Der Samstag beginnt für mich mit einem Adrenalinstoß. Vor dem Ausrüstungs-Check um 4:15 Uhr ist meine Startnummer verschwunden, ich bin aber sicher, sie im Hotelzimmer angelegt zu haben. Ich muss nochmal zurück und kann sie Gottlob ganz schnell in der Tiefgarage finden. Das Startnummernband war wohl nicht richtig eingerastet. Schnell bin ich wieder zurück am Startplatz. Alle 55 Starter des 95K werden ausnahmslos kontrolliert. Es dient nur der Sicherheit. Bei mir kommen so schnell 5 Kilo zusammen.
Start 5 Uhr. Nur wenige Meter sind uns im Flachen zum Warmlaufen gegönnt. Nach Überqueren der Pitze wird der Schweißausstoß gleich spürbar erhöht, fast ansatzlos geht es über 3 km und ca. 600 Höhenmeter über den Panoramasteig zum Rifflsee hoch. Auf halbem Wege haben wir auch schon einigermaßen Licht. An der Sunna Alm wartet dann die 1. Labestelle auf uns. Eine fliegende Hi Tech-Kamera nimmt ferngesteuert unser Treiben auf, oder ist hier gar auch die NSA am Werk? Im Unterschied zu den 42K-Läufern werden wir nach einer 8 km-Runde hier ein zweites Mal auftauchen. Um nicht die Orientierung durch unterschiedliche Streckenführungen zu verlieren, wurden wir im Briefing darauf hingewiesen, anfangs immer gegen den Uhrzeigersinn zu laufen.
Die ersten Eindrücke des Rifflsee sind schon faszinierend, aber noch präsentiert er sich nicht im besten Licht. Über eine Brücke gelangen wir am Rifflbach entlang auf dem Offenbacher Höhenweg ins Wurmtal. Leicht ansteigend kommt man ganz passabel voran, aber die Trampelpfade sind auch sehr steinig und mit Vorsicht zu genießen. Das Skelett am Boden wird doch hoffentlich kein Trailer sein? Erste kleine, gefrorene Schneefelder gilt es zu überqueren, den Einsatz von Spikes rechtfertigen sie aber bei weitem nicht. In voller Blüte präsentieren sich Alpenröschen und Silberdisteln.
Eine Besonderheit der beiden langen Trails sind Kontrollstellen, ähnlich wie es sie bei den IVV-Wandertagen gibt. Wer den 95K erfolgreich abschließen will, muss 7 Markierungen vorweisen können. Beim 42K sind es deren vier. Die Felder für die Markierungen sind auf der Startnummer aufgedruckt. Die erste Stempelstelle liegt am hintersten Ende unserer Schleife. Mit einer Zwickzange muss die Markierung ausgestanzt werden.
Der Rückweg unserer Runde führt an der Flanke des Grubenkopfes hinauf zum kleinen Plodersee. Im Winter vergnügen sich hier die Skifahrer. Nach überqueren einiger Skipisten wird der Blick frei auf den jetzt weit unter uns liegenden Rifflsee. Ein schmaler Trail führt uns wieder direkt an sein Ufer, wo wir ihn jetzt aber im Uhrzeiger links herum umrunden müssen. Es gibt hier sogar einen längeren Abschnitt, auf dem man ganz normal laufen kann.
Mittlerweile bietet sich ideales Licht für Fotoaufnahmen vom Rifflsee. Fast kitschig spiegeln sich die schroffen und noch schneebedeckten Gipfel des Kaunergrats im grünen Bergsee und bieten ein Postkartenmotiv erster Sahne. Er ist Österreichs höchstgelegener Bergsee (2.232 m) und ein typischer Moränenstausee. Bei sonnigem und warmem Wetter wird ihm eine große Menge an Schmelzwasser vom Rifflferner zugeführt.
Auf dem Weg zur Sunna Alm geht’s noch eine kleine Anhöhe hinauf zur zweiten Verpflegung. Nicht vergessen dürfen wir hier den Stempel auf unsere Startnummer. Er wird ganz banal von einer Helferin als Kreuzchen aufgemalt. Ein paar Bissen würge ich runter. Der Weg zu VP3 ist weit, erst ganz hinten im Taschachtal, bei km 22 wird es wieder Verpflegung geben. Saher nutze ich auch die Möglichkeit, meinen Getränkevorrat wieder aufzufüllen.
Über ein Viehgatter geht es rauf auf den Fuldaer Höhenweg. Der kurze Anfangsabschnitt ist noch ein Begegnungsstück, wo mir die Nachzügler des 95K entgegen kommen. In südlicher Richtung führt unsere Tour oberhalb der Baumgrenze entlang den Sonnenhängen des Grubengrates und des Eiskastenkopfes. Die Höhenunterschiede sind nur mäßig, aber immer wieder dürfen dabei kleine Klettereinheiten über Rinnsale und Felsabschnitte absolviert werden. Die Aussicht ins vor uns liegende Taschachtal ist phänomenal. Immer näher rückt die Gletscherzunge des Taschachferners.
Ich versuche immer an Jan dranzubleiben, aber meine Fotostopps reißen doch große Lücken zwischen uns. Die Aufholjagd kostet mich viel Energie. Dennoch will ich versuchen, so lange als möglich an ihm dran zu bleiben. Alleine schon, um auch zumindest einen Läufer auf meinen Bildern zu haben. Schaut doch eindrucksvoller aus, oder?
Ausgetretene Pfade führen uns über Grashänge, die meist sehr steinig sind. Nach überschreiten zweier Eiskastenbäche gelangen wir in Schrofen- und Felsgelände. Der gesamte Fuldaer Höhenweg bewegt sich in Höhen zwischen 2.200 – 2400 Meter, tendenziell von vorne bis hinten leicht steigend. Durch einen Felssturz gibt es eine etwas ausgesetzte Kettenpassage, nicht mehr. Daher müssen wir uns über das Schild: „Achtung, Kettensteig gesperrt, Lebensgefahr“ auch keine Sorgen machen, unsere Route führt unterhalb davon entlang. Die optischen Eindrücke auf dem Höhenweg werden immer beeindruckender, die Bergriesen des Ötztals, einschließlich der Wildspitze rücken immer näher. Aber auch die Strecke wird immer anspruchsvoller. Klettereinheiten, mit Seilen gesichert, nehmen mehr und mehr zu, ohne aber ins Extreme abzudriften. Ein Traumtrail, ich habe sehr viel Spaß.