Der Reschenseelauf, größter Lauf in Südtirol. Der Grund für meinen Besuch. Markant ist im Reschensee der Kirchturm im Wasser. Ihr erfahrt davon die Geschichte und natürlich auch vom Rennverlauf. Die Bilder beweisen, dass die Veranstaltung für die ganze Familie ist.
Wer bei seiner Urlaubsreise einmal Zeit hat und nicht über den Brenner in Richtung Süden fährt, der kann auch über Landeck und den Reschenpass ins Warme gondeln. Die Gegend südlich des Passes ist das Vinschgau, deutschsprachig und gehört schon zu Südtirol. Die erste Ortschaft ist Reschen, das jedoch politisch zum kleineren Graun gehört. Die Gemeinde mit seinen Ortsteilen (Fraktionen) hat rund 2500 Einwohner.
Was der Urlauber oder der Durchreisende im Reschensee sieht, ist der aus dem 14. Jahrhundert stammende Kirchturm von St. Peter, heute das Wahrzeichen, das vom Bau des Stausees zeugt. Die alte Ortschaft wurde 1950 bis auf den Kirchturm komplett geschleift.
Durch einen Vereinskollegen bin ich auf diese Veranstaltung aufmerksam geworden. Es ist fast nicht vorstellbar, dass hier im äußersten Nordwesten die teilnahmestärkste Laufveranstaltung in Südtirol ist. Da muss es doch Gründe geben.
Als ich schon Samstagmittag vor Ort bin, beobachte ich lebhaftes Treiben auf dem Festgelände. Zahlreiche Buden stellen ihre Waren aus: Sportartikel, Schuhe, Honig, Käse, Wurst, Speck, Strudelspezialitäten. Viele Teilnehmer, Zuschauer und Urlauber schlendern umher, um hier was zu kaufen und dort zu probieren.
Apropos probieren: Apfelstrudel kann ich empfehlen, denn den gibt es da in vielerlei Variationen. Im Festzelt, wo diese Gaumenfreude auch verkauft wird, sehe ich gleich mehrere Sortierungen. Jede Hausfrau oder Bäuerin scheint ihr eigenes (Geheim-)Rezept zu haben. Ja, wer keine Äpfel mag oder verträgt, den Strudel gibt es auch mit Quark oder Marillen.
Am anderen Ende des Bauernmarktes kann man die Startnummer abholen. Das geht sehr schnell, da lediglich die Nummer überreicht wird. Das ausgelobte Funktionsshirt in rot wird nach dem Lauf gegen Abgabe des Chips von Datasport eingetauscht. Zusätzlich wird es noch eine Tüte mit Getränken, Obst und Gel geben.
Was bekommen wir da gebacken? Nun, für die Kinder sind einige Läufe ausgeschrieben, die Promis müssen ran, die Handbiker und Skiker haben ihr Rennen und schließlich geht das große Hauptfeld an die 15,3 Kilometer lange Umrundung des Reschensees.
Wer mit seiner Anmeldung früh genug dran ist, zahlt 25 EUR für Laufinfrastruktur mit Massage, Shirt, Duschen, Umkleiden, Urkunde (aus dem www) und Parkplatz. Bei der Anfahrt sollte man ein kleines Zeitpolster anplanen, denn die am Lauftag Anreisenden kommen alle über die Staatsstrasse aus dem Vinschgau oder aus Richtung Landeck.
Bei meinen Dorfspaziergang rund um den Annahügel, an dem sich der kleiner Teil der vertriebenen Einwohner angesiedelt hat, schaue ich kurz in die Pfarrkirche zur Hl. Katharina hinein. Daneben ist das alte Rathaus. Um die Kapelle St. Anna zu erreichen, muss ich mich durch eine abschüssige Wiese und einen Abhang hocharbeiten. Das kleine spätgotische Gotteshaus stammt aus dem Jahr 1521. An der Seite kann man das aus dem Jahr 1600 stammende Fresko betrachten, dass den Hl. Georg als Reiter mit Lanze zeigt. Ich hätte mir gerne das Kircheninnere angeschaut, doch die Tür ist leider zugesperrt.
Gerade rechtzeitig bin ich von meinem Spaziergang auf dem Festgelände zurück, um bei den Schülerläufen Bildmaterial zu sammeln. Große Felder gehen auf die ausgeschilderte Strecke um das Festgelände. Je nach Alter des Nachwuchs gilt es eine bestimmte Anzahl von Runden zu laufen. Um den Nachwuchs ist mir hier nicht bange, denn die Kleinsten sind mit vollem Eifer unterwegs, auch wenn es bei einem Rennen kurz nach dem Start zu einem glimpflich ausgegangenen Sturz mit mehr als zehn Beteiligten kommt.
Dass die Buben eher mehr Risiko eingehen als die Maderl, fällt nicht nur mir auf. Und dass der eine oder andere Bursch schon mit nicht erlaubten Mitteln kämpft, habe ich auch gesehen. Ein Gesamtzweiter hat im Zielsprint den bis dahin Führenden heftig am Arm gepackt und der hat sich dann sprichwörtlich überschlagen.
Zum Promilauf gehen dann Persönlichkeiten aus der Politik, Sport und Wirtschaft an den Start. Dass durch ihre Teilnahme die Südtiroler Sporthilfe unterstützt wird, ist lobenswert. Die Zuschauer sehen mit Heinrich Noggler und Andreas Tappeiner die Bürgermeister aus Graun und Laas sowie den Grauner Pfarrer Sebastian Pfitscher.
Der laufstärkste Athlet in dieser Gruppe, Hermann Achmüller, vertrödelt sein Rennen mit einem Ratsch mit Martin Pichler und ist eher im hinteren Drittel zu finden. Ja, das Tempo ist wohl für sein Einlaufen zu langsam. Im Hauptlauf wird er Vollgas geben. Gleich nach dem Zieleinlauf stellen sich die Handbiker und Skiker zu ihrem Rennen auf. Diese werden den Reschensee komplett umrunden.
Bis zum Start des Hauptlaufes finde ich noch ein wenig Zeit, um den schon wieder knurrenden Magen mit einer Südtiroler Spezialität zu beruhigen. Dass dies jetzt 30 Minuten vor dem Start um 17.00 Uhr nicht gerade laufzweckmäßig ist, brauch ich nicht zu erklären.
Das große Hauptfeld mit über 2500 Sportlern wird auf sechs Startblöcke aufgeteilt, die im Abstand von sechs Minuten auf die Strecke gehen. Es gibt Zeitvorgaben, wo man sich einsortieren soll, aber kontrolliert wird das nicht. Man hofft auf die richtige Einschätzung der Läufer. Für einige Zeiten stehen Zielläufer zur Verfügung. Da mir eine Zeit von unter 1.10 Stunden für die 15,3 Kilometer recht sportlich vorkommt, gehe ich in Block 2. Da hoffe ich als Fotoreporter mitzukommen.
Die an der Seite neuerbauten Tribünen, die für 1500 Personen ausgelegt sind, sind fast auf den letzten Platz besetzt. Eine Videoleinwand zeigt die Bilder von vorne. Die Sambaband Bateria Z aus München heizt uns mit heißen Rhythmen an.
Pünktlich um 17.00 Uhr macht sich die erste Gruppe eilig aus dem Staub. Wir schließen auf und warten auf das Startsignal. Die Moderatorin interviewt noch einige, woher sie denn kommen und kommt mit einem „allora“ auch auf mich zu. „Viel Spaß hier im Block und auch denen weiter hinter“, lasse ich übers Mikro los. Und den werden wir haben.
Dann sind wir an der Reihe und nach dem Schuss aus der Startpistole werden wir auf die Strecke geschickt. Alles schiebt nach vorne, drängelt fast. Ich muss aufpassen, wenn ich an der Seite meine Fotoarbeit machen muss. Das Tempo ist hoch. Mist, die Muskeln sind kalt, nicht aufgewärmt, nicht eingelaufen. Anfängerfehler, und das passiert mir. Naja, dann lasse ich halt mir ein wenig Zeit auf den ersten zwei, drei Kilometer. Die schmalen Wege, wo man zu dritt oder viert nebeneinander laufen kann, lassen mein geplantes behäbiges Tempo nicht ganz zu. Ich spekuliere darauf, dass sich das Feld auseinanderziehen wird.
Eine Unterhaltung in dem schnellen Tempo finde ich nicht. Würde auch nur schwer gehen, da deutlich der größere Teil der Läufer aus dem italienischen Lager kommt. Doch einer hat unser Logo erspechtet. Christian Frenzel aus dem sächsischen Nossen spricht mich an, da er auch am Oberelbe Marathon am Start war. Urlaub macht er in Südtirol nicht, dafür hat es ihn beruflich hierher verschlagen. Und jetzt haltet Euch fest. Er arbeitet für die nächsten drei Monate auf der Oberdörfer Alm. Ich brauche nicht zu beschreiben, was das bedeutet. Viel Arbeit, wenig Schlaf und immer an der frischen Luft. Nach der kurzen Unterhaltung zieht er nach vorne davon.
Ein Wort zur Strecke. Während die Ostseite des Sees meist geschotterte Wege aufweist, ist am Westufer unser Laufuntergrund asphaltiert. Wer jetzt glaubt, es geht nur flach und schnell dahin, der sollte sich auf ein paar Unebenheiten einstellen. Während es jetzt und auch auf den letzten Kilometern flach dahingeht, sind die meisten der 140 Höhenmeter am Westufer des Sees eingebaut.
Wir laufen gegen Süden. Eigentlich müsste der höchste Punkt Südtirols, der 3905 Meter hohe Ortler zu sehen sein, doch der verbirgt sein Gesicht hinter Wolken. Wenn wir auf die dunklen Wolken gegen Nordwest schauen, ist es da noch ungemütlicher. Mir tun die letzten Läufer in Davos fast leid, weil ich vermute, dass es da nass sein wird. Aber in den Bergen kann sich das Wetter auf engem Raum schnell ändern oder ganz anders sein.
Kilometer 4,5, die erste V-Stelle. Wasser und Wein, ja da würde ich gern beim Roten zugreifen, doch kein Vino, sondern Iso ist zubereitet. Aufgrund der lauffreundlichen Temperaturen, rund 15 Grad, braucht der Läufer fast nichts zum Saufen. Weitere vier Stellen, zum Ziel hin häufiger, sind aufgebaut. Zum Teil gibt es auch Bananen.
Kurz nach der V-Stelle biegt unser Kurs nach rechts ab, es geht auf die knapp einen Kilometer lange Staumauer. Der Wind, der bisher von hinten geholfen hat, bläst nun voll in die Seite. Am Westufer werden wir ihn frontal haben. Verstecken hinter korpulenten Läufern? Ist das eine Taktik?
Der Reschensee ist rund sechs Kilometer lang. Mit dem aufgestauten Wasser werden im Jahr 250 kWh Strom erzeugt. Doch wiegt das das Geschehene während des Baues und Betriebes auf? Bereits 1920 wurde der See um fünf Meter nach erfolgter Planung aufgestaut, das beeinträchtigte die Bevölkerung von Graun und Reschen noch nicht. Doch 1939 wurde eine Erhöhung der Stauung um 17 Meter auf 22 Meter ausgelegt. Rechtswidrig wurde dieses nur in italienischer Sprache und relativ kurz aufgehängt. Die Bevölkerung nahm keine Notiz davon. Der Baubeginn wurde dann von der faschistischen Regierung in Rom genehmigt. Der zweite Weltkrieg machte nun einen Strich durch die Planung. Die begonnenen Arbeiten wurden eingestellt.
Umso überraschter waren dann 1947 die Betroffenen, als Vertreter der Baufirma Montecatini erklärten, die Bauten innerhalb zwei Jahre fertig zu stellen. Mittlerweile nahm Montecatini ein Darlehen von einer Schweizer Firma auf und verpflichtete sich, zehn Jahre lang dorthin Strom zu liefern. Deshalb die große Eile der Firma. Es wurden seitens der Südtiroler alle Hebel in Bewegung gesetzt, doch das Projekt konnte nicht mehr gestoppt werden.
Aber durch den laufenden Bau und den weiteren Stau begann eine weitere Tragödie. Den ersten lief schon das Wasser ins Haus, bevor über irgendwelche Entschädigungen gesprochen wurde. Seitens Montecatini wurden keine Bestrebungen unternommen, wenigstens einen Ersatzgrund den Leuten anzubieten. Man drückte den Betroffenen viel zu wenig Geld in die Hand und begründete dieses mit der unfruchtbaren Gegend. Dies war vollkommen falsch.
1949 ging das Drama weiter. Noch war nicht die Ernte eingefahren, wurde weiter gestaut ohne dass die Bevölkerung informiert wurde. Die fruchtbaren Felder versanken im Wasser. Im Herbst des gleichen Jahres mussten sich die Grauner entscheiden, aus ihrer Heimat wegzugehen oder an den Hängen von St. Anna neu anzusiedeln. Nur, das Baugebiet reichte lediglich für einen kleinen Teil der Leute. Es wurde dann begonnen, Haus um Haus zu sprengen. Am 23. Juli 1950 war dann die Kirche an der Reihe. Durch Beharrlichkeit des Denkmalschutzes blieb wenigstens der Kirchturm als Denkmal stehen und wirkt fortan als Mahnmal. Kann ein Fortschritt ein Grund dafür sein, dass Häuser, Kulturgut und fruchtbarer Boden auf rechtswidrige Weise für immer vernichtet wird?
Wir können heute das Geschehen nicht unsichtbar machen, aber wir dürfen das nicht vergessen. Den Blick nach vorne gerichtet und die erlebte Geschichte in der Erinnerung, so packen die Grauner die Gegenwart an, halten zusammen und kämpfen weiter. So auch bei diesen Lauf. Rund 350 Helfer hat das Orga-Komitee um Gerald Burger akquiriert und recht viel mehr Einwohner hat Graun auch nicht. Alle helfen mit, ob die Kinder an den V-Stellen, die vielen Jugendlichen im Festzelt, die Dorfhonoratioren als Helfer an der Strecke. Es bewegt sich was am Reschensee.
Wer die komplette Geschichte vom Grauner Kirchturm erfahren will, auf der Homepage des Reschenseelaufes (www.reschenseelauf.it) ist ein entsprechender Link (Grauner Kirchturm) eingerichtet. Absolut lesenswert.
Unser Kurs biegt von der Staumauer nach rechts ab und sofort geht es auf und ab wie in einer Achterbahn. Zwar sind die Anstiege nicht übermäßig lang, doch dadurch wechselt laufend das Tempo. Der Untergrund ist auf diesen fünf, sechs Kilometern asphaltiert. Bei der einzigen längeren Steigung (nach Kilometer neun) hilft uns eine Trommlergruppe hinauf. Die Windverhältnisse sind dann doch nicht ganz so dramatisch wie befürchtet.
Ab Kilometer elf, es ist übrigens jeder gekennzeichnet, die Anstiege sind nun passe, beginnt der Endspurt. Was mich überrascht, dass das Feld noch einige Walker überholen muss. Kurz bevor es nach Reschen hineingeht, laufen wir noch ein kleines Stückchen durch Wiesengelände. Dann kommt bei Kilometer 13 die vierte und vorletzte V-Stelle, die ich nicht beachte. Ich will noch einige einholen, da ich rund 150 Meter vor mir noch einen Zeitläufer sehe.
Und an den mit seiner Gruppe kann ich mich langsam heranarbeiten. Der Kirchturm von St. Peter im Wasser kommt immer näher, der Zuschauerzuspruch nimmt zu. Und dann sind die letzten Meter schier ein Schaulaufen, denn die Tribünen sind voll besetzt und es wird nicht mit Applaus gegeizt.
Fast stolz wie Oskar laufe ich durchs Ziel. Ein Blick auf die große Uhr zeigt mir (nach Abzug der sechs Minuten Verzögerung) eine 1.09 Stunden an. Tatsächlich bin ich noch eine halbe Sekunde unter dieser Zeitmarke. So schnell wollte ich gar nicht. Das nächste Mal darf ich in Block 1.
Im abgesperrten Zielbereich finden wir Wasser, Iso, Kekse, Melonen, Bananen, das reicht völlig. Duschen kann man im rund 200 Meter entfernten Hallen- und Freibad. Wer mit Zelt oder Wohnwagen kommen will, dafür ist auf dem großen Parkplatz oder auf dem Sportplatz gesorgt.
Im Festzelt, das fast bis auf den letzten Platz gefüllt ist, kann man sich bei Gaumenfreuden wieder erholen. Die Siegerehrung dauert dann ein wenig länger, dafür gibt die Gruppe Bateria Z und anschließend die Band Vollbluet Vollgas.
Wer das Fest im nächsten Jahr erleben will, der Termin steht schon fest: Am 28.07.2012 startet die 13. Auflage des Reschenseelaufes. Gerald Burger mit seinen Helfern laden heute schon zum Fest für die ganze Familie herzlich ein.
Sieger Reschenseelauf Frauen:
1. Gautschi Maja, LC Meilen, 59.10
2. Berti Sara, G:S: Valsugana Trentino, 1.00.03
3. Thaler Edeltraud, Telmekom Team Südtirol, 1.01.10
4. Pircher Petra, ASC Laas, 1.01.23
5. Cunico Maurizia, Atletica Vicentina, 1.01.59.
Sieger Reschenseelauf Männer:
1. Gualdi Giovanni, Fiamme Gialli-Roma, 49.21
2. Lahner Eduart, Sportler Team, 49.35
3. Rungger Hannes, Sportler Team, 49.39
4. Zanaboni Massimiliano, Atletica Valli Bergamasche Lef, 49.41
5. Lanziner Peter, u.s. Quercia Rovereto, 50.24.
Teilnehmer:
3450 Sportler in allen Läufern, Rekord.
Streckenbeschreibung:
Einmal um den Reschensee, 15,3 Kilometer, am Westufer hügelig..
Zeitnahme/Ergebnisse:
Mit Chip von Datasport.
Auszeichnung:
Funktionsshirt für alle Urkunde aus dem Internet..
Verpflegung:
Fünf V-Stellen mit Iso, Wasser, Bananen. Im Ziel zusätzlich Melonen, Kekse.
Zuschauer:
Viele Zuschauer am Festgelände und in Reschen sowie an der Staumauer. Sonst nur wenige.
Logistik:
Kleidung am besten im Auto hinterlegen. Parkplatz in unmittelbarer Nähe zu Start und Ziel. Umkleide- und Duschmöglichkeit im Hallen- und Freibad.