Fast jede alpine Marathonstrecke führt zwischendurch auch über Trails. Meist sind dies relativ einfache Pfade. Der Montafon-Arlberg-Marathon bietet dagegen neben viel gut laufbarem Untergrund kilometerlanges, echtes Trailrunning mit allem Drum und Dran. Und das alles in relativ harmloser Umgebung ohne Absturzgefahr. Für fast jede Sportart gibt es Schnupperkurse, der Montafon-Arlberg-Marathon ist ein solcher für Trailrunning. Ich empfehle diese wunderschönen Veranstaltung allerdings nicht nur Trail-Einsteigern, sondern allen Freunden des Laufens abseits von Straßen.
Der Marathon mit 1600 Höhenmetern führt heute schon zum 16. Mal von Silbertal im Montafon durch das Europaschutzgebiet Verwall nach St. Anton am Arlberg. Insgesamt gibt es unterwegs auf den 42,2 km zehn Verpflegungsstationen. Nur ein Viertel der Strecke führt über Asphalt. Neben dem Marathon stehen der 33 Kilometer lange Trail T33 mit 1190 Höhenmetern, der 16 km lange Panoramatrail mit 600 Höhenmetern sowie verschiedene Kindertrails zur Auswahl. Insgesamt kann die Veranstaltung dieses Mal mit 846 Teilnehmern aus 20 Ländern einen neuen Anmelderekord feiern.
Da dieser Marathon ein Punkt-zu-Punkt-Kurs ist, nutzen viele Teilnehmer die kostenlosen Shuttle-Busse, mit denen man entweder vor dem Start von St. Anton nach Silbertal gebracht wird, oder nach dem Lauf vom Ziel zurück nach St. Anton. Da am Veranstaltungstag aber auch die Fahrt mit regionalen Verkehrsmitteln kostenlos ist, kann man z.B. von Bludenz morgens mit Zug und Bus nach Silbertal und mittags mit dem Zug zurück nach Bludenz fahren. Achtung: Beim Kaufen einer Bahnfahrkarte oder beim Programmieren des Navi im Auto sollte man aufpassen. Der Montafon-Arlberg-Marathon endet im berühmten Ferienort St. Anton AM ARLBERG. Das kleine Dorf St. Anton IM MONTAFON befindet sich dagegen nicht weit vom Start entfernt.
Heute kann endlich auch mal wieder meine Freundin Annette bei einem Marathon starten. Um 5.30 Uhr frühstücken wir, dann spazieren wir den kurzen Weg von der Pension Wiesenheim hinab zum Bahnhof, wo um 6.30 Uhr mehrere Busse die Läufer über den Arlbergpass nach Silbertal bringen.
Wie der Name schon vermuten lässt, wurde in Silbertal bereits vor über tausend Jahren Silber abgebaut, außerdem Kupfer und Eisen. Erst als nach der Entdeckung Amerikas das in der Neuen Welt erbeutete Edelmetall billiger war als das durch Bergbau in Europa gewonnene Silber, rentierte sich der Abbau von bis zu 0,5 Tonnen pro Jahr im Silbertal nicht mehr.
Im warmen Sonnenschein verbringen wir nach der Startnummernausgabe die Zeit vor dem Feuerwehrhaus. Annette und ich begegnen hier einigen Läufern, die ich schon bei anderen Veranstaltungen traf, unter anderem Axel und Axel. Außerdem lerne ich Marathon4you-Kollege Anton Reiter kennen.
Um 8 Uhr starten die Teilnehmer des T33, nur einer nicht, der steht noch vor mir in der langen Warteschlange vor der Toilette.
Beim T33 läuft dieses Mal auch der Bürgermeister von St. Anton am Arlberg.
Vor dem Start werden wir darauf hingewiesen, dass im oberen Teil der Strecke zurzeit der Trail sehr nass ist. Nicht jeder der Umstehenden freut sich über diese Nachricht so sehr wie ich. Weniger schön ist die Ankündigung, dass am Nachmittag die Gefahr schwerer Gewitter besteht, so dass eventuell zur Sicherheit der Teilnehmer kurzfristig der letzte Streckenabschnitt verkürzt werden muss. Klar, Sicherheit geht vor. Aber ich hoffe, dass die Gewitter bis zum Abend warten.
Um 8.30 Uhr geht es dann auch für uns Marathonis los. Da der Start auf 886 m Höhe und das Ziel auf 1304 m liegt, stehen uns heute entsprechend 418 Höhenmeter mehr Auf- als Abstieg bevor. Im Gegensatz zum T33 führt die Marathonstrecke zuerst eine Runde die Straße hinab in Richtung Schruns und dann mal auf Asphalt, mal auf unbefestigtem Weg zurück zum Startbereich. Gestern hatte der Wetterbericht für heute Morgen trübes, kaltes Wetter angekündigt, statt dessen ist es jetzt noch sehr sonnig und auf den ersten drei Kilometern fast zu warm zum Laufen. Vorbei an vielen mit Blumen verzierten Vorgärten ist diese erste Schleife eine reine Genuss-Strecke.
Im Startbereich warten viele Teilnehmer der Kindertrails und halten uns in Reih und Glied aufgestellt die Hände entgegen. Ich habe noch nie so viele Kinderhände abgeklatscht wie hier.
Dann folgen wir dem Fluss Litz bergauf durch das für eine Weile recht enge und stark bewaldete Silbertal. Immer rauscht neben uns das Wasser. Meist ist die Steigung moderat, so dass ich nur selten marschieren muss. Hier hole ich Annette ein. Ich bin zwar der schnellere Läufer von uns beiden, aber ich bleibe ja oft zum Fotografieren stehen. Wir steigen eine Weile gemeinsam auf, dann gebe ich Gas. Am Himmel ziehen immer mehr Wolken auf und verhüllen bereits einzelne Berggipfel. Ich will möglichst den höchsten Punkt der Strecke erreichen, um die Aussicht genießen und in Bildern festhalten zu können. Ich laufe nun deutlich schneller, als ich es hier normalerweise machen würde. Durch die Bewölkung ist es nicht mehr so warm wie vorhin. Insgesamt empfinde ich auf der restlichen Strecke die Bedingungen als recht läuferfreundlich.
Die Strecke neben dem munter plätschernden Bach macht Spaß. An einer Stelle zeigt eine Tafel den Hochwasserstand aus dem Jahr 2005. Damals hätte man hier nicht laufen können. Bald weitet sich das Tal. Hier gefällt es mir ausgesprochen gut. Der Anstieg ist nach wie vor nicht zu steil und je höher ich komme, desto schöner wird die Umgebung.
Ich habe bei bisher fast 80 Marathons und Ultratrails schon viel gesehen und erlebt, aber es gibt immer wieder Neues und Originelles. Eine Verpflegungsstelle, bei der das Wasser aus großen, grünen Gießkannen, wie ich sie nur vom Friedhof kenne, in die Becher geschüttet wird, ist da ein Beispiel. Das sollte patentiert werden! Nach dem gleichen Prinzip wird auch an den anderen Verpflegungsstellen gearbeitet. Die Verpflegung an der Strecke ist sehr gut. Auf der zweiten Streckenhälfte gibt es sogar unter anderem Kartoffeln, Melonen und einmal auch Aprikosen.
Unterwegs rede ich mit vielen Leuten. Oft werde ich auf mein Marathon4you-Shirt angesprochen. Es freut mich immer, wenn ich höre, wie gerne die Läufer unsere Berichte lesen und erzählen, zu welchen Läufen wir sie damit schon motiviert haben. „Schön, dass ihr auch hier dabei seid“, höre ich noch.
Vorbei an einigen Almen kommen wir immer weiter hinauf, nach wie vor stets neben dem Bach. Oberhalb des kleinen Schwarzsee wird die Landschaft immer wilder. Wir kommen an einem Jeep vorbei, neben dem ein hoher Sendemast aufgebaut ist. Schon überhole ich die ersten (bzw. letzten) Teilnehmer des T33, die eine halbe Stunde und einige Kilometer Vorsprung haben. Einmal kommt mir ein Mountainbiker entgegen, dem man die Enttäuschung, wegen der Läufer bergab vom Rad absteigen zu müssen, deutlich ansieht.
Neben einer Verpflegungsstelle stehen zwei Oldtimer-Feuerwehr-Fahrzeuge. Toll, dass die noch immer so fit sind. Die Berge vor mir sind nun wieder fast wolkenfrei. Ich mag nicht wissen, wie viele Selfies heute an diesem Streckenabschnitt von den Teilnehmern sofort auf ihre Facebook-Seite oder in ein anderes Netzwerk gestellt werden.
Dann beginnt der Trail. Wie schon beim Start angekündigt, ist der Weg oft recht nass. Wer keine nassen Füße mag, muss immer wieder Pfützen und Schlammpassagen ausweichen. Manchmal muss man auf dem sehr unebenen Untergrund sehr gut aufpassen. Man läuft auf weichem Boden, immer wieder überquert man mit einem großen Sprung Bäche oder balanciert von Stein zu Stein drüber. Mir gefällt das natürlich sehr gut. Hier kommt man allerdings nur recht langsam voran, aber seine Marathon-Bestzeit will ja ausgerechnet auf einer Gebirgsstrecke niemand verbessern. Immer wieder sind Helfer der Bergwacht an der Strecke, die ihre Freizeit für unsere Sicherheit opfern. Vielen Dank!
Wir kommen am Langen See vorbei, über dem in jeder Streckenbeschreibung steht, dass hier der Film "Schlafes Bruder" gedreht wurde. Noch ein kurzer Steg über ein Sumpfgebiet, dann erreiche ich das 1945 m hohe Silbertaler Winterjöchle. Bereits Ende des 18. Jahrhunderts wurde dieser Übergang als Verbindung zwischen Tirol und Vorarlberg genutzt. Heute markiert ein Schild die Landesgrenze zwischen den beiden Bundesländern.
Noch kurz auf dem Trail bergab, dann steht am Übergang zu einem bequemem Forstweg auf 1903 m die nächste Verpflegungsstelle. Von dort aus kann ich nun einige Kilometer schnell abwärts laufen. Bäume gibt es keine, aber herrlich blühende Alpenrosen.
Bei der Konstanzer Hütte auf 1688 m ist die nächste Verpflegungsstelle. Die ursprüngliche Konstanzer Hütte stand über 100 Jahre etwa 700 vom heutigen Standort entfernt. Dann wurde sie von einer Mure zerstör und 1989/90 am Rand eines kleine Hochmoores neu erbaut.
Allmählich wird die Vegetation am Wegrand vielfältiger und dichter. Ein schneller Weg führt entlang des Rosanna-Bach durch das Verwalltal. Nach einem kurzen Zwischenaufstieg kann ich auf dem Weg mit einigen Serpentinen flott bergab laufen. Zu sehen ist der Verwall-Stausee, der zur Energiegewinnung angelegt wurde. Dann führt ein breiter Weg oberhalb der Rosannaschlucht entlang, in die ich nur kurz hinab blicken kann.
Nach einer Verpflegungsstelle geht es mal wieder lange Zeit bergauf. Ist dies bereits der demotivierende Aufstieg am Ende der Strecke, von dem mir einige Läufer erzählten? Nach einer Weile geht es in schnellem Lauf wieder bergab. Aber der nächste kraftzehrende Aufstieg folgt sogleich. Nach einer Brücke führt ein Trail kurz steil bergab, dann wird der Weg wieder einfacher. Rechts und links blühen Lupinen. Ich treffe auf zwei Läufer, die vor drei Wochen auch in Liechtenstein waren.
Unterhalb sehe ich St. Anton, die Berge sind überwiegend hinter Wolken verborgen. St. Anton am Arlberg ist einer der bekanntesten Wintersportorte der Welt und wird oft auch als Wiege des alpinen Skifahrens bezeichnet. Ab der nächsten Wintersaison entsteht hier durch neue Bergbahnen das größte zusammenhängende Skigebiet Österreichs. Doch auch im Sommer für Wanderer ist diese Region durchaus attraktiv, vor allem aber viel ruhiger als in der weißen Jahreszeit.
Wir laufen nicht direkt in den Ort hinunter. Mit einer Folge von kurzen Auf- und Abstiegen geht es zunächst am Ort vorbei, zuletzt auf einem herrlichen Wurzeltrail. Über eine Wiese laufen wir abwärts, dann kurz auf einer Straße am Fluss entlang, über eine Brücke und dann unter der Bahnlinie hindurch. Zuletzt führt uns eine lange Straße durch den Ort direkt ins Ziel. Vor den Cafés und Restaurants sitzen etliche, medaillengeschmückte Läufer.
Auf den letzten 500 m gebe ich noch einmal alles, denn ich will nun doch unbedingt unter 6 Stunden bleiben, was ich dann auch fast auf die Sekunde genau schaffe.
Ich verweile nicht lange, denn nun gibt es keinen Zweifel mehr, dass es gleich regnen wird. Die Wolken sinken immer tiefer, die Temperatur fällt schnell und der Wind bläst immer stärker.
Ein paar Minuten später bin ich im Arlberg-well, in das wir Läufer kostenlos dürfen. Dort liege ich dann sehr lange im Außenbecken im Wasser und plaudere mit anderen Läufern über Erlebnisse und gemeinsame Laufbekannte. Dann kommt auch Annette. Sie hat mit dem Wetter nicht ganz so viel Glück wie ich, der Regen erwischt sie voll nur einen Kilometer vor dem Ziel.
Am nächsten Morgen fahren wir mit der Bergbahn hinauf zur 2330 m hohen Kapall-Hütte, wo wir bei Sonnenschein und guter Fernsicht einen herrlichen Tag verbringen. Montafon, wir kommen wieder!
Beim Marathon erreichten 53 Frauen und 213 Männer das Ziel. Schnellste Frau war Veronika Limberger (3:51), gefolgt von Andrea Von Ah (4:00) und Daniela Kenty (4:05). Schnellster Mann war Niklas Kröhn (3:26), gefolgt von Wolfgang Eisl (3:33) und Felix Schenk (3:40).