Es gibt viele Gründe, in königliche Gefilde beim Schloss Marienburg einzutauchen: Heiraten in der Schlosskapelle, Geburtstagsfeiern, ein Besuch im Salon der Königin und der Prinzessinnen, Sonderausstellungen, Open-Air-Veranstaltungen, Live-Hörspiele, Wintermärchenwochen, Marathon… Moment mal, 42,195 rund um den Marienberg? Das gibt’s echt? Na und ob, seit anno 2013!
Südlich von Hannover in der Nähe von Nordstemmen im Kreis Hildesheim thront auf dem höchsten Berg dieser Region das wohl bedeutendste Märchenschloss in Deutschland. Vor zwei Jahren hat Heinrich Schütte vom VfL Adensen-Hallerburg hier einen wundervollen Landschaftsmarathon ins Leben gerufen, der sich jährlich zunehmender Beliebtheit erfreut. Der 21,1 km lange Rundkurs hat die Form einer Acht, wird zweimal durchlaufen und deckt neben den aktuell angebotenen Distanzen Marathon, Halbmarathon, Staffel, Wandern und Walking auch eine breite Streckenvielfalt ab: Asphaltierte und nicht asphaltierte Feldwege. Waldwege. Wanderwege. Wurzelwege. Schmale, schlammige, rutschige Trampelpfade. Moderate, steile und rutschige Anstiege. Downhill-Passagen, und und und. Hier wird vom Vielläufer und 100 MC’ler Heinrich viel für Läufer geboten…und bislang schwärme ich hier lediglich vom Streckenprofil.
Da meine Frau keinen freien Parkplatz mehr findet, werde ich unweit der Turnhalle kurzerhand mal mitten auf der Straße ausgesetzt. Winke-winke, und schon ist sie wieder weg. Wichtiges Tischtennis-Auswärtsspiel, drum keine Zeit für die Läufer-Marotte des Ehemanns. Soso, liebe Frau. Kann man mal machen. Ach ja, da stehe ich also in der frühmorgendlichen Kälte rum, nur diesmal ohne das pinke Hasenkostüm von vor zwei Jahren. In den letzten Tagen sind die Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt gesunken. Zudem ist es nass und es weht ein eisiger Wind. Aber das ist ja genau mein Ding, so mag ich das Wetter.
In der Turnhalle ist wieder Gruppenkuscheln angesagt. Zielstrebig steuere ich die Startnummernausgabe am gegenüberliegenden Ende an und nehme meinen Umschlag entgegen. Hier treffe ich Marathon-Urgestein HaWe Rehers, der mir stolz das gut aussehende PUM-Promo-Shirt präsentiert. Anschließend befestige ich zügig den Zeitchip mit dem beiliegenden Kabelbinder am Schuh. Die Starternummer kommt wie stets ans linke Bein. Das mache ich schon immer so, das hat Tradition. Gleich nebenan ist die Gepäckaufbewahrung. Dankend werfe Ich dem überraschten Helfer meinen Rucksack zu. Auch alles andere ist völlig unkompliziert erreichbar. Nebenan: Umkleide, Toiletten und Cafeteria. Vor der Turnhalle befindet sich neben dem Start– und Zielbereich auch gleich die zentrale Verpflegungsstelle, mehrere Imbissstände, die Urkundenausgabe und absolut motivierte Moderatoren. Was will das Läuferherz mehr? Neugierig beobachte ich einen Typen in orangefarbener Jacke, der auf seinem Moped sitzt. „Der ist als Antreiber für Schiepanski unterwegs. Ist wohl ein Kollege von ihm…“, meint ein Läufer, der meinen neugierigen Blick bemerkt.
Die Läuferwelt ist bekanntlich klein. Das wird einem bei jeder Laufveranstaltung einmal mehr bewusst. Draußen treffe ich die M4Y-Reporter Markus Pitz und Bernd Neumann, die sich gerade angeregt unterhalten. Da drängt sich ein Gruppenbild doch förmlich auf. Sieh an, dort drüben steht Patrick Hussel, den kenne ich doch ebenfalls. Und Günter Liegmann ist ebenfalls am Start. Hier und da ein Händeschütteln und etwas Geschnacke. Ich stehe in der Menge, beobachte die erwartungsvollen Teilnehmer und genieße einmal mehr die Sekunden bis zum Start. Dann wird bereits herunter gezählt, gleich geht’s los!
Schnurgerade zieht die dicht gedrängte Läuferschar durch Adensen. Auf den ersten Metern fällt bereits ein künstlerisch gestaltetes Haus ins Auge. Vor der Hauswand hängt ein riesiges Plakat, wo auf spanischen Lettern der Spruch ‚La Vida Loca‘ steht. Irgendwie ja ulkig: erst vor wenigen Sekunden meinte eine ältere Zuschauerin beim Vorbeilaufen: “Wer ist denn bitteschön so verrückt und läuft bei Schmuddel-Wetter vor Totensonntag einen Marathon?“ Tja, das Leben ist halt verrückt.
Es dauert nicht lange, da haben wir bereits die Ortschaft hinter uns gelassen. Das erste Highlight folgt auf dem Fuße: der Anblick einer kunterbunten, langen Perlenkette von Läufern in der Feldmark Richtung Marienberg. Das Terrain bis zum Waldrand steigt kontinuierlich. Schnell hat mich der Märchenwald verschluckt. Der erste Trail ist bereits gespickt mit Wurzeln und daher recht tückisch. Was ein Gedrängel hier! „Wenn Du vorbei willst, gib mir ein Zeichen!“, ruft mir meine Vorderfrau zu. Ich winke ab. „Wer hastig läuft, der fällt.“ Keine Antwort. „Der Spruch ist von Shakespeare.“ Wieder keine Antwort. Was soll’s.
Besonders fiese Erdwurzeln sind eigens markiert. Hier hab ich wohl die Qual der Wahl: Vertraue ich meiner Vorderfrau und springe, wenn sie es tut, oder blicke ich lieber ständig nach unten. Haha, Wortwitz: So oder so läuft man hier ständig Gefahr, zu stolpern. Von weitem schallt aus fetten Lautsprecherboxen der AC/DC-Song „Highway to Hell“. „Jo, die kann man IMMER hör’n!“, schreit mir der Hintermann mit einem lauten und feuchten Kommentar in den Nacken. Bäh.