Der Trail beginnt. Wir stoßen auf die ersten kuscheligen Hochlandrinder. Judith lässt sich nicht überreden, eines zu streicheln. Das macht dann ein Speedhiker. Der hätte aber auch seine Stöcke dabei, um sich notfalls zu wehren. Kurz danach sind Sanitäter postiert. Hat hoffentlich nichts mit den Tieren zu tun, die – wie wir später lesen – robust und von eher gutmütigem Temperament sein sollen.
Trotz der Hitze gibt es hier noch viele feuchte Stellen. Eine Läuferin in aparter pink/schwarzer Hose spart angesichts des unwegsamen Geländes nicht mit Kraftausdrücken. Ich taste mich vorsichtig voran und fühle den Atem der Speedhiker in meinem Nacken. Hey, ich bin doch zum Genießen hier. Also mache ich Platz und freue mich an den unzähligen Bergrosen, bevor ich mich ungestört den (für mich) anspruchsvollen Stellen widme. Beim Wandern könnte ich mich jetzt an meinen Stöcken festhalten. Ich gewinne langsam Vertrauen in die Rutschfestigkeit meiner Trailschuhe. Judith fürchtet dank Goretex keine nassen Füße und versinkt mit dem rechten Bein prompt knietief im Morast.
Vor uns der „Langersee“. Es sieht so aus, als hätte eine Läuferin gerade ein Bad darin genommen. Jetzt hätte ich doch mein Tigerenten-Thermometer gebraucht. Im vergangenen Hochsommer habe ich mal Schwimmer gesehen, die es in 11 Grad kaltem Wasser auf 2.500 Metern Höhe ziemlich lange ausgehalten haben. Hier herrschen sicher höhere Temperaturen.
Der See samt zugehöriger Sumpffläche mag wohl fast einen Kilometer lang sein. Dahinter der majestätische Patteriol (3.065 m), der auch als „Matterhorn des Verwalls“ bezeichnet wird. So ein Dreitausender ist bei dieser Hitze sicher kein schlechter Aufenthaltsort. Dort oben hat es dann immer noch über 15 Grad. Auf einem Holzplankenweg über den Moorbereich sehe ich Judith dahinrasen.
Der höchste Punkt mit 1.956 Metern ist erreicht. Kurz darauf die Landesgrenze zu Tirol. Da der Läufer vor mir kein Bild von sich mit dem Hinweisschild möchte, muss ein Selfie her. Wir überqueren nicht nur die Sprachgrenze, sondern auch die Wasserscheide zwischen Rhein und nun der Donau. Gut, das kann man auf der A96 auch einfacher haben.
Der VP Wasserfassung (1.903 m, ca. km 23) beendet den Trail. Auf der Forststraße geht es nun zügig bergab. Ich laufe mir die Lungen aus dem Leib und kann wieder zu Judith aufschließen. Rosanna heißt das Bächlein, an dem wir nun entlang laufen. Die Atmosphäre in Tirol ist viel heißer und trockener als in Vorarlberg.
An der Konstanzer Hütte (1.688 m, km 27) spenden dann wieder Bäume etwas Schatten. Ein junger Cowboy bewacht ein offenes Gatter. Läufer kommen durch, Tiere nicht. Die gibt es kurz danach wieder zu bestaunen. Eine Kuh springt zur Seite, anscheinend hat mein roter Fotoapparat sie erschreckt. Damit wir nicht zu schnell werden, hat der Veranstalter - oder das Straßenbauamt - hier auch einige knackige Gegenanstiege eingebaut. Zeit sich umzusehen. Riesige Berge stehen manchmal direkt hinter dir.
An einem Marterl stürzen wir uns auf eine Serpentinenstrecke nach unten. Yeah. Der Verwallstausee zähmt die Rosanna vor ihrem Weg durch St. Anton. Über 1.100 Höhenmeter hat sie hier schon zurückgelegt. Das Gasthaus Verwall mit seinen roten Sonnenschirmen kündigt den Beginn der Zivilisation an. An der Verpflegungsstelle bei km 33 (1.457 m) nehmen die T-33-Absolventen eine Abkürzung auf der linken Rosannaseite. Wir bleiben rechts und müssen auf den nächsten 2-3 Kilometern noch mal ca. 170 Meter nach oben. Gehen heißt jetzt die Devise, denn für Laufversuche haben wir keine Kraft mehr. Ausblicke bieten sich auf den Belüftungskamin des Arlberg-Straßentunnels, einer Kathedrale des Fortschritts. Die 380-kV-Hochspannungsleitung über den Arlbergpass sollten sich die Gegner der Südlinktrasse in Nordbayern mal ansehen.
Dann die ersten Ausblicke auf den Ort St. Anton am Arlberg, bekannt vor allem als Wintersportzentrum. Einen Kilometer laufen wir nun steil bergab in ein kleines Nebental, in dem der Moosbach fließt. Auf der anderen Seite kann man die etwas schnelleren Läufer auf dem Rückweg sehen. An der Kehre hat die Feuerwehr eine Wasserfontäne aufgebaut. Vielen Dank! Die Bierdosen der Streckenposten schimmern im Bach.
Über einen Wiesenweg geht es weiter nach unten. Gesäumt von blau blühenden Lupinen wird die Strecke hier wieder spannender. Unter einem abenteuerlichen Überhang hindurch gelangen wir zum Verpflegungspunkt Drosselklappe (1.526 m, ca. km 39). Wie immer ist auch diese Station bestens bestückt: Wasser, Iso, Schorle, Cola, Bananen, Äpfel und anderes Obst, Waffeln, Energieriegel, an einigen Stellen gab es auch Geltütchen und Kartoffeln mit Salz. Zwischendurch konnte man sich an zusätzlichen Wasserstellen sowie aus Quellen am Wegesrand mit dem kühlen Nass versorgen. Vor lauter Begeisterung über die Landschaft habe ich heute oft vergessen, den zahlreichen Helfern ein Danke zuzurufen. Das hole ich jetzt nach.
Endspurt über eine Ziehstrecke des Wintersports ziemlich steil nach unten. Judith und ich können noch einen Läufer „einsammeln“. Unter uns der Arlbergstraßentunnel, unsichtbar. Man hört nun schon den Sprecher im Zielbereich. Ein Trail führt durch den Wald. Auf einmal umgibt uns eine Herde von Pferden. Judith darf streicheln, aber nicht reiten. Wo geht es weiter? Ein Mitstreiter hinter uns lässt sich von den treuherzigen Blicken der Tiere nicht ablenken und nimmt den richtigen Weg. Wir eilen hinterher. Eine neue Teerstraße nach unten, den Fluss Rosanna überqueren und den letzten VP am Bauhof (1.284 m, ca. km 41) nutzen. Die Dorfstraße verläuft mit leichtem Anstieg nach Westen. Bei brütender Hitze ohne jeden Schatten sehnen wir jetzt das Ende dringend herbei. Die T33-Läufer gesellen sich wieder zu uns. Es handelt sich um zwei Herren, die wir weiter oben überholt hatten. Das Ziel ist erreicht!
Wir werden von den Sprechern Martin Ebster und Günter Ernst nach 5:29 Stunden herzlich empfangen. Die Zielverpflegung ist vorbildlich. Saft, Wasser, Iso, Müsliriegel, Waffeln und jede Menge frisches Obst erwarten uns. Zusätzlich zur Medaille und zum Finisher-T-Shirt gibt es einen Panto-Rabattgutschein und einen Dosenkühler der Brauerei Fohrenbach. Apropos: Ein (alkoholfreies) Bierchen wäre jetzt nicht schlecht! Die Siegerehrung warten wir noch ab. Die drei Erstplatzierten erhalten Kuhglocken. Auch Judith darf sich über ein solches Exemplar und den zweiten AK-Platz freuen. Ich bin mit meiner Platzierung am Anfang der letzten Drittels nicht unzufrieden – als Flachlandtiroler mit Genussambitionen geht das voll in Ordnung.
Im Center für Wellness und Kommunikation ARLBERG-well.com nehmen wir unsere Kleiderbeutel in Empfang und hängen noch etwas im warmen Sprudelwasser des Schwimmbads ab. Auch Massagen wären hier möglich. Ein kurzer Spaziergang durch St. Anton zeigt uns einen exklusiven Ferienort. Der Bau des Eisenbahntunnels vor 140 Jahren brachte die ersten Gäste in die besonders schneesichere Gemeinde, die um das Jahr 1275 erstmals als „Vallis taberna“ erwähnt wurde und nach mehrfachem Wechsel der Bezeichnung erst seit 1927 ihren heutigen Namen trägt. Der 13,9 km lange Arlberg-Straßentunnel lässt auch den Durchgangsverkehr verschwinden. Die Ski-WM 2001 ging einher mit der Verlegung der Eisenbahnstrecke, sodass der alte Bahnhof jetzt an einer Grünanlage steht.
Leider können wir an der After-Run-Party in der Dorfstube nicht teilnehmen, da wir den letzten Shuttlebus nach Silbertal erwischen müssen. Dabei lernen wir Dennis aus Kalifornien kennen, der nach 8:05:13 Stunden als Letzter im Ziel ankommt und sich dennoch als Zweitplatzierter in der AK 65 sehr über den originellen Kuhglocken-Gewinn freut. Er ist überrascht, dass der Felsenweg auf dem Berg als Trail bezeichnet wird. In den USA, so seine Erfahrung, sind Trails viel einfacher zu laufen. Die einstündige Busfahrt über den Arlbergpass bietet ein weiteres landschaftliches Highlight. Der Tunnel wird gerade renoviert und ich kann Dennis noch erzählen, dass er für seinen Leihwagen eine Vignette benötigt.
Im Hotel Silbertal lassen wir den schönen Tag mit vielen anderen Läufern bei einem wunderbaren Fünf-Gänge-Menü ausklingen, um am Sonntagmorgen von Blasmusik geweckt zu werden.
Fazit: Der Montafon Arlberg Marathon ist ein wirklich beeindruckender Lauf in wunderbarer Landschaft, den man ohne großen Zeitstress genießen kann.
Ergebnisse:
Frauen:
1. Andrea Feuerstein-Rauch (AUT) 3:46:27,3
2. Monika Felizeter (AUT) 3:56:58,1
3. Daniela Kenty (GER) 4:09:13,5
Männer:
1. Gabor Muhari (HUN) 3:21:02,5
2. Thomas Unger (AUT) 3:28:12,5
3. Daniel Fritz (AUT) 3:35:28,5
Teilnehmer aus 25 Nationen. 228 Finisher beim Marathon, 185 auf der T33- Strecke und 114 beim Panoramalauf.