21,1 Kilometer, 265 Höhenmeter bergauf und 420 Höhenmeter bergab. Die Halbmarathonläufer sind im Ziel und Natascha auch. Wir sind sehr stolz auf unsere Tochter. Sie entschied sich erst auf der Läufermesse, hier ihren ersten HM zu laufen und das fast ausschließlich mit Balletttraining! Wie gut, dass ich immer ein paar Kleidungsstücke mehr einpacke und auch grundsätzlich ein paar Reservelaufschuhe dabei habe. Denn, bei Kindern, seien sie auch erwachsen, muss man auf alles gefasst sein. Schnell noch ein Zielfoto und wir laufen weiter. Wir sehen unglaublich viele Ultraläufer, die man gut an der Startnummer erkennen kann. „Reine“ Marathonläufer sieht man dagegen eher selten. Bei Kilometer 28 kommen wir zur zweiten steilen Passage.
Etwa bei Kilometer 30 versteckt sich der romantisch gelegene 1901 errichtete Diederichstempel Müngsten. Allerdings muss man für diesen einzigartigen Ausblick auf die Müngstener Brücke und ins Tal hinunter zur Wupper einen kleinen Umweg in Kauf nehmen. Der Pavillon liegt nicht direkt an der Laufstrecke, trotz allem lohnt sich dieser Umweg. Hätte ich jetzt auch nur einen einzigen Wunsch frei, so wünschte ich mir die Prosecco-Verpflegung von Kilometer 18. - Ich wäre doch glatt dort sitzen geblieben.
Bis zum 1.11. 2011 muss der förmliche Antrag beim Bauministerium eingegangen sein. Die Müngstener Brücke soll in die NRW-Liste zur Bewerbung für das Weltkulturerbe aufgenommen werden. Doch der Weg bis zu der „Adelung“ der Brücke ist noch weit. Zehn Jahre könnten bis zu solch einem Augenblick ins Land gehen. Die Einzigartigkeit dieser Brücke besteht in ihrer Bauweise: Als erste wurde sie im sogenannten „freien Vorbau“ errichtet. Ein Wagnis, das gelang. Bis heute werden Brücken nach dieser Methode gebaut.
Die Müngstener Brücke überspannt in einer Länge von 465 Metern das Wupper-Tal. Mit 107 Metern Höhe ist der „Eiffelturm des Bergischen Landes“ die höchste Eisenbahnbrücke Deutschlands. Nun laufen wir unter der Brücke hindurch und ein Schild warnt: „Pilze sammeln im Bereich der Brücke verboten“. Im direkten Umfeld der Brückenstützpfeiler wurden hohe Bleikonzentrationen im Oberboden festgestellt. Verursacher für diese Schadstoffanreicherung sind jahrelange Erschütterungen, Korrosion und Farbabblätterungen durch Bauarbeiten an der Brücke. Für die Läuferinnen und Läufer im Bereich der Müngstener Brücke besteht aber keine Gefahr.
Wer hat hier und heute schon Zeit zum Pilze suchen? Auf den nächsten Kilometern geht es leicht und stetig bergauf. Zu leicht um zu gehen. Bei Kilometer 31 überqueren wir die Wermelskirchener Strasse. Ein Schild zeigt uns den letzten Kilometer bis in unser Ziel – oder sollen wir doch weiterlaufen? Keine gute Idee heute. Mir macht mein Rücken zu schaffen. Einfach zu wenig Ausgleichsgymnastik gemacht.
Kilometer 34 stand auf einem Schild an der Verpflegung. Immer wieder bekommen wir warmen, sogar heißen Tee angeboten, selbst das Wasser ist hier nicht kalt. Mit Vollgas auf der Überholspur bergab. Das gibt einen schönen Muskelkater; wir rennen an dieser Stelle viel zu schnell. Genau daran werden wir Morgen noch denken, wenn sich der Muskelkater bemerkbar macht. Willkommen in der Folterkammer der Ausdauer. Stimmt die Erkenntnis, dass Muskeln chemische Signale freisetzen, die Fettdepots auflösen, das Immunsystem beeinflussen oder Diabetes verhindern – und nach neuesten Ergebnissen sogar auf das Gehirn einwirken? Es muss ja was dran sein – so viele Ärzte hier können sich einfach nicht irren.
So mancher von uns hat einen Ärztemarathon hinter sich, aber nicht jeder Arzt einen Marathon. Heute findet hier die Deutsche Ärztemeisterschaft statt. Nun ist mir alles klar. Hatte ich doch unseren Hausarzt auf der Starterliste entdeckt. Bloß sehen kann ich ihn nicht. Vorschlag an die Organisatoren: Lasst die Ärzte in ihren weißen Kitteln laufen, während des Laufes findet dann ein Speed-Dating statt und eine Läuferdiagnose gibt es für 10 EURO. Orthopäden erhalten entsprechend mehr.
Einige Zeit laufen wir nun schon am wasserreichen Eschbach entlang. Er war seit dem 17. Jahrhundert einer der fleißigsten Bäche Remscheids mit Hammerwerken und Schleifkotten. Überall gibt es Spuren der industriellen Vergangenheit. Als Hymne des Bergischen Landes gilt das im Jahre 1892 erstmals öffentlich aufgeführte Bergische Heimatlied, das die Landschaft im Stil der wilhelminischen Zeit charakterisiert: „Wo die Wälder noch rauschen, die Nachtigall singt, die Berge hoch ragen, der Amboss erklingt.“ Auf den letzten Kilometern kommt nun doch noch die Sonne durch den Nebel. Endlich sieht man die schönen Farben des Herbstes. Wie in Wellen führt die Strecke nun bis ins Marathonziel.
Für uns ist hier und heute am Freibad Eschbachtal, unterhalb der Eschbachtalsperre, das Rennen zu Ende. Es ist 13:30 Uhr. Wir bekommen eine schöne Medaille umgehängt und holen uns eine süße „Marathonschnecke“ zum Kaffee, denn nach einer Bratwurst steht uns im Moment nicht der Sinn. Wir haben genügend Zeit zum Duschen ziehen es jedoch vor, direkt mit dem Pendelbus nach Lennep zurückzufahren. Im Bus denke ich an Klaus, der seinen spektakulären Zieleinlauf in der Frankfurter Festhalle noch vor sich hat. Auch für die Ultras die jetzt (nur) noch einen Halbmarathon vor sich haben, wird es nun hart. Jedoch getreu dem Motto: „Willst du schnell gehen gehe alleine, willst du weit gehen, gehe mit anderen“ sehen wir diese noch vom Bus aus in Grüppchen ihres Weges weiterziehen.
Ziel:
Vor dem Röntgen empfehlen wir die schöne Medaille abzunehmen. Jetzt würde mich noch interessieren, welcher durchleuchtete Mensch auf unserem Finisher-T-Shirt Modell gestanden hat.
Auslaufen
Wie bei einer Röntgenuntersuchung wird dieser Lauf dokumentiert und folgende Angaben werden festgehalten: Art der Untersuchung (Streckenlänge), Ergebniss der Untersuchung (Zielzeit) sowie das Datum der Untersuchung.
Marathon
Männer
1 Breer, Robin TV Gronau 02:45:18
2 Velten, Sascha Lüttringhauser TV 02:49:04
3 Meyer, Jens LT Bittermark Dortmund 03:06:42
Frauen
1 Neumann, Ines SV 09/35 Wermelskirchen 03:38:53
2 Esser, Anke Köln 03:56:54
3 Spengler, Friederike BSG Springorum Bochum 04:07:58
224 Finisher
Ultramarathon (63 km)
Männer
1 Hesse, Jörn Delligser SC 04:43:24
2 Wildschütt, Alexander TV Frisch Auf Lennep 04:53:52
3 Döhnert, Rudi RUNNERS POINT Remscheid 04:55:13
Frauen
1 Dauben, Conny PV Witten/TSG Sprockhövel 06:02:27
2 Gärtner, Elke LC Olympia Wiesbaden 06:08:43
3 Hoffmann, Sigrid SC Selters 06:11:21
383 Finisher