Kilometer sieben. Die erste V-Stelle wartet. Zum Teil sind links und rechts der Laufstrecke die Tische aufgestellt. Wir bekommen Wasser (nicht nur von oben, sondern hier auch in Bechern!), es gibt aber auch kalten und warmen Tee, Iso, Cola, Bananen und Riegel. Und andere Hausmannskost wird auch noch gereicht. Doch davon später.
Kilometerschilder sind zu Beginn einzeln aufgestellt, später nur alle fünf Kilometer. Ja, auf dem langen Kanten ist das gar nicht so schlecht, so kann man sich auf die gegenwärtigen Streckenteil konzentrieren. Es gilt auch hier, sich die lange Strecke aufzuteilen. Eine Schweinshaxe frisst man auch nicht mit einem Bissen.
Kurz danach geht es in ein Tal hinab. Der unbefestigte Feldweg ist mittlerweile nur für Nagelschuhe geeignet, deshalb weichen wir nach rechts in die weiche Wiese aus. Da geht es auch nicht besser voran. Gerne würde ich sehen, wie es einen in den Dreck haut – lassen wir das, nicht dass ich der Erste bin.
Kurz nach Kilometerschild zehn überqueren wir die Autobahn 1. Gehupe kommt von den Autofahrern. Gut eine Stunde bin ich unterwegs. Für zehn Kilometer. Na servus. Das wird eine Bombenzeit, zumal das erste Drittel mit minus 420 und positiven 265 Höhenmetern eigentlich gefällig ist. Ein Mitstreiter sagt uns eine Endzeit von unter sieben Stunden voraus.
Später berichtet mir Jörg Nawrot, der hier ganz in der Nähe zu Hause ist, vom Köln Marathon. Da wurde er bei Kilometer 30 von Gästen einer Eckkneipe mit „Haltet durch!“ motiviert. Und die Zecher hielten sich dann die Bierwampen beim Lachen: „Wir halten hier auch durch“. Er ist eine Frohnatur und wird auch durchhalten. Steht auch auf seinem Shirt. Röntgenlauf – da simmer dabei, das ist seine Vereinsbezeichnung.
Wir umlaufen Lüttringhausen zur Hälfte. Wer jetzt meint, dass die Strecke größtenteils durch Ortsgebiete verläuft, der irrt. Es sind nur wenige Stücke durch bebautes Gebiet, meistens sind das nur kleine Weiler, die wir tangieren. Die wenigen Straßenüberquerungen sind von Polizei, Feuerwehr und Helfern vorbildlich gesperrt. Wir wurden trotzdem hingewiesen, dass mit Autoverkehr zu rechnen sei und dass man sich verkehrsgerecht verhalten solle.
Etwa bei Kilometer 17 kommt eine Spezialität: Vor einem übelst morastig ansteigenden Singletrail weist ein Schild auf eine Wahl hin, Prosecco oder Gänsewein. Rückstau, wie auf der Autostrada vor einer Baustelle. „Die sollen laufen, nicht saufen,“ so Jörg, „damit wir noch Prosecco bekommen“. Oben wird dann das Traubengetränk ausgegeben, ich greife gerne zu. Wasser können die anderen saufen.
Bei Kilometer 20 kommen wir ins Zillertal. So heißt nämlich eine Gaststätte. Nach weiteren fünf Minuten Laufzeit nähert sich das Ziel der Halbmarathonis. Bei Clemenshammer haben die zahlreichen Halbmarathonis Feierabend oder sie übergeben den Zeitchip an den Nachfolger. Gleich nach dem Zielbogen biegen wir rechts ab. 2:10 Stunden Laufzeit, nicht gerade berauschend für 21 Kilometer. Gleich ist es auf der Strecke ruhiger.
Das zweite Streckendrittel ist mit 272 positiven und 229 negativen Höhenmetern fast ausgeglichen. Ich bin gespannt, wie es weiterläuft. Der Regen hat mittlerweile nachgelassen. Es nieselt nur noch leicht.
Es geht im Morsbachtal weiter. Immer wieder auf und nieder. Nicht nur einmal holen wir uns einige Höhenmeter auf Kilometerfresserpassagen (das glaube ich im Rennen felsenfest), die wir dann wieder abgeben. Später überqueren wir eine Hauptstraße und dann geht es steil nach oben. An der Seite sind Drahtseile gespannt. Nicht nur ich hänge in den Seilen, auch der weiche Boden verlangt einen weiteren Fixpunkt. Den Fuß kann es hier leicht wegziehen. Seit kurzer Zeit überholen wir die Hunderter. Die meisten davon haben Trinkrucksack oder Getränkeflasche dabei. Denn die ersten 30, 40 Kilometer mussten die sich selbst versorgen.
Kurz nach Kilometer 30 kommen wir zu einem Höhepunkt. Die Müngstener Brücke. Das ist heute die höchste Eisenbahnbrücke in Deutschland. Sie überspannt das Tal der Wupper in 107 Meter Höhe und verbindet damit Remscheid mit Solingen. In diesem Jahr wurde aufgrund von Lagerschäden Einschränkungen im Verkehrsbetrieb verhängt.
Im Tal der Wupper hängen einige Nebelbänke. Die nächsten Kilometer verlaufen nun auf einen eher besseren Waldweg. Keine tiefe Stellen sind mehr vorhanden, aber Drecklachen warten weiterhin. Und wenn die Schuhe schon „saubär“ sind und die Strecke geht durch die Pfütze, läuft dann der Sportler drum herum? Eher nicht. Es kommt dann eine Streckenkontrolle. Entweder haben die eingepackt und sind heimgegangen, oder sie überwachen uns aus dem Unterholz. Ich sehe allenfalls nichts.
Mittlerweile wird die Wolkendecke lichter, für einige Sekunden kommt sogar die Sonne heraus. Dann zieht es zu und es fängt wieder an zu regnen. Vor mir zieht einer seine Jacke an. Den 40. Kilometer erreiche ich nach 4.15 Stunden Laufzeit. Gleich kommt das Marathonziel. Und da könnte man aufhören, wenn der Schweinehund zum Imperator aufgestiegen ist. Marathonis können auch auf den Ultra verlängern. Gibt es so Verrückte, die noch was draufgesattelt haben?
Gefällig erreiche ich das Marathonziel am Freibad Eschbachtal. Die Marathonläufer halten sich rechts, wer weiter will, läuft links. Ein Moderator spricht jeden an. Ein paar Meter weiter finden wir eine reich gedeckte V-Stelle. Auf ins letzte Drittel.
Das ist wieder schwieriger. Denn den 213 negativen stehen 312 positive Höhenmeter entgegen. Mir graust es bei der Vorstellung, sollte der Schlussanstieg der gleiche Streckenteil wie bei Kilometer fünf bis sieben sein. Später höre ich, dass wir das Ziel von der anderen Seite erreichen werden.
Wir unterqueren einen guten Kilometer später die Autobahn 1 an der Raststätte Remscheid. Und dann führt uns ein langer Anstieg mit einzelnen Stufen empor. Zum Schluss mit einer Betontreppe. Es werden fast die Sachsen bemüht. Immer wieder kommen Läufer von hinten. Ich sehe die Startnummern mit sieben beginnend. Staffelläufer! Hätte ich auch an den sauberen Wadeln sehen können.