Fast direkt darunter können wir uns am dritten Verpflegungspunkt noch einmal stärken, die reichlich bestückt ist. Dank Joe’s verzweifelter Suche im Vorjahr nach hopfenhaltiger Flüssignahrung wurde heuer an die meisten VPs auch Sixpacks ausgeben. Bei Halbzeit unseres Trails genehmige ich mir zur Belohnung ein Fläschchen. Dazu wird „der“ Lyoner serviert. In der saarländischen Mundart ist sie männlich und die Fleischwurst gilt als typisch saarländisch.
Durch die jeweiligen Verwaltungen der Saargruben wurde der Lyoner systematisch verbreitet. Man ging von einem hohen Eiweißbedarf der Schwerstarbeiter aus, und da Steaks teuer und schwer zu kauen waren, entschied man sich für den Lyoner. Auch auf den primitiven Öfen in den Schlafhäusern der Bergleute konnte man ihn schnell erhitzen. In den Kantinen der Grubenarbeiter gab es zeitweise sogar für eine Überstunde als Zulage einen viertel Ring Lyoner und eine Flasche Bier.
Neben dem Landschaftsbauwerk Himmelspfeil gelangen wir zur Haupthalde des Bergwerks. Bis 1990 wurde sie auf eine Höhe von 427 m ü. NN aufgeschüttet. Die künstlich aufgeworfenen Hügel, bestehen aus dem ausgeräumten, wertlosen Material, das beim Abbau der Kohle anfällt. Rechts von uns liegt das neu geschaffene Solarkraftwerk, mit über 50.000 Photovoltaik-Modulen zählt es zu den weltweit größten Anlagen.
Ruppig geht es hinauf, schweres Gerät hat für uns äußerst unangenehme Stollen im Boden hinterlassen. Oben angekommen werden wir ironischerweise mit einem Ende der Komfortzone begrüßt. Nach einem langen sonnigen Abschnitt zieht wieder eine Regenfront auf, zudem pfeift uns kalter Wind um die Ohren. Die Regenjacke muss wieder raus. Mit Frank Motsch finde ich ab hier einen tollen Begleiter. Als Einheimischer erklärt er mir alles und hat alle Fragen eine Antwort. So habe ich einen fantastischen Fremdenführer an meiner Seite.
Vom höchsten Punkt unserer Runde geht es in Schleifen wieder bergab, vorbei am Kohlbachweiher mit Blick auf das Steinkohlekraftwerk Quierschied/Weiher. Solange das Bergwerk Göttelborn noch in Betrieb war, erfolgte die Kohleversorgung direkt per Förderband von dort. Heute wird auch aus einer Grubengasanlage Gas verstromt. Nach viel Bergbau tauchen wir wieder ein ins Grün. Dem Haldenrundweg folgend laufen wir durch den Quierschieder Kohlwald und erreichen das 1910 erbaute Knappschaftskrankenhaus (km 37,5). 400 Betten standen damals für die Bergleute zur Verfügung. Heute wird es noch als Rehabilitationsklinik genutzt. Eine kurze Reha können auch wir am 4.VP-Stand einlegen. Ein kleiner Vorrat Urpils erweckt meine Aufmerksamkeit, gemischt mit Cola ergibt sich ein aufbauender Treibstoff.
Bis zur Halde Brefeld (km 41) sind auch einige kürzere Abschnitte auf ungeliebten Teerboden zu überbrücken. Unter dem tauben Gestein der Halde zeigt mir Frank einige Kohlestücke. Seit Stilllegung der Grube Brefeld im Jahre 1962 verschwindet sie mehr und mehr unter einem grünen Waldmantel. Nach einem kurzen Aufstieg über die Abraumhalde verschwinden wir im Baumbestand. Ein herrlicher, schmaler Singletrail befördert uns wieder hinab.
Ein Schild bei km 42,195 km weist uns auf die bisher zurückgelegte Distanz hin. Jan läuft ein paar Minuten vor mir und ist hier erst einmal vollkommen konsterniert, wähnt sich auf einem Marathonkurs und muss erst bei einem Spaziergänger nachfragen, ober er überhaupt noch richtig ist. Natürlich ist er richtig, goldrichtig. Die Strecke ist wirklich hervorragend ausgeschildert, auch wenn ich mir selbst bereits einige Verlaufer geleistet habe. Sie lagen immer an zu wenig Aufmerksamkeit meinerseits. Hendrik hat hervorragende Arbeit geleistet.
Vorbei an verfallenen Bunkern erreichen wir Grube Camphausen. Nach einer Straßenüberquerung erwartet uns ein stilecht gekleideter Bergmann vor dem 100jährigen und damit ältesten Förderturm der Welt aus Eisenbeton, dem sogenannten Hammerkopfturm. Aus Platzmangel konnte man die Antriebsmaschinen nicht auf der Erde unterbringen, sondern musste sie direkt oberhalb des Schachtes in den Förderturm integrieren. Über lange Jahre war die Grubenanlage eine der größten im Saarland. 1990 wurde sie eingestellt.
Übrig geblieben sind noch zwei riesige Kegelhalden, die später in einen großen Tafelberg umgewandelt wurden. Für uns sind über den Haldenrundweg 120 Höhenmeter zu absolvieren, um auf das Plateau von Halde Lydia zu gelangen. Die großartige Rundumsicht am Plateaurand nützt mein persönlicher Guide Frank, um mir die bisher absolvierte Strecke zu zeigen. Direkt unter uns, in unmittelbarer Nähe liegt der Abschnitt durch den Urwald. Ja, tatsächlich, sieht auch von oben so aus, alles Grün.
Weiter geht es mit dem stetigen Wechsel von Bergbau und Natur. Singletrails entlang des Fischbaches, schmale Waldwege und ein herrlicher Pfad auf einer Dammkrone an ehemaligen Absinkweihern vorbei bringen uns zum letzten Verpflegungspunkt an der Brücke zum Bahnhof Neuhaus. Das Angebot ist wieder überaus vielfältig.
Halde Grühlingstraße ist für uns das letzte Bergbau-Überbleibsel. Ein steiler Aufstieg auf die Spitzkegelhalde eröffnet uns einen Blick nach allen Himmelsrichtungen. Auf gleichem Wege führt die Begegnungsstrecke wieder zurück, selbstverständlich mit Kontrolle. Von hinten sieht die Halde mit ihren steilen Erosionsrinnen noch beeindruckender aus. Die letzten fünf Kilometer werden für uns auf Schildern runtergezählt. Nach Überquerung der Fußgängerbrücke über die Autobahn A1 haben wir noch zwei Kilometer vor uns. Gutes Profil ist auf dem schlammigen Bergabstück gefragt. Gerade noch vor Ablauf der festgelegten Sollzeit von 8:30 Stunden erreichen wir das Ziel. Aber auch nachfolgende mit überzogenen Zeitrahmen werden noch erfasst und gewertet.
Herzlich bedanken möchte ich mich bei meinem Fremdenführer Frank. Toll, was er mir alles erzählen konnte.
Der Hartfüßler-Trail ist eine außergewöhnlich lehrreiche und zugleich wunderschöne Strecke mit vielen wechselnden Eindrücken und für heute beendet. Ein Trail mit Kultpotential. Die 150 Startplätze für die Ultrastrecke werden wohl schon nächstes Jahr nicht mehr ausreichen. Heute sind 91 frischgebackene Hartfüßler dazugekommen.