"Wir vom RSC haben uns lange Zeit Gedanken gemacht, wie wir den Röntgenlauf 2020 zumindest als reines Läuferfest durchführen könnten. Auch der enorme Zuspruch aus Läuferkreisen hat uns ermuntert, weiter in den Planungen fortzufahren. Oberste Priorität hatte dabei immer das Wohl der Teilnehmer, Begleiter und der riesigen Helfercrew.
Nach den nun gültigen Richtlinien der NRW Corona-Verordnungen sehen wir leider keine Möglichkeit mehr, diesen Weg weiter zu beschreiten. Selbst bei einer Lockerung dieser Bestimmungen würde die verbleibende Zeit nicht ausreichen um die Sicherheit aller Teilnehmer und Helfer zu gewährleisten. Es wäre auch nicht mehr der Röntgenlauf, den wir mit Stolz seit 19 Jahren erfolgreich durchgeführt haben.
Gerade das Jubiläumsjahr hatten wir uns wahrlich anders vorgestellt. Aber das werden wir alles in 2021 nachholen.
Der 20. Röntgenlauf wird also am 31.10.2021 stattfinden, mit allen geplanten Strecken, somit auch mit dem 100 km Lauf."
Soweit die Mitteilung des Veranstalters zur coronabedingten Absage des beliebten Landschaftslaufes.Ich erinnere mich besonders gerne an meine Teilnahme 2005. Hier ist mein Bericht:
1901 erhielt Wilhelm Conrad Röntgen (1845 – 1923) für die Entdeckung der später nach ihm benannten Röntgen-Strahlen den Nobelpreis für Physik. Zum 100. Jahrestag veranstaltete die Stadt Remscheid zu Ehren des im Remscheider Stadtteil Lennep 1845 geborenen berühmten Sohns erstmals den Lauf auf dem rund um Remscheid führenden Röntgenweg über 63, 42 und 21 Kilometer. Die 5. Auflage in diesem Jahr war der bisher absolute Höhepunkt in der Geschichte dieses Landschaftslaufes, der immer mehr Lauffreunde aus dem In- und Ausland anzieht und aus dem Terminkalender nicht mehr wegzudenken ist.
Im Sportzentrum Hackenberg ist bereits am Samstag alles für das Großereignis gerichtet. Startunterlagen gibt es in einer separaten Halle. Der Andrang am Nachmeldeschalter ist groß. Kein Wunder, der Wetterbericht sagt eine Fortdauer des schönen Herbstwetters voraus. Und so ein Landschaftslauf ist bei Sonnenschein halt schon etwas Besonderes. Bei einem Citymarathon kann es ruhig mal regnen, auf den asphaltierten Straßen sind auch dann noch gut zu laufen. Geht es auf Trails durchs Gelände, sieht die Sache schon anders aus. Ich habe so meine Erfahrungen und sage nur: Monschau-Marathon.
Im Rahmen des Röntgenlaufes wird auch die Deutsche Meisterschaft der Ärzte entschieden. Ich denke, dass auch sonst ein paar Mediziner hier bei der Veranstaltung mitreden, denn zu den obligatorischen Nudeln gibt es auch eine geballte Ladung Vitamine in Form von appetitlich frischem Salat. Alles zusammen mit einem Getränk für 5 Euro. Da kann man nicht meckern. Beckmann’s energiespendende Marathonschnecken sind mittlerweile so bekannt, dass sie ganz gezielt nachgefragt werden.
Auf dem Gelände des Sportzentrums ist auch das Freizeitbad H2O. Wer will, kann hier nach dem Lauf entspannen. Es fehlt also an nichts.
Eineinhalb Stunden vor dem Start ist es auf dem Hackenberg noch ruhig. Parkplätze sind kein Problem. Es hat schon jetzt deutlich über 10 Grad und die aufgehende Sonne verspricht einen herrlichen Tag. Auch jetzt melden noch viele nach, vornehmlich für die Kurzstrecken und die Crossläufe. In der Endabrechnung stehen über 4.300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den Listen. Neuer Rekord.
Der Lauf verdient es auch, das kann ich vorweg sagen. Ich war letztes Jahr auch schon am Start. Das Wetter war, wie in den Jahren zuvor, nicht optimal. Aber weil es zumindest nicht regnete, sprach man schon mal vom „besten Röntgenlauf aller Zeiten“. Jetzt gehen denen die Superlative aus.
Als sich das Starterfeld schon komplett versammelt hat und jeder auf den Startschuss wartet, kommt die Durchsage: „Der Start verzögert sich. Die Polizei muss in Lennep noch einige Autos abschleppen. Sonst kommt ihr womöglich nicht unfallfrei durch den Ort.“ Klaglos wird das hingenommen, der Hinweis auf die eigene Gesundheit kommt gut an. Um 8.44 Uhr ist es dann soweit, die Oberbürgermeisterin Beate Wilding feuert die Startpistole ab. Unter dem Riesenjubel der vielen Zuschauer setzt sich das Feld zunächst etwas zäh in Richtung Lennep in Bewegung.
Der Abstecher in die Altstadt des Remscheider Vorort lohnt sich. Einst war sie von einer runden Stadtmauer umgeben. So konnte sie sich nicht ausdehnen und neue Häuser wurden immer auf den Grundmauern der alten errichtet. Typisch sind die mit schwarzem Schiefer verkleideten und gedeckten Häuser mit grünen Läden, Rinnen oder Ornamenten.
Ehrensache für den Veranstalter, dass das Röntgen-Museum und das schließlich das Geburtshaus des berühmtesten Sohnes der Stadt und Namensgeber des Laufes passiert wird. Unscheinbar steht das 2stöckige Haus links der Strecke an einer schmalen gepflasterten Straße. Eine Erinnerungstafel weist auf Wilhelm Conrad Röntgen hin.
Weiter geht es am Alten Rathaus vorbei, über den Marktplatz und dann zurück Richtung Sportzentrum, wo nach 5 Kilometer dann auf den Röntgenweg rund um Remscheid geht. Die ersten Steigungen haben dafür gesorgt, dass sich das Feld gelichtet hat und jeder seine Betriebstemperatur hat.
Der Röntgenweg ist praktisch in drei Etappen von jeweils 21,1 km aufgeteilt. Und so sind auch die Laufwettbewerbe ausgeschrieben. Halbmarathon (1. Etappe, Ziel Industriedenkmal Clemenshammer), Marathon (Etappen 1 + 2, Ziel Freibad Eschbachtal) und die gesamte Schleife als Ultramarathon mit 63,3 km. Insgesamt beträgt der Höhenunterschied auf der Ultrastrecke ca. 1.100 m. Dabei geht’s auf dem ersten Abschnitt mit permanentem Auf und Ab tendenziell abwärts, der zweite Abschnitt ist ungefähr ausgeglichen (aber niemals flach) und im dritten Abschnitt muss der Höhenverlust vom Anfang ausgeglichen werden, es geht also tendenziell aufwärts.
Charakteristisch für den Röntgenlauf ist der ständige Wechsel von Anstieg, Gefälle und Flachstück, wobei es sich immer um ausgesprochen kurze Passagen handelt. Ein gleichmäßiges, rhythmisches Laufen ist kaum möglich. Das macht den Lauf so schwer, aber gleichzeitig attraktiv. Die Landschaft ist sehr abwechslungsreich, es ist nie langweilig. Immer wieder gibt es schöne Ausblicke, herrlich gelegene Ausflugsziele, Bäche, Seen und andere Sehenswürdigkeiten. Die Strecke ist bestens mit Pfeilen auf dem Boden, gelb-schwarzen Tafeln an Bäumen und Masten und Flatterbändern markiert. Alle 5 km finden wir die Kilometerangaben und zusätzlich sind etliche Begleiter auf Mountain-Bikes zur Betreuung und Kontrolle auf der Strecke. Verlaufen ist also unmöglich.
Wir kommen nach Lüttringhausen, laufen vorbei am Bahnhof und überqueren bei km 15 die Ronsdorfer Straße, auf der von Feuerwehr und Polizei der Verkehr immer wieder angehalten wird, um die Läuferinnen und Läufer passieren zu lassen. Das geschieht hier wie an allen entsprechenden Stellen reibungslos. Natürlich ist der Ausflugsverkehr bei dem herrlichen Wetter heute besonders stark und manchmal bilden sich recht lange Blech-Schlagen. Trotzdem gibt es kein ungeduldiges Gehupe der Autofahrer. Statt dessen wird freundlich gegrüßt und geklatscht.
Immer wieder passieren wir Ortsränder oder kleine Siedlungen (Halbach, Grund, Haussiepen) und laufen dann entlang des Saalbach mit seinen idyllischen Seen (km 19). Es ist erstaunlich, wie viele Menschen sich an Straßenkreuzungen und vor den Häusern versammeln, um den Lauf als Zuschauer mitzuerleben und die Aktiven anzufeuern. Als wir nach 21 Kilometer im Gelpetal in Clemenshammer das Ziel der „Halben“ erreichen, verschlägt es mir allerdings die Sprache. Die Leute stehen dicht gedrängt, lassen nur eine schmale Gasse für die Läufer und machen einen Heidenlärm. Fast das viel zitierte „Tour-de-France-Feeling“.
Vor lauter Menschen sieht man nichts von dem Steffenshammer, dem einzigen noch erhaltenen Wasserhammer hier in der Gegend. Er wurde 1746 errichtet und soll malerisch an einem aufgestauten Hammerteich liegen. Von einem großen, außen liegenden Wasserrad angetrieben, dreht sich die acht Tonnen schwere Holzwelle noch heute. Um 1800 hatte sich der bergische Raum zu einem bedeutenden Zentrum der Eisenverarbeitung im deutschen Kulturraum entwickelt. Als „Hammer“ bezeichnete man übrigens früher die Schmieden.
Weiter geht es dem Morsbach entlang, immer durch den herrlich gefärbten Herbstwald, mal in der Sonne, mal im kühlen Schatten. Bei Breitenbruch überqueren wir die Verkehrsstraße, machen einen kurzen Abstecher hinauf Richtung Holz (km 25) und dann wieder hinunter und dem Morsbach entlang. Ab und zu sehen wir alte und teilweise verfallene Hämmer, also Schmiedebetriebe, manchmal sind sie aber auch zu Ausflugslokalen hergerichtet.
Bei km 30 dann zweifellos einer der Höhepunkte der Strecke: die Müngstener Brücke. Ich glaube es kaum, aber wie im letzten Jahr passiert genau jetzt ein alter Dampfzug die 1897 in Betrieb genommene und mit 107 Metern höchste Eisenbahnbrücke Deutschlands. Dicker Rauch quillt aus dem Schlot und mit lautem Pfeifen rattert sie über die Brücke. Leider ist der Blick auf die Brücke durch Sträucher und Bäume beeinträchtigt und ich fürchte, Ihr werdet das imposante Bauwerk auf den Fotos kaum erkennen.
Wir laufen weiter auf gutem Weg oberhalb der Wupper. Wie jetzt schon gewohnt, geht es immer wechselnd auf und ab. Bei Lehmkuhle überqueren wir die Westhausener Straße, lassen Westhausen (km 35) links liegen und laufen parallel zur Hauptstraße und zum Eschbach vorbei am Kellers- und am Hüttenhammer. Wieder überqueren wir gefahrlos, weil gut gesichert, die Verkehrsstraße und sind jetzt im herrlichen Eschbachtal mit den vielen Seen. Als es bei km 40 über die Wermelskirchener Straße geht, muntern uns viele Zuschauer auf. „Gleich habt Ihr es geschafft“.
Ich spiele tatsächlich mit dem Gedanken, im Marathonziel im Freibad auszusteigen. Ich habe mich wohl auf dem ersten Streckenabschnitt übernommen. Meine Beine schmerzen und ich bin zuletzt auch bei leichten Anstiegen marschiert. Meine Motivation und Begeisterung fällt gegen Null. Allerdings wäre ein DNF eine Schande, bei dem herrlichen Wetter und der schönen Strecke.
Im Schwimmbad sind wieder viele Menschen versammelt. Sie feiern die Marathonis und feuern die Ultras an. Über Lautsprecher werde ich angekündigt: „….extra aus Baden-Baden nach hier hin gekommen.“ Der Einweiser schickt mich ohne zu fragen auf die Ultra-Strecke. 10 Meter weiter ist die Verpflegungsstelle. Es gibt Gatorade, Wasser, Cola, Tee, Bananen und Riegel. Ich zocke noch immer, denke mir aber, dass ich bestimmt lange auf den Bus warten muss und mir in meinen nassen Klamotten den Tod hole. Also entscheide ich mich, weiterzulaufen.
Gleich komme ich auf den Parkplatz. Noch einmal eine Versuchung: Der Shuttle-Bus ist abfahrtbereit. Ich mache ein Foto und der Fahrer fragt mich: „Willst Du mit?“ Ein Nein kommt mir nicht die Lippen, aber ich winke ab und laufe weiter.
Vor und hinter mir sind noch etliche Läuferinnen und Läufer in Sichtweite. Ungefähr auf der Höhe der Raststätte Remscheid geht es unter der A 1 durch und gleich sehen wir die Staumauer der Eschbachtalsperre vor uns. Rechts davon geht es steil nach oben und dann auf gutem Weg dem See entlang. Die Eschbachtalsperre wurde in den Jahren 1889 – 1891 gebaut ist die erste Trinkwassertalsperre Deutschlands. Für die wirtschaftliche Entwicklung von Remscheid war sie von großer Bedeutung.
Auf den folgenden Kilometern, der Weg steigt immer leicht an, habe ich mächtig zu kämpfen, halte aber ohne Gehpause durch. Als wir Bergisch-Born erreichen, geht es wieder etwas abwärts. Kurz vor Hückeswagen wird bei exakt 50 km die Zeit gemessen und wir laufen über Felder, Wiesen und kleine Waldstücke. Kurz nach km 55 geht es auf eine leicht abschüssige Teerstraße nach Oberfeldbach.
Das Laufen hier ist die reinste Erholung. Ich glaube, es ist auf der ganzen Strecke das längst Teilstück, das eine einheitliche Richtung kennt. Die Wupper-Talsperre (km 57) wird erreicht. Sie wurde 1987 in Betrieb genommen und hat die Aufgabe des Hochwasserschutzes und der Niedrigwasseraufhöhung. Der Steinschüttdamm ist 40 m hoch. Wir laufen eine ganze Zeit am bewaldeten Ufer entlang und überqueren dann die B 229. Gleich sind wir bei der letzten Verpflegungsstelle bei km 60. Wieder gibt es Cola, Iso und Wasser, Bananen und Riegel.
Die freundlichen Hilfskräfte sind offenbar gut geschult. Sie verstehen es, die abgekämpften Läufer aufzumuntern und „fit“ für die letzten Kilometer zu machen. Dabei verschweigen sie nicht, dass es noch einmal kräftig zur Sache geht. Zunächst geht es weiter am Seeufer entlang und dann ziemlich steil (oder kommt mir das nur so vor?) aufwärts. Fast bin ich froh, dass ich etwas gehen kann.
Dann erreichen wir die ersten Wohnhäuser. Leicht abwärts geht es zum Sportzentrum ins Ziel. Etliche Zuschauer sind noch versammelt und klatschen kräftig Beifall. Jeder Finisher wird namentlich begrüßt und beglückwünscht. Ich bin froh wie selten, dass ich es geschafft habe. Besonders aber darüber, dass ich beim Marathonziel weiter gelaufen bin. Es hat sogar noch zu einer Verbesserung meiner letztjährigen Zeit um 4 Minuten gereicht. Das ist zwar Nebensache, sei aber trotzdem erwähnt.
Nach der Medaille gibt es noch einmal die komplette Getränke-Auswahl, Riegel und eine Marathonschnecke. Der Rest der Veranstaltung spielt sich heute vor der Halle ab. Wie in einem riesigen Biergarten geht es zu.
Auf Wiedersehen beim Röntgenlauf am 31.10.2021