartien erlebt.
Schließlich kommen wir ganz unten im Tal an, nicht allzu weit von Kappl entfernt. Die Alternativroute führt uns nun 4,4 km weit mit nur 130 Höhenmetern Aufstieg durch das Tal, zuerst auf Asphalt am Ufer der Trisanna, dann asphaltfrei etwas weiter oberhalb. Hier komme ich schnell voran. Doch kurz vor Ischgl haben die Veranstalter eine heftige Schikane eingebaut, um die durch den Verzicht auf die Fatlarscharte entfallenen Höhenmeter einigermaßen auszugleichen. Auf einem sehr steilen Trail geht es bergauf. Etwa 450 Höhenmeter auf nur 1,3 Kilometern!
Für diesen Aufstieg brauche ich sehr viel länger als erwartet. Aber ich bin ja nicht zur Erholung hier! Es darf ruhig herausfordernd sein.
Auf einem nicht in den Wanderkarten eingezeichneten Pfad geht es dann eine Weile technisch nicht immer leicht auf und ab. Wie auf der gesamten Strecke ist die Route auch hier vorbildlich gut markiert. Dann mündet unsere Umleitung in die ursprünglich geplante Abstiegsroute und ich kann auf meist leichten Wegen hinab nach Ischgl laufen.
Ischgl entwickelt sich in letzter Zeit von einem Wintersportort mit legendären Apres-Ski Partys zu einer vielseitigen ganzjährigen Destination. Nicht nur der neue PIUT spricht verstärkt Trailrunner an. Seit diesem Jahr gibt es auch attraktive, mit Broschüren und online beworbene Routenvorschläge für Trailrunner. Für Mountainbiker gibt es im Paznaun nicht nur zum 29. Mal das legendäre Ironbike-Rennen sowie einen neu eröffneten Bike-Trail-Park und im September die E-Bike WM für jedermann.
Das Zeitlimit 15 Uhr in Ischgl ist auf die Langdistanz ausgelegt, ebenso der Zielschluss 22 Uhr. Heute brauche ich also keine Cut-Off-Zeit fürchten. Um 12:23 Uhr laufe ich an der Zeitmessung vorbei. Ab hier geht es wie geplant für den PIUT 50 und PIUT 85 auf der Strecke des PIUT 20 weiter. Kurzfristig wurde auch der PIUT 30 auf diese Route verlegt. Dieser sollte eigentlich als technisch sehr anspruchsvoller Skyrun mit 30 km und 2500 Höhenmetern vorbei an Zeinissee und Friedrichshafener Hütte auf der unserer Route gegenüberliegenden Talseite führen. Aber auch hier sorgte das Wetter der letzten Tage und Wochen und noch viel zu viel Altschnee dafür, dass gestern entschieden werden musste, die 30 km auf die 20 km Strecke mit Verlängerung im Tal zu verlegen.
Nun geht es eine Weile moderat durch das Fimbatal bergauf. Nach drei Kilometern erreiche ich den idyllischen Schwarzwassersee, an dem heute viele Leute angeln. Kurz darauf komme ich am hübschen Pardatscher See zur nächsten VP. Dann wird es wieder anstrengend. Auf einem technisch relativ leichten Trail steige ich 2,6 km weit etwa 800 Höhenmeter bergauf. Leider verhüllen die nun sehr tiefe Wolken den größten Teil der Berge in der Umgebung. Gut, dass ich gestern schon vom Flimjoch ins Verwall schauen konnte. Jetzt ist davon kaum etwas zu erkennen. Dafür kann ich nun wieder faszinierende Nebelstimmungen erleben.
Für den Aufstieg brauche ich länger als erwartet. Endlich erreiche ich das Gipfelkreuz auf dem 2478 m hohen Rauhen Kopf. Nun folgt ein kurzer, etwas anspruchsvoller Abschnitt, dann kann ich auf herrlichen Genußtrails relativ schnell 380 Höhenmeter hinab nach Außerbergli rennen. Von der Erschöpfung beim Anstieg spüre ich hier nichts, das Bergablaufen macht einfach Spaß.
Die nächsten 2,6 km sehen auf der Karte recht flach aus, doch in Wahrheit bremsen mich viele kurze Aufstiege hier ordentlich aus. Bei der Alm von Innerbergli komme ich gleich zweimal vorbei, da hier eine märchenhaft schöne Schleife hinauf zum Berglisee abzweigt. Dies ist landschaftlich einer der Höhepunkte des Tages.
Von hier aus sollten wir eigentlich über den Paznauer Höhenweg nach Galtür und von dort durchs Tal über Mathon nach Ischgl laufen. Die letzte Streckenänderung führt uns stattdessen direkt hinab nach Mathon. Auch gut, denn jetzt ein Genußlauf 550 Höhenmeter abwärts steht an. Beim Wildpark von Mathon erreiche ich die letzte VP. Jetzt sind es nur noch 5,5 km durch das Tal hinab bis zum Ziel, zuerst auf Asphalt am Ufer der Trisanna entlang, dann auf Trails und Waldwegen mit sanften Zwischenanstiegen.
Als ich das Ziel erreiche, findet gerade die Siegerehrung statt. Ich war zwar ein paar Stunden länger als die Schnellen unterwegs, hatte dafür aber auch ein paar Stunden mehr Spaß und Trailgenuss.
Beim PIUT 85 erreichen 40 der 68 Starter das Ziel, was zeigt, dass die Strecke ziemlich anspruchsvoll sein muss. Auf den anderen Distanzen kamen fast alle Teilnehmer ans Ziel.
Am nächsten Morgen fahre ich bei Bilderbuchwetter zuerst von Galtür mit der Alpkogelbahn zur Bergstation auf 1974 m. Von dort blicke ich in Richtung Norden hinab zum Zeinisstausee, an dessen Ufer ursprünglich VP 1 für den PIUT 30 geplant war. In der anderen Richtung ist in der Ferne unter anderem der Rauhe Kopf zu sehen. Anschließend fahre ich noch von See mit Gondelbahn und Sessellift hinauf zur 2200 m hohen Medrigalpe. Dort oben kamen gestern die Teilnehmer des PIUT 85 noch bei Dunkelheit an.
Der PIUT stellt bereits bei der Premiere unter Beweis, dass er Potential für ein großes internationales Event hat. Wenn es terminlich passt, werde ich nächstes Jahr wieder dabei sein, um dann eine andere Strecke zu erkunden.