An manche Orte kommt man gerne. Insbesondere dann, wenn sie einem durch einen bestimmten Umstand in ungewöhnlicher Weise verbunden sind. So ist der Wolfgang also zum zweiten Mal in St. Wolfgang am Wolfgangsee. Vor vier Jahren war der Salzkammergut-Marathon noch der Auslöser gewesen, die 27 km des Klassikers Wolfgangseelaufs mit vorgeschalteten 15 km Anlauf von Bad Ischl aus die damalige Aufgabe. Der heutige läuferische Anlaß ist noch enger lokal begrenzt, denn es gilt, den Hausberg von St. Wolfgang zu bezwingen.
Als Verehrer Peter Alexanders - die deutlich Jüngeren unter Euch mögen jetzt vielleicht ein Fragezeichen im Gesicht haben - zieht es uns wieder ins „Weisse Rössl“. Dieses war vor rund 60 Jahren der Mittelpunkt der erneuten Verfilmung des Lustspiels von Oskar Blumenthal und Gustav Kadelburg, mehr darüber im damaligen Laufbericht. Der St. Wolfganger Hausberg besticht bei gutem Wetter nicht nur durch eine unvergleichliche 360°-Panoramaaussicht, sondern auch durch eine Zahnradbahn. Und die ist der Mittelpunkt des Geschehens.
Seit 1893 befördert sie Besucher über eine Streckenlänge von 5,83 km von 540 m auf 1.732 m hinauf. Wer rechnen kann, hat also korrekt 1.192 Höhenmeter Differenz ermittelt. Und die gilt es im Wettkampf gegen die von der alten Dampfbahn vorgegebene Fahrzeit von 45 Minuten zu bezwingen. Natürlich im Idealfall schneller, was m.W. bisher erst rund zehn Personen gelungen ist. Der Tiroler Günther und der Flachlandtiroler Wolfgang kommen dafür leider nicht in Frage, aber dabei sein ist für uns das olympische Prinzip. Ganz ahnungslos bin ich nicht, habe ich doch einige knackige Bergläufe bisher absolviert, darunter den phantastischen Vertical Sommerlauf von St. Moritz auf den Piz Nair über 5,5 km und 980 Höhenmeter.
Morgens um 7 Uhr sind Günther und ich die Ersten, welche die Startnummernausgabe an der Talstation der Schafbergbahn aufsuchen. Unsere Gutscheine aus der reich gefüllten Startertüte (inkl. Shirt!) für die im Nenngeld enthaltene Rückfahrt und die für unsere Mädels (eine Begleitperson darf zum Sonderpreis für 18 Euro hin- und zurückfahren) können wir noch nicht einlösen, die Fahrkartenausgabe ist noch geschlossen. Nach dem natürlich viel zu üppigen Frühstück sind wir gute zwei Stunden später lauffertig wieder vor Ort, wo die Damen sich erfolgreich um die Tickets bemüht haben und mit unserer Wechselkleidung die Bahn um 9:20 Uhr nehmen. Natürlich hätten wir sie (also die Wechselkleidung) auch mit der Extrabahn des Veranstalters noch früher hochfahren lassen können.
Nach einem kurzen Aufwärmen stehen 228 Erwartungsfreudige, von denen 226 den Gipfelsturm bestehen werden, parat. Ich freue mich, mit Dr. Andrea Mayr die erneute Topfavoritin für ein Foto gewinnen zu können. Die 39jährige Ärztin kann u.a. sechs Weltmeistertitel, fünf Europameistertitel und zwei Olympiateilnahmen als herausragende Karrierehöhepunkte vorweisen. Bereits zweimal 2015 und 2018 konnte sie als Gesamtsiegerin das gesamte Männerfeld distanzieren! Ihr Streckenrekord aus dem Jahr 2015 steht bei 44:40 min. Nach meinen Erfahrungen vom Vertical Up muss ich mit mindestens 1:20 Std., vielleicht deutlich länger rechnen.
Drei, zwei, eins, los! Aufgrund der Handzeitmessung kann ich ein Startfoto schießen und mich dann unauffällig in die Läuferschar einreihen. Die stürmt die rund 400 m lange Asphaltstraße hinauf, um den Rest der Strecke unmittelbar an den Schienen zu kleben. Und die scheinen auch irgendwie klebrig zu sein, denn das Laufen ist für mich und mein Umfeld an der ersten ernsthaften Steigung direkt vorbei – es ist zu steil. Demütiges Wandern ist angesagt. Und das wird sich, um es direkt zu beichten, bis auf vielleicht 100 weitere Meter insgesamt, nicht mehr ändern. Den Blick nach oben zu haben, ist auf die Dauer auch nicht zu empfehlen, denn die Steigung (im Maximum 26°, gefühlt hat's das durchgehend) ist auch optisch heftig. Leider hat uns das Bombenwetter der vergangenen beiden Tage im Stich gelassen und der Berg ist komplett im Dunst verschwunden. Wenigstens regnet es nicht, wir sind ja schon für Kleinigkeiten dankbar.
Rechts der Schienen liegt grober Schotter, auf ihm zu laufen ist keine gute Idee. Links auf der schmalen Abdeckung der Kabelstränge geht's dagegen deutlich besser. Die Folge ist ein Läuferlindwurm wie auf schmalen Bergpfaden, das Überholen jedes Mal ein Kraftakt. Doch dieses Problem wird sich schon bald erledigt haben, Positionskämpfe gibt es in meiner Preisklasse kaum. Jeder ist mit sich selbst und der Steigung hinreichend beschäftigt. Feiner Schotter beiderseits der Ausweiche erleichtert das Vorwärtskommen und ein Übriges leisten kleine Fangruppen, die immer wieder anfeuernd an den Schienen stehen. Wer den Blick auch mal nach links schweifen lässt, erkennt zwischen den Bäumen den mit steigender Höhe kleiner werdenden Wolfgangsee, ein wunderbarer Anblick.
Der erste km mit 105 HM ist dank noch überschaubarer Steigung nach gut siebeneinhalb Minuten abgearbeitet, für den zweiten mit 206 HM brauchen Günther und ich schon über zwölf. Ich vermisse trotz der Uhr Km-Schilder, bis mir die alle 100 m stehenden Entfernungssteine der Bahn auffallen. Die Augen zu öffnen kann manchmal hilfreich sein. Rechts hat man zum Schutz gegen Steinschlag kräftige stählerne Fangnetze in den Berg verankert. Die erste von zwei (!) Labestationen steht an der Dorneralpe bei km 2,7 in 1.011 m Höhe. Man, besser gesagt frau, reicht uns Wasser und Iso, vergelt's Gott!
heißt eine chinesische Trägerraketenreihe und genau so sieht es bei uns aus: Trotz der natürlich kurzen Strecke zieht sich die Läuferschlange im langen Marsch zäh den Berg hinauf, Träger wären jetzt angenehm. Es ist Halbzeit und der Dunst wird immer dichter, der dritte km ist bei 222 HM in dreizehneinhalb Minuten absolviert. Auch auf die Gefahr mich zu wiederholen: Es ist echt steil! Viele Mitstreiter stützen sich längst auf ihren Oberschenkeln ab und hoffen so auf Unterstützung. Mir geht es erstaunlicherweise gut, ich kann einen vergleichsweise flotten Schritt beibehalten und sammele einige, allerdings wenige, Leidensgenossen ein. Kurz vor der zweiten Labestation Schafbergalm auf 1.366 m Höhe taucht das erste Schneefeld auf.
Als in der Regel etwa zwei bis drei Meter groß und über 200 Kilogramm schwer und mit Fußabdrücken von bis zu 43 Zentimetern Länge, so soll der sagenhafte Schneemensch des Himalaya sein. Werden wir ihn hier zu sehen bekommen? Jedenfalls nimmt der Schnee deutlich zu, schlagartig wird es ebenso deutlich kälter. Der Schafberg zeigt sich heute in wesentlich winterlicherem Kostüm als wohl üblich, obwohl es am Lauftag schon mal 20 cm Neuschnee gegeben hat. Trotzdem haben die für die Bahn Verantwortlichen alles getan, um die bis zu 7 m hohe weiße Pracht zu beseitigen. Höher und höher schrauben wir uns hinauf. Ich bin klatschnass geschwitzt, keine Chance, etwas zu verdunsten. Der vierte km vergeht mit 240 HM in vierzehn Minuten, der fünfte bei 228 HM in gut dreizehneinhalb.
Dann ist es an der Zeit, ein Tränchen zu verdrücken, denn den Tunnel, den die Bahn nimmt, dürfen wir nicht passieren, schade. Stattdessen jagt man uns geradeaus auf einen weichen Trail und verspricht uns „nur noch 1.000 Schwellen!“. Na, wollen wir das mal glauben. An einem Flatterband vorbei bleibt es mindestens genau so steil, aber es stehen wieder ein paar Fans an der Strecke, die das nahende Ende verkünden. Dann geht es mitten über ein Schneefeld, Erinnerungen an meine Teilnahme beim Zugspitz-Extremberglauf, Gott hab' ihn selig, werden wach. Plötzlich höre ich meinen Namen und sehe Elke und Andrea von weitem winken und anfeuern. Vor mir liegt der Sperrer Franz, Pressechef nicht nur dieses und des Wolfgangseelaufs, fotografierend und grinsend im Schnee. Ein netter Kerl ist er, der Franz.
Jetzt geht es ganz schnell: Die Bahnstation ist in Sicht, die Schienen sind wieder erreicht, die ob des noch auf den letzten Metern fotografierenden Dödels letzten Helfer lachen und nach 1:11:05 Std. ist diese schöne Geschichte, deutlich früher als erwartet, vorbei. Es gibt sogar eine nette Medaille für den Hals, im selbigen verschwindet die dritte Dose meines Lebens einer österreichischen Brause. Aber erst noch wird mein Tiroler Freund Günther begrüßt, der kurz nach mir ins Ziel kommt, und den ich zehn Minuten vor mir erwartet hatte. Beim Karwendelmarsch hatte er mir seinerzeit noch die Fersen gezeigt. Die Zielverpflegung schaffen wir zu übersehen und streben direkt die letzten (nicht mehr zählenden) Höhenmeter ins Haus Schafbergspitze, von dem aus nichts vom Tal zu sehen ist.
Während wir es uns in der gleichermaßen gut gefüllten wie geheizten Gaststube gut gehen lassen (Duschmöglichkeiten gab es im Obergeschoß), warten wir auf die Siegerehrung. Diese verläuft lange, aber trotzdem kurzweilig. Nach einigen lustigen Anekdötchen des ehemaligen Organisationschefs Franz Zimmermann werden alle Podestplätze auch mit schönen Präsenten belohnt. Andrea hat zum fünften Mal hintereinander alle hinter sich gelassen, aber leider dreizehn Sekunden zu lange gebraucht, um die virtuelle Dampflok zu schlagen. 47:13 min. brauchte der Männersieger, Daniel Rohringer. Insgesamt blieben 4 Mädels und 44 Jungs unter der Stundenmarke, der Kampf Mensch gegen Dampflok endete also 0 zu 226.
Den mit großem Abstand lautesten und längsten Applaus erhielt der älteste Teilnehmer: 81 Lenze zählt Johann Weber, der das Ziel in sagenhaften 1:17:10 Std. erreichte. Das nur halbwegs selber einmal zu erreichen, wäre ein Traum.
Unbedingt erwähnen ich muss ich die sensationell reichhaltige Tombola. Lose waren die abgegebenen Startnummern, der laufende Reporter ging leer aus.
Dafür reißt wie bestellt der Himmel immer weiter auf und bietet das kaum noch erhoffte Rundum-Traumpanorama über mehrere Seen. Einfach nur herrlich, wir kommen nicht aus dem Staunen heraus.
Das wollt Ihr auch? Das Salzkammergut und speziell der Wolfgangsee sind nach unserem Geschmack die perfekte Urlaubsregion. Kombiniert und genießt beides doch auch! Im kommenden Jahr habt Ihr die nächste Chance dazu.
Streckenbeschreibung:
5,83 km mit 1.182 Höhenmetern überwiegend auf dem Gleiskörper der Schafbergbahn.
Startgebühr:
28 € (33 € bei Nachmeldung).
Leistungen/Auszeichnung:
Medaille, Urkunde, Shirt (für die ersten 250 Teilnehmer inkludiert).
Logistik:
Perfekt.
Verpflegung:
Wasser und Iso an zwei Labestellen.
An Start und Ziel und in deren Nähe mehr als von mir erwartet