Plaustrum (mein Lateinleher sei mir gnädig!), so hiess so ein Bobbycar, nix Federung, nix Bremse, man blockierte die Räder mit Stangen. Dafür waren mehrere Männer zuständig. Die bekamen Kohle dafür, die Stangen zwischen die hölzernen Felgen jagen. Die schweren Wagen kreischten dann ohrenbetäubend über diese Felsen. So entstanden die tiefen Furchen. Nicht nur im Winter eine gefährliche Transportart. Ochsen können ziehen, aber nicht bremsen. Eventuell verlustig gegangene Gliedmaße kamen gleich in die Särge. Ich muss vorsichtig laufen, meine unteren Gliedmaßen schmerzen.
Jetzt der „Liebesbriefkasten“: Eine Jungfrau, die hier ein Laubblatt hineinwirft, wird bald einen Freier finden. Gut, es ist Herbst, Blätter gibt es reichlich und ich bin hier. Aber wo sind die Jungfrauen?
Mehr Erfolg verspricht das „Portemonnaie“: Wer in diesen Felsspalt einen Stein wirft, wird reich. Viele Steine sind schon rausgefallen, den der Quandt-Familie findet man wohl ganz tief unten. Für mich macht der Stein keinen Sinn. Das Finanzamt ist hinter mir her. Jetzt aber Gas!
VP Leistadt, Wasserstation, km 39. Endlich gibt mein Körper seinen Widerstand auf, ich kann frei laufen, doch die Kletterei und Rechnerei beginnt. Wie „schnell“ ich bin, merke ich an den Wandergruppen, die mir freundlich Platz machen. Letzte Woche wurde ich gefragt, ob es Läufer gibt, die so steile Stellen laufen. Ja! Gibt es! Leider wird diese Sportart still und heimlich in unwegsamem Terrain ausgeführt, sonst würde so ein Lauf im Fernsehen gezeigt.
Am VP Lindemannsruhe (km 42), benannt nach dem Oberförster, plündern wir wieder unsere Drop-Bags. Meine Mitläufer haben die Ruhe weg, ziehen sich um, sortieren, speisen, trinken und füllen ihre Trinkbehälter. Ich habe Stress. Foto hier, Foto da, die Zeit drängt.
Am Peterskopf der kollossale Bismarckturm. 1925 stürzte die Betondecke ein, als eine Schulklasse gerade im Turm war. Nochmal 10 km, Wegspinne „Schlagbaum“ (VP 7) - oberhalb der Hardenburg. Die Hardenburg (13. Jahrh) überstand die Franzosen (17. Jahrh, siehe Burg Battenberg) zunächst unversehrt, doch 101 Jahre später waren sie wieder da: 1794 kam Napoleon und setzte die Hardenburg in Brand.
Wieder 10 km. VP Klaustal: Thomas erklärt mir die komplizierten Cut-Off-Zeiten, die jetzt folgen. Gero düst ab, die Stufen hinauf zum Heidenfelsen. Der Name sagt es: Es ist ein vorchristlicher Kultplatz, es gibt hier Grotten und seltsam geformte Felsen, die im Nebel zu tanzen beginnen.
Zarte Klänge eines Saitenistrumentes, heller Frauengesang, dicke, undurchliche Rauchschwaden, Tropfen klatschen von oben herab, hier geschieht Seltsames. Es ist der Teufelsstein. Der Teufel ist hier überall, hat wohl viel Arbeit in der Pfalz. Steil führen uralte Stufen nach oben, dort wo jetzt langhaarige Isoteriker im Kreis sitzen. Ich erkenne seltsame Vertiefungen, es ist ein keltischer Opferplatz. Eine Blutrinne verläuft neben den Stufen.
Am Nonnenfelsen und am Schlawiesener Berg entlang geht’s ins Pfaffental. Endlich christliche Orte! Doch der ewiglange, einsame Aufstieg ist unchristlich. Dann die Ruine Schloßeck. Man weiss nichts darüber. Der Torbogen ist markant, stammt aus dem 9. Jahrhundert. Die kleinen Steine stammen von 1883, als man den Bogen rekonstruierte. Geht man durch den Torbogen, findet sich auf der anderen Seite eine wohl keltische Burganlage, tief, scharf abgeschnitten vom Urgestein. Der Volksmund nennt diesen Ort Heidenloch. Auffallend, dass auf der Seite, die wir hochkamen, eine Art Pyramide aus alten Steinen errichtet wurde. Seltsam.
Hinunter ins Hochzeitstal. Nicht einfach, denn die Erikabüsche stehen dicht, deren Holz ist fest, bremsen die Laufschuhe. Der Rote Hohl ist ein Bergrücken, dort ist auch der Tote Mann: 1617 fand der Förster „eine tote Mannsperson“, die er gleich begrub. Ob die Pfalzgräfin den Mord oder die prompte Beerdigung als „frefliche Tat“ bezeichnete, und von wem sie die Geldstrafe von 200 Gulden forderte, niemand weiß Genaues. Jedenfalls heisst diese Stelle seitdem „Toter Mann“.
Zwei Streckenposten stehen im Wald. Was ich nicht registriere: Dies war schon eine Cut-Off Stelle. Weiter! Nein, das war doch keine. Irgendwas ist seltsam an der Strecke, es fehlt eine Verpflegungsstelle. Habe ich mich verlaufen? Nach 2 Stunden öffnet sich das dunkle Blätterdach und gibt einen herrlichen, sonnigen Blick in die Rheinebene frei. Wir sind bei km 66. Es ist glasklar hier oben. Dort ist die Industrieanlage von Ludwigshafen, dort hinten die Bergstrasse. Ich muss weiter. Habe nur noch 15 Minuten, bis die Strecke hier gesperrt wird.
Aufatmen am nächsten VP, hier liegen noch viele Drop-Bags. Ich plündere meinen. „Lasst ihr die Läufer jetzt noch durch?“ frage ich. „Wir ja, die da unten nicht mehr, dort ist der Cut-Off!“ Mist. 6 Minuten habe ich noch.
3 km später: Aus, vorbei. Ich bin 15 Minuten drüber!
„Da lang! Abkürzung!“ befiehlt mir der Ordner. „Nein, ich laufe da hoch, ich will den ganzen machen! Ich will!“ – „Du kannst es versuchen“ ruft er mir hinterher „du musst dich aber sputen, es wird sehr happig!“. Ja, ist mir klar. Und niemand wird da sein, der meine Knochen aufsammelt.
Irgendwann bin ich oben. Pralle Sonne, aber von unten ziehen dicke Nebelschwaden hoch, bilden eine Fratze, umkränzt von einem höhnischen Regenbogen. Ein Mountainbiker erschrickt mich zu Tode. Der Besenradler. Er beachtet mich nicht. Was ich nicht weiß: Er kontrolliert zunächst die Abkürzungsrouten.
Nach 1,5 Stunden, um 18 Uhr erreiche ich Höningen, km 77. „Klosterschänke“ das hört sich gut an. Vom Kloster (1120) sind noch der Giebel der Kirche sowie des Konventsgebäudes mit dem Torhaus vorhanden, dort noch die kleine Kirche St. Jakob (12.Jahrh). Wie geil ist das denn? Der letzte VP! In 15 Minuten wird hier die Strecke gesperrt, ich hab das Unmögliche geschafft! Ich habe aufgeholt!
Ich hüpfe im Kreis, brülle und lache wie ein Waldkobolt. Ein Fenster steht offen, eine nette Oma steht in einer Art Großküche. „Ich brauch ein Bier!“ „Wie? Was? Ein richtiges Bier?“ Runner‘s High! So stolz auf meine Laufleistung war ich noch nie. 13 Läufer sind angeblich noch hinter mir. Kann gar nicht sein!
Weiter. 1,5 Stunden bis Zielschluß. Ich hole Notger und Sebastian ein. Wie Kinder hüpfen wir rum, machenWitze, freuen uns des Lebens. Wir sind Helden. Für kurze Zeit. Denn es wird dunkel und die Strecke zieht sich ekelhaft. Acht Kilometer? Acht Kilometer! Irgendwann stehen wir wieder vor einem Berg. Aus. Vorbei. 12,5 Stunden war das Zeitlimit. Jetzt ist Zielschluß. Wir gucken uns an. Keiner sagt ein Wort. Es ist vorbei. Drei dumme Gesichter. Eine miese Meise lacht.
Jetzt umkehren wäre aber auch blöd! Sebastian geht geknickt voran. Notger bleibt mit hängendem Kopf zurück. Der dunkle Wald zittert vor meinem schmutzigen Gebrüll als ich mich aufbäume und ein letztes Mal angreife. Auf der anderen Seite hat der Teufel wieder was verstreut: Hütchen! Orange-weisse Hütchen! Ich glaub es nicht! Zwölf Stunden und 36 Minuten, ich brettere über die Ziellinie! Respekt!
Der Respekt gilt dem Veranstaltertrio und allen Helfern. Sie haben hohe Maßstäbe gesetzt, großartiges geleistet. Unmenschlich gute Streckenmarkierung, gute Verpflegung. Der Ultratrail ist technisch einfach, fordert aber die letzten Kräfte. Die Abkürzungen sind keine Schande, man bekommt auch eigene Ultra-Wertungen. Aber dran denken: Minimum 73 km! Ich empfehle den 32 km Trail.
Wer die Cut-Offs packt, dem steht das Ziel offen. Wenn es sein muss, die ganze Nacht.
Einen Lauf des Veranstalters habe ich mir in den Kalender geschrieben: Den Sachsentrail 04.07.15 mit 67 km. Warum? Ich bin schon viel gelaufen und hatte dabei jede Mange Spaß. Aber heute wurde ich richtig gefordert. Sie haben gefordert, sie haben geliefert, ich habe geliefert. Neue Maßstäbe! Das habe ich gebraucht! Eine große Herausforderung vor meiner Haustür.
Ich hoffe, dass ich in 2015 nochmal hier finishen kann. Bin mir aber nicht sicher. Das hier ist eine andere Größenordnung. Respekt!