Endlich ist die Adventszeit da. Wir pilgern am Samstag über den Adventsmarkt am Walsroder Heidemuseum, erwärmen uns an Heidjersuppe und an Imkerpunsch und doch stehen wir am Sonntag früh auf.
Die Inselstadt Ratzeburg in Schleswig Holstein ist unser Ziel, mal wieder – endlich. Denn der Adventslauf um den Ratzeburger See ist Kult hier im Norden. Alljährlich am 1. Advent begeben sich zahlreiche Läufer auf die 26 Kilometer lange Runde. Meldebeginn war am 1. September und binnen eines Monats ist der auf 1800 Starter limitierte Lauf voll. Danach bleibt dann nur noch der 7,3 Kilometer lange Lauf um den Kuchensee. Aber der wird, obwohl landschaftlich reizvoll, nicht so nachgefragt (ca. 500 Starter).
Im morgendlichen Ratzeburg ist nichts zu spüren von spät verschlafener Nachsaison. Reger Autoverkehr und eilende Läuferscharen belagern die Kreisstadt im östlichen Schleswig Holstein. Auch wir gehen zur Schule, schlendern durch die kleine Sportmesse, langen im Klassenzimmer an. Wir erhalten unsere Startunterlagen und naschen Lebkuchen. Für 18 Euro Startgeld wird dem Volkslauffreund hier einiges geboten. Veranstalter ist der SV Ratzeburg. Und der hat eine große Helferschar.
Draußen zieht es wie am herbstlichen Meer kalt und feucht durch die Straßen. Wir wählen die wärmeren Laufsachen und tippeln zum höher gelegenen Marktplatz hin. Von hier soll es losgehen, bald. Klar sind einige mitlaufende Nikoläuse da, mischen sich in den Pulk vor dem Tannenbaum. Genauso grüßt die nächst dichteste Metropole mit zahlreichen Schriftzügen: St. Pauli hat die Oberhand.
Pünktlich um 11:15 Uhr der Startschuss. Eilig geht es die Straße hinunter und zwischen den Seen hindurch. Wir biegen links ab, kommen auf schmaleren Weg und müssen aufpassen, nicht mit anderen anzuecken. Denn auf den ersten Kilometern wird es recht eng im Feld. Auf welligem Kurs laufen wir nordwärts in die Landschaft hinaus. Zunächst sind durch die Baumreihen die Gestade des Domsees sichtbar, dann die des Großen Ratzeburger Sees.
Die Ostseite des Sees ist überwiegend bewaldet. Nur hin und wieder lässt sich der See in beschaulicher Sichtachse betrachten. Größtenteils laufen wir auf natürlichem aber gut beschaffenem Untergrund. Die meiste Aufmerksamkeit nehmen die Mitläufer in Anspruch, denn auch nach 7 Kilometern ist noch alles recht dicht beieinander. Ein buntes Bild, einige Smalltalks bieten sich an.
Von Kilometer 8 bis 11 laufen wir im Nachbarbundesland Mecklenburg Vorpommern. Das ist gar nicht zu spüren. Und das ist gut so und auch Kult. War der erste Adventslauf im Jahr 1990 doch ein Akt der deutschen Wiedervereinigung. Damals führte es noch durch Lücken im Grenze gebietenden Stacheldrahtzaun. Erstmals war es möglich, den See komplett zu umrunden. Die Erinnerung daran tut gut - heute und alle Jahre wieder.
In Schleswig Holstein wie in Mecklenburg Vorpommern heizen uns an den Verpflegungspunkten locker musizierende Spielmannzüge ein. Unter den Musikanten viele Jugendliche. Das strahlt Frische aus. Frisch und warm halten uns auch warmer Tee oder Iso und Müsliriegel.
Dann haben wir die Ostseite des Sees geschafft und queren im Norden über eine Stahlbrücke die Wakenitz, die hier in den Ratzeburger See mündet. Jetzt laufen wir auf der Westseite zurück nach Süden und sind dichter dran am See. Die Sonne lugt vereinzelt durch die Wolken und lässt das Wasser fadenscheinig glitzern. Die Westseite bietet weniger Wald. Schilfbiotope säumen das Ufer, schmale Pfade schlängeln sich hindurch. Das Läuferfeld hat sich zerteilt, allein ist trotzdem keiner und zum Überholen muss schon mal der Grünstreifen herhalten. Oder einer der parallel laufenden Holzstege. Doch da besteht akute Rutschgefahr, wie auch auf dem nassen Naturboden hier und da.
Klar ist die zweite Hälfte für die meisten Teilnehmer schwerer als die erste. Aber die Zahl der Ehrgeizigen im Feld ist groß. Kaum eine Spur von locker auslaufendem Nachsaisonlauf auf unbedeutend krummer Distanz. Mehr hat der Lauf den Charakter eines Pflichttermins, bei dem die Aktiven ihre Leistungsfähigkeit ausreizen, wo es um die persönliche Laufzeit geht im Vergleich zu den vergangenen Malen – alle Jahre wieder. Klar ist das Kult.
Für Flachlandläufer berüchtigt sind die steilen Anstiege im Streckenprofil nach 21 Kilometern. Die geht so mancher mit schlaff herunter hängenden Armen hoch. Doch sind sie nach knapp 24 Kilometern geschafft, führt es auf städtischem Terrain nur noch hinab. Wer noch kann, sprintet so ins Ziel. Wer nicht mehr kann, läuft locker aus.
Im Ziel sehen wir unsere Laufzeit auf großer digitaler Uhr. Und es wird locker moderiert. Namen werden durchgegeben und Geschichten erzählt, denn viele Teilnehmer sind gut bekannt, sind hier bekannt geworden mit den Jahren. Wir geben den Laufzeitchip ab und erhalten einen Fleece-Schal mit dem Adventslauflogo: Eine Ente schwimmt auf dem Ratzeburger See. 26 KM darum sind geschafft! Wir lassen uns die kultige Nudelsuppe schmecken.
Zum Duschen geht es ins Hallenbad Aqua Siwa. Die Schuhe werden vorher brav abgestellt. Über dem Kino im ersten Rang auf der Theaterbühne die Siegerehrung. Eine schöne Atmosphäre auf warmen weichen Stühlen. Am Nachmittag liegt die Stadt dann wieder vorweihnachtlich ruhig da. Wir kehren noch zum Kaffee beim Bäcker am Marktplatz ein, bevor es wieder zurück in die Lüneburger Heide geht.
Im nächsten Jahr zum 25 jährigen Jubiläum verspricht der Veranstalter, sich etwas Besonderes für die Teilnehmer auszudenken. Da sagen sich auch die, die dieses Jahr zum ersten Mal teilgenommen haben: „Da müssen wir wieder hin!“ Also den Meldebeginn im September 2014 nicht verpassen. Ratzeburg ist gebongt, alle Jahre wieder am ersten Advent.