Für die meisten Läufer, auch langstreckenerprobte, sind Bergmarathons kein Thema: viel zu anstrengend, kaum einer schaut zu, völlig bestzeitenuntauglich, hohes Wetterrisiko – und irgendwo abstürzen oder sich im besten Fall den Knöchel verknacksen könnte man ja auch noch. Und so bleibt das Gros der Marathonis beim Run durch die City oder, bei gewisser Naturverbundenheit, durch Wald und Wiesen.
Interessanterweise ist aber auch zu beobachten: Wer sich einmal auf einen Bergmarathon eingelassen hat, den lässt das vielfach nicht mehr los: die grandiose Kulisse, die weiten Horizonte, die reine, klare Luft, diese geradezu meditative Ruhe (... wenn man nicht gerade Jungfrau-Marathon läuft ....), das besonders intensive Lauferlebnis. So manchem erscheint ein Citymarathon danach irgendwie banal. Und da es zwar schon eine ganze Menge „Infizierte“, aber letztlich nicht so viele Bergmarathons gibt, trifft man hier mehr als bei anderen Läufen bekannte Gesichter.
Die Höhenmeter (HM) kann man natürlich nicht wegdiskutieren. Und wer noch nie einen Bergmarathon gelaufen ist, der sollte nicht unbedingt mit so etwas wie dem Graubünden Marathon (+ 2.682 HM) einsteigen. Allerdings ist auch keiner der „großen Namen“ in der Bergmarathonszene – sei es in Davos, Interlaken oder Zermatt – unter 1.800 HM zu haben.
Für den, den die vielen Höhenmeter abschrecken, den aber das alpine Marathonerlebnis durchaus einmal reizen würde, gibt es Alternativen. Für eine besonders attraktive muss man, zumindest wenn man im Süden der Republik beheimatet ist, auch gar nicht so weit reisen. Sie bietet sich dort, wo Österreich ganz schmal, aber besonders gebirgig ist: im Westen des Landes, zwischen dem überregional eher weniger bekannten Silbertal in Vorarlberg, und dem umso berühmteren St. Anton am Arlberg in Tirol, beides gut erreichbar über die Autobahn bzw. Schnellstraße.
Das 22 km lange Silbertal mit seinem gleichnamigen Hauptort ist ein Seitental des Montafon, einem vor allem bei Wanderern beliebten Alpental, das von den über 3000 m ansteigenden Gipfeln der Verwall- und Silvrettagruppe sowie des Rätikon umschlossen wird. Der rätoromanische Name des Montafon verrät schon die Nähe zum schweizerischen Graubünden. Der Arlberg wiederum ist kein Berg, sondern ein 1.793 m hoher Gebirgspass, der heute allerdings bequem durch einen Tunnel überwindbar ist. Die Arlbergregion hat vor allem bei Wintersportlern einen sehr klangvollen Namen und pflegt sein exklusives Image.
Montafon und Arlberg – das sind die beiden Regionen, die dieser Lauf auf einem Punkt-zu-Punkt-Kurs durchschneidet. Und so lag es wohl nahe, danach auch den Marathon zu benennen.
Das Streckenprofil schaut, zumindest auf dem Plan, klar strukturiert aus. Die erste Hälfte geht’s rauf, die zweite runter. Dabei sind insgesamt 1.300 positive und 885 negative Höhenmeter zu überwinden. Das klingt noch recht human. Die kleinen Zacken, die im Plan auf der zweiten Hälfte zu sehen sind, sollte man allerdings nicht unterschätzen. Man spürt sie intensiver als sie zunächst erscheinen. Dennoch so viel vorweg: Die Strecke ist auch für den weniger erprobten Bergläufer machbar und mit acht Stunden ist die Zielschlusszeit wirklich großzügig bemessen.
Für den verzagten Bergmarathon-Einsteiger an dieser Stelle noch ein weiterer Hinweis: Was für einen „echten“ Marathoni beim Citylauf einem läuferischen Offenbarungseid gleichkommt, ist in den Bergen als kraftökonomische Notwendigkeit akzeptiert: das Marschieren auf steileren Berganpassagen. Und so lässt sich auch ein Phänomen erklären, das zunächst paradox erscheinen mag: Dass die Zieleinläufer beim Bergmarathon häufig entspannter das Ziel erreichen als im Flachen und auch die Nachwirkungen in Form von Muskelkater moderater ausfallen.
Eine Großveranstaltung ist der Montafon-Arlberg-Marathon (zum Glück) nicht. Um die 200 beläuft sich regelmäßig die Zahl derer, die sich der Herausforderung stellen, und auch in diesem Jahr sind es etwa so viele Läufer/innen, die sich anmelden. Aus neun Nationen, selbst aus Japan, kommen Sie. Vom veranstaltenden Arlberg Runner’s Club organisiert und inszeniert wird der Lauf aber professionell wie einer der Großen: Mit Chip-Zeitmessung (allerdings Bruttozeitwertung, was bei der Größe des Starterfeldes aber niemand stören wird) und Pasta-Party am Vorabend, mit Finishershirt und Topverpflegung unterwegs. Und das zu einem Preis (ab 35 €), der angesichts des Gebotenen mehr als günstig ist.
Dreh- und Angelpunkt der Veranstaltung ist zumindest bis zum Startschuss das im gleichnamigen Tal gelegene Dörflein Silbertal. Die gerade einmal 870 Einwohner verteilen sich auf mehrere verstreute Ortsteile. Dafür erwartet einen echte Bergdorfidylle, wenn man bis hierher durchgedrungen ist.
Leider schaffe ich es nicht, schon am Freitagabend ins Silbertal anzureisen, und steuere daher zunächst den Zielort St. Anton an. Von hier ist am Lauftag früh morgens ein kostenloser Transfer zum Start eingerichtet, den ich gerne in Anspruch nehme. Treffpunkt hierfür ist der Parkplatz vor dem ARLBERG-well.com, einem modernen Komplex für Wellness und größere Events direkt neben dem anlässlich der Alpinski-WM 2001 errichteten Skistadion. So sitze ich am Samstagmorgen schon um 6.30 Uhr noch etwas verschlafen im Bus und lasse mich mit drei Dutzend anderen Läufern eine gute Stunde lang durch die Landschaft schaukeln.
Die Straßenverbindung nach Silbertal ist gut, aber sehr viel länger als die spätere Laufstrecke, die abseits öffentlicher Verkehrswege auf ziemlich direktem Weg durch die Berglandschaft nach St. Anton führen wird. Wir müssen gebirgsbedingt eine weite Schleife fahren, um über den Arlbergpass ins Klostertal, von dort ins Montafon und wiederum von dort ins Silbertal zu gelangen. So bekomme ich aber einen ersten schönen Eindruck von dieser mir bislang noch unbekannten Alpenregion.
Unser Ziel ist das Feuerwehrhaus am Rande des Ortes Silbertal. Von Anfang an fühle ich mich wohl. Eine entspannte, freundliche, geradezu familiäre Atmosphäre empfängt mich. Schnell bekommt man die Startunterlagen und ebenso schnell ist man im Kontakt mit den Mitläufern. Immer mehr trudeln im Laufe der nächsten Stunde ein und erfüllen das Gelände mit Leben. Um 8 Uhr, eine Stunde vor den Läufern, werden die etwa 40 Walker lautstark verabschiedet. Auch sie müssen nach St. Anton, aber auf einer verkürzten Strecke von 32 km. Nicht nur die Stimmung, auch das Wetter ist bestens. Die grünen Berghänge leuchten in der Morgensonne, die hohen Gipfel in der Ferne schimmern verheißungsvoll im Gegenlicht. Dass die Temperaturen schon jetzt deutlich in den 20ern liegen und der heißeste Tag des Jahres vorhergesagt ist, schreckt mich im Moment noch nicht.
Erst wenige Minuten vor 9 Uhr sammeln sich die Läufer locker aufgereiht vor dem Startbogen. Gemeinsam werden die letzten zehn Sekunden herunter gezählt - ein Knall ertönt - und los geht’s. Nur wenige Sekunden nach dem Startschuss hat der gesamte Tross die Startlinie überschritten.
Bevor es läuferisch richtig zur Sache geht, ist zur Einstimmung zunächst eine flache „Warm-up“-Runde über gut 4 km durch das Silbertal angesagt. Sie führt uns auf der verkehrsgesperrten Silbertaler “Hauptstraße” entlang der durch das Tal rauschenden Litz 2 km talauswärts in Richtung Schruns, dem Hauptort des Montafon. Dann biegen wir in ein kleines Sträßlein ab, das für uns auf dem Rückweg zum Startpunkt zur Eingewöhnung eine erste kurze Steigung bereit hält.