Die Litz, so heißt das Gewässer zu unserer Rechten, wird uns die nächsten gut 15 Kilometer lang begleiten. Sie entspringt in einer mehrfachen Quelle in ca. 1800 Meter Seehöhe unweit der Oberenb Freschalpe, wo wir später vorbeilaufen werden. 24 Kilometer lang ist der Fluss, der heute aufgrund der hohen und tauenden Altschneemenge viel Wasser führt. Bei Schruns fließt die Litz als längster Fluss in die Ill (für Kreuzworträtselfreunde: Nebenfluss des Rhein mit drei Buchstaben). Das Gewässer und der viele Schatten im Bann- und Plattawald wirken dämpfend auf die Temperatur.
Wir passieren die Almwirtschaft Fellimännle, wo erneut getrunken werden kann. Kaum zu glauben, dass schon neun Kilomter hinter uns liegen. Und gut 200 Höhenmeter liegen wir nun höher als der Ortsmittelpunkt Silbertal. Die durchschnittliche Steigung im Silbertal ist moderat, auch wenn einige wenige Rampen belaufen werden wollen. Und wenn es nicht laufen will, dann schalte einen Gang zurück. Das gilt nicht für Patric, denn der hat seine Automatik aktiviert. Ich also mit hechelnder Zunge hinterher.
An einem Stein hocken zwei Radler, guckenderweise. Ich kann nicht anders, als anzukündigen, dass einer zum Abkassieren des Logenplatzes kommt. Und ich ernte ein Lachen und ein „heja, heja“. Urlaubende Schweizer sind es. Eine längere Steigung, die auch zur Abwechslung Patric zum Wanderer werden lässt, folgt nach der Gieslaalpe (1311 Meter). Der zehnte Kilometer.
Es folgt wieder eine Rampe mit stärkerer Steigung, wo wieder schon einige Marathonis den Kriechgang einschalten. Linkerhand sehen wir einen Wasserstrahl aus einer Wasseranstauung. Gleich danach kommt, fast einem Adlerhorst gleich, der Giesla-Aussichtspunkt, welcher mit Stahlseilen gesichert ist. Patric hat einen Landsmann gefunden: Christoph Faude kommt aus Tuttlingen und wohnt nur rund 30 Kilometer von Patric entfernt. Da könnten die ja in ihrer Heimat beim Donautal-Marathon mal eine Wurstsemmel herauslaufen.
Ab der Gafluna-Alpe (1360 Meter, Kilometer zwölf) weicht der Wald dem Almgelände, das Tal wird kurzzeitig etwas breiter. Wir merken schon die Höhe, die Temperatur ist noch lauffreundlich, auch wenn es uns an den Steigungen den Dampf naushaut. Unser Laufuntergrund wird nun etwas weniger bequem. Uneben, teilweise ruppig, also entweder auf den Boden schauen oder Füße heben. Und Patric hat wohl einen Moment nicht aufgepasst, denn im nächsten Moment sehe ich ihn am Boden liegen und sogleich sich wieder aufrappeln. Einen kurzen medizinischen Check erfährt er bei der Unteren Freschalpe (1572 Meter). „Das ist unsere Arbeit, dafür sind wir da“, sagt der Sanitäter. Ein paar Spritzer Desinfektionsmittel aus der Flasche und Patric springt weiter.
Einige Meter weiter an der Freschalpe lasse ich meinen Wunsch nach einem Hopfengetränk sachte anklingen. Der Helfer hört gut und springt im Galopp in die Hütte. Und nach wenigen Sekunden kriege ich ein kühles Blondes stilgerecht im Glas serviert. Wahrscheinlich bekomme ich jetzt wieder vom Reporterkollegen Wolfgang B. eine Mail mit dem Vorwurf: „Du säufst ja Bier beim Marathon.“ Aber Bier ist in der Bayerischen Verfassung als ein Volksnahrungsmittel deklariert. Und ich bin Bayer! Gut gemundet hat das Pils außerdem. Nur dass Patric wieder weit voraus ist. Aber damit kann ich leben.
Das Litztal verengt sich zusehends, der Fahrweg wird rustikal und steiler, stehen doch bis zur nächsten V-Stelle an der Oberen Freschalpe noch etwa 300 Höhenmeter auf vier Kilometer an. Nicht nur einmal werde ich von Mitläufern gelobt, weil ich noch laufe. Mir bleibt aber gar nichts anderes übrig, wenn ich nach vorne schaue. Alles geht, nur einer nicht - Partic. Zu weit abreißen lassen darf ich nicht, denn das weglose Gelände kommt in Kürze. Trotzdem bleibt mir Zeit zum Aufhübschen. Ich stecke mir ein paar Margariten und Almrosen unters Stirnband.
Im Süden zeigen die höchsten Punkte des Valschavieler Maderer, Frastafaller Spitz, Giampspitze und Fanesklakopf allesamt weiße Hauben. Das ganze toppt jedoch gerade vor uns das wilde und gezackte Massiv des Patteriol. Mit 3056 Metern ist er zwar nicht der höchste Punkt des Verwall, aber der beeindruckendste Gipfel, wenn man sich von Norden oder von Westen (wie wir) annähert. Als normaler Wanderer ist der Patteriol nicht zu bezwingen. Da brauchst du meist Bergführer und Ausrüstung, denn Klettern und Orientieren ist da angesagt. Den Hohen Riffler (3168 Meter) als höchsten Punkt des Verwall kann der geübte Bergwanderer bei günstigen Verhältnissen erwandern. Aber bitte Einheimische oder das Personal in den Hütten fragen, ob die Tour machbar ist. Vor vielen Jahren stand ich mal da oben.
Wir laufen am Schwarzen See vorbei. Hier wurde der Film „Schlafes Bruder“ von Joseph Vilsmaier gedreht. Kurz vor dem Ende des Fahrweges sehen wir links den Pfannensee. Die Raststation an der Oberen Freschalpe (1890 Meter) wird ausgiebig genutzt. Ich schiebe mir Bananen und Waffeln rein, denn der Magen knurrt. Kurz vor der Hütte erreichen wir Kilometer 20. Das Gelände verbreitert sich nun. Im Norden sind der angrenzenden Pfannkopf und Drosberg deutlich über 2600 Meter hoch. Gegen Süden bringt es der Fraschkopf nur auf gut 2300 Meter. Der Name Verwall soll übrigens romanischen Ursprungs sein. Möglicherweise soll er vom „Val bel“ stammen, also das schöne Tal.