Alles begann mit meiner Anfrage bei der M4Y-Redaktion, welche Veranstaltungen am letzten Augustwochenende definitiv stattfinden. So kam ich auf den Hartfüßler Trail. Die Entscheidung, ob 30 oder 58km war schnell beantwortet: 58 km natürlich. Das sollte mir allerdings noch Kopfzerbrechen bereiten, denn die angekündigten 1600 HM wären für mich Bestleistung. 1000 HM verteilt auf die Marathondistanz bin ich bisher nur einmal beim BiMa gelaufen. Aber jetzt geht es um 600 HM und 16 km mehr. Auweia!
Aber die Meldung ist bestätigt, sich drücken gibt’s nicht. In meine Läufe bis dahin habe ich mehr bergauf eingeplant und langsam in den Kopf gekriegt, was ich mir da vorgenommen habe. Tanja erklärte ihre Bereitschaft mich an Wochenende zu unterstützen, also Hotel gebucht und Saarbrücken kennenlernen eingeplant.
Bereits zum 9. Mal findet der RAG Hartfüßler Trail statt, dieses Mal mit kontingentierten Startplätzen für 14, 30 und 58 km angeboten, weitere Wettbewerbe gibt es im Corona-Jahr nicht. Zur weiteren Entzerrung startet der 14 km Trail am Samstag um 17:30, für die 240 Starter/innen beim 58er geht’s Sonntag früh um 7:00 Uhr los. Um 10:00 Uhr folgen die 30er. Eingeteilt in Startblöcke mit Abstandsregelung und Maskenpflicht wird direkt im Wald gestartet, das Schulgelände steht aus nachvollziehbaren Gründen zur Verfügung. Auch die Strecke wurde an einigen Stellen verändert, um Begegnungen an Engpässen zu vermeiden. Hört sich nach runder Sache an, ist es wohl auch, immerhin wurde das Hygienekonzept so genehmigt.
Wir reisen am Samstag bereits nach Saarbrücken, eine 2 ½ Anfahrt sind mir bei anstehenden Herausforderung zu viel. So bleibt Zeit, durch die Stadt zu schlendern und mal im Schloss über der Saar vorbei zu schauen. Ein ordentliches Carboloading beim Italiener ist natürlich auch noch drin. Das Hotel bietet bereits ab 5 Uhr ein Lunchpaket an, so kann morgens die letzte Grundlage gelegt werden. Die Anfahrt zum Startplatz „Von der Heydt“ vor den Toren der Stadt ist kurz und direkt nach der Autobahnabfahrt beginnen bereits die Parkplätze.
Im Einlassbereich heißt es zuerst Hände desinfizieren und Maske auf, dann Covid 19-Fragebogen abgeben und Hartfüßler Buff samt Startnummer entgegennehmen. Alles ist gut organsiert, selbst vor den Dixi‘s ist Abstand gewährleistet. Ein richtiges Marathon-Village mit Bierzeltgarnituren, Dynafit Sponsorenstand und Start-Zielbogen, Essen, Trinken, Zeitnahme – alles da. Und jeder hält sich durchgängig an die Maskenpflicht im gesamten Bereich. Schilder und Markierungen trennen die Startblöcke. 10 Minuten vor dem Start erfolgt ein umfangreiches Briefing bis hin zur Wespenwarnung an einer Halde. Der erste Startblock macht sich bereit. Alle 2 m ist eine Linie gezogen, an der sich zwei Läufer aufstellen. Punkt 7 Uhr geht’s los. Der Moderator betont, dass man den Nachbarn zuliebe auf die traditionelle Start-Glocke verzichtet. Der Startblock B darf aufrücken, 3 Minuten später beginnt die Reise für den zweiten Trupp. So geht es weiter bis Block H. Sobald auf der Strecke Abstand eingehalten werden kann, entfällt die Maskenpflicht.
Ich laufe bewusst locker los, ich habe Respekt vor dem, was vor mir liegt. Die Temperatur hat sich bei angenehmen 15 Grad eingependelt, eine dichte Wolkendecke sorgt für schummrige Lichtverhältnisse, was man leider den Fotos auch ansieht. Der erste Kilometer geht bergab, erstes Trailfeeling schon hier, als der Weg über Treppen aus Steinquadern hinunter führt. Dann geht’s auf dem ersten Singletrail kräftig nach oben, fast alle marschieren, die ersten Stöcke werden ausgeklappt und auch den ersten Sturz des Tages gilt es zu vermelden. Oben angekommen, geht’s leicht wellig über Waldautobahnen. Brigitta nähert sich bei einem Fotostopp von hinten, wir haben uns lange nicht gesehen und es gibt viel zu erzählen. Die Halde Viktoria dürfen wir heute nicht erlaufen, aber man hat eine Alternative gefunden. Nahezu senkrecht fühlt sich der Anstieg auf eine Abraumhalde an, der erste Einsatz von Beinen und Händen ist erforderlich. Trotz Bewölkung sind Schweißausbrüche ebenso unvermeidbar.
Kämpfend mit jedem Schritt aufwärts beginnen die Halluzinationen: “Der Steiger kommt…..“, und diese werden immer lauter je näher wir dem Himmel, ähh, Gipfel kommen! Doch dann die Erlösung. Da haben doch tatsächlich zwei Musiker ihre Blechblasinstrumente hier hoch geschleppt und erfreuen uns am erste Gipfelkreuz des Tages mit einem Ständchen: „ … und er hat sein helles Licht angemacht…..“. Ein echter Motivationsschub, vielen Dank dafür!
Wo es hoch geht, geht es auch wieder runter. Aber im Gegensatz zu dem Aufstieg für Bergsteiger geht es auf der anderen Seite der Halde für Trailrunner etwas sanfter bergab. Holla, das macht Spaß! Nach kurzweiligen 8 km erreichen wir den ersten der fünf Verpflegungspunkte. Etwa alle 10 km soll ein solcher eingerichtet sein, habe ich mir gemerkt. Beim ersten gibt es nur Wasser und Iso. Wer an die Erfrischung möchte, bekommt die Hände desinfiziert und muss die Maske aufsetzen. Als Ausrüstung wird ein Liter Trinkbares empfohlen, meine Flaschen sind noch zu 90% gefüllt und ich laufe vorbei.
Wir steigen in einen spannenden Abschnitt der Strecke ein, den “Urwald vor den Toren der Stadt“. In diesem über 1000 ha großen Naturschutzgebiet überlässt man seit 1997 der Natur die Entwicklung im Wald. Keine Waldbewirtschaftung, nur allernötigste Eingriffe werden vorgenommen. Man glaubt gar nicht, wie viele Bäume innerhalb von 23 Jahren so umkippen und sich über den Weg legen. Die Szenerie ist schon sehr speziell und riecht nach Gefahr. Ich muss mich daran erinnern, dass Mitteleuropa tiger- und löwenfrei ist.
Der Fuji ist mit 3776m Höhe der höchste Berg Japans und ein Vulkan. Mitten im Urwald von Saarbrücken steht auch ein Fuji. Es ist eine Spitzkegelhalde mit 30 m Höhe. Normalerweise muss jeder Hartfüßler einmal hier rauf. Da aber nur eine schmale, sausteile Treppe mit riesigen Stufen hoch und runter führt und man fast nicht ohne Körperkontakt aneinander vorbei kommt, bleibt uns dieses Vergnügen erspart. Offiziell - ich möchte trotzdem hoch und viele andere ebenso. Es lohnt sich.
Als ich wieder unten ankomme, sehe ich eine Gruppe Läufer, die fast ängstlich den Berg betrachten: „Da müssen wir auf?“ Ja, antworte ich und schwärme als Motivation von der tollen Aussicht. Die Läufer ergeben sich seufzend ihrem Schicksal und wollen aufbrechen. „Das ist ein Scherz“, kläre ich auf. Aber die Gruppe Läufer setzt ihren Gipfelmarsch fort. Auweia, echte Hartfüßler.
Es geht weiter durch den Urwald, wir kraxeln über Baumstämme, laufen auf herrlichen Trails rauf und runter und queren Bäche über wackelige Stege. Auf diese Weise kommen auch auf diesem zwar relativen flachen, aber dennoch anspruchsvollen Streckenabschnitt einige Höhenmeter zusammen.
Wir steigen hoch zur Scheune Neuhaus. Hier stand 1576 noch das vierflügige Jagdschloss Philippsborn, welches im 30jährigen Krieg komplett zerstört wurde. Ein später aufgebauter Gutshof wurde zum Forsthaus, das wiederum wurde 1997 zum Informationszentrum NABU Wald umgebaut. Hier erreichen wir nach fast 20km unseren zweiten VP, diesmal auch mit fester Nahrung. Maskenpflicht und Hände desinfizieren ist obligatorisch. Es gibt einiges an Obst wie Melonen und Bananen, auch Gurken und Tomaten, ebenso diverses süßes Gebäck. Bier steht alkoholfrei und mit Umdrehungen bereit, Vitamalz, Iso, Cola und natürlich Wasser. Nach einer erfrischender Melone fülle ich meine Wasservorräte wieder auf und trete zügig die Weiterreise an. Kurz danach trennt sich der 30 km Trail Richtung Neuhaus und wir Ultras dürfen uns auf dem nächsten 10 km-Abschnitt durch das wilde Netzbachtal kämpfen.
Es geht über verwunschene Pfade einige Kilometer kräfteschonend sanft bergab, dann aber umso anstrengender in Richtung Bergwerk Göttelborn bergauf. Wir erreichen am Fuße des mit 90 m weltweit höchsten Fördergerüstes den dritten VP. Hier bei 30,8 km muss man nach 5:00h Laufzeit eintreffen, sonst wird man aus dem Rennen genommen. Wir sind gut unterwegs und haben diesbezüglich nichts zu befürchten. Fürchten könnte man sich vor dem spektakulären Aufstieg auf die Halde Göttelborn, dem höchsten Punkt der Strecke. Man könnte zwar auf guten Fahrwegen nach oben kommen, aber als Hartfüßler kämpft man sich fluchend auf steilen Trails langsam aufwärts. Aber so haben wir es ja gewollt. Abwärts laufen wir dann aber doch auf den breiten Haldenwegen und können uns dabei gut erholen. Wir umrunden den Kraftwerkweiher und verschwinden im Quierschieder Kohlwald
Hier sei angemerkt, dass die Strecke sensationell gut markiert ist. Die gesprühten Pfeile auf dem Boden und die Flatterbänder an Bäumen und Sträuchern sind unübersehbar. Eigentlich kann man sich nicht verlaufen. Eigentlich …. Wenn man unachtsam und blind durch die Gegend läuft, kann es halt doch passieren. Plötzlich stehe ich inmitten einer Gruppe von 8 Läufern, die nicht mehr weiter weiß. Alle haben GPS. Kurzes Abstimmen und Orientieren, 400 m zurück und schon sind wir wieder auf Kurs. Ab hier laufen wir zu meist zu viert weiter und quatschen die Kilometer platt. Aber nicht, ohne auf die Strecke zu achten.
Die nächste Halde heißt Brefeld, ist nicht ganz so hoch, dafür geht es aber gefühlt senkrecht rauf. Eigentlich ist gar kein Weg vorhanden, aber die Markierungen sind eindeutig. Hier holen wir uns die nächsten Höhenmeter. So knackig wie es hoch ging, geht’s auf der anderen Seite wieder bergab. Wir laufen im Tal Richtung Brefeld, wo uns der VP 4 erwartet. Weiter über Bergmannspfade tauchen wir wieder in den Wald ein, an verfallenen Bunkern und Gebäuden vorbei geht es Richtung Fischbach. Bei der Bergmannssiedlung Camphausen verlassen wird den Wald. Hier erwartet uns der Hammerkopfturm der Tagesanlage Camphausen, welcher mit 100 Jahren der älteste Förderturm der Welt aus Eisenbeton ist.
Wieder werden alle „normalen“ Wege vermieden und auf herrlichen Trails gelaufen. Beim Briefing wurde vor Wespen gewarnt. Umsonst, Brigitta wird erwischt. Weil sie durch den Strumpf gestochen wird, geht es glimpflich aus. 120 Höhenmeter gilt es beim Anstieg auf die Halde Lydia zu überwinden. Wir sind froh, dass die Sonne nicht scheint, der Schweiß rinnt auch so in Strömen. Auf dem Tafelberg angekommen erwarten uns gleich zwei Gipfelkreuze. Man hat in den 50er Jahren zwei Halden aufgeschüttet, und diese dann zu diesem Tafelberg zusammengefügt.
Der Abstieg wird zu einem wahren Abenteuer. Auf losem Geröll geht es mehrstufig fast senkrecht abwärts. Teils rutscht man talwärts und hofft, dass man wieder Halt findet, bevor man eine Lawine auslöst. Manche hält es nicht auf den Beinen, sie rutschen einfach auf dem Hinterteil nach unten. Immer noch besser, als stürzen.
Über einsame Trails laufen wir Richtung Fischbach, wo uns laut Streckenplan ein weiterer Höhepunkt erwartet: Queren des Fischbachs ohne Brücke! 25 Brücken haben wir heute bestimmt überquert – über diesen Bach hier gibt es offenbar keine. Jeder hat seine eigene Strategie: Brigitta schwört auf „Island getestete Baumwollsocken“, Jochen auf wasserdichte Socken aus England und Michael macht die Augen zu und läuft einfach durch. Ich mag keine nassen Füße, bin durch diverse Berichte auf Marathon4you und Trailrunning.de vorgewarnt und habe mir für feuchte Flusspassagen Plastiktüten eingepackt. Diese ziehe ich mir über die Schuhe und tapse ich durch das Flussbett. Zum Glück filmt das niemand, denke ich. Dann entdecke ich die Fotografin auf der anderen Seite. Ich hoffe, sie verwackelt durch ihr Lachen die Bilder. Fast schäme ich mich. Aber ich habe trockene Schuhe an den trockenen Füssen und es geht gut gelaunt weiter.
Wir erreichen den VP 5 und füllen unsere Vorräte für den letzten Abschnitt auf, wohlwissend, dass uns noch eine letzte Halde bevorsteht. Auch die zweite Cut-Off-Zeit mit 8:30 bei 50,1km stellt kein Problem dar. Hier kommt auch die 30km-Strecke wieder dazu. Alle zusammen stürmen wir die Halde Grühlingstraße.
Rund 100 m geht es rauf, oben einmal um das Gipfelkreuz und dann wieder runter. Interessant, während man bei den letzten Halden eher fluchte, ist diese letzte zum Lachen. Wir genießen einen tollen Ausblick und wissen, das war der letzte Gipfel! Die folgenden Kilometer verfliegen erstaunlicherweise schnell. Die Strecke ist zwar nach wie vor nicht ohne Schikanen, aber nach dem, was hinter uns liegt, kann jetzt nichts mehr schocken. Michael hat am letzten Berg noch die meisten Körner und zieht davon, Brigitta und ich laufen zusammen, Jochen haben wir doch noch ein paar Meter abgenommen. Zum Zielfoto kommen wir als Quartett aber wieder zusammen.
Der Moderator begrüßt jeden Läufer. Das macht den Zieleinlauf sehr persönlich und speziell. Tanja erwartet mich schon, sie hat heute auf einer 10 km Runde den Saarbrücker Urwald kennengelernt. Ein isotonisches Zielgetränk wird gereicht, jeder kann sich eine Medaille nehmen zusammen mit einem Headband im Hartfüßler Design. Wir packen zügig zusammen, 270 km Heimweg müssen auch noch gerockt werden und Duschen stehen (natürlich) nicht zur Verfügung.
Ein toller Trail in lieber Gesellschaft, für mich mit 1462 HM aufgrund geänderter Streckenführung die meisten Höhenmeter ever. 3 Wertungspunkte für den UTMB habe ich ebenfalls gesammelt, die bei mir allerdings verfallen werden. Perfekt organisiert, tolle Streckenführung, abwechslungsreich, ich bin hellauf begeistert. Trailrunning macht mir immer mehr Freude. Vielen Dank an meine Begleitung, Dank auch an den Hartfüssler e.V.. Ihr habt eine Mega-Veranstaltung abgeliefert!