Seit gefühlten hundert Jahren verbringt die Schwiegerfamilie einer unserer Töchter ihren Urlaub in dem nur von Deutschland aus zugänglichen österreichischen Hochtal am Rande des Allgäus. Das Tannheimer Tal mit seinem namengebenden Hauptort ist zuhause sozusagen in aller Munde. Und natürlich hat die freundschaftliche Beziehung zum Vermieterehepaar längst auch auf die nächste Generation übergegriffen. Irgendwann stehst Du dann als einziger Ahnungsloser da und kannst nicht mitreden. Aber so einfach da hinfahren, ohne etwas Zählbares mitzunehmen?
Ihr kennt mich mit meiner fast notwendigerweisen Verbindung von Urlaub und Laufen. In ein gut zweiwöchiges Gesamtpaket integriert, führt uns also heuer tatsächlich erstmals der Weg in dieses landschaftliche Kleinod. Unser Urlaubseinstieg heißt Seenlauf. Unweit des Ortes liegen mit dem Halden- und dem Vilsalpsee zwei nette Gewässer, zu denen bzw. um die man seit einigen Jahren einen Lauf organisiert. Es ist fast überflüssig zu erwähnen, daß der zwei Jahre lang ausgefallen ist, weshalb sich auch unser Erstaufenthalt verzögert hat. Im Zusammenhang mit den Seen werden zwei Alternativen angeboten: Ein Zehner und eine Langversion über 22,7 km. Allerdings, und da leuchten die Augen des Autors besonders, offeriert man uns auch einen Traillauf. 30 km mit 1.500 Höhenmetern sind genau meine Kragenweite.
Mit unseren Münchner und Tiroler Freunden erscheinen wir am Samstag pünktlich um 10 Uhr bei der Startnummernausgabe in der Tennishalle Sägerklause. Elke wird den Zehner testen, Klaus die 22,7 km, Günther und ich – also der Hochland- und der vergleichsweise Flachlandtiroler – den 30er Traillauf. Am Ende des Tages werden wir also über das wesentliche Programm im Bilde (und allesamt höchst zufrieden) sein. Wobei dazu, nicht zu vergessen, auch Kinder- und Schülerläufe sowie ein Zehner für die bewaffneten Geher gebucht werden können. Und wer schon ein paar Tage früher erscheint, kann an den sog. Trail-Days mit Peter Schlickenrieder, dem Trainer der deutschen Skilangläufer, teilnehmen und sicher eine Menge lernen. Der wird sich nicht lumpen lassen und ebenfalls dem Traillauf verschreiben.
Günther und ich sind mit lt. Ansager rund 150 Gleichgesinnten um 14 Uhr die Ersten, die ausziehen, das Tannheimer Tal zu erobern. Die 22,7 km werden um 15 Uhr, der Zehner um 15:10 Uhr gestartet. Der pflichtbewußte Reporter schießt noch ein Startbild und reiht sich anschließend ganz am Ende, noch hinter dem verdutzten Schlußradler, ein. An der Tennishalle vorbei und um die Tennisplätze herum verlassen wir das idyllische 1.000-Seelen-Örtchen. Durch hohe Blumenwiesen geht’s gleich bergauf. Zur Rechten steht seit 120 Jahren die markante Lourdes-Kapelle mit Mariengrotte und Kreuzweg die wir natürlich vorher längst inspiziert haben. Bergab führt unser Weg zurück an den Dorfrand, die ersten Höhenmeter sind im Sack. Viele weitere und längst nicht so bequeme werden folgen.
In Richtung Älpele, einer auf 1.529 m liegenden Alm – gestartet sind wir auf 1.097 m – geht’s auf einem gut zu belaufenden Schotterweg weiter. Mich beschleicht der leise Verdacht, daß das nicht so bleiben wird. Stetig führt der Weg bergan, meine Preisklasse ist schon längst demütig am Marschieren. Der Untergrund wird anspruchsvoller, ist für mich aber nach wie vor gut zu bewältigen. Dann öffnet sich plötzlich der Wald, eine Lichtung erscheint und ganz kurz habe ich ein Déjà-vu vom Karwendellauf, denn vor meinem geistigen Auge erscheint der Große Ahornboden. Es folgen weitere Schotter- und Waldwege, erste Trampelpfade erfreuen das Trailerherz. Wir unterqueren eine Seilbahn, wunderbar liegt Tannheim unter uns im schönen Tal. Anstrengende Aufstiege auf schmalem Pfad sind zu nehmen, so lieben wir das, bald 300 m höher.
Das nächste Déjà-vu folgt ab dem achten km: Ein längerer, heftiger Abstieg auf Asphalt weckt Erinnerungen an die km 30-35 beim Allgäu-Panorama-Marathon, ich befürchte, nicht zu Unrecht, wieder heftige Nachwehen in den Oberschenkeln. Dann dürfen wir auf einen feinen Wiesentrail abbiegen, der Sturz in die Tiefe setzt sich fort. Als wieder Häuser auftauchen, ist das erste Drittel geschafft. Wir haben den Nachbarort Schattwald erreicht, nur ein schlapper km ist es bis auf die deutsche Seite. Man kredenzt uns Wasser, Iso, Bananen und Riegel. Schnell aufgetankt, bedankt und weiter voran!
Auf den nächsten fünf km sind absolut wieder 300 Höhenmeter auf 1.400 m zu gewinnen. Zunächst entlang der Vils, dem 36 km langen linken Zufluß des Lechs, schrauben wir uns über zahlreiche Serpentinen aufwärts. Die Aussicht auf die uns umgebenden Berge und ins Tal sind klasse. Das ist auch der nächste VP, von dem mir bereits zahlreiche, schnellere Läufer entgegenkommen und an dem die Hälfte der Strecke geschafft ist. Auch wird die Zwischenzeit genommen. Nach dem Auftanken will ich geradeaus weiterlaufen, dahin, wo die Läufer herkommen. „Wo mogst hi?“, ruft man mir hinterher. Den Richtungspfeil nach rechts entdecke ich erst hinterher auf dem Foto, denn ich hatte nur Augen für die Verpflegung. Gut, daß hier aufgepaßt wurde. Über einen sensationellen Wiesentrail verlieren wir wieder gute 50 Hm, es ist die pure Lust zu laufen. Dazu kommt das optimale Wetter: Trocken, weitestgehend bedeckt und trotzdem mild, absolut perfekt. Über einen Schotterweg kehren wir zum gleichen VP zurück, gute 17 km befinden sich auf der Habenseite.
Weiter geht es auf diesem Schotterweg hoch, einer der zahlreichen Helfer verweist mich, in der Schaufel seines Baggers sitzend, grinsend scharf nach rechts. Zunächst durch Wald, dann über weite Wiesen, aber immer steiler werdend, verlangsamt sich meine Schrittgeschwindigkeit immer weiter. Stimmt, ein Gipfelkreuz hatte man uns angedroht, unzweifelhaft naht es. Kurz vor dem Schönkahler, so heißt der dazugehörige Berg, wird der 19. km in 14 Minuten mein langsamster. Waren die Aussichten bisher schon klasse, werden sie jetzt noch besser. Hammer! Aber auch der Wind, und der ist stark und ganz schön frisch. Mehrfach fürchte ich, glücklicherweise umsonst, um meine Schirmmütze. Der Weg durch die steilen Wiesen ist aber auch stark! Läufer kommen mir entgegen, weit kann es demzufolge nicht mehr sein.
Dann sehe ich das Kreuz plötzlich über mir, ein Laufkollege macht ein Rundum-Panoramafoto und saugt die Gegend förmlich in sich auf. Hier muss ich mir etwas Zeit lassen und genießen. Zwei Drittel liegen hinter mir, der höchste Punkt des Laufs ist erreicht, 600 Hm Differenz sind es zum Tal. Schön ist es, anschließend halbwegs entspannt herunterzuhüpfen, während letzte Leidensgenossen noch schwerfällig hochhecheln, so wie ich noch ein paar Minuten zuvor. 250 Hm verlieren wir auf den nächsten zwei km. Teilweise sind die Wiesen sumpfig, die Wege rutschig. „Mi hot's beijtelt!“ klagt ein schlammdekorierter Mitläufer. Hirnlos darf ich also nicht gen Tal streben. Der letzte VP befindet sich bei km 24. Gut, dass ich neben der Pflicht-Notfallausrüstung auch einen halben Liter Wasser dabeihabe, der wird mich über die finalen km bringen. Allerdings rettet der mich nicht vor einem weiteren Aufstieg unmittelbar am Einstein, dem 1.866 m hohen Tannheimer Hausberg. Dann wird’s endgültig haarig.
Auf wilden Serpentinen, tief ausgewaschen, steindurchsetzt, werde ich hinabgeleitet. Es fällt mir wirklich schwer mir vorzustellen, wie man diesen Lauf (und es funktioniert offensichtlich!) in gut zweieinhalb Stunden schaffen kann. Die müssen hier auf der Diretissima heruntergeflogen sein. Vater hingegen eiert herab, obwohl es für mich immer noch Laufen ist. Klar, das ist ein Lauf der Spezialisten, der ich nicht bin. Zudem bin ich ein alter Sack, fortgeschritten in der M60, der höchsten Altersklasse. Bei den Mädels ist bereits in der M50 Schicht im Schacht. Trotzdem bin ich in der Lage, noch halbwegs mitzuhalten. Geil! Herrlich ist das Trailer-Dasein! Aber der Weg hinab ist echt schwierig, leck mich enne Täsch! Doch die Erlösung naht.
Der Wald öffnet sich, Tannheim liegt mir vor Füßen. Endlich, denn die Zielmoderation war bereits bei km 25 zu vernehmen gewesen. Durch den Ortsteil Berg (Nomen est omen!), unter einer Unterführung durch, bin ich bald darauf wieder fast zuhause. Fast, denn noch ist ein (zu diesem Zeitpunkt gefühlt) völlig überflüssiger km zu absolvieren, und das mit kaputten Oberschenkeln. Die sind echt dermaßen im Ar...gen, daran werde ich bestimmt in den kommenden Tagen viel Freude haben. Egal, vorbei am Andreas Hofer-Denkmal (Tiroler Freiheitsheld) habe ich gleich die Zielgerade vor Augen. Meine stolze 10 km-Finisherin überbringt ihre Glückwünsche direkt „mündlich“, dann jubeln Andrea und Barbara, schließlich ich selber. Uff, das war ein hartes Stück Arbeit nach 4:24 Std. Aber genauso, wie man es sich wünscht.
128 Erfolgreiche sind es beim 30er Traillauf im Ziel, vor drei Jahren waren es noch 205 gewesen. Das Problem mit den stark gesunkenen Teilnehmerzahlen zeigt sich also auch hier, hoffen wir daher auf Besserung. Für mich bin ich zufrieden, denn zumindest ein paar Konkurrenten habe ich hinter mir lassen können und bleibe dabei noch über eine Stunde unter der höchstzulässigen Zeit. Es ist also auf diesen Strecken wohl noch eine Weile mit mir zu rechnen, was mir sehr gefällt. Die Tannheimer Bergbahnen bringen es in ihrem Leitspruch abschließend auf den Punkt: Ein Stück Glück in den Bergen. Genau das war es.
Streckenbeschreibung:
Interessante, abwechslungs- und aussichtsreiche Runde inkl. 1.500 Höhenmeter.
Startgebühr:
39 bis 59 €, je nach Anmeldezeitpunkt.
Weitere Veranstaltungen:
10 km (Lauf oder Nordic Walking), 22,7 km, Kinder- und Schülerläufe.
Streckenversorgung:
Wasser, Iso, Riegel, Bananen. Hinten raus wäre Cola nett gewesen.
Auszeichnung:
Urkunde
Leistungen/Logistik:
Funktionsshirt. Alles Erforderliche und mehr an der Tennishalle Sägerklause.
Zuschauer:
Natürlich außer im Start-/Zielbereich sehr überschaubar.