Am Ende der Steigung können wir einen Blick auf die Eschbachtalsperre werfen. Die wurde 1891 als die erste deutsche Trinkwassersperre eröffnet. Gespeist wird sie vom Eschbach, in dessen Tal wir seit einigen Kilometern, mal unten, mal auf halber Höhe entlanglaufen. Da gab es bis Anfang des 20. Jahrhunderts viele Mühlen und Hammerwerke.
An einer Straßenüberquerung stehen einige Frauen und feiern uns, auf dem Boden steht eine leere Sektflasche. Ist das der Grund für die Fröhlichkeit?
Kilometer 48. Ich sehe den Sascha eine dunkle Flüssigkeit trinken. „Ist Holundersaft und gesund“ erklärt er auf meinen fragenden Blick. „Willst auch einen?“ fragt einer der Helfer. Holunder ist gut fürs Blut. Ich nicke und sehe, wie die Flüssigkeit aus einer Glasflasche abgefüllt wird. Holunderlikör. Ich höre mich nicht „nein“ sagen.
Einen Kilometer weiter, Nähe Bombach, führt der Kurs etwa 200 Meter durch eine Wiese. Das Geläuf schaut jetzt aus, als wenn Panzer durchgefahren wären. Ja und Minen in Form von Kuhsch... sind auch verlegt. Bei Kilometer 50 wird eine Zwischenzeit genommen. „Super“, sagt der Helfer der Zeitmessung. 5:20 Stunden. So eine schlechte Zeit auf 50 Kilometer hatte ich noch nie. Schnell weg.
Mittlerweile nehmen die Steigungen wieder zu. Ein kleiner Bach wird mittels eines vom THW aufgebauten Steges überwunden. In einem Pferch wetzt sich ein Pferd an einem Telegrafenmast seinen Hintern. So was habe ich noch nicht gesehen. Ich kenne nur den Spruch der Wildsau, die sich an einer deutschen Eiche wetzt.
Kilometer 53: Der Himmel auf Erden für mich. Es gibt auf der V-Stelle Bier. Kein Bier, sondern Kölsch, auch für das gilt das Reinheitsgebot. Da lass ich doch Tee und Cola stehen. Zwei Becher für die unersättliche bayerische Freibiergurgel. Zum Wohl.
Ein Stückchen weiter sitzt Thomas Wille auf einer Bank. Der lässt sich erst nach meiner Androhung, das Bild ins www zu stellen, zum Aufstehen bewegen. Dann wird ein Bekannter überholt. Dieter Ehrenberger ist heute auf den 100 Kilometer unterwegs. „Jetzt ist es ein Leistungswandern geworden,“ erklärt er. Kein Wunder, liegen doch schon gut 90 Kilometer hinter ihm.
Wir bleiben ein Stück zusammen und vertreiben uns die Zeit. Wobei sich bei mir eine Krise einschleicht. Nicht ich, der weniger Kilometer in den Füßen hat, sondern der Dieter ist meist einen Schritt voraus. War das zweite Glas Kölsch zuviel? Ich glaube das fast und rechne schon mit zwei Stunden Zeit für das restliche Wegstück.
An der folgenden V-Stelle bei Kilometer 58 gibt es wiederum reichlich Auswahl und gleich drei Biervarianten: Hell, Pils und Bockbier. Wobei ich bei meinem „maladen“ Zustand jetzt zum alk-freien Malzbier greife. Ein Schokostückchen lässt sich nur mit Gewürge und einem kräftigen Schluck an den eigentlichen Verwendungsort befördern.
Seit geraumer Zeit verläuft der Kurs entlang der Wuppertalsperre. Von der Planung bis zur Fertigstellung in 1989 dauerte es über 30 Jahre. Sinn und Zweck der Sperre sind die Gewinnung von Betriebswasser (für Industrie), Hochwasserschutz und Wasserkrafterzeugung. Zunehmend geht es mir wieder besser. So kann ich einzelne kleine Steigungen wieder laufend bezwingen und lasse so den Dieter hinter mir.
Auf der gegenüberliegenden Seite leuchten nun die Bäume mit ihrem bunten Herbstlaub im nun schönsten Sonnenlicht. Vereinzelt spreche ich 100-Kilometer-Läufer an. So komme ich an einen Mann aus Russland. In Englisch geht der Gedankenaustausch mit Kirill Tsvetkov ganz leidlich.
An der letzten V-Stelle wird nach einem Becher Cola durchgestartet. Irgendwie komisch, die Schwächephase ist überwunden. So laufe ich den letzten flachen Kilometer entlang der Sperre im Galopp und muss an der folgenden Steigung (insgesamt 60 Höhenmeter) nur ein kurzes Stück im Gehschritt zurücklegen.
Dann auf der Hochfläche ruft ein Zuschauer : „Es geht nur noch bergab.“ Und in der Tat, der Zielsprecher ist schon zu hören. Im Ortsgebiet geht es gefällig ins Ziel, wo jetzt viele Zuschauer und Betreute stehen und klatschen. Ich bin zufrieden, dass ich den langen Kanten mit 63,3 Kilometern und 860 Höhenmeter noch unter sieben Stunden geschafft habe. Meine 6.51.57 Stunden bringen mich auf den 20. Alterklassenplatz. 257 Finisher stehen in der Liste der Ultras.
Im Ziel wird eine spezielle Medaille übergeben. Verpflegung ist reichlich. Als Spezialität wird eine Marathonschnecke angeboten. Schaut aus wie eine Nussschnecke, jedoch mit Sesam, Honig, Marzipan und Rosinen. Dazu ein Erdinger.
Fazit:
Kein leichter Kurs auf dem Ultra. Ständiger Wechsel zwischen Auf und Ab. nterschiedlichste Wegbeschaffenheit, der durch den Regen am Anfang und durch die vielen Läufer auf dem unbefestigtem Teil aufgeweicht wurde. Positiv, dass noch während des Rennens vom Ultra auf Marathon umdisponiert werden kann. Gute Stimmung und viele Zuschauer in den Ortschaften und bei den V-Stellen. Viele zupackende und freundliche Helfer. Top-Verpflegung mit verschiedenen, zum Teil angewärmten Getränken und Festnahrung. Der 100-Kilometer-Lauf sowie die After-Run-Party sollen eine einmalige Sachen bleiben. 4200 Teilnehmer waren am Start. Der Röntgenlauf hat mich nicht zum letzten Mal gesehen.