… geht‘s im Bergischen Lande immer wieder. 1318 Höhenmeter zeigt meine Uhr nach Ende des dritten Halbmarathon-Abschnittes. Und gerade der hat es in sich. Ich frage mich, ob es überhaupt flache Passagen gibt. Meine Beine meinen nein, andere Läufer meinen ja … ich lasse mich überzeugen, meine Beine lassen sich täuschen.
Am frühen Sonntagmorgen beginnt um 6 Uhr die Startnummernausgabe im Sportzentrum Hackenberg in Remscheid-Lennep. Hier hat der Röntgen Sport Club Remscheid mit gewohnt perfekter Planung reichlich Personal aufgefahren, um alle Läuferinnen und Läufer schnell und unkompliziert mit Startnummer und Röntgenlauf-Shirt auszustatten, welches viele direkt auf der Strecke einweihen. Das Morgengrauen lässt Hoffnung aufkeimen, dass die Wettervorhersage mit vielen Wolken und dementsprechend niedrigen Temperaturen falsch liegen würde. Tatsächlich gibt es viel Sonne und bis zu 14 Grad. Optimales Läuferwetter sozusagen.
Die Lenneper sind stolz auf ihren berühmten Sohn Wilhelm Conrad Röntgen. So wurde bereits 1932 das erste Röntgen Museum eröffnet. Und da sich mit berühmten Namen gut werben lässt, war auch klar, dass Röntgen auch der Namensgeber für den 58 km langen Rundwanderweg um Remscheid wurde. Und was wäre ein besseres Warm-Up, wenn nicht eine fast 5 km lange Runde durch Lennep, bevor man auf den Röntgenweg einbiegt und auf ihm drei Halbmarathons am Stück laufen kann.
Beim Röntgenlauf kann man unterwegs bei km 21,1 und 42,2 von seiner Entscheidung, 63 km zu laufen, zurücktreten und kommt in eine separate Wertung. So beendete ich 2012 mein Rennen bei 42,2 und hatte seitdem die offene Rechnung im Hinterkopf. Aber das ist eine andere Geschichte und die wird heute nicht erzählt.
Rund 4000 Starter meldet der Veranstalter auf allen Strecken. Das dichte Gedränge unterm Startbogen scheint die Zahl bestätigen, ich reihe mich weit vorne ein, um Fotos mit möglichst vielen Läufern zu bekommen. Das Ende des Starterfelds ist weit weg und nicht zu erkennen. Punkt 8:30 fällt der Startschuss, nach 100 m biegen wir bereits rechts ab und folgen den ersten Anstiegen durch ein Wohngebiet Richtung Lenneper Altstadt. Während sich das Hauptfeld noch auf dem Weg bergab zum historischen Stadtkern befindet, rast die Spitze schon wieder bergan auf uns zu. Die Strecke ist großflächig abgesperrt, die Organisation hat ganze Arbeit geleistet.
Wie schon erwähnt, sind die Lenneper stolz, nicht nur auf Röntgen, sondern auch auf ihren Röntgenlauf. Viele stehen an der Strecke und benutzen alles ,was Omas Küche her gibt, um Krach zu machen. Töpfe werden geschlagen, Topfdeckel, Glocken, Ratschen….. Wir laufen von einem Hot-Spot zum nächsten und die 5 km Altstadtrunde vergeht wie im Flug. Zurück am Startplatz geht’s dann raus aus Lennep und rauf auf den Röntgenweg, welcher uns über Felder Richtung Wälder führt.
Die erste Verpflegungsstation folgt. Hier wird jede rechtzeitig mit 200 m Schild angekündigt und am Buffet informiert ein weiteres großes Schild darüber, welcher Verein hier für das Wohl der Läufer sorgt. Es geht rauf und runter, unten passieren wir immer wieder Straßen oder kleine Orte, viele sind an Flüssen gelegen und tragen noch Namen wie Lennartzhammer, an welchem wir trommelnd begrüßt werden. Dann kommt der Gipfel des ersten Abschnittes, steil bergauf bis zur traditionellen Prosecco-Tankstelle! Auf einem Trail geht es steil bergauf. 30 Flaschen sind schon geleert, als ich eintreffe, Nachschub ist unterwegs! So gestärkt rollt das Feld zum Clemenshammer, wo das Läuferfeld von vielen Zuschauern lautstark empfangen wird.
Die Halbmarathonläufer sind im Ziel, für Marathonis und Ultras geht es weiter. Kurz danach sind wir an einer weiteren Verpflegungsstelle, bei der jetzt richtig aufgefahren wird. Schwarzbrot mit Schmalz! Wir bekommen den Tipp, lieber eins mehr zu nehmen. Einige hätten sich schon die Zeiten versaut, weil für Nachschub noch einmal zurück gelaufen sind. Auch der zweite Abschnitt hat seine Steilwand, in Serpentinen geht es auf steilem Trail, gesichert mit Geländer und Drahtseilen, fast senkrecht bergauf. Und gleich, wie könnte es anders sein, laufen wir wieder abwärts ins nächste Tal. Running-Gag der Streckenposten: „Jetzt geht’s nur noch bergab!“ Ich bekomm es mindestens dreimal zu hören! Liebe Leser: Glaubt Streckenposten kein Wort! Liebe Streckenposten: Man sieht sich immer zweimal im Leben.
Jetzt geht’s noch öfters rauf und dann wieder runter her. Einer der Höhepunkte ist dabei Deutschlands höchste Eisenbahnbrücke, der Müngstener Brücke, welche mit 107 m Höhe seit 1897 einen vom Waldweg aus nur kurzen, aber imposanten Anblick bietet.
Inzwischen sind an den Verpflegungsstellen immer Knusperriegel aus Lüttringhausen zu bekommen, eine Art Müsliriegel mit Mandeln, verschiedenen Kernen und Rosinen. Ebenso gibt es öfters die Röntgenschnecke, ähnlich einer Pizzaschnecke, auch hier kommen Rosinen zum Einsatz. Bei km 37 verpflegt der TuRa Remscheid Süd, und mir wird klar, warum ich heute hier berichte und nicht Joe: Hier gibt’s das erste Bier! Bis hierhin hätte er nie durchgehalten!!
Das Strandbad Eschbachtal erreichen wir mit der Marathondistanz, per Moderator werden die Läufer begrüsst. Nach vielen einsamen Waldkilometern ist man geflasht von Stimmung, Verpflegung, glücklichen Marathon-Finisher und leicht leidend dreinschauender Ultras, die noch einen Halbmarathon auf sich nehmen möchten. Ich denke gar nicht lange über meine schmerzenden Beine nach, kurz was essen und trinken und weiter… und nicht der Versuchung nachgeben. Schließlich habe ich noch eine Rechnung mit dem Röntgenlauf offen.
Der Weg steigt an zur Eschbachtalsperre, der ältesten Talsperre Nordrhein-Westfalens. Hat sich gut gehalten, das Bauwerk. Der Ausblick ist idyllisch und ein schöner Lohn für die bisherige Mühe. Die Freude währt nur kurz, denn jetzt folgt zwar nicht der steilste, dafür aber der längste Anstieg. Auch wenn es nur 130 Höhenmeter auf fast 5 km sind, es zieht sich.
Ich bin bei km 45, bin gerade in der Steigung und krame in meiner Bauchtasche nach einer Salztablette, als mir ein freundliches, älteres Ehepaar entgegen kommt. Die Dame ruft aus: „Junger Mann, laufen! Nicht gehen!“ Mir plumpst die Salztablette in den Dreck und antworte, dass ich nach 45 km auch mal langsam machen darf. Daraufhin die Dame: „Wir sind in Unna schon die 100 km in 12 Stunden gelaufen!“ Respekt! Damit ich keine Depression bekomme, laufe ich weiter.
Neben der offiziellen Streckenmarkierung durch den Veranstalter sieht man an Bäumen, auf Schildern oder auf Steinen das eingekreiste „R“ , das Symbol des Röntgenweges. Man hat hier keine Chance, sich zu verlaufen. Perfekt!
Weiter geht es über eine alte Bahntrasse, die zu einem bequemen Fuß- und Radweg umgebaut wurde. Da lässt es sich ganz angenehm laufen und an ein paar alten Bahn-Kilometer-Steinen kann man alle 100 m ablesen, dass man weiterkommt. Besonders danken möchte ich dem LCK Ronsdorf! Ein frisch gezapftes Krombacher Pils weck Heimatgefühle in mir als Siegerländer. Ich darf sogar nachzapfen. Da fällt der Endspurt leicht.
Es geht aber noch an der Wuppertalsperre vorbei und hinter der Waldkirche auch noch einmal richtig bergauf. Oben angekommen, beginnt die Hackenbergstrasse und man weiß, es ist geschafft. Die letzten Meter ins Stadion sind der reinste Genuss. Gut gelaunt begrüßt der Streckensprecher jeden Finisher. Als Auszeichnung bekomme ich ein Röntgen-Männchen. Hier ist auch gleich die Zielverpflegung. Erdinger, Röntgenschnecken und Knusperriegel schmecken jetzt besonders gut. Das glückliche Lächeln auf den Gesichtern der Finisher ist unübersehbar und zeigt, dass Stolz den Schmerz vergessen lässt.
Perfekte Organisation, gefühlte 1000 Helferinnen und Helfer zur Versorgung, Betreuung und Streckenabsperrung, hervorragend präparierte Strecke, super Stimmung an den Hot Spots….. alles da! Remscheid hat mich sehr positiv überrascht! Und ich muss ja nochmal wiederkommen, einigen Streckenposten muss ich noch den Running-Gag austreiben.
Marathon
Männer
1. Philipp Zabel, RC am Schwanberg – 2:54:19
2. Remscheider SV – 3:09:25
3. Michael Schmitz, TriForce Vital Remscheid – 3:12:05
Frauen
1. Silke Kaliner – 3:44:30
2. Katharina Galeani – 3:50:01
3. Ilja Laheij, adidas Runners Munich – 3:52:27
Ultramarathon
Männer
1. Jan Kaschura, RunArtist Holzminden – 4:20:31
2. Daniel Schmidt, Dönges Running Team – 4:22:29
3. Frank Merrbach – 4:50:06
Frauen
4. Birte Bannert – 5:55:55
5. Andreas Switala – 6:14:23
6. Ute Wiener, KSV Baunatal – 6:23:42