Die dritte Auflage des Pitz Alpine Glacier Trail verspricht ein außergewöhnlicher Wettkampf zu werden. Die Terminliste ist an diesem Wochenende allerdings lang, die Streckenauswahl groß. „42 km müssen des mindestens sein“, lautet die Vorgabe unseres Chefs. Mein Ehrgeiz bezüglich längerer Distanzen hält sich sowieso in Grenzen, also greife ich beim neuen, vom Touristikverband und der Innsbrucker Laufwerkstatt organisierten Pitz Alpine Glacier Trail zu. Zur Wahl stünden auch 100 und 85 km lange Strecken. Obwohl man mir aus der Chefetage Mut macht („Wer anders als Du kann das machen? Du warst heuer auf dem Kilimanjaro und in Biel und kannst Dir jederzeit einen Marathon aus den Beinen schütteln“), lasse ich heuer die Finger davon. Auch die 42 km beinhalten bereits einige Highlights aus dem Pitztal.
Wem das auch noch zu lange ist, kann auf einen der Trails über 26 oder 15 Kilometer gehen. Die Streckenwahl ist brillant, denn du gehst auf verschiedene Schleifen und kehrst immer wieder in die Trail-City nach Mandarfen zurück, verpflegst und machst dich auf eine weitere spannende Runde. Je nach Streckenlänge kommst du an diesen Aussichtspunkten vorbei: Mittagsscharte (höchster Punkt mit 3070 Meter), Gletscherexpress Bergstation, Mittelbergferner mit Überquerung, Braunschweiger Hütte (2758 Meter), Sunna Alm am Rifflsee (2300 Meter), Fuldaer Höhenweg, Taschachhaus (2432 Meter), Taschachtal, Kaunergrathütte (2880 Meter) und Tiefentalalm (1880 Meter). Gänsehaut und Kribbeln in den Füßen ist da garantiert.
Viele kennen das Pitztal vom Gletschermarathon her. Falls nicht: Rund 50 km westlich von Innsbruck liegt Imst auf der Nordseite des Inn. Und wenn ihr da genau nach Süden schaut, also der Sonne entgegen, breitet sich das knapp 40 Kilometer lange Pitztal aus, das von der Pitze durchflossen wird. Mandarfen, von dort starten die Rennen, liegt fast am Talschluss.
Bei der Anreise am Freitag auf Höhe von Imst geht ein Gewitter mit starkem Niederschlag nieder. Das Wasser steht zentimeterhoch auf den Straßen. Doch 20 Minuten später und ein paar Kilometer weiter in Wenns ist der Asphalt fast trocken. Trotzdem komme ich mit Verspätung an und kann mich nicht einer Ausrüstungskontrolle stellen. Ohne diesen Check gibt es aber keine Startnummer.
Was steht denn auf der Checkliste? Nun, neben funktioneller Kleidung braucht es einen gescheiten Trailschuh mit guten Profil, Wechselklamotten, Mütze, Handschuhe, wasserdichte Jacke und Hose, Erste Hilfe Set, Trillerpfeife, Streckenkarte, Spikes für die Gletscherüberquerung, Ausweis und etwas zu essen und trinken. Und du musst ein aufgeladenes Handy mitführen. Denn dann bist du immer erreichbar. Es könnte ja sein, dass das Rennen einen ungeplanten Ausgang nehmen könnte. Stichwort: Gewitterwarnung, Rennabbruch und ähnliches.
Den Check In hole ich dann am nächsten Morgen noch vor den Frühstück nach. Die 100 und 85 Kilometerläufer sind schon stundenlang unterwegs, denn sie wurden bereits um 3.30 Uhr losgelassen. Da hat es der Rest der Trailmeute leichter, denn für sie ertönt das Startsignal um 09.00 Uhr. Da lässt es sich noch ausgiebig frühstücken.
Gleich nach der Ausrüstungskontrolle werde ich Zeuge, wie die beiden Führenden, fast leichtfüßig, nach ihrer Einführungsrunde über die Mittagsscharte in den Zielbereich zurückkommen, verpflegen und auch noch für Moderator und Fotograf ein paar Augenblicke Zeit haben.
Erst während des Frühstücks werfe ich einen Blick in die Startertasche, in der neben wenig Werbung die Startnummer mit dem Chip (klebt hintendran), eine Plastikflasche, ein Erfrischungsgetränk (nein, keines aus Erding; aber ein Anhänger steht auf dem Zielgelände herum; der ist bestimmt für später) sowie ein Salomon-Buff. Duschen könnte man nach dem Rennen in einem Hotel in der Nachbarschaft. Es empfiehlt sich, das Race Briefing zu besuchen. Die Erklärungen und Anweisungen gibt es auf deutsch und englisch.
Fragen kann man natürlich auch stellen. Die nach dem Wetter kommt sofort und man ist darauf vorbereitet. Von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (www.zamg.at) hat man die Info bekommen, dass es am Lauftag bis 15.00 Uhr trocken sei und erst danach mit Schauern zu rechnen sei. Auf die Wetterdienststelle in Innsbruck kann man vertrauen, denn dort holen sich auch europäische Himalaya-Expeditionen Prognosen ein. Der Charly Gabl war lange Jahre Leiter der Anstalt und ging erst dann in den Ruhestand, als Gerlinde Kaltenbrunner alle vierzehn 8000er bezwungen hatte.
Zehn Minuten vor 09.00 Uhr verlasse ich mein Zimmer und begebe mich in das Startareal. Nur wenige Sportler kenne ich hier, so wie Martin Kaindl, Jool-Sport- und Tour de Tirol-Chef, Erwin Bittel und Susanne Mohr. Und dann werden wir zum Start aufgerufen. Die Marathonis vorne, die Läufer über 26 und 15 Kilometer dahinter. Der Start ist im Minutenabstand. Die Streckentrennung ist nur ein paar Meter nach der Startlinie.
Um Punkt 09.00 Uhr werden wir auf die Strecke geschossen. 52 Marathonis machen sich auf den langen Weg. Für mich ist das heute der erste richtige Trailwettkampf mit Vollausrüstung und Rucksack. Außerdem nehme ich meine Wanderstecken mit, von denen ich mir beim steilen Aufstieg und beim Abstieg Vorteile erhoffe. Wenn ihr Einsatz nur eine kürzere Regeneration für die vorderen Oberschenkel bringt, bin ich zufrieden. Denn aus der Silvretta brachte ich einen gehörigen Muskelkater mit, der mich einige Tage beschäftigte.
Mandarfen ist ein Weiler, der zu St. Leonhard im Pitztal gehört. Der Name kommt vermutlich von mons arbonis, was Baumberg bedeutet. Vielleicht ein Hinweis auf den im unteren Bereich bewaldeten Mittagkogels, den wir uns später vornehmen müssen. Erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich der Ort aus ehemals zwei Bauernhöfen zu einem Tourismusort. Die Straße soll erst in den 70er Jahren fertiggestellt worden sein. Heute kannst du im Winter erstklassig Skifahren, ob im Rifflskigebiet oder am Pitztaler Gletscher. Dort ist fast das ganze Jahr der weiße Wintersport möglich.
Nach zwei Minuten Asphalt verlassen wir die Teerstraße, es geht gleich kurzzeitig auf einen Wiesenweg. Wir sind gerade mal zehn Minuten unterwegs, als wir die letzte und südlichste Siedlung im Pitztal erreichen. Mittelberg (1736 Meter) liegt am Talschluss am Fuß des Mittagskogels (3162 Meter). Unweit von hier vereinigt sich der Taschachbach mit dem Mittelbergerbach zur Pitze. Die sammelt ihr Wasser aus einem Einzugsgebiet von rund 300 Quadratkilometer. Ein großer Teil der Wassermenge wird dem Gepatsch-Speichersee im Kaunertal zugeführt. Rund 40 Kilometer fließt das Gewässer hinunter bis zur Mündung in den Inn zwischen Imst und Roppen. Beim Gletschermarathon (Termin immer Anfang Juli) läuft man ja bekanntlich von hier in Mandarfen und Mittelberg bis nach Imst. Den Gletscher bestaunt man da nur von unten, hautnah erleben kann man ihn halt nur beim Pitz Alpine.
Nach dem Berghof Steinbock verlassen wir die Zivilisation. Die zwei Zuschauer an der Unterkunft wünschen uns viel Glück auf dem weiteren Weg. Der Wegweiser für Bergwanderer weist eine Gehzeit von 4,5 Stunden für den Mittagskogel aus. Das ginge ja noch. Aber die Zusatzinformation „Nur für Geübte“ sollte einen Urlauber nachdenklich machen. Denn für solche Wege sollte man trittsicher sein, vielleicht auch an der einen oder anderen Stelle schwindelfrei. Ich rechne mir eine Anstiegszeit von etwas mehr als die Hälfte der angeschriebenen Zeit aus. Obwohl, viel Strecke wirst du auf den gut 1300 Höhenmeter bis zur Mittagsscharte nicht machen. Im Höhendiagramm sind es rund sechs Kilometer.
Gleich beginnt der Anstieg. Ich mache meine Wanderstecken einsatzbereit. Ein Blick nach hinten zeigt, dass etwa zehn Leute noch hinter mir sind. Mein Plan ist, am Anfang und gerade am Anstieg nicht zu viel Kraft zu vergeuden. Eine richtige Einteilung ist der Schlüssel zum Erfolg. Und hier ist es auch so, denn mit Gewalt erreichst du beim Trail überhaupt nichts. Es muss und soll Spaß machen. Dazu kommt dann noch der Genuss der Berge, der Aussichten und des Miteinanders. Ein Gegeneinander kann man beim Trail überhaupt nicht brauchen, denn bei Notfällen sind wir verpflichtet, zu helfen.
Mittlerweile gewinnt die Sonne die Oberhand. Der Schatten im Wald des Mittagskogels tut richtig gut, denn es hat bereits deutlich über 15 Grad. Wer langes Hemd und lange Hose gewählt hat, hat danebengegriffen. Trotz „kurz-kurz“ ist mein Kreislauf angesprungen, der Schweiß fängt an zu fließen. Wichtig ist es nun, regelmäßig zu trinken und nicht zu warten, bis man durstig ist. Die Baumgrenze verläuft hier etwa in einer Höhe von 1900 Meter. Gegen 09.30 Uhr verlassen wir den Schatten, es geht in die Sonne.