Zum 20. Mal lädt Peter Ickert vom Röntgen Sport Club Remscheid zum Röntgenlauf nach Lennep ein. Und da hier erfahrungsgemäß sowieso schon viele Ultras versammelt sind, gibt es zur Jubiläumsauflage wieder den 100 km Lauf obendrauf. Für jeden ist eine Strecke dabei, von 400m Bambini bis zum 100er finden sich 13 Diziplinen und rund 2500 Voranmeldungen.
Meine Anreise beginnt am Vortag, ich habe noch einen freien Hotelplatz in Remscheid-Lennnep bekommen. In etwa 2km Entfernung vom Start im Sportzentrum Hackenberg erspare ich mir die frühe Anreise am Renn-Sonntag. Und mit der Zeitumstellung auf Winterzeit gibt es noch eine Stunde Schlaf dazu. Die Ausgabe der Startunterlagen findet in einer der Sporthallen auch schon am Vorabend statt, ebenso eine große Pasta Party und eine Marathon Messe. Mir laufen Marion und Jochen über den Weg, sie plündern noch die Schnäppchen und wollen dann schnell ins Bett, ihr Start für die 100 km ist schon um 2 Uhr. Die Ausgabe der Startunterlagen erfolgt zügig, es gibt zur Startnummer einen stabilen Kleiderbeutel und ein Starter-Shirt. Dank Champion-Chip wird die Netto-Zeit gemessen.
Vor genau 10 Jahren war ich das erste Mal hier und der Röntgenlauf sollte mein erster Ultra werden. Es hat damals nicht gereicht und ich war froh, dass ich auf dem 63,3 km langen Rundkurs nach der Marathon Distanz aussteigen konnte. Drei Wochen später reichte es dann, in Bottrop finishte ich meine erste Ultra Distanz. Vor 6 Jahren konnte ich diese Rechnung begleichen und auch der längere Röntgenlauf zog in meine Sammelliste ein. Auch wenn ich mit Sorge auf das Zeitlimit von 9 Stunden schaue, möchte ich erneut die Ultrastrecke angehen. Der Notfallausstieg nach 42,2, km ist im Hinterkopf, aber nicht gewollt. Die zweite Startzeit für Sonntag ist 8:30 und gilt für Halbmarathon und Ultra. Den Marathon lässt man diesmal beim Halbmarathon Ziel in Clemenshammer starten, so gibt es einen angemessenen Zieleinlauf in Hackenberg. Die Läufer werden mit Shuttle Bussen dorthin gebracht und starten um 9:30.
Unter dem Startbogen wird eine kurze Läufermesse verlesen und Oberbürgermeister Mast-Weisz bereitet sich auf den Startschuss vor. Leichte Nervosität liegt in der Luft, hat er doch schon genau an dieser Stelle erleben müssen, dass sich der Schuss nicht löst. Die letzten 10 Sekunden werden lautstark runter gezählt und pünktlich um 8:30 schickt uns der befreiende Knall auf die Reise.
Die Strecke führt uns über breite Straßen mit zwei kleinen Anstiegen Richtung Lennep. Die Halbmarathonis stürmen davon, einige der Ultras schonen ihre Kräfte und gehen konsequent auch schon jetzt die Steigungen hoch. Wir starten bei 15 Grad und strahlenden Sonnenschein, nur die Gebäude schützen uns vor der noch tief stehenden Sonne. Zwei Nächte zurück hat die Stadt Werl gerade den Rekord der wärmsten Oktober Nacht Deutschlands nach NRW geholt: Mit 18,5 Grad wurde der Titel Lahr in Baden Württemberg abgenommen, wo er seit 1966 mit 16,7 Grad verweilte.
Auf breiten und abgesperrten Straßen zieht sich das Feld auseinander, es ist genügend Platz vorhanden, das Überholmanöver leicht stattfinden können. Es geht auf der Anhöhe flach Richtung Stadt und die ersten Hot Spots der Zuschauer mit Tröten, Töpfen und Fahnen feuern uns an. Frank nutzt meine Fotopausen und holt auf, zuletzt waren wir uns beim Bilstein begegnet. Leicht bergab, noch vor Erreichen des zweiten Kilometers, kommt die Spitze schon von der Altstadtrunde zurück gerast. Wir kommen an historischen Villen und Gebäuden vorbei, wie jedes Jahr hängt die Sammlung von Röntgenlauf-Shirts an einer Leine über der Strecke.
Der Anstieg führt uns am Röntgen-Museum vorbei, dem bekanntesten Spross von Remscheid und Namensgeber für den 60 km Wanderweg „R“, welcher erweitert um die Altstadtrunde heute unser Weg sein soll. Es geht zurück, wie wir gekommen sind, und nach rund 4 Kilometern sind wir wieder in Hackenberg. Dort biegen wir durch ein Wohngebiet auf den Röntgenweg ein und finden uns sofort im Grünen wieder. Und das Spiel des Tages beginnt: Wir laufen bergab und sehen, wo wir gleich wieder hoch dürfen. Der Halbmarathon, und damit unser erstes Drittel, ist angekündigt mit 405 m steigend und 560 m fallend. Über die gesamte Distanz werden über 1300 Höhenmeter vermeldet.
Schattige Abschnitte sind angenehm, wenn Steigungen und Sonne zusammen kommen ist es schon drückend warm. Der erste Verpflegungspunkt in Halle wird erreicht, die Helfer können kaum den vielen und gierigen Nachfragen nachkommen. Es liegen auch schon die berühmten Knusperriegel aus. Es geht wellig durch Felder und wir bekommen einen markanten Punkt zu sehen, den Wasserturm von Lüttringhausen. Da müssen wir hin, den Turm sehen wir allerdings nicht wieder. Aber nicht zu verfehlen ist der VP vom Lüttringhauser Turnverein an den wir mit Absperrungen, geschützt vom Verkehr, herangeführt werden.
Angenehm sanft rollen wir bergab durch einen Park und erreichen eine der Talsohlen in Lehnhartzhammer. In der Gegend um Remscheid waren viele mit Wasserkraft betriebene Hammerwerke im Einsatz, welche oft Namensgeber für die Orte wurden. Hier treiben uns wieder heiße Rhythmen an, vor der Disco Deja Wü trommelt uns Pentagon über die Strecke. Alle Straßenquerungen sind mit THW oder Feuerwehr großzügig abgesperrt. Der Verkehr wird geregelt und man fühlt sich sicher.
Der dritte VP ist bei km 15 erreicht und wir steigen wieder langsam nach oben. Ein toller Blick auf Remscheid ist in der Spät-Oktober-Sonne besonders schön. Inzwischen füllen sich die Wege mit Spaziergängern und teils ist Slalom Laufen angesagt. Zum Kilometer 18 erfolgt der Trail Anstieg über den Eselspfad und ich freue mich schon auf den Champagner, wenn wir oben sind! Doch was ist das? Dieses Jahr gibt es keinen Gipfelsekt! Schade, ich hatte mich darauf gefreut.
Oben ein paar Meter gerade über Teer, dann geht’s auf der anderen Seite genauso steil wieder bergab nach Heusiepen. Jetzt folgt mein Lieblingsstück: auf 2 km geht es vorbei am Zillertal um etwa 80 HM runter und schon ist das Halbmarathon Ziel erreicht. Die Wege sind durch Laub bedeckt und man ist bei jedem Schritt gespannt, was wohl darunter liegt. Einige Stürze zeugen von bösen Überraschungen. Ich tobe mein kurzes Runners-High aus und genieße. Die meisten Läufer verlassen im linken Zielkanal die Strecke und holen sich ihre wohlverdiente Medaille für den Halben, wir biegen rechts ab und finden den nächsten VP vor. Clemenshammer ist erreicht, die Staffeln wechseln, ein Drittel ist geschafft.
Es geht nach Breitenbruch bei km 23, über Aue und Prangerkotten, zum VP des RSV, bis wir hinter dem Kilometet 27 die tiefste Stelle der Strecke in 123 m Höhe passieren. Immerhin 224 m unterhalb der höchsten Stelle, welche wir bei km 1 und 4 zwischen Hackenberg und Lennep erklommen hatten. Auf dem jetzt folgenden kurzen Anstieg zwischen Gockelshütte und Schimmelbusch geht es auf schmalen, steinigen Pfad in Serpentinen ca. 50 m gefühlt senkrecht hinauf. Da wird das Geländer schon mal gerne zu Hilfe genommen. Oben angekommen, weist uns ein freundlicher Helfer den Weg, aber ein Gipfelwasser hält er nicht bereit. „Zu gefährlich, es kommen noch zu viele Kurven!“ wird meine Anfrage pulverisiert. Durstig geht’s weiter, dafür jetzt erstmal schön flach.
Kurz vor Kilometer 30 erreichen wir mit der Müngstener Brücke ein weiteres Strecken-Highlight. Die 107 m hohe Stahlbrücke aus dem Jahre 1897 ist die höchste Eisenbahnbrücke Deutschlands. Dieses Jahr kommen wir in den Genuss, dass sich laut pfeifend ein Zug nähert und kurz danach über die Brücke poltert. Zu sehen ist von hier unten leider nichts davon. Wir kämpfen uns parallel zur Wupper in Richtung Solingen, die Wege führen meist über blätterbedeckte Waldautobahnen, die sich bei dem trockenen Wetter gut laufen lassen Die Temperatur hat inzwischen 21 Grad erreicht. An romantischen Bachläufen entlang passieren noch ehemalige Hammerwerke bei Tyrol.
Im stetigen hoch und runter lässt unser Tempo im zweiten Drittel gewaltig nach. Die Cut-Off Zeit für den Marathon mit 6 h sehen wir nicht in Gefahr. Aber das letzte Drittel zum Ultra, den härtesten Abschnitt der Strecke, müssten wir in 3 Stunden schaffen. Es finden Beratungen statt, Melanie möchte gerne weiter, Lars würde es sicher noch schaffen, Martina und ich sehen das Ultra Finish in Gefahr. Hier kommt uns entgegen, dass die Möglichkeit beim Marathon auszusteigen, gegeben ist. Im Freibad Eschbachtal beenden wir das Rennen. Lieber den Marathon sicher als mit Ultra ein drohendes DNF.
Um uns herum denken noch einige so, ganz schnell sind wir zu neunt. Die letzten 2 Flaschen Finisher Bier teilen wir uns zu viert, danach ist der Ziel-VP mit dem Gerstensaft geplündert. Wir erfahren, dass die warmen Temperaturen für deutlich mehr Absatz an Getränken geführt hat.
Peter kommt ins Ziel, wir bejubeln ihn, denn seine mit einer Zwei beginnenden Startnummern zeigt, dass er sich noch auf der Strecke entschieden hat, statt des geplanten Halbmarathons, doch die Königsdistanz in Angriff zu nehmen. Auch dies ist hier möglich. Herzlichen Glückwunsch Peter zu deinem ersten Marathon. Frank und Natascha sind die nächsten, beide nehmen glücklich die Marathon Medaille entgegen und freuen sich auf den Shuttle Bus ins Ziel.
Auch wenn ich mich zum zweiten Mal dem Ultra verweigert habe, schön war es wieder bei dem Röntgenlauf. Und Organisator Peter meint ganz nüchtern: „Auf einen neuen Versuch 2023.“
Recht hat er! Höchste Zeit wieder fit zu werden und neue Ziele zu stecken. Also bis bald.
Marathon
Männer – 58 im Ziel
1. Felix Ehmke – TriForce-Vital RS – 3:05:48
2. Dennis Mehlfeld – Lübecker SC – 3:14:43
3. Marek Wentges – Düsseldorf – 3:21:22
Frauen – 28 im Ziel
1. Johanna Köster – Oberhausen – 4:00:05
2. Silvia Sprenger – LSF Münster – 4:06:26
3. Dr. Leonie Zerweck – Tübingen – 4:12:29
Ultra 63,3 km
Männer – 97 im Ziel
1. Christoph Verhalen – TuS Xanten – 4:36:34
2. Christian Jakob – 1.FC Lokomotive Leipzig - 4:57:28
3. Till Brunecker – Mr & Mrs. Minime - 4:59:52
Frauen – 25 im Ziel
1. Anna-Lina Dahlbeck – TuS Xanten – 5:09:07
2. Stephanie Schöffzeck – Serious Running – 6:21:03
3. Lisa Römer - Haan - 6:28:42
100 km
Männer – 75 im Ziel
1. Sascha Lange – Remscheid – 9:11:51
2. Manuel Palecki – Grafenwöhr – 9:37:29
3. Patrick Pape – Bochum – 9:37:29
Frauen – 14 im Ziel
1. Simone Durry – TG Neuss – 10:24:51
2. Claudia Gösche – Tri-Team Stadtwerke Mühlacker – 11:44:33
3. Lina Rieper – Hamburg Running – 11:54:30