Der Reschenseelauf ist mit seinen 15,3 km kein Marathon und mit seinen ziemlich flachen und komfortablen Wegen rund um den Reschensee auch kein Trailrun. Aber in Zeiten wie diesen von einer Laufveranstaltung mit 2000 Teilnehmern zu berichten, ist ein Muss (Red.M4Y)
Wohl kein Ereignis der letzten Jahrzehnte hat die Welt so unerwartet und nachhaltig aus den Fugen geraten lassen wie Sars CoV-2. Was wissenschaftlich so harmlos klingt wie der Name einer Raumkapsel, ist ein kleines Virus, das auf seiner Welttournee Angst und Schrecken verbreitet. Wer hätte das vor wenigen Monaten gedacht?
Nur als Randnotiz mag bei all den mit dem weltweiten Lockdown einhergehenden sozialen und ökonomischen Zumutungen erscheinen, dass auch die Laufszene hart getroffen ist: Seit Jahresbeginn wurde eine Laufveranstaltung nach der anderen abgesagt oder nach dem Motto „die Hoffnung stirbt zuletzt“ auf später im Jahr verschoben. Wobei trotz der aktuellen Lockerungen auch jetzt schon abzusehen ist, dass alles, was mit größeren Menschenansammlungen einhergeht, noch auf unabsehbare Zeit tabu bleiben wird. Alles? Nicht alles: Wie ein Lichtstrahl am düsteren Horizont mutete vor ein paar Wochen die Pressemitteilung an: „Reschenseelauf findet statt – Erste Sportveranstaltung nach Shutdown.“
Verdutzt rieb ich mir zunächst die Augen. Wie soll das gehen? Warum lassen die gestrengen italienischen Behörden so etwas zu? Denn immerhin ist die 15,3 km-Runde rund um Südtirols größten See ein Laufhappening, das traditionell mit viel Brimborium einschließlich After Race Party zelebriert wird und alljährlich stolze 4.000 Teilnehmer anlockt. Aber mit einer überraschend einfachen Idee und einem auch ansonsten makellosen Sicherheits- und Hygienekonzept konnten die Veranstalter überzeugen.
Ganz offiziell wurde der „reguläre“ Reschenseelauf zwar abgesagt, bereits gebuchte Startplätze auf das nächste Jahr übertragen. An dessen Stelle wurde jedoch eine „Special edition 2020“ gesetzt. Deren Kernidee besteht darin, dass es auf dem originalen Rundkurs keinen gemeinsamen Massenstart gibt, sondern die Startzeit frei wählbar über 12 Stunden – von sieben bis sieben – verteilt wird und die Veranstaltung letztlich nicht als Wettbewerb firmiert, sondern als Einzellauf deklariert wird. Es gibt demgemäß auch keine offizielle Rangliste und keine Siegerehrung. Und eine gesonderte Anmeldung, die mit 15 €, davon 10 € als Einkaufsgutschein, sehr budgetschonend ist, aber eben auch nur Basisleistungen vorsieht. Rahmenprogramm, Duschen, Garderobe, Medaillen, Zielverpflegung – auf all das muss man verzichten. Auf das Entscheidende aber eben nicht: Den Lauf um den See.
Getreu dem Motto „Abstand halten in allen Lebenslagen“ ist, wie der Start- und Zielpunkt selbst, auch die Ausgabe der Startnummern von Graun am Ostufer an die Talstation der Schönebenbahnen im Nordwesten des Sees verlegt. Hier ist mehr Platz und Auslauf. Es gilt der fast gleiche Zeitkorridor wie für den Start: Samstag, von 6 bis 19 Uhr. Wer sich seine Startnummer abgeholt hat, könnte also gleich loslaufen. Aber eben nur „könnte“. Denn schon bei der Online-Anmeldung musste man die Stunde angeben, in der man zu starten gedenkt. Insofern ist die Entscheidungsfreiheit nur eine relative, zumal der Veranstalter innerhalb des gewählten Slots eine exakt einzuhaltende individuelle Startzeit vorgibt. Verständlich ist das angesichts der Tatsache, dass trotz oder auch wegen Corona immerhin 2.000 Anmeldungen vorliegen und damit das gesetzte Limit ausgeschöpft ist.
Ausschlaffreundlich, aber auch nicht zu sehr – demgemäß habe ich mich für das Zeitfenster 10 bis 11 Uhr entschieden. Deutlich mehr los als gedacht ist auf dem weitläufigen Gelände der Schönbergbahn. Zahlreiche Wohnmobile machen sich breit, Autos strömen auf den Platz – aber kaum einer fährt weg. Davon, dass es sich lohnt, auch nach dem Lauf länger zu bleiben, kann ich mich schnell überzeugen. In einem „Verhalte dich richtig“-betitelten Video im Internet hat man sich vorher anschauen können, wie das weitere Prozedere abläuft. Zum Glück ist die Realität deutlich lebendiger als im Film.
Mein erster Weg führt mich zum Race Office im Gebäude der Talstation. Nur kurz muss ich hier anstehen, schon halte ich die Startnummer als Insignie meiner Startberechtigung in der Hand. Freilich erst, nachdem ich den Körpertemperaturtest – maximal 37,5 Grad Celsius – bestanden und eine Erklärung zu Covid 19 signiert habe. Ein üppig gefülltes Startpaket gibt es obendrauf. Allerlei Nützliches, wie Schlauchtuch oder faltbaren Trinkbecher für unterwegs, und Leckeres wie Kaminwurzen oder Napolitaner finde ich darin. Dazu gibt es bereits besagten 10 €-Gutschein, den man am Lauftag in diversen Geschäften und Restaurants rund um den See einlösen kann.
Ein „offizielles“ Rahmenprogramm gibt es zwar nicht, aber eine nette Mischung aus Messe und Markt erwartet mich in einer Zelt- und Budengasse am Rande des Parkplatzes. Kulinarisches aus der Region finde ich hier ebenso wie Laufaccessoirs aller Art. Ein Hauch von Normalität liegt über der Szenerie und macht vor wie nach dem Lauf Lust auf einen Bummel.
Allzu lang hält es mich hier vor meinem Start allerdings nicht. Eine Reihe bunter Bögen direkt am Seeufer, dazu laute Musik und die launige Stimme eines Moderators zeigen unmissverständlich, wo es für uns los geht und wo wir auch wieder ankommen. Vor der See- und Bergkulisse bietet das ein auch optisch eindrucksvolles Bild. Die Neugier treibt mich gleich dorthin, wo gestartet wird. Schließlich habe ich einen höchstpersönlichen Starttermin, den ich nicht verpassen will: 10:16:20. Per E-Mail wurde er mir drei Tage vor dem Start mitgeteilt. Aber ich sehe schon: Das läuft äußerst entspannt und keinesfalls sekundengenau ab. Genau eingehalten wird lediglich der Zeitabstand von mindestens 20 Sekunden. Und selbst Pärchen müssen sich zumindest am Start erst einmal kurz trennen. Ich tummele mich noch ein wenig im Start-/Zielareal und schaue mir an, wie nur ein paar Meter weiter die Zieleinläufer nach vollbrachter Runde mit erlöster Miene ihr persönliches Finish feiern. Locker, stimmungsvoll, relaxt – man merkt: Das spezielle Konzept kommt richtig gut an.
Allmählich wird es auch für mich Zeit. Mit mir stehen ein paar andere etwas unschlüssig am Startpunkt. Wer will, wer mag, wer ist dran? Die Startzeit steht zwar auf der Startnummer, aber so ganz genau wird die Reihenfolge nicht eingehalten. Als gerade kein anderer loslaufen will, ergreife ich die Gelegenheit. Eine Minute zu früh.
Kaum ist der Startbogen durchlaufen, wird es schlagartig ruhiger, lasse ich die bunte, laute, rummelige Welt hinter sich, bin ich ganz für mich auf meiner Seerunde.
Umrundet wird der See im Uhrzeigersinn. Und das weitestgehend auf einem flachen, nur wenige Meter breiten Asphalt- oder Naturweg hart an der Uferlinie des Sees entlang. Vorzustellen versuche ich mir, welch beeindruckender Läuferlindwurm sich unter regulären Bedingungen hier entlang winden würde. Heute dagegen träufeln die Läufer streng getaktet wie die Tropfen einer Infusion auf den Streckenkurs. Der Vorteil: Das von Anfang an unbedrängte Laufen beschert ein ungemein entspanntes Lauferlebnis, bei dem man sich ganz auf die herrliche Seekulisse und die bergige Natur rundum konzentrieren kann.
Nicht mehr als sechs Kilometer lang und maximal einen Kilometer breit ist der Lago di Resia, wie der Reschensee italienisiert genannt wird. So langgezogen wie der See verläuft, könnte man meinen, er sei, wie so viele alpine Gewässer, ein eiszeitliches Relikt. Tatsächlich ist er gerade einmal 70 Jahre alt und von Menschenhand geschaffen. Dazu aber noch an anderer Stelle. Bis über 3.000 Meter türmen sich die Berge rundum, was nur deshalb nicht ganz so gewaltig wirkt, weil der See selbst schon sehr hoch liegt.
Nur ein kurzes Stück führt der Kurs noch am Westufer entlang, schon schwenkt er in einer langsamen Biegung dem nördlichen Ende des Sees entgegen. Von hier aus nur wenige Kilometer entfernt und mit 1.507 m üNN auch nur wenige Meter höher als der See gelegen sind der Reschenpass und gleich dahinter die Landesgrenze zu Österreich. Dass durch hohe Berge getrennt nicht viel weiter entfernt westlich auch Schweizer Territorium beginnt, merkt man gar nicht. Mit dem Motorrad bin ich gestern bei Regen die kurvige Passstraße vom Inntal kommend hoch gebraust und hier am See angekommen - ein echter „bike road-Klassiker“. Heute ist uns Petrus zum Glück wohlgesonnener: Kühl und meist sonnig ist es, ideale Laufbedingungen also.
Der zunächst asphaltierte, sich wie eine Ballustrade hoch über dem See dahin windende Weg bietet einen Panoramablick auf unser erstes Zwischenziel: Reschen. Doch noch bevor wir den Ort so richtig erreichen, werden wir auf einen Naturweg gelotst, dem wir im Folgenden ganz nah am Wasser folgen.
Mit dem für den See namengebenden Ort haben wir bereits nach dem ersten Kilometer den Eingang zum Ostufer erreicht. Touristische Infrastruktur prägt den Ort entlang der vom Pass heran führenden Durchgangsstraße SS 40. Diese müssen wir uns jedoch nicht mit dem motorisierten Verkehr teilen, sondern dürfen auch weiterhin dem kommoden Rad-/Fußweg dem Seeufer entlang folgen und bleiben auch sonst in angenehmer Distanz zum Ortsgeschehen.
Weite, saftig grüne Wiesen, entspannte Ruhe und ein wundervoller Blick über den See gen Süden – das erwartet uns gleich hinter Reschen. Weiß blitzt das mächtige Ortlermassiv am südlichen Horizont. Die sich dem See nahenden Bergflanken zwingen jedoch schließlich Straße und Fußweg, einträchtig, wenn auch strikt getrennt, am Seeufer zusammen zu rücken. Einmal mehr darf ich mich davon überzeugen, dass schwere Motorräder mit schweren Jungs, die meisten wohl auf „Ausritt“ zum berühmten Stilfser Joch, das Verkehrsgeschehen dominieren.
Von weitem sehe ich in einer Bucht schon das Wahrzeichen des Sees und des ganzen Vinschgaus einsam im Wasser stehen: Den mittelalterlichen Glockenturm der einstigen Pfarrkirche St. Katharina von Alt-Graun. Seit 1950 ragt er monolithisch aus dem See, dort, wo einst das Herz des alten Graun schlug, bis der Stausee gefüllt und der Ort bzw. das, was nach seinem Abriss übrig blieb, überflutet wurde. Hohe emotionale Wellen hat die Aktion damals geschlagen, aber die betroffenen Menschen hatten dem politischen Willen und der Macht der Energieindustrie letztlich nichts entgegenzusetzen. An diese Schicksale denkt heute niemand mehr, der sich am Panoramablick über den See erfreut. Damals hätte wohl kaum jemand gedacht, welche Popularität der trutzige romanische Turm aus dem 14. Jahrhundert einmal bekommen würde. Aber nicht als Mahnmal, sondern als pittoreskes Fotomotiv.
Nach vier Kilometern passieren wir den großen Besucherparkplatz, Start- und Zielpunkt des Laufs unter regulären Bedingungen. Wie sehr der Lauf mit dem See und der Region verwurzelt ist, zeigt das „Reschenseelauf-Monument“ am Rande des Platzes, auf dem in hohen Marmorstelen die Sieger aller Läufer mit Plaketten verewigt sind. Von hier hat man ohne Zweifel den schönsten Blick auf den Turm, den man bei Niedrigwasser über eine Sandbank sogar zu Fuß erreichen kann. Aber im Moment müsste man schon messianische Fähigkeiten haben, um das kräuselnde Wasser zu überwinden. Läufer und Besucher mischen sich am Uferweg. Ohne Erinnerungsfoto verlässt kaum jemand diesen Ort.
Erfreulicherweise trennen sich hier wieder die Wege von Straße und Laufkurs. Wir umrunden die Bucht und dürfen den Turm somit von drei Seiten in Augenschein nehmen, ehe wir uns wieder ganz aufs Laufen konzentrieren können.
Zu unserer Linken liegt im Hang das etwas höher an- und umgesiedelte neue Graun. Ich weiß nicht, ob es Zufall ist, dass der aus dem Dorf ragende Kirchturm auffallende Ähnlichkeit mit dem Turm im See hat. Unsere Aufmerksamkeit wird jedoch mehr von etwas anderem eingenommen: Vor uns auf einer weiten, in den See hinein ragenden Wiese scheinen viele niedrige bunte Zelte aufgebaut zu sein, zwischen denen sich allerlei Leute werkelnd betätigen oder auch nur herum stehen und gucken. Des Rätsels Lösung offenbart sich beim Näherkommen: Die Zelte entpuppen sich als an Land ausgebreitete Lenkdrachen von Kite-Surfern, von denen einige auch in Aktion auf dem Wasser sind. Dass die Verhältnisse dafür ideal sind, merke ich sofort: An keiner Stelle des Sees bläst der Wind so intensiv wie hier.
Wasser, Wiesen und wir … der folgende Abschnitt hat etwas Meditatives. Nichts lenkt von der stillen Seekulisse ab, während wir über den schnurgerade dahin führenden, geschotterten Weg traben. Das hätte gerne so weiter gehen können, aber ein weiteres Mal nötigen uns die näher rückenden Berghänge in die Nachbarschaft zur Straße. Zum Schutz vor Murenabgängen und Steinschlag sind immer wieder Abschnitte der SS 40 mit brachial wirkenden Betonarkaden eingehaust. Zum See hin ist daran andockend auch unser Laufweg mit luftigen Metallkonstruktionen geschützt. Nicht schützt uns dies jedoch vor den radelnden Ausflüglertrupps, mit denen wir uns hier den Weg teilen müssen.
So ganz anders fühlt es sich kurz darauf an, als uns der Weg durch ein Wäldchen aus schattenspendenden Kiefern und Fichten führt. Dass ich das Südende des Sees fast erreicht haben, merke ich erst, als ich wieder in offene Landschaft hinaus trete und die lange, abgeschrägte, den See wie ein riesiges Poolbecken begrenzende Mauer entdecke.
Kurz vor km 9 ist das Südende des Sees erreicht. Und das wird beherrscht vom Staudamm, dem der See seine Entstehung zu verdanken hat. 415 Meter misst die Dammkrone, die wir der gesamten Länge nach ablaufen. Stimmungsvoll ist die Aussicht zu beiden Seiten des Damms: Zur Rechten beherrscht vom dunklen, von Bergen eingefassten Blau des Wassers, zur Linken vom lichten Grün der Wiesen und der Weite des Tals. Über die Dammbrüstung hinweg blicke ich hinunter auf den 50 Meter tiefer gelegenen Haidersee und den Ort St. Valentin. Anders als bei anderen alpinen Staudämmen senkt sich vor mir aber keine graue Betonwand jäh in die Tiefe, sondern ein steiler, aber saftig grüner Abhang, was den Damm nicht als Fremdkörper erscheinen lässt.
Fern am südlichen Horizont überragt das wuchtige Bergmassiv des Ortlers weiß schimmernd die Szenerie. Fast schon wehmütige Erinnerungen werden wach: Zwei Jahre ist es her, dass ich zu Füßen dieses majestätischen Berges den Stelvio Marathon mit Ziel auf dem Pass in 2.757 m Höhe erleben durfte, seinerzeit übrigens gleichfalls veranstaltet von den Machern des Reschenseelaufs. Ein grandioses Lauferlebnis, allerdings eine Veranstaltung, die wie so viele andere heuer das Schicksal der lediglich virtuellen Durchführung teilt.
Erstmals lege ich auf dem Damm eine kurze Trinkpause ein. Offizielle Verpflegungsposten gibt es bei der „Special edition“ zwar keine, aber immer wieder finden wir eigens für den Lauf installierte Holztränken mit laufendem Frischwasser am Wegesrand.
Jenseits des Dammwalls schwenken wir sogleich zum Westufer ab. Die Westseite des Sees ist im Vergleich zum Ostufer deutlich ruhiger, weniger erschlossen und letztlich auch ursprünglicher und naturverbundener. Weniger naturnah ist lediglich der Weg: Der schwingt sich – wohl als Tribut an Komfortradler - als supergepflegtes, mit weißen Streifen gerahmtes Asphaltband vielkurvig durch die Landschaft.
Gleich zu Beginn fallen drei gewaltige trichterförmige Betonschüsseln auf, die in Ufernähe im See thronen. Wahrscheinlich dienen sie, wie bei einer Badewanne, als Überlauf bei zu hohem Wasserstand. Ansonsten zeigt sich der See hier von seiner schönsten Seite. Wiesen und Wälder wechseln einander ab, dazwischen leuchten immer wieder farbenprächtige Blumenteppiche.
Die Naturverbundenheit des Westufers kommt aber auch in einem anderen Umstand zum Ausdruck: Den Steigungen. Dass der ansonsten flache Streckenkurs offiziell 90 Höhenmeter aufweist, merke ich erstmals hier so richtig. Vor allem das Teilstück zwischen km 13 und 14 hat es in sich: Durch ein Waldstück führend ist es kurzzeitig so steil, dass nicht wenige Läufer resigniert in den Marschierschritt verfallen. Das stetige Auf und Ab eröffnet andererseits immer wieder neue Perspektiven in Richtung See. Am jenseitigen Ufer kann man ziemlich genau nachverfolgen, auf welcher Höhe man sich gerade befindet. Nur ganz klein ist der Grauner Kirchturm auszumachen. Als schließlich Reschen am Horizont auftaucht, ist klar: Es kann nicht mehr weit sein.
Und tatsächlich: Als sich auf einmal der Wald öffnet, breitet sich unter mir das Zielgelände aus. Ein letzter Run abwärts und schon fängt uns der Zielkanal ein, bis die Zeiterfassungsmatte unter uns fiepend signalisiert, dass wir angekommen sind.
Ein erhebendes, ein besonderes Gefühl ist es, wieder einmal einen „richtigen“ Lauf erlebt zu haben, noch dazu einen so stimmungsvollen. Wäre das Konzept nicht ein durch die äußeren Umstände aufgenötigtes, müsste man es glatt „erfinden“. Mit ihm verbindet sich eine ganz neue Art der Laufkultur: Weniger Wettkampf, weniger Gedränge, weniger Stress – dafür: mehr Entspannung, mehr Lockerheit, mehr Laufgenuss. Eigentlich ganz dem Wohlfühltrend der Zeit entsprechend. Und dieses positive Gefühl merkt man auch beim Blick in die Gesichter der Menschen nach dem Zieleinlauf.
Das besondere Konzept ist angekommen. Hier waren auch Menschen dabei, die sich einem Wettkampf nie stellen würden, die sich bis zu 3:54 Stunden Zeit gelassen haben. Und es auch durften. Dem inoffiziellen „Sieger“, Michael Hofer, haben dagegen gerade einmal 50 Minuten genügt.
Und: Man kann dem Veranstalterteam gar nicht genug dafür danken, dass sie mit Herzblut und Engagement ein Zeichen in dieser Zeit gesetzt haben. Und letztlich eine Veranstaltung abgezogen haben, die schon aufgrund ihrer Besonderheiten mehr die Erinnerung prägen wird als viele „normale“ Events, eine Veranstaltung, über die man auch noch in vielen Jahren sprechen wird. Im kommenden Jahr wird wohl wieder alles anders und vielleicht Normalität im Laufbetrieb eingekehrt sein. Wobei ich mir nach allem, was ich am Reschensee erleben durfte, nicht sicher bin, ob das dann wirklich die bessere Alternative ist.