Nach der Verpflegung bekommen wir die ganzen Höhenmeter zurück. Ich genieße noch einen Augenblick das Hochtal jenseits des Kronenjochs. Einzelne Schneefelder sind dort zu sehen. Und dann mache ich mich vorsichtig an den Anstieg. Ja, ich gebe es gleich zu, mit ist bange, es richtig laufen zu lassen. Doch einige Läuferinnen und Läufer springen hinunter wie die Gämsen. Da kann ich nicht mithalten. Anfangs ist der Untergrund noch griffig, später müssen wir über größere Steine hinwegsteigen. Fallen darfst du nicht, denn hier gibt der Stein nicht nach. Einer hat sich das Fußgelenk vertreten und kühlt es in einem Schneefeld. Später wird einem anderen das Knie verbunden.
Nach einer halben Stunde Abstieg erreichen wir den 2476 Meter hohen Finanzerstein. Noch im 20. Jahrhundert wurde hier über den benachbarten Futschölpass Tabak, Kaffee und Saccharin geschmuggelt. Die Finanzer wollten dem Schmuggel Einhalt gebieten und hatten an der Seite des Findlings eine notdürftige Unterkunft errichtet. Der Zollstützpunkt ist längst verfallen. Eine Öffnung aus Holz, da könnte eine Türe angebracht gewesen sein, und hingerichtete Steine sind noch zu sehen. Noch eine Stunde zur Jamtalhütte.
Ich habe mit Michael Hench, Werner Schlund und Alina Bruckelt einen Riesenspaß, als wir uns vor einem breiten Bach gegenseitig beim Fußbad knipsen. Meine B-Note für den technischen Wert ist eine 5,9. Wenigstens haut es mich nicht ins Wasser. Dann ist bereits die Jamtalhütte (2165 Meter) zu sehen, die ich um 12.20 Uhr erreiche. Auch hier wartet wieder eine V-Stelle.
15 Kilometer ist die Jamtalhütte von Galtür entfernt. Sie bietet knapp 200 Leuten Unterkunft. Schon 1882 wurde hier diese Unterkunft deutlich kleiner erbaut. Die Vergrößerungen erfolgten immer wieder Zug um Zug. Am 22.02.1999, dem Unglückswinterjahr für das Paznaun, gingen hier zwei Staublawinen nieder und beschädigten die Hütte stark. Durch die Oberländer, die Eigentümersektion Schwaben und der Wirtsfamilie wurde die Hütte nach modernsten Richtlinien lawinensicher hergerichtet. Schon im Sommer des gleichen Jahres wurde der Betrieb wieder aufgenommen. You still have 19 km, so heißt es auf einem Info-Schild.
Jetzt kann ich es laufen lassen, denn nur mehr eine kleine Steigung wartet an der Hütte, dann geht es auf einer Asphaltpiste mit reichlich Schlaglöchern weiter. An der Scheibenalm (1833 Meter) könnten wir einkehren, Apfelstrudel oder Mohntorte werden angepriesen, auch Almkäse und Almbutter können mitgenommen werden. Die Biertische oberhalb der Bergstraße sind gut besetzt. Der Werner Schlund ist kein Pferdeflüsterer, eher ein Kuhdressierer, denn die Tiere lassen sich am Kopf kraulen und halten still. Der Paparazzi freut sich ob der Motive.
Kurz nach der Mentaalm (auch bewirtschaftet) verlassen wir die Jamtalstraße und biegen links in einen Wiesenweg ein. Schon nach einigen Minuten bin ich in Galtür, die nächste V-Stelle wartet.
Wir verlassen Galtür auf der Hauptstraße in Richtung Wirl, biegen links ab und überqueren die Trisanna. Nach links sehe ich die 2558 Meter hohe Gorfenspitze und vor mir die 2671 Meter hohe Ballunspitze, die Hausberge Galtürs. An der Ballunspitze läuft im Winter der Skizirkus auf Hochtouren. Im Sommer nimmt die Birkhahnbahn dem Wanderer einige Höhenmeter ab. Richtig greislich riecht es hier, denn ein Landwirt muss kürzlich die Wiesen ordentlich mit Jauche gedüngt haben. Pfuideifi.
Wir sind nun auf der Südseite des Ferwalls unterwegs, dem Gebirge zwischen Klostertal, Stanzer Tal, dem Montafon und Paznaun. Der Weg auf der Sonnenseite des Ferwall unterhalb des Grieskogl (2754 Meter), Gaisspitze (2779 Meter) und Adamsberg (2486 Meter) verläuft zur Gänze in der Sonne, entsprechend warm ist es hier. Die immer wieder kurzen Steigungen sorgen nicht nur bei mir für Luftknappheit, es wird sogar das ein oder andere Mal gegangen. Und die wenigen Läufer, die ich noch erblicke, sind ebenfalls meist als Wanderer unterwegs.
Noch sechs Kilometer lese ich auf einem Schild. Ist es wirklich noch so weit? Ich zweifle, da ich in Galtür noch mit einer Zeit von sechs Stunden gerechnet habe. Aber das wird sich nicht mehr ausgehen. Prächtig ist jedoch der Ausblick hinein ins Jamtal, das wir vor einer Stunde durchlaufen haben, und auf den 2645 Meter hohen Predigberg. Noch vor dem Abschwung wälzt sich vergnügt ein Pferd auf dem Boden und wiehert drauf los.
In Tschaffein führt unser Kurs hinunter zum Paznauner Hof, wo ein Helfer für jeden einzelnen die Straße sperrt und sogar noch ein Lob für unsere Leistung übrig hat. Auf einem schmalen Pfad geht es hinunter zum Sägewerk, wo wir erneut die Trisanna überqueren. Zunächst gemächlich, später etwas steiler geht es dann bergan und wir finden die letzte von zehn V-Stellen. Nach einem Cola-Sturztrunk gehe ich die letzten zwei, drei Kilometer an. Mein Verfolger kann zwar noch an der Tankstelle auflaufen, aber ich starte, während er noch nachschütten muss. Ein längeres Stück laufen wir auf einem Wiesenweg und durchqueren ein Waldstück.
Dann bin ich erneut in Galtür, wo auf ein Walserhaus und eine Tränkhütte hingewiesen wird. Vor mir sehe ich Edgar Braig aus Münsingen, mit dem ich am Vortag die Pasta verdrückt habe. Auf meine Einladung („Geh mit“) geht er kurz ein, dann fällt er wieder in den Wanderschritt. Er ist platt und ich bin es auch. Ich gehe vorbei und laufe dann nach wenigen Minuten in den Zielbereich und über die Ziellinie, wo einige Zuschauer applaudieren. Uff, das ist eine harte Kiste.
Mein erster Weg ist gleich hinein zur Zielverpflegung, wo ein frisches und kühles Weizenbier auf den durstigen Bayern wartet. Auf dem Monitor der Zeitnahme sehe ich 6.23.57 Stunden für mich. Das ist dann doch eine gute Stunde mehr, als ich mir ausgerechnet hatte.
Meine Einschätzung jetzt: Wer eine Marathonzeit von mehr als 4.15 Stunden hat, sollte sich nicht auf dem Hard Trail versuchen, sondern gleich auf den Kurs über das Ritzenjoch gehen. Das Zeitlimit an der Heidelberger Hütte ist zu knapp. Wer einen flachen Marathon unter 4 Stunden läuft, sollte die Strecke über das Kronenjoch schaffen.
Nach einigen Bildern von den Zielläufern verziehe ich mich für eine frische Dusche ins Hotel und besuche anschließend die Siegerehrung, die in der Halle durchgeführt wird.
360 Läufer haben um das Preisgeld von 8000 EUR gekämpft. Dabei spendete jeder Läufer von seinem Startgeld fünf EUR an die Rückenmarksforschung „Wings for Life“. Katharina Zipser schaffte den Gesamtsieg zum vierten Mal in Folge. Der Lokalmatador Martin Mattle aus Mathon (nicht aus Marathon!) gewann bei den Herren ebenfalls deutlich. Schöner Zufall: Mit meiner Startnummer 42 komme ich auf den Gesamtplatz 42 bei den Herren. Mit Ansage geht das nicht.
Marathonsieger Männer:
1. Martin Mattle, Salomon Österreich, 4.19.32
2. Valentin Klausburg, 4,22,11
3. Dominik Memmer, DAV Sektion Pirmasens, 4.23.49
Marathonsieger Frauen:
1. Katharina Zipser, SK Rückenwind, 4.26.21
2. Emöke Paál, 4.58.53
3. Annette Frings, Selbstläufer SV Altenahr, 5.09.01
Wer noch einen Tag verlängert, für den habe ich noch ein Schmankerl übrig. Ihr habt die SilvrettaCard erhalten und mit der kann man bis zur Bieler Höhe fahren. Das ist der Übergang zwischen Tirol und Vorarlberg am Silvrettastausee.
Bei der Heimfahrt kann man diese Variante wählen, denn je nach Vorliebe kann man um den Stausee marschieren oder laufen (6,3 Kilometer lang ist die Umrundung, jeder Kilometer ist angezeigt). Oder man verlängert die Wandertour bis zur Wiesbadener Hütte (hin und zurück auf dem Fahrweg, etwa vier bis fünf Stunden). Nur wenig länger dauert der Rückweg von der Wiesbadener Hütte auf dem Sommerweg (ein Bergpfad, trittsicher sollte man aber sein). Oder man wählt die lange Variante über das Bieltal und den Radsattel, was etwa sechs Stunden dauert.
Ja, und wie am Matterhorn gibt es auch hier ein Jubiläum: Der Piz Buin wurde vor genau 150 Jahren zum ersten Mal bestiegen. Wer sich einem Bergführer anvertraut, kann sich an dem 3312 m hohen Bergriesen versuchen. Es wartet nur ein kleiner Kamin am Ende, den man unter Anleitung eines Bergführers sicher klettern kann. Die Aussicht ist gigantisch. Ich konnte das im Jahr 2011 bei herrlichen Sonnenschein genießen.