Fotos: Natascha Sambach und Kay Spamer
Heute ist Freitag. Seit zwei Tagen habe ich Zahnschmerzen und der Marathon naht. Lieber heute noch zum Zahnarzt, bevor es am Wochenende vielleicht noch schlimmer wird? Ich sitze im Behandlungszimmer. Ich zeige ihm, wo es überall schmerzt; „Da muss ich erst einmal eine Röntgenaufnahme machen“ ist seine Antwort.
1860 im Spätherbst, in Frankfurt am Main im Haus zum Standesamt auf dem Römerberg laboriert ein Mann mit Kollodium, Jodsalz und Höllenstein. Der Chemiker Dr. Carl Schleussner. Er stellt die ersten Spezial-Röntgenplatten der Welt her. Würzburg, im November 1895. Der in Lennep gebürtige Prof. Röntgen entdeckt die unsichtbaren Strahlen und schreibt an Dr. Schleussner in Frankfurt: „Für die mir gesandte Kollektion photographischer Trockenplatten sage ich Ihnen meinen besten Dank. Die ersten Bilder durchleuchteter Körperteile sind entstanden.
In der Archäologie wird die Röntgenaufnahme beispielsweise zum Durchleuchten von Mumien genutzt, wenn deren „Verpackung“ nicht zerstört werden soll. Oder beim Zoll bei Überprüfung eines Zuges zur Vermeidung von Menschenschmuggel. In Deutschland wird öfters geröngt und geschallt als in vielen anderen Ländern.
Samstag, 9:00 Uhr. Interviewtermin bei HR3 zum Frankfurt Marathon. Nach dieser Aufregung weiter nach Remscheid. In der Sporthalle erhalten wir unseren Röntgenpass, beziehungsweise die Startunterlagen mit der Startnummer und ein Glückslos. Preise werden hier nicht an Altersklassensieger vergeben, sondern an die Läufer mit dem richtigen Los. Eine kleine Läufermesse ist auch vor Ort.
Horst Tappert und Dieter Borsche am Munsterplatz
8:00 Uhr abends. Die Straßen sind leergefegt, die Häuser liegen im Halbdunkel. Bläuliches Licht dringt durch die Fensterscheiben, ab und an huscht ein Schatten vorbei. So sah es in Deutschland im Januar 1962 aus, als die letzte Folge des "Durbridge-Straßenfegers", "Das Halstuch", im Fernsehen lief. Aber auch heute ist die Altstadt wie ausgestorben - die Lokale fast alle geschlossen. Und ohne Reservierung bekommt man keinen Platz in einem der wenigen geöffneten. Lediglich die Museen sind geöffnet, denn es ist die „Lange Nacht der Kultur“. Tatsächlich entstanden 1961 die Außenaufnahmen für den sechsteiligen Krimi-Klassiker "Das Halstuch" rund um den Marktplatz in Lennep.
Bewegen bringt Segen
Noch 30 Minuten bis zum Start. Es ist kein ungewohntes Bild mehr, wenn eine Läuferschar innerhalb der ökumenischen Andacht motivierende Psalmen betet. Wer beim Training seinen inneren Schweinehund zu oft nicht überwinden konnte, der hofft nun, sozusagen auf den letzten Drücker, auf Gottes Beistand. Besonders vertrauenswürdig ist der Pfarrer und Ultraläufer Reimund Lenth, denn er weiß wovon er spricht: Das sechste Mal geht er heute auf die Ultra-Röntgenrunde.
Zum Röntgen, bitte!
…die Kleider ablegen und alle in einer Reihe aufstellen. Es ist 8:30 Uhr – Winterzeit! „Der Nebel steigt, es fällt das Laub“, so beginnt Theodor Storm’s Oktoberlied und wie damals, ist dichter Nebel. Einmal waren wir bereits hier in Lennep, das war 2004. Kay bewältigte den „Röntgenweg“ mit einer Gesamtlänge von 63,3 Kilometern, während ich auf der klassischen Marathondistanz unterwegs war. Mal sehen, wie weit wir heute laufen werden. Während in Frankfurt heute um Bestzeiten gekämpft wird, kämpft man hier mit der Entscheidung, nach gelaufenen 21,1 Kilometern auf Marathondistanz zu verlängern, oder gar einen Ultra zu finishen. Auf dem „Röntgenweg“ ist dies möglich. Der Kleiderbeutel wird dann entsprechend weiter transportiert. Jedoch sollte nach 5:45 Stunden die Durchgangszeit für den Marathon erreicht sein, sonst kommt man nicht mehr in die Ultra-Wertung.
Wir laufen durch die Altstadt von Lennep. Zwischen 1259 und 1276 erhielt der Ort die Stadtrechte und gehört damit zu den ältesten Städten des Bergischen Landes. Lennep erlebte den Krieg, Seuchen und wurde immer wieder von verheerenden Bränden heimgesucht. Der letzte große Stadtbrand im Jahr 1746 zerstörte nahezu die gesamte Stadt. Jedoch wurde diese nach einem überlieferten Stadtgrundriss wieder aufgebaut. Und da laufen wir nun, auf granitgepflasterten Gassen, mitten im „Bergischen Barock“.
Das laufende Skelett ist das Markenzeichen des Röntgenlaufs und so hängt eine Reihe Finisher-T-Shirts aus den Vorjahren über unseren Köpfen. Die Leine wurde an zwei gegenüberliegende Häuser, die diesen für diese Region typischen schwarzen Anstrich haben, gespannt. Aus weiß angestrichenen Fensterrahmen blicken einige Bewohner auf das Treiben in der Stadt. Fast alle Häuser im Ortskern sind mit Schiefer verkleidet. Besondere Bauwerke sind das Alte Rathaus und natürlich das Haupthaus des 1932 eröffneten Röntgenmuseums. 116 Häuser des Stadtkerns stehen unter Denkmalschutz. Wir sind noch nicht einmal richtig warmgelaufen, da kommt uns bereits das Spitzenfeld auf dem parallel verlaufenden Bergabstück entgegen.