Ein manchmal steiler Trail mit technisch viel Abwechslung führt wieder zur Saar hinab. Gegenüber von Saarhölzbach laufen wir kurz am Ufer entlang, dann folgen wir einem Bach bergauf. Nach einigen beruflich sehr stressigen und frustrierenden Wochen ist diese Strecke exakt die Medizin, die ich brauche. Ich fühle mich, als hätte ich eine Flasche voller Glückshormone leer getrunken. Das Leben kann so schön sein!
Schon auf den bisherigen Kilometern begeisterte mich die Streckenführung, doch nun kommt es noch besser. Wir steigen durch felsiges Gelände steil bergauf. Das ist zwar noch nicht Klettern, aber ganz ohne die Hände geht es hier nicht. Einfach super!
Weitere interessante Trails folgen. Dann laufen wir auf breiten Wegen über sonnige Wiesen, an deren Rändern der Nebel von unten herauf zieht. Bald umgibt auch mich wieder das feuchte Grau. Bei der Michaelskapelle bei Taben-Rodt kann man bei gutem Wetter sicherlich eine herrliche Aussicht genießen, jetzt erkenne ich dagegen von der Saar unter mir nur einen kleinen Streifen im Grau. Die auf einem Felsen weit ins Tal hinaus ragende Kapelle wurde 1452-82 als Friedhofskapelle erbaut.
Wenige Meter später erreiche ich die erste richtige Verpflegungsstelle und freue mich über die Suppe. Nun führt unsere Route zur ehemaligen Propstei Sankt Joseph. Diese zählte einst zu einer Benediktinerabtei, heute ist in dem schlossähnlichen Gebäude ein Kinderheim. Auf einer Weide darf ich Schäfchen zählen, dann geht es mal wieder steil bergab.
Bei Taben-Rodt führt uns eine Brücke über die Saar. Auf der anderen Seite folgt ein anfangs sehr steiler Aufstieg. Dann wird die Steigung wieder moderater. Erneut umgibt mich Nebel, manchmal so dicht, dass ich die Läufer vor mir kaum noch erkenne. Schade, denn von der Oberkante eines Steinbruchs wäre die Aussicht sicherlich auch toll. Aber Nebelstimmungen gefallen mir ebenfalls sehr.
Die Streckenmarkierung ist hervorragend. Obwohl die Veranstalter vorgestern eine böse Überraschung erlebten, als die Flatterbänder nicht wie üblich rot-weiß sondern ideal zur Tarnung im Herbstlauf schwarz-gelb geliefert wurden, gibt es für mich an keiner einzigen Abzweigung Zweifel. Ok, einmal verliere ich fünf Minuten, aber das ist meine Schuld.
Der Weg wird nun flacher, aber vorübergehend bremst recht unebener Untergrund das Lauftempo. So mag ich es. Und wieder verzaubern wunderbar gefächerte Sonnenstrahlen den Wald mit einer fast schon sakralen Stimmung. Dann löst sich der letzte Rest des Nebels auf. Ab jetzt färbt der Sonnenschein ungetrübt in voller Kraft die Pracht des Herbstwaldes.
Nach einer ersten Streckenhälfte mit vielen tollen Trails wird die zweite Hälfte deutlich leichter. Darüber bin ich heute nicht traurig. Die bisherige Streckenführung hat mir zwar hervorragend gefallen, aber mit meinem bisherigen Durchschnittstempo würde ich das Ziel erst bei Dunkelheit erreichen. Ich verstehe, warum eine Stirnlampe für die lange Distanz zur Pflichtausrüstung zählt. Nun geht es aber immer wieder über gut laufbare breite Forstwege. Aufgrund der märchenhaften Herbst-Szenerie um mich herum wird es auch hier nie langweilig.
Beim Naturdenkmal Vogelsfelsen eilen viele Läufer achtlos am Aussichtspunkt vorbei, einige nehmen sich aber mit mir die Zeit, wenige Stufen zur Aussichtsplattform hinab zu steigen und den Blick über die Saar zu genießen.
Selbst der folgende Streckenabschnitt auf Asphalt kann meine Begeisterung heute nicht trüben. Ich komme an einem kleinen Teich vorbei, wo ich an einem Brunnen meine Wasserflasche auffüllen kann. Dann geht es wieder auf Trails bergauf, später über sonnige Wiesen mit weiter Fernsicht auf ein Meer von Farben. Hier kann ich gut Sonne tanken. Auch dieser Streckenabschnitt ist leicht zu laufen.
Schließlich erreiche ich bei Schloss Ziegelberg, das 1878 als Wohnhaus für die Familie Edmund von Boch errichtet wurde, den Ort Mettlach. Kurz darauf laufe ich am Ufer am Villeroy & Boch Gebäude vorbei, dann geht es in den kleinen Abteipark. Dieser wurde um das Jahr 1850 im Stil eines Englischen Gartens gestaltet. Mitten im Park steht der "Alte Turm". Die Ruine ist der Rest einer zwischen 987 und 994 erbauten Marienkirche und das älteste aufrecht sehende, sakrale Bauwerk im Saarland. Daneben ist das keramische Kunstwerk mit dem Titel "Homo Ceramicus" zusehen.
Unsere letzte Verpflegungsstelle befindet sich ebenfalls hier im Park. Hier werden wie an anderen Stellen der Strecke die Veranstalter durch syrische Flüchtlinge unterstützt. Wer nach 15.30 Uhr hier ankommt, der wird laut Ausschreibung nach 42 km in einer separaten Marathonwertung gelistet. Für mich kein Problem, denn ich habe etwa 70 Minuten „Vorsprung“.
Wer bei Ultratrails startet, erwartet im Gegensatz zu Stadtmarathons keine jubelnden Zuschauer am Streckenrand. Dass die Läufer aber in der Fußgängerzone Mettlach total ignoriert werden, empfinde ich trotzdem als sehr ungewöhnlich.
Bis zu einer Schleuse folge ich der Saar ein Stück in das enge Tal, dann geht es mal wieder sehr steil bergauf. Weiter oben wird der Weg bequemer. Zwischen den Bäumen hindurch sehe ich immer wieder einzelne Abschnitte der Saar unter mir, aber ein richtiger Aussichtspunkt mit weitem Rundblick fehlt.
Oben auf dem fast komplett von der Saar umschlungenen Bergrücken führt uns eine 1,3 km Wendepunktstrecke zur Burg Montclair. Schon im 10. Jahrhundert wurde hier eine Burganlage errichtet. Die Burg, deren Ruinen wir heute sehen, entstand aber 1439. Erst seit 1992/93 ist nach Renovierung die Anlage wieder für die Öffentlichkeit zugänglich. In den Burghof und hinauf auf die Türme kommen wir Läufer im Gegensatz zu den vielen Spaziergängern nicht, denn unsere Route führt außen um die Mauern herum. Damit niemand die Wendepunktstrecke abkürzt, wird hier eine Markierung auf unsere Startnummer gemacht.
Nur kurz überlege ich, ob ich mir die Zeit nehmen soll, doch auf den Turm zu steigen. Platzierungen und Finisherzeiten sind mir ja völlig egal. Doch heute gibt es für mich ein unschlagbares Argument, während der letzten Stunden deutlich schneller zu laufen als ich es normalerweise bei einem so großzügigen Zeitlimit machen würde. Ich will nämlich unbedingt noch bei Tageslicht vom Cloef auf die jetzt nebelfreie Saarschleife hinab blicken. Zielschluss ist um 19 Uhr, aber wegen der Zeitumstellung wird es heute schon um 17.30 Uhr zu dunkel. Also weiter.
Unsere Strecke ist gut und schnell laufbar. Ein perfekter Herbsttag mit klarer Fernsicht lässt mich jubeln. Noch einmal geht es eine Weile über Asphalt. In der Ferne sehe ich die Saar, die hier noch durch eine recht flache Landschaft fließt, bevor das enge Tal beginnt.
Bei Besseringen überquere ich auf einer Brücke den Fluss. Vom Ort sehe ich nicht viel, weiß aber von einer regionalen Besonderheit. Während anderenorts Weinköniginnen oder ähnliches gekürt werden, gibt es hier in der Region passend zur entsprechenden Landwirtschaft ein Linsenfest und eine Linsenkönigin.
Ein ebener Streckenabschnitt zum Erholen über Wiesen, ein Stück auf breiten Forstwegen ohne allzu viel Anstrengung durch den Wald, dann fließt bei Dreisbach die Saar wieder fast direkt unter mir.
Noch einmal steige ich auf die sonnigen Höhen oberhalb des Tales hinauf. Die Sonne steht schon tief, die Schatten werden länger. Die Luft ist kristallklar, so dass die Farben des Herbstlaubes auch auf große Distanz herrlich zu leuchten scheinen. Welch ein Glück, an so einem Tag hier oben laufen zu dürfen!
Bis vor wenigen Tagen mussten die Veranstalter befürchten, dass der Saarschleife Trail an einigen Problemen scheitert. Erst vier Tage vor der Veranstaltung konnten alle Beteiligten einschließlich der Behörden in Rekordzeit einen umfänglichen Genehmigungsprozess durchlaufen und erfolgreich besiegeln. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie viele Personen und Institutionen man wegen so einer Veranstaltung um Erlaubnis fragen muss.
Vor mir sehe ich fast zum Greifen nahe die Turmspirale beim Cloef. Man könnte glauben, das Ziel nun sehr bald zu erreichen. Doch vorher geht es noch einmal hinab zur Saar. Schon beim Briefing wurden wir gewarnt, dass dieser Trail teilweise sehr steil und rutschig sein wird. Für manche Teilnehmer ist es eine echte Herausforderung, für erfahrene Trailer nicht ganz.
Unten am Ufer steht noch einmal eine kleine Getränkestelle, wo ich schnell zwei Becher Cola trinke. Der Blick auf die Uhr zeigt mir, dass ich mich nun wirklich beeilen muss, wenn ich noch bei Tageslicht den Aussichtspunkt erreichen will. Zum Glück kann ich den Aufstieg durch ein Tal mit mehreren Holzbrücken meist laufen. Dann führt eine steile Treppe bergauf, anschließend bleibt die Steigung wieder in für mich gerade noch laufbarem Bereich. Zwischendurch sehe ich ein paar Mal die Saar unter mir.
Unmittelbar vor dem Ziel sorgt noch einmal ein kurzer Trail für einen würdigen Abschluss. Dann erreiche ich das Cloef-Atrium und überquere die Ziellinie. 9:04, also fast zwei Stunden vor Zielschluss. Damit bin ich sehr zufrieden.
Ohne Aufenthalt bei der Verpflegung laufe ich gleich weiter. Fünf Minuten später stehe ich heute zum zweiten Mal am Aussichtspunkt Cloef, gerade noch rechtzeitig vor Sonnenuntergang. Das Tal liegt zwar schon im Schatten, so dass die Wälder nicht mehr so farbenprächtig leuchten wie noch vor einer Stunde, aber der Anblick begeistert mich dennoch.
Als ich zehn Minuten später wieder zum Atrium zurückkomme, färbt das letzte Licht des Sonnenuntergangs den Himmel über dem Zielbereich in ein schönes Rot. Welch ein wunderschöner Abschluss für einen grandiosen Trail-Tag! Hier will ich unbedingt wieder starten und empfehle diesen Ultratrail mit großer Begeisterung allen Lesern.
29.10.17 | Mehr Saar, mehr Schleife, mehr Trail |
Günter Kromer |