Von wegen "Die Nacht bleibt trocken und morgen früh scheint die Sonne"! Schon auf dem Weg zum Start regnet es kräftig, doch kurz vor 7 Uhr ziehe ich die Regenjacke wieder aus. Beim Start sind es 11 Teilnehmer weniger als gestern. Das Wetter und die Streckenverhältnisse fordern ihren Tribut.
Schnell sind wir aus dem Ort draußen. Da der Anfang der früheren Aufstiegsroute inzwischen wegen Steinschlaggefahr dauerhaft gesperrt ist, laufen wir zuerst ein Stück auf dem Inntalradweg. Dann geht es aufwärts. Wieder verhüllen tiefe Wolken die Sicht auf manche der Berge um uns herum. Aber wenigstens ist es trocken.
Der technisch leichte Aufstieg mit Blick hinab ins Inntal lässt uns glauben, die heutige Etappe sei wie angekündigt zwar länger, aber leichter als die beiden letzten. Ein schöner Aspekt bei so langen Touren ist, dass man unterwegs immer wieder denselben Leuten begegnet. Manche Läuferinnen und Läufer überhole ich in den vier Tagen zigmal. Man redet mi einander und es entsteht so ein schönes Gruppengefühl. Aber auch Helfer, die Streckenfotografen, Kameraleute und die Medical Crew sind bald lieb gewonnene Vertraute.
Wenig spektakulär, aber insgesamt recht nett, führen uns die nächsten Kilometer hinauf zur Landecker Skihütte auf 1766m. Dann folgen wir meist der Skipiste, was zwar nicht schön, aber effektiv ist. So gewinnen wir in gleichmäßigem Tempo an Höhe. Neben unserem Weg steht auf der Skipiste ein Schild „Speedstrecke“. Nein, das gilt nicht für uns hier hinten im Läuferfeld. Die Läuferschlange kriecht den kargen Hang hinauf.
Noch ahnen wir nicht, wie grandios der Nachmittag sein wird. Am 2432 m hohen Fisser Joch trinke ich an der Verpflegungsstelle zuerst einen Cappucino, dann nehme ich natürlich auch etwas von der Brühe. Die salzige und angenehm gewürzte Suppe erfreut sich in diesem Jahr sehr großer Beliebtheit.
Eigentlich wurde gestern beim Briefing für die nächsten Kilometer ein leicht laufbarer Trail angekündigt, doch heute bremst uns zwischendurch wieder eine lustige Schlamm-Rutscherei aus. Welch eine Gaudi! Gerade filme ich einen Läufer, der an einer Stelle durch tiefen Matsch stapft, will danach auf der anderen Seite des Trails vorbei und stehe plötzlich mindestens 20 cm tief in der Soße. Aber egal, nasser als zuvor können die Schuhe ohnehin nicht mehr werden.
Vorbei an vielen Alpenrosen schlittern wir hinab zur Bergbahnstation bei der Kölner Hütte auf 1965 m. Danach geht es zuerst recht langweilig bergauf, doch bald öffnet sich vor uns ein schöner Anblick, der alles, was wir bisher bei den 4 Trails sahen, übertrifft. Und das ist noch lange nicht der Höhepunkt des Tages!
Die Route wird von Kilometer zu Kilometer schöner. Einige Gipfel neben uns sind mit Neuschnee wie "gezuckert". Wieder vorbei an Alpenrosen, wieder ab und zu Wassertreten, wieder mal Regen, dann nähern wir uns dem Arrezjoch. Es folgen die ersten Schritte über Altschneefelder. Vor ein paar Tagen lag hier oben noch Neuschnee, doch der ist schon wieder geschmolzen.
Die zweite Verpflegungsstelle liegt etwas unterhalb des Arrezjoch. Oben auf 2587 m genieße ich den tollen Blick auf die andere Seite. Der folgende Streckenabschnitt zwischen Arrezjoch und der Ochsenscharte ist bei den heutigen Verhältnissen eine der faszinierendsten überhaupt. Noch zwei Tage später bin ich beim Schreiben der Reportage und beim Betrachten der Fotos restlos begeistert. Dabei bin ich gar kein besonders emotionaler Mensch. Aber tolle Trails haben es mir angetan, mehr als vieles andere. Dafür lebe ich! Und das ist herrlich!
Zuerst laufen wir ein Stück bergab, vorbei am Hexensee, dann hinauf zum Hexensattel. Kaum zu glauben, aber die Sicht von dort oben zur anderen Seite begeistert mich sogar noch mehr. Über einige kleine Altschneefelder geht es weiter, vorbei an einem sehr fotogenen See, wo einer der Israelis ein Foto von mir schießt.
Bei der 2787m hohen Ochsenscharte erreichen wir den höchsten Punkt der 4 Trails. Mit etwa 5 C ist es recht kalt, daher halte ich mich nicht lange oben auf. Nun folgen mehr als 1000 Höhenmeter Abstieg zur nächsten Verpflegungsstelle. Zuerst müssen wir ein Schneefeld bewältigen, in dem die Fußspuren der vorangegangenen Läufer inzwischen zur Rutschbahn mutiert sind. Dazwischen breche ich an zwei oder drei Stellen fast knietief im Schnee ein.
Nach diesem kurzen Winterabenteuer in karger, grauer Wildnis liegen nun grüne Berghänge vor uns. Erneut folgt ein Paradies für Schlammfreunde, dazu durchqueren wir ein paar Bäche, die momentan wegen Schmelzwasser recht breit sind. Bei der Stieralphütte auf 2290 m endet unser Trailabenteuer.
Mit Schlamm und Schnee komme ich sehr gut zurecht, doch die nächsten 565 Höhenmeter auf einem Fahrweg bergab quälen meine Muskeln.
Wann erreiche ich endlich die nächste VP? Ich beschleunige bis ans Limit. Ich will heute spätestens um 17 Uhr, also mindestens eine Stunde vor Zielschluss in Samnaun ankommen. Auch einige andere um mich herum scheinen nun Zeitdruck zu spüren und rasen bergab.
An der Verpflegungsstelle an der Grenze zur Schweiz halte ich mich nur kurz bei Suppe und Cola auf. Nur noch 8 km zum Ziel, da brauche ich jetzt nichts mehr viel zu essen. Allerdings liegt das Ziel auf 1841 m, also laufen wir auf den letzten Kilometern insgesamt mehr bergauf.
Laufen? Nein! Obwohl der Weg nun einen Kilometer lang nur minimal ansteigt, also eigentlich selbst im hinteren Feld laufend zurückgelegt werden müsste, kann ich nach dem vorangegangenen Bergabsprint nur noch marschieren. Es beruhigt mich zu sehen, dass vor und hinter mir fast alle anderen ebenso schleichen. Jeder versucht, zwischendurch mal zu laufen und jeder gibt es bald wieder auf.
Zum Glück geht es dann leicht absteigend hinab nach Samnaun-Compatsch, so dass alle wieder ein Stück weit laufen können. Das ist gut für Beine und Psyche. Zuletzt passieren wir die einzelnen Ortsteile, manchmal erneut mit Anstiegen. Einen km vor dem Ziel hole ich mal wieder das Team Israel ein, die mitten auf dem Weg stehend ihre Nationalflaggen aus den Rucksäcken holen.
Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass ich noch eine kleine Chance habe, mein Mindestziel, unter zehn Stunden zu bleiben, zu erreichen . Also weiter! Knapp vor 17 Uhr stoße ich auf der Zeitmessmatte einen Freudenschrei aus. Geschafft!
Die fünf Ortsteile von Samnaun liegen zwischen 1700 und 1840 m. Da Samnaun zwar zur Schweiz gehört, die einzige Zufahrtsstraße aber durch Österreich führt, ist hier eine Zollfrei-Oase für Schnäppchenjäger. Neben dem Shopping-Tourismus ist vor allem der Wintersport wichtig, aber auch Wellness-Urlaub wird hier stark propagiert, zum Beispiel mit dem höchstgelegenen Bäderzentrum der Schweiz.
Nach kurzem Aufenthalt bei der Zielverpflegung bleiben mir nur noch 40 Minuten bis zum Abendessen. Essen, Siegerehrung und Ausgabe des Finisher-Shirt finden nicht unten im Tal statt, sondern oben auf 2488 m im Bergrestaurant Alp Trida Sattel.
Das Essen oben im Restaurant ist klasse! Eine große Auswahl an warmen Gerichten steht zur Wahl. Hirschgulasch mit Teigwaren hatte ich zuvor nach keinem Lauf gegessen. Dazu gibt es gute Suppe, eine große Salatplatte und leckere Desert-Auswahl.
Vor der Siegerehrung entschuldigt sich Wolfi für seinen „besch….“ Wetterbericht.
Von den 435 Läuferinnen und Läufern, die in Garmisch an der Startlinie standen, gelang es 256 Männer und 66 Frauen, alle vier Etappen innerhalb des Zeitlimits zu beenden. Ich bin mit Platz 248 unter den Männern sehr zufrieden, da ich nebenbei ja noch rekordverdächtig fotografiert und gefilmt habe. Bei trockenem Wetter hätte auch ich bestimmt weniger als 32:06 Stunden gebraucht, aber so machte es mir viel mehr Spaß.
Dimitris Theodorakakos, ein ehemaliger griechischer Nationalmannschafts-Ruderer, schaffte es in unglaublichen 15:32 Stunden, 20 Minuten länger brauchte Iker Karrera und noch eine Viertelstunde mehr überraschend Mirko Berner, der bisher eher auf flacheren und kürzeren Strecken startete.
Schnellste Frau ist Nuria Picas mit 18:31, gefolgt von Tina Fischl in 18:49 und Zhanna Vokueva in 19:53.
Überraschend muss ich dann auch auf die Bühne, denn das Orthomol-Sport-Team, dem ich ja wie erwähnt in diesem Rennen angehöre, erreicht in der Mannschaftswertung Platz 3.
Verrückt: im Mai wollte ich beim K-UT so schnell wie nie zuvor laufen, um für meinen Verein, die LSG Karlsruhe, in der Mannschaftswertung bei der Deutschen Meisterschaft einen Platz zu erreichen, musste aber vorzeitig aussteigen. Hier laufe ich vier Tage lang in moderatem Tempo und stehe, natürlich dank der guten Leistung anderer Teammitglieder, auf dem Treppchen.
Am nächsten Morgen werden die meisten Teilnehmer um 8 Uhr mit dem Bus zurück nach Garmisch gebracht. Für mich ist es günstiger und schöner, zuerst mit einem normalen Postbus nach Scuol und von dort mit dem Zug über Klosters, Landquart und Basel nach Karlsruhe zu fahren.
Für Organisation, Streckenmarkierung, Verpflegungsstellen und Rahmenprogramm muss ich Plan B ein großes Lob aussprechen. Weniger Regen und mehr Aussicht auf die vielen fernen Gipfel hätte uns wohl allen besser gefallen, aber so werden vor allem die lustigen Schlamm-Rutschereien in Erinnerung bleiben.
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