An Donnerstagvormittag sitze ich im Zug von Stuttgart in Richtung Luzern und freue mich schon riesig auf den bislang längsten und anspruchsvollsten Lauf meiner bisherigen Läuferkarriere. Der Rütli Ultra Trail soll in Summe 175 km lang und mit 11 500 Höhenmeter gespickt sein. Das ist schon eine ordentliche Hausnummer für mich, aber ich bin entschlossen, deutlich vor dem Zeitlimit von 72 Stunden ins Ziel zu kommen…. noch!
Um 14 Uhr treffen wir uns im Hotel „Basler Tor“ in Luzern. Da wir lediglich 9 Starter sind, werden schnell Kontakte untereinander geknüpft. Es herrscht jetzt schon eine sehr angenehme Atmosphäre, was nicht zuletzt auch an den Veranstaltern Guido und Micha lag, die sich richtig ins Zeug legen.
Nach dem Kennenlernen geht es zum Essen, anschließend folgt das ausführliche Briefing, bei dem Guido und Micha noch mal auf alle heiklen Streckenpunkte eingehen. Da die Strecke nicht markiert ist, muss sich jeder Läufer anhand des im Vorfeld gelieferten GPS-Tracks und der ausgehändigten Karten orientieren, was den Lauf natürlich nicht einfacher macht.
Micha und Guido kontrollieren noch das komplette Pflichtmaterial, was sehr umfangreich ist, aber nur der eigenen Sicherheit dient. Die restliche Zeit bis zum Start um 0:00 Uhr nutzt jeder, wie er mag. Ich mache einen kleinen Stadtbummel, nehme einen Snack und ein Bierchen. Schlafen könnte ich nicht.
Um 23:00 Uhr trifft dann jeder seine letzten Vorbereitungen, bevor wir uns um 23:20 in der Lobby des Hotels treffen. Dort geben wir unseren Drop Bag ab, das uns dann in Altdorf und in Stans zur Verfügung stehen wird.
Kurz vor 0:00 Uhr stehen wir allesamt an der Kapellbrücke in Luzern. Nach ein paar Fotos zählen wir die letzten Sekunden bis zum Start runter und setzten uns in Bewegung. Guido läuft anfangs vorne weg, bis wir die Hauptstraße überquert haben und dann geht’s los. Toni läuft erst einmal vorne weg, der Rest der Gruppe bleibt relativ dicht zusammen, bis wir Luzern verlassen. Dann teilt sich der Rest der Gruppe auf. Leicht wellig geht es die ersten 15 km bis nach Küssnacht. Dieser Teil der Strecke ist relativ leicht zu laufen, es gibt keinen großen Anstieg, dennoch versuche ich mich zurück zu halten. Ich werde die Energie im weiteren Verlauf des Rennens noch brauchen.
Den ersten VP erreiche ich nach 15 km am Bahnhof in Küssnacht. Nach einer kurzen Stärkung geht es wieder auf die Strecke. Es wird ernst. Auf den folgenden 30 km gilt es 1880 Höhenmeter zu überwinden. Das erste Zwischenziel ist der Gipfel der Rigi auf 1793 m. Hier müssen wir als Nachweis ein Foto von uns und dem Gipfelkreuz machen, das dann am nächsten VP in Brunnen kontrolliert wird. Weiter verläuft die Strecke über die Rigi Scheidegg und den Gätterlipass wieder ins Tal nach Brunnen.
Ich bin viel langsamer, als ich mir das im Vorfeld ausgemalt hatte. Dennoch: Sehr gut gelaunt komme ich am VP 2 an und freue mich erst mal über Kaffee und Marmeladebrote zum Frühstück. Ich unterhalte mich noch ein bisschen, fülle meine Wasservorräte auf und erfeue mich am schönen Wetter auf dem Richtung Riedberg. Die Strecke verläuft hier immer mit Blick auf den See, so macht es richtig Spaß. Bis zum Riedberg sind es 10 km und ca 450 Höhenmeter, bevor es wieder ins Tal zur Tellsplatte runter geht. Auch hier führt der Weg am See entlang.
Langsam merke ich, dass ich schon einige km und Hm in den Knochen habe und es will nicht mehr ganz so locker laufen. Schade eigentlich, denn was nun folgt ist eine ganz ordentliche Herausforderung. Auf den nächsten 10 km sind über 1000 Hm zu überwinden, Ziel sind die Eggberge. Nach dem ersten Drittel des Anstiegs gönne ich mir an einer Hütte eine Cola und 10 Minuten Pause, bevor ich mich wieder den Berg hoch schiebe, der scheinbar nicht enden mag. Nach einiger Zeit sehe ich, dass ein anderer Läufer von hinten näher kommt. Ich warte auf ihn, in der Hoffnung, dass es uns gemeinsam leichter fällt, hier rauf zu kommen. Aber
Matthias hat Probleme mit dem Knie und wird wohl am nächsten VP aussteigen, wir bleiben bis dahin allerdings zusammen und gönnen uns, als wir die Eggberge erreicht haben, erst mal ein Bier. Danach geht es einen scheinbar unendlich langen Abstieg nach Altdorf runter. Über 1000 Hm auf 6 km, das geht schon in die Beine.
In Altdorf erreiche ich dann nach 21 Stunden die erste Drop Bag Station. Ich freue mich auf Duschen, umziehen, essen….Naja die Freude währt nicht lange, leider hat das Hotel sein Versprechen mit den Duschen nicht wahr gemacht. Ich mache mich frisch, zieh mich um, esse etwas und lege mich zwischen Sporttaschen, Stühlen und Tischen eine Stunde aufs Ohr. Tom, der als Supporter dabei ist, möchte mit mir gemeinsam die Strecke bis nach Stans laufen. Das Angebot nehme ich natürlich gerne an, und so machen wir uns mitten in der Nacht auf den weiteren Weg Richtung Isetal und Hinterjochli bis hin zur Klewenalp, wo sich der nächste VP befindet. Es sind ja nur 1800 Hm und 25 km bis dort hin.
Erst mal ist die Strecke auf 7 oder 8 km flach und verläuft am See entlang. Sehen tun wir nichts, außer was im Schein der Stirnlampen zu erahnen ist. Als wir das Hinterjochli erreichen, habe ich den absoluten Durchhänger. Mir fallen immer wieder die Augen zu. Ich schleppe mich teilweise torkelnd über die Strecke.
Nun erwartet uns erst einmal ein Downhill. Der nächste VP Klewenalp ist von weitem auf einem der benachbarten Hügel zu sehen. Klar, alles was wir gerade runter Laufen, müssen wir auf der gegenüberliegenden Seite wieder hoch. Linker Hand ragt der Gipfel des Bouchser Horns empor. Diesen werden wir nach der Pause und einer Stärkung auf der Klewenalp in Angriff nehmen. Nach einem ca. 20 Minuten lagem Nickerchen und einer ordentlichen Stärkung verlassen wir den VP nach einer Stunde. Es geht denselben Weg, den wir rauf kamen wieder nach unten. Ich fühle mich wieder fit und ausgeruht. Es kann so weiter gehen.
Ins Gespräch vertieft, verpassen Tom und ich den Abzweig Richtung Bouchser Horn. Da wir aber nicht komplett zurück laufen wollen, beschließen wir, querfeldein über eine Wiese den Anstieg in Angriff zu nehmen und wieder auf den Track zu kommen. Es ist zwar etwas mühsam, doch es lohnt sich und einige Zeit später sind wir wieder auf dem richtigen Weg. Wir erklimmen den Gipfel und erfreuen uns an der schönen Aussicht. Der Abstieg ist etwas steinig, aber schön zu laufen. Im “Flow“ geht es geradewegs Richtung Stans, dem nächsten großen VP mit Drop Bag Station.
Aber halt, da ist doch noch was. Auf einmal stehen wir vor eine Wiese. Ein Weg ist nicht erkennbar und laut GPS geht es geradewegs am Zaun entlang die Wiese runter. Da wir es nicht besser wissen, folgen wir dem Track und bahnen uns den Weg durch das hohe Gras. „Man muss Opfer bringen im Leben“. So geschehen, als Tom stolpert und daraufhin sein Pole an der Halterung abbricht. Nur gut, dass Tom in Stans aufhören wird und nicht weiter muss, denn ohne Stöcke ist die Strecke noch „etwas“ anspruchsvoller.
Nachdem wir durch sämtliche Wiesen und über Äste, Bäume und Zäune gestiegen sind, führt der Weg wieder in die Zivilisation auf Schotter und Teer nach Stans, bis zum VP beim km 108.
Hier werden wir von den Trail Sisters sehr herzlich empfangen und nach Herzenslust mit Pasta und vielen anderen Leckereien verwöhnt. Hier kann man auch eine Runde im Stroh schlafen, das nutze ich, nachdem ich geduscht habe. Allerdings nerven die Fliegen extrem, so dass ich nur 30 Min aushalte und mich zum Weiterlaufen fertig mache. Micha und ich beschließen gemeinsam loszulaufen.
Ca 18:45 geht es in Begleitung der Trail Sister wieder auf die Strecke. Im flotten Tempo nähern wir uns dem nächten Gipfel, dem Stanserhorn. Rund 1300 Hm gilt es in Serpentinen zu überwinden. Ich staune über mich, wo ich auf einmal diese wahnsinnige Energie herbringe.
Aber beim Abstieg beginnt sich langsam das Wetter zu ändern. Es wir windiger und es beginnt zu leicht zu regnen. Der Gipfel des „Pilatus“, den wir als nächstes und als letzten Gipfel in Angriff nehmen, ist komplett in Regenwolken gehüllt.
Zunächst jedoch erreichen wir nach 1400 Hm Abstieg den letzten VP Alpnach. In einer unscheinbaren Garage ist wieder ein Buffet für uns Läufer aufgebaut, das keine Wünsche offen lässt. Wir ruhen uns kurz aus und stärken uns. Denn der Pilatus, der mit seinen 2100 m vor uns liegt, wird uns im Auf- und Abstieg nochmal voll fordern.
Die nächsten 3,5 Stunden geht es bedingungslos bergan, allerdings auf einem gut zu belaufenden Untergrund. Je höher wir kommen, umso dichter wird der Nebel um uns herum. Als mir am Gipfel ankommen, sieht man kaum die Hand vor Augen. Zum Glück können wir an der Gipfelstation eine Pause einlegen, einen Kaffee trinken und uns umziehen, denn draußen wird es immer ungemütlicher.
Langsam bricht der Tag an und wir machen uns wieder auf den Weg. Es windet, es regnet und es ist neblig. Zuerst ist die Strecke downhill gut zu laufen, doch der dann folgende Abschnitt über die Tellenfadlücke hat es in sich und fordert unsere volle Konzentration, um nicht durch einen Fehltritt abzurutschen. Erschwerend kommt dazu, dass wir einen Abzweig verpassen und der Weg dadurch immer schmaler und gefährlicher wird. Als es nicht mehr weiter geht, drehen wir um und entdecken den richtigen Weg. Der geht erst mal steil und torfig nach unten, bevor wir in ein Meer von Bäumen und Sträuchern eintauchten. Erleichterung macht sich bei uns breit, als wir auch diesen Teil der Strecke hinter uns haben.
Der Rest der Strecke ist zwar teilwiese sehr wurzlig und dadurch nicht so gut zu belaufen, aber nicht so anspruchsvoll. So lassen wir es denn die letzten 15 km über Horw und einen kleinen Anstieg gemütlich auslaufen.
Glücklich und zufrieden erreichen Micha und ich nach 60 Stunden die Kapellbrück in Luzern, wo wir von den vielen fleißigen Helfern sowie von Racedirektor Guido und Rita erwartet werden.
Ich werde diesen Lauf nie vergessen und kann jedem ambitionierten Trailrunner empfehlen, den Rütli Ultra Trail einzuplanen.
Warum? Weil alle Beteiligten so sehr viel Herzblut und Leidenschaft in die Organisation und die Umsetzung dieser Idee legen, dass man sich einfach nur wohl fühlen kann. Es ist alles perfekt durchdacht und jeder Läufer mit sooo viel Herzlichkeit aufgenommen und versorgt, dass keine Wünsche offen bleiben.
Ich bin stolz darauf, Teil der ersten Austragung des Rütli Ultra Trails zu sein und somit auch Teil seiner Geschichte.