Plötzlich erscheint rechts des Wegs wie aus dem Nichts eine steile Treppe. Die zweite Halde ist erreicht. Am Gipfel des 30 m hohen Haldenkegels, kleiner Fuji genannt, sitzt ein Fotograf. Ein schneller Läufer kommt mir von oben entgegengerauscht. Ich springe nach rechts er ebenfalls. Für ihn geht es in rasanter Rutschbahn nach unten, ich klettere wieder auf die Stufen zurück. Während ich mich die hohen steilen Treppenstufen hinauf quäle, gibt der Fotograf schnell einen Hinweis. Danke, den Baum in Kopfhöhe hätte ich fast übersehen. Der kurze Aufstieg ist sehr lohnenswert, man wird mit einem atemberaubenden Blick auf den Saarkohlenwald entschädigt. Dann geht es wieder hinunter. An den Entgegenkommenden schlängle ich mich gekonnt vorbei.
Der folgende Trail ist kurzweilig. Immer wieder kommen nun Schnellere von hinten. Dann wird es richtig interessant. Die große Baumkrone eines umgestürzten Riesen liegt auf dem Weg. Beim Näherkommen erkenne ich, dass andere sich bereits einen Weg gebahnt haben. Eine kleine Kletterpartie später habe ich das Hindernis überwunden. Pfeile zeigen scharf rechts den Berg hinauf. Der Anstieg ist extrem steil und meine Beine sind bereits müde. Dann sind wir endlich oben und die 2. VP liegt verlockend im Schatten.
Hier beim Forsthaus Neuhaus ist ein wahres Schlaraffenland. Es gibt Wildschweinsalami und Lyoner, Käse, Brot, Gurken, Honigkuchen, Orangenschnitze, Salzbrezeln und Süßigkeiten. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Wichtig ist, die Trinkblase erneut zu füllen. Dann erst mal Cola in die Handflasche, trinken und wieder mit Wasser auffüllen. Oder lieber ein Bier? Nein, zu riskant. Es ist bereits richtig heiß und noch nicht einmal Mittag. Der Tisch ist heiß begehrt. Gerade sind viele 30 km Läufer angekommen.
Noch ein paar Mützen voll Wasser über den Kopf und ich verlasse den gastlichen Ort. Gleich danach kommt die Trennung von 30 und 58 km Strecke. Es ist nun ruhig. Zunächst geht es über eine Straße. Helfer passen auf, dass keiner überfahren wird. Dann hat uns der Trail wieder. Mit nun etwas ausgeruhten Beinen kämpfe ich erneut gegen die Hindernisse, die der unberührte Wald des Netzbachtales für uns bereithält. Sogar etwas Matsch gibt es. Ein größeres Problem als die Natur ist für mich die Zeit. Das Limit bei km 30 mit 4,5 Stunden kann ich nicht mehr schaffen. Immer wenn ich glaube, einigermaßen in der Zeit zu sein, kommt wieder ein steiler Anstieg, der mich zum Gehen zwingt. Hendrik hat versprochen, dass die Limits angesichts der hohen Temperaturen heute hinfällig sind. Jeder, der in der Lage ist, das Ziel zu erreichen, soll die Möglichkeit auch haben. Als Schlussläufer fungiert ein Arzt, der befugt ist, gegebenenfalls Läufer aus dem Rennen zu nehmen. Ihn habe ich aber noch nicht gesehen. Hoffentlich bleibt das auch so.
Irgendwann spuckt der Wald mich dann wieder aus und ich befinde mich unvermittelt auf dem Gelände des Bergwerks Göttelborn aus dem Jahr 1887. Bei seiner Schließung im September 2000 war es eines der größten und bekanntesten Grubenstandorte für Steinkohle im Saarland. So kam es auch zur Gründung des „Zukunftsstandorts Göttelborn“. In diesem Zusammenhang sollen sämtliche historische Gebäude und Landschaften einer ökonomischen Umnutzung unterzogen werden. Schon heute befindet sich eines der weltweit größten Photovoltaikkraftwerke auf dem ehemaligen Grubengelände. Zu den spektakulärsten Objekten hier zählt das mit einer Gesamthöhe von 87 m mächtigste Fördergerüst Europas. Darauf laufe ich jetzt zu. Das Gelände zeigt eine verwirrende Mischung aus alten, verfallenen Gebäuden und dem modernen Campus der „htw Saar“, der Hochschule für Architektur.
Doch damit kann ich mich jetzt nicht genauer beschäftigen. In der Unterführung auf dem Gelände, direkt vor mir, ist die 3. VP und ich bin gespannt, ob man m ich weiter läßt. Es ist bereits 13 Uhr 45 und das Cut-off gerissen. Ich mache mich erst einmal über das Essen her und nehme mir ein Bier. Da keiner mich aufhalten will, mache ich mich frisch gestärkt wieder auf den Weg. Nein, es pfeift mich tatsächlich niemand zurück.
Vor mir liegt nun eine mächtige Steigung. Während ich so hinauf stapfe, kann ich rechts das riesige Solarfeld bewundern. Auf halber Höhe zweigt unvermittelt die Strecke ab. Ein asphaltierter Weg führt in einer weiten Schleife auf die beeindruckende, 427 m hohe Haupthalde. Der schwarze Untergrund scheint die Hitze aufzusaugen und einem Backofen gleich, wieder an uns abzugeben. Ein Läufergrill sozusagen.
Auf dem über mir liegenden Weg, dem sogenannten Himmelspfeil, kann ich Läufer erkennen. Dann zeigen Pfeile sowohl nach oben als auch zurück nach unten. Oh je, wir müssen hinauf und den gleichen Weg wieder hinunter. Schon kann ich Läufer mir entgegen kommen sehen. Wir wechseln ein paar freundliche Worte, dann geht es für die einen nach unten und für mich weiter nach oben. Erfreulich schnell habe ich es dann geschafft. Oben wartet eine Fotografin, die die Startnummern notiert; noch ein Gruppenbild, dann werden wir nach unten entlassen. Ich halte kurz inne, um den grandiosen Rundblick mit dem sattblauen, wolkenlosen Himmel zu genießen. Dann geht es wieder hinunter. Hier ist es ganz schön windig. Beim Aufstieg hatte ich das gar nicht so wahrgenommen. Jetzt fegt mir eine heiße Brise um die Ohren.
Es geht nun um den Kohlbachtalweiher, im Volksmund Alter Schlammweiher genannt. In dem künstlich angelegten Stausee hat die Grube Göttelborn früher ihr Grubenwasser abklären lassen. Mittlerweile ist daraus ein Biotop geworden. Wir erreichen wieder bewaldetes Gelände. Zu früh gefreut. Der Haldenrundweg führt weiter baumlos über eine Wiese, bevor wir wieder schattiges Blätterdach genießen können. Wir laufen an einem hohen Maschendrahtzaun entlang. Auf der anderen Seite surren die Turbinen des Kraftwerks Weiher. Als sich der Wald wieder öffnet, liegt das ehemalige Knappschaftskrankenhaus vor uns. Heute wird es als Rehaklinik genutzt.
In einem großen Bogen gelangen wir an die L127, wo wir nochmal das Rehazentrum, diesmal von vorne, passieren. In Quierschied geht es leicht bergab. Wir wechseln die Straßenseite und verlassen den Ort. Wieder im Wald, bringt uns eine kleine Brücke über den Fischbach. Der Trail führt nun zwischen hohen Büschen zur Halde Brefeld. Natürlich geht es hier wieder bergauf. Es ist jedoch lange nicht so steil, wie wir es heute bereits erlebt haben. Zahlreiche junge Birken stabilisieren den Hang. Ein wunderbarer Trail direkt auf dem Kamm der bewachsenen Halde verläuft zunächst eben, dann rasant nach unten. Schnell erreichen wir die VP 4 ungefähr bei km 40. Mittlerweile sind Wolken am Himmel und es ist lange nicht mehr so heiß. Ich genieße noch einmal Cola und Radler satt. Dann folge ich der Straße bergauf.
Oben geht es weiter an der Straße entlang unter einer hohen Autobahnbrücke hindurch. Oh, es fängt an zu regnen. Die Kühlung tut gut. Leider sind wir schnell unter dichten Bäumen. Da kommt kein Regen durch. Nächstes Highlight ist das 1990 stillgelegte Gelände der Steinkohlegrube Camphausen. Hier befindet sich der erste geschlossene Eisenbetonförderturm. Mit seinen fast 40 m Höhe ist er ein imposantes Zeugnis vergangener Zeit. Das Areal konnte nur zum Teil als Industriegebiet umgewidmet werden. Weite Teile sind dem Verfall preisgegeben.