Sonnenschein, blaues Meer, Steilküste und herrliche, anspruchsvolle Trails auf einer Insel - für all das muss man nicht unbedingt in den Süden fliegen. Die 40 km lange und 30 km breite dänische Insel Bornholm entwickelt sich mit zahlreichen über das Jahr verteilten Wettkämpfen zu einem Paradies für Trailrunner. Am liebsten laufe ich normalerweise Trails in den Alpen, aber in meiner privaten Rangliste "Schönster Wettkampf außerhalb der Alpen" verdient dieser Hammer-Trail nun mit Abstand die Spitzenposition.
Bornholm erreicht man bequem und preiswerter als ich erwartet hatte. Die Reise kostet mich von Karlsruhe aus mit Bahncard und Sparpreis-Ticket insgesamt nur etwa 150,-- Euro für Hin- und Rückfahrt. Zuerst mit ICE über Hamburg nach Kopenhagen, dort steht vor dem Bahnhof der Bornholmer Bus, der mich nonstop zur bereits in Ystadt wartenden Fähre bringt. Von Kopenhagen bis auf die Insel dauert es knapp drei Stunden.
In Rønne, der Hauptstadt der Insel, lebt etwa ein Drittel der ca. 40.000 Einwohner. Die Altstadt wirkt mit ihren vielen kleinen, bunt gestrichenen Häusern idyllisch. Am Tag vor dem Start fahre ich mit dem Bus von Rønne zum 24 km entfernten Städtchen Allinge, wo die meisten Teilnehmer vor und nach dem Wettkampf übernachten. Eine der vom Veranstalter vorgeschlagenen Unterkünfte ist die Pension Slaegtsgaarden, ein urgemütlicher Fachwerkhof mit sehr gutem Frühstücks- und nach dem Wettkampf auch hervorragendem Abendbuffet. Da Start und Ziel aber nicht in Allinge, sondern im einige Kilometer entfernten Hammerhavn ist, wohin es im Winter keine Busverbindung gibt, muss sich jeder, der ohne Auto hier ist, nach einer Mitfahrgelegenheit umhören. Aber unter so vielen Trailrunnern ist das natürlich absolut kein Problem.
Samstagmorgens um 6 Uhr starten 35 der 40 gemeldeten Läufer für die 50 Meilen. Auf die Ultras warten vier Runden, von denen die erste auf 18 km verkürzt ist und die drei anderen jeweils 21,9 km lang sind. Insgesamt kommen etwa 80 km mit 3000 Höhenmetern zusammen. Da heute die Sonne erst um 8:14 Uhr aufgeht und schon um 16:06 Uhr am Horizont versinkt, das Zeitlimit für die 50 Meilen aber 15 Stunden beträgt, bedeutet dies, dass man große Teile der ersten und der vierten Runde bei Dunkelheit laufen muss.
Um 10 Uhr starten dann die Marathonis, die nur zwei Runden laufen, um 12 die Halbmarathonis und um 13 Uhr die Zehner.
Es sieht eigentlich eher aus, als würde ein Lauftreff zum Stirnlampen-Test einladen. Nach dem Start rennen wir etwa 50 m über den Parkplatz, dann geht es gleich auf einem schmalen Single-Trail aufwärts. Steil, sehr steil! Was ist denn das? Die fangen ja wirklich brutal an! Unter „Warmlaufen“ verstehe ich etwas anderes. Und das Tempo der Gruppe! Wie beim Zehner einer Winterlaufserie. Nach fünf Minuten bin ich trotz Temperatur von knapp über dem Gefrierpunkt und kalten Sturmböen klatschnass geschwitzt. Klasse! Jetzt weiß ich, dass meine Entscheidung, nach Bornholm zu fahren, richtig war.
Kurze, steile Pfade wechseln mit etwas flacheren Abschnitten, doch das hohe Gruppentempo fordert mich. Immerhin sehe ich hinter mir noch etwa zehn andere Stirnlampen, ich bin also nicht Letzter.
Bald erreichen wir die Stelle, an der die erste Runde gegenüber den anderen drei etwas verkürzt wird. Ein Streckenposten passt auf, dass wir hier alle brav nach rechts abbiegen. Die komplette Route ist hervorragend markiert. Auch in stockdunkler Nacht kann nie ein Zweifel aufkommen, wo man laufen muss. Gut so, denn die Abstände zwischen den einzelnen Läufern sind bald sehr groß. Obwohl später auch noch die Marathonis, die Halben und die Zehner auf die Strecke kommen, mich später auch die schnellen Ultras überrunden, sehe ich mindestens die halbe Zeit über keinen Menschen vor oder hinter mir.
In der Nacht konzentriert man sich voll und ganz auf die Trails, genießt jedes Detail des Untergrunds und nimmt die Pflanzen am Streckenrand intensiver wahr als tagsüber, wenn das Auge von dem Genuss der umgebenden Landschaft verwöhnt wird. Heute „verpasse“ ich bei Nacht auch keine landschaftlichen Eindrücke, da ich später jeden Streckenabschnitt auch bei Tageslicht sehen werde.
Gegen 7.30 Uhr ist es hell genug, dass wir die Umgebung einigermaßen erkennen können. In der Ferne sehe ich das Meer, auf dem die Lichter einiger Schiffe leuchten. Bald nachdem wir im verschlafenen Dorf Vang am Hafen vorbei gelaufen sind, führt uns ein schmaler Pfad direkt ans Meer. Kurze Zeit bremst lockerer, tiefer Kiesboden unsere Geschwindigkeit. Noch reicht das Licht eigentlich nicht zum Fotografieren aus, aber ich hole nun nach fast zwei Stunden Lauf doch endlich die Kamera aus der Tasche. Bald folgen wir einem sehr schmalen Trail direkt zwischen Kiesstrand und Vegetationsgrenze, dann kommt ein Abschnitt, auf dem wir mühsam über große Steine direkt am Meer balancieren müssen, zwischendurch schlängeln sich Traumtrails durch wilde Vegetation. Welch ein Spaß!
Dann traue ich meinen Augen kaum. Ich mag Seil-Aufstiege, aber diese beiden parallel gespannten Seile übertreffen alles, wovon ich bisher als Trailrunner geträumt habe. Seile kenne ich u.a. vom Keufelskopf-Ultratrail, aber die Hangelei ist sehr viel länger und steiler. Vom Meer bis hinauf zum oberen Rand der Steilküste ist der Boden an vielen Stellen nach den langen Regenfällen der letzten Tage so rutschig, dass ich selbst mit meinen Stöcken nicht ohne Seil hinauf steigen könnte. Soweit es geht versuche ich, neben dem Seil hinauf zu kraxeln, doch schließlich bleibt mir nichts anderes übrig, als mich mühsam Meter für Meter voran zu hangeln. Auf den Fotos sieht es natürlich ganz harmlos aus, aber wenn ich hier das Seil los lasse, dann rutsche ich sicher ungebremst den Hang hinab. Eine richtige Gaudi! Und das Schöne ist - die Ultras dürfen hier vier Mal hinauf!
Oben sehe ich überraschend etwa 100 Meter rechts von mir das Mini-Zelt der südlichen Verpflegungsstelle, an der ich vorhin schon vorbei kam. Auf die schweißtreibende Kraxelei folgt ein flacher Abschnitt, doch ich bin noch so außer Atem, dass ich erst noch eine Weile gehen muss, bis sich mein Pulsschlag normalisiert.