Was rundet einen guten Urlaub ab? Für mich selbstverständlich ein schöner Marathon. Da ich mit meiner Familie den Jahresurlaub wieder einmal in den Alpen mache, bieten sich verschiedene Veranstaltungen an. Zeitlich passt der Montafon-Arlberg-Marathon, der als einer der schönsten in den Westalpen gepriesen wird. Das reizt mich, weshalb ich mich, wenn auch relativ kurzfristig, freudig anmelde. Schon die Anfahrt über St. Anton am Arlberg, dem Zielort, beschert mir eindrückliche Bergansichten. Dank der Sperrung des Arlbergtunnels geht die Fahrt über die Passstraße.
Die Startnummernausgabe erfolgt am Nachmittag am Startort Silbertal in gemütlicher Atmosphäre. Das Wetter ist sommerlich und bereitgestellte Stühle und Liegen laden zum Verweilen ein. Die Temperaturen sind angenehm, so lässt es sich aushalten.
Bereits zum 29. Mal wird die Strecke zwischen Silbertal und St. Anton am Arlberg gelaufen. Die Organisation zeugt von Routine. Gelaufen wird heuer von Westen nach Osten. Eigentlich sollte jährlich die Richtung gewechselt werden, doch aus organisatorischen Gründen hat sich diese Variante als praktikabler erwiesen. Deshalb wird häufiger im Silbertal gestartet. Morgen übrigens bei hochsommerlichen Temperaturen.
Schon am Start hat es deutlich über 20 Grad, im Laufe des Tages werden etwa 30. Grund genug für den Veranstalter, schon vorher per Mail auf die herausfordernden Bedingungen hinzuweisen. Damit kann sich die Läuferschar entsprechend wappnen. Erstmals werde ich mit einem Trinkgürtel unterwegs sein. Die Fussball-Europameisterschaft hat noch Pause, weshalb ich zeitig ins Bett komme und ausgeruht am Start erscheinen kann. Nötig habe ich es auch, denn vor den Bedingungen und dem Streckenprofil habe ich ordentlich Respekt.
Nach einem stärkenden Frühstück bringt mich Silke rechtzeitig zum Start im Silbertal. Aus der Teilnehmerliste kenne ich lediglich HaWe, der heute schon um 8 Uhr starten darf. Er läuft die Strecke über 33 Kilometer, die neben dem Marathon, einem Panoramalauf über 18 Kilometer und verschieden Kurzstrecken für die Kinder angeboten wird. Ich darf noch bis 8.30 Uhr auf meinen Start warten. Zeit für kurze Gespräche, zum Beispiel mit Rodrigo, der für diesen Lauf extra aus Kolumbien angereist ist. Aber auch mit Ute kann ich mich unterhalten, die gemeinsam mit ihrem Mann in unsrer Pension untergekommen ist.
Aufgrund meines „Arbeitsoutfits“ werde ich von Finja und Martin angesprochen, mit denen ich auch schon gemeinsam unterwegs war. Der DJ geizt nicht mit animierenden Rhythmen. Da bleibt nur noch wenig Zeit, mich gebührend von Silke zu verabschieden, bevor wir pünktlich auf die Strecke geschickt werden. Im Gegensatz zu den 33km-Läufern laufen wir die ersten Kilometer in Richtung Westen, um auf die Marathondistanz zu kommen. Das hat den Vorteil, zum Warmlaufen zuerst bergab durch die Ortschaft zu laufen. Angefeuert von zahlreichen Zuschauern laufen wir auf die Pfarrkirche zu, deren Turm mit 57 Metern der höchste im Montafon ist.
Ich folge der Litz, die in die Ill mündet und ursprünglich Illitz hieß. Der Begriff aus dem Keltischen bedeutet kleine Eilige. Ein Eigenschaft, die ich mir heute nicht zu eigen mache, denn respektvoll ordne ich mich langsam im hinteren Teil des Feldes ein. Ich verlasse die Ortschaft, ehe die Strecke nach links abbiegt. Über den Fluss werde ich in Richtung Osten zurückgeleitet. Die ersten positiven Höhenmeter warten und werden bis zur Halbmarathon kontinuierlich anhalten. Vor mir windet sich der Läuferlindwurm bergan. Die ersten beginnen zu gehen, um Körner zu sparen. Auch ich nutze die Gelegenheit dazu, im Gegensatz zum vorderen Teil des Feldes. Die Fittesten werden durchlaufen und nach weniger als 3,5 Stunden im Ziel sein. Jenseits meiner Möglichkeiten. An der Kirche vorbei darf ich wieder die Litz queren und in Richtung Feuerwehrhaus weiterlaufen. Dort angekommen liegen bereits knapp 5 Kilometer hinter mir, welche leicht zu bewältigen waren.
Die erste Verpflegung wartet, die zu diesem Zeitpunkt des Rennens schon gerne in Anspruch genommen wird. Tatsächlich ist bei mir der Schweiß bisher reichlich geflossen, weshalb ich gerne Wasser nachtanke. Hinein gehts in den Wald, immer unterwegs auf der Fellimännlestraße, die namentlich den Murmeltieren gewidmet ist. Die letzten Zuschauer für die nächsten Stunden warten, um abgeklatscht zu werden. Ein Sägewerk markiert den Schluss der Ortschaft. Das gelagerte Holz wird gewässert. Ich muss ohne Erfrischung weiter. Immer entlang der Litz, beschatten der geschlossen Wald weite Teile der Strecke. Rechts stürzt sich der Teufelsbach in Tal. Früher wurde hier das begehrte Metall abgebaut. Woher sonst sollte der Name Silbertal auch kommen?
Vorbei geht es an einer Kapelle. Höheren Beistand brauche ich noch nicht. Noch kann ich einigermaßen meine Position im Feld behaupten. Die Litz bietet immer wieder optische Abwechslung. Auch wenn sie heute eher zahm daherkommt, kann sie auch anders, wie die Markierung eines früheren Hochwassers zeigt. Trotz des starken Regens der letzten Wochen ist der Wasserstand moderat. Etwas weiter wird die nächste Labe angekündigt. Nur noch 500 Meter, die mir aufgrund der Steigung recht lang erscheinen. Der Wald reist auf, der Bereich der Almhütte Fellimännle ist erreicht. Herzliche Willkommen begrüßt mich die Schnitzerei mit dem Fellimännle obenauf. Ich kann die Einladung nicht annehmen und folge der Straße weiter bergauf. Die Strecke ist entsprechend ausgeschildert und die Schilder bescheinigen mir einen weiteren Weg von 33,5 Kilometern.
Als ich die Verpflegungsstelle erreiche, weißt die dortige Kennzeichnung dieselbe Entfernung auf. Habe ich schon Halluzinationen? Da bin ich froh, dass ein freundlicher Helfer mir die Kappe wässert und ich weiter einen kühlen Kopf bewahren kann. Auch die Stärkung lässt mich noch locker bergan streben. Kurz darauf erreiche ich die nächste freie Stelle. Für den fehlenden Schatten werde ich mit der Aussicht auf Scheimersch, Geisterspitz und Dreier entschädigt. Motivation für die kommenden Kilometer. Ich gewinne immer mehr an Höhe. Blicke zurück bescheinigen mir viele gewonnene Höhenmeter. Wie alle anderen habe ich meinen Trott gefunden. Nur, der gleiche Trott ist es selten. Zur Abwechslung geht es ab und zu geradeaus oder leicht bergab. Immer wieder Gelegenheit anzutraben. Wald und offenen Flächen wechseln sich ab.
Der Wald spendet wohltuenden Schatten und vermehrt verschafft mir ein frischer Wind Kühlung. Die freien Flächen beeindrucken mit den grandiosen Aussichten. Immer dabei im Ohr die rauschende Litz. So erreiche ich tasch die nächsten Verpflegung. Noch 30 Km liegen vor mir. Ich laufe zu Sabine aus Berlin auf und nutze die seltene Gelegenheit zu einem Plausch. Ihr Trainer hat ihr für den heutigen Lauf Stöcke verordnet. Als ich sie nach dem kurzen gemeinsamen Lauf nach vorne entschwinden sehe, wünschte ich mir, ich hätte auch welche mitgenommen. Immerhin, bis zum nächsten Verpflegungspunkt habe ich sie noch in Sichtweite, ehe sie endgültig nach vorne verschwindet.
Langsam wird der Aufstieg beschwerlich. Das Mittagsjoch kommt in Blickfeld. 26,1 Kilometer liegen noch vor mir. Hier oben wird das Tal immer offener, der Schatten nimmt ab. Die Mütze und der Buff, den ich als Goodie vom Veranstalter bekommen habe, sind äußerst nützlich. Langsam quäle ich mich den Berg hinauf, kann aber trotzdem einige Wanderer auf der 33 km-Strecke einholen. Noch einmal Motivation. Vor mir kann ich schon die Ausläufer des Verwalltales erkennen. Mein heutiger Sehnsuchtsort in Tirol. Aber ich muss jetzt vermehrt stoppen, um Atem zu schöpfen. Kenne ich so noch nicht. Man muss mir es mir ansehen, dass ich mich schwertue. Ein Helfer erkundigt sich nach meinem Befinden. Geht noch, zumindest bis zur nahen Verpflegungsstation an der Oberen Gaflunaalpe.
Die Station im Blick, denke ich ans Aufhören. Noch liege ich recht gut im Zeitlimit, mit über 1.100 Höhenmeter habe ich weit mehr als 2/3 der heutigen Steigungen bewältigt. Als ich an der Oberen Gaflunaalpe ankomme, macht mein Kreislauf Probleme. Die Vernunft siegt, ich gebe auf. Die besorgten Helferinnen und Helfer verschaffen mir einen Platz im Begleitfahrzeug, den ich gerne nutze, um mich zu erholen. Nachdem die letzten Teilnehmer durch sind, darf ich mit zurück fahren. Die Strecke kommt mir ewig lang vor und ich kann es kaum glauben, in den letzten Stunden hier herauf gekraxelt zu sein.
Zurück im Silbertal erwarten mich 30 Grad Hitze. Angesichts dessen bin ich froh, jetzt hier und nicht auf der Strecke zu sein. Es war zu viel für mich. Mich hat die Veranstaltung trotzdem überzeugt, weshalb ich gerne noch einmal antreten werde, um dann natürlich das Ziel zu erreichen. Einen Vorgeschmack dazu bekomme ich durch Silke, die wieder einmal zahlreiche, wunderschöne Zieleinläufe in St. Anton dokumentiert hat.
(Silke Pitz)
Männer:
1. Dan Heron, 3:22:19
2. Timo Hommel: 3:32:49
3. Martin Hörfarer, 3:46:35
Frauen:
1. Lisa Madlener, 4:18:33
2. Kathrin Gesell, 4:22:47
3. Sandra Stroppa, 4:23:45