Den Schwaben wird als eine ihrer typischen Eigenschaften Fleiß nachgesagt. Vielleicht hat deshalb der Albmarathon nicht einfach nur 42,2 km, sondern ganze 50 km. Und die sind auch noch garniert mit 1100 Höhenmetern. 8 km mehr - man gönnt sich ja sonst nichts!
Früher waren Start und Ziel dieses mit seiner 33. Ausgabe bereits als Klassiker geltenden Marathons in der malerischen Altstadt, doch inzwischen wurden Start und Ziel zur Großsporthalle verlegt. Da diese weniger als zehn Minuten vom Bahnhof entfernt ist, kann ich bequem mit dem Deutschlandticket anreisen.
Heute dürfen wir auf die drei Kaiserberge der Schwäbischen Alb laufen. 200 Leute starten auf die lange Distanz, 239 auf die 25 km, weitere bei den Staffeln, sowie bei den 10 und 5 km Läufen.
Um 10 Uhr ist der Start für die 50 km und die 25 km. Eine originell kostümierte Musikkapelle sorgt hinter dem Startbogen für Stimmung. Zuerst laufen wir aus flacher Strecke aus dem Ort hinaus, nach einem Kilometer geht es durch eine Grünanlage entlang der Rems.
Entgegen der Wetterprognosen scheint am Morgen oft die Sonne und es bleibt bis gegen 16 Uhr trocken. Als ich vor 11 Jahren hier erstmals startete, sah ein Teil der frisch zugeschneiten Strecke ungewohnt weihnachtlich aus. Heute wird uns dagegen ein Musterbeispiel vom Goldenen Oktober geboten. Die bunten Herbstfarben scheinen regelrecht zu leuchten.
Bei km 3,4 beginnt der erste von vielen Aufstiegen. Teils laufe ich, teils wechsle ich in schnelles Marschtempo, so wie auch viele andere um mich herum. Nach 500 m kann ich bereits wieder bergab rennen.
Überraschend gibt es heute mehr Verpflegungsstellen als in der Ausschreibung angekündigt. Schon nach einer Stunde erreiche ich die erste. Nun führt die Strecke durch das Beutental. Ich komme am Beutenhof, einem kleinen Fischteich und am Waldcafé Beutental vorbei.
Den nächsten Aufstieg könnte ich eigentlich komplett laufen, aber ich spare mir meine Kraft und reduziere das Tempo. Bald erreiche ich Burg Wäscherschloss, auch Wäscherschlössle genannt. Schon im 11. Jahrhundert stand hier ein Wohnturm, der dann im 13. Jahrhundert zur Burg erweitert wurde. Die aus Buckelquadern erbaute Umfassungsmauer stammt noch aus dem 13. JH, der Eingangsbereich wurde aber nach einem Einsturz im Jahr 1915 neu errichtet. Ein Teil des mittleren Stockwerks wird durch Fachwerk aus dem 15. JH geziert.
Es folgen einige Kilometer ohne allzu große Höhenunterschiede, mal über Feldwege, mal Asphalt oder Betonplatten, immer über sonnige Streuobstwiesen mit Herbstfarben und schooner Aussicht. Was für ein schöner Oktobertag!
Bald sehe ich die Kaiserberge vor mir. Geologisch bezeichnet man sie als Zeugenberge, da sie nicht wie normale Berge durch Faltung der Landschaft, sondern durch Erosion entstanden. Vor Jahrmillionen bedeckte ein Meer diese Region. Aus den ehemaligen Korallenriffen entstand der Kalk, der heute das Plateau der Schwäbischen Alb bildet. Ursprünglich waren auch die drei Zeugenberge Bestandteil davon, doch im Laufe der Zeit wurden sie durch die Erosion davon getrennt und stehen nun wie kleine Inseln etwas abseits.
Ab km 14,5 ist für mich wieder Zeit zum Marschieren. Einen Kilometer weit geht es stramm bergauf, dann bleibt die Strecke eine Weile wieder relativ einfach. Ich komme an der Spielburg vorbei, kein historisches Gemäuer, sondern ein bis zu 15 m hoher Weißjurafelsen, der vor etwa 2,5 Millionen Jahren als Scholle vom Hohenstaufen abgeglitten ist.
Am Ortsrand von Hohenstaufen beginnt der Aufstieg zu unserem ersten Gipfel. Zuerst marschiere ich über eine steile Wiese bergauf.
Dann erreiche ich die erste von mehreren Stellen, an denen mir heute Läufer begegnen, die schon viel Vorsprung haben. Der Marsch auf den Hohenstaufen (684 m) ist eine Wendepunktstrecke. Ausgrabungen bewiesen, dass der Gipfel schon mindestens seit der Merowingerzeit, vermutlich sogar seit der Bronzezeit bewohnt war. Lange Zeit dachte ich, der Name Hohenstaufen stamme von dem Königs- und Kaisergeschlecht der Staufer, das hier seinen Stammsitz hatte. In Wahrheit ist es genau umgekehrt. „Stauf“ wurden früher hohe, spitze Bergkegel genannt. Herzog Friedrich I. von Schwaben war der erste, der sich nach Burg und Berg nannte. Danach war der Hohenstaufen bis Mitte des 13. Jahrhunderts Stammburg des Königs- und Kaisergeschlechts der Staufer.
Die Burg wurde um 1070 anstelle einer älteren Befestigung erbaut, aber 1525 im Bauernkrieg zerstört. 30 Jahre später wurden die Steine der Ruine für den Bau des Göppinger Schlosses genutzt. Von oben genieße ich die weite Aussicht. Unter anderem blicke ich hier auf den Albtrauf, einen insgesamt etwa 200 km langen Steilabfall, der das Hochplateau der Schwäbischen Alb mit markanten Abbruchkanten vom tieferen Land trennt.
Nach Erreichen des Gipfels renne auch ich schnell bergab, dann auf flacher Strecke entlang des Berges. Nur kurz erhasche ich einen Blick auf die im 15. Jahrhundert erbaute Barbarossakirche St. Jakobis.
Etwa 5 km weit geht es wieder mit meist nur leichten Auf- und Abstiegen sowie viel Aussicht weiter. Dann folgt ein etwas steilerer Aufstieg zu Burg Hohenrechberg, die wir aber nicht direkt erreichen, sondern bei der wir nur unter der Brücke zum Eingang hindurch laufen. Anfang 13. Jahrhundert wurde sie als staufische Dienstmannenburg erbaut. Nachdem sie den Bauernkrieg und weitere Kriege trotz mehrerer Besetzungen überstand, fiel sie nicht menschlicher Gewalt, sondern der Natur zum Opfer, als sie 1865 nach einem Blitztschlag abbrannte.
Ein Kreuzweg führt mich weiter auf den 700 m hohen Gipfel und zur barocken Wallfahrtskirche St. Maria Hohenrechberg. Hier ist die größte Verpflegungsstelle und das Ziel der 25 km Strecke. Anders als bei vielen anderen Laufveranstaltungen kann man hier auf halber Strecke entscheiden, ob man sich den Rest zutraut oder lieber nur für die kürzere Distanz gewertet werden will. Marathonis, die am Hohenrechberg schon aufhören wollen, zählen daher nicht als DNF sondern als 25 km Finisher und fahren mit dem Bus zurück.
Da es auf der gesamten Strecke keine Kilometerangaben gibt, kann ich nur schlecht abschätzen, ob ich für meine Verhältnisse zu schnell laufe oder ob ich mich beeilen muss, um im Zeitlimit zu bleiben. Ich habe mir nur die Cut-Off-Zeit für Hohenrechberg aufgeschrieben und merke jetzt, dass mir noch eine halbe Stunde Reserve bleibt. Ich zweifle aber nicht daran, dass ich auch die zweite Streckenhälfte rechtzeitig schaffen werde, denn ich habe heute wirklich Bock auf die Strecke.
Dass mir vor 5 Tagen ein Backenzahn zerbröselte und ich seither nur sehr eingeschränkt essen konnte, entzog meinem Körper zwar wichtige Grundlagen. Gleichzeitig befeuerte aber Anfang der Woche ein fast stündlicher Blick ins Internet mein Lauffieber, als ich online mitverfolgte, wie in Amerika mit 639 km in 108 Stunden ohne Schlaf ein neuer Backyard-Weltrekord gelaufen wurde.
Die nächsten 800 m steil hinab in den Ort Rechberg gehen ordentlich in die Beine, aber ich liebe solche Abstiege. Nach Durchquerung des Ortes laufe ich bei moderater Steigung wieder bergauf.
Dann kommen mir auf einem kurzen Wegstück erneut viele Läufer entgegen, denn zum Stuifen, dem letzten unserer Kaiserberge, führt eine 3,5 km lange Wegschleife.
Mein Trailrunnerherz freut sich über einen 1,4 km langen herrlichen Single-Trail, der zuerst relativ flach durch den Wald und zu Wiesen mit Aussicht führt, dann aber mit einem wirklich knackigen Aufstieg endet. Unsere Route führt nicht ganz hinauf zum Gipfel des 757 m hohen Stuifen, sondern in 719 m Höhe unterhalb vorbei.
Hier stand nie eine Burg. An einer Freifläche auf der Westseite des Berges wurde 2011 ein 12 m hohes Holzkreuz aufgestellt. Vor diesem werden an einem Wendepunkt unsere Startnummern notiert.
Nach dem Abstieg erreiche ich bald die nächste Verpflegungsstelle. Da es nun über zwei weitere Wegschleifen geht, ist diese sowohl für km 32,2 als auch für km 37,5 zuständig. Hier begegne ich vielen Leuten, die schon eine Stunde Vorsprung haben.
Auf der Karte sieht es hier etwas verwirrend aus, aber die Orientierung ist für uns kein Problem, da Streckenposten und gute Markierung keine Zweifel lassen, wohin wir müssen. Wieder geht es mal relativ leicht voran, mal mit steileren Auf- und Abstiegen, und wie heute schon gewohnt abwechselnd über Asphalt, unbefestigte Wege oder kurze Trails. Einmal steigen wir sogar entlang einer kleinen Skipiste bergauf.
Die nächste Wegschleife führt unter anderem zur Reiterleskapelle. Zweimal laufe ich bei diesen Schleifen unterhalb des Schönberg vorbei, auf dem eine kleine Wacholderheide wächst.
An der Verpflegungsstelle freue ich mich über Bouillon, in die ich eine Extraportion Salz streue, denn das brauche ich jetzt. Noch eine Cola, dann marschiere ich weiter. Die letzten 12,5 km eignen sich eigentlich gut für schnelles Tempo, da die Auf- und Abstiege nur noch recht harmlos sind, aber bergauf wandere ich jetzt dennoch lieber.
Ich weiss, dass ich heute der vorletzte Läufer bin, aber der Zielschluss ist keine Gefahr für mich. Bei km 42 bekomme ich noch einmal etwas zu Trinken, ebenso bei 44,5. Dort stehen noch viele gefüllte Becher auf dem Tisch. „Trink alle aus, sonst müssen wir alles selbst trinken“ meint einer der gut gelaunten Helfer.
Etwa 4 km weit kann ich nun ganz bequem und mit nur minimalen Gefälle der Trasse der ehemaligen Hohenstaufenbahn folgen. Seit 1990 führt ein Fahrrad- und Wanderweg über den Bahndamm der 1984 stillgelegten Verbindung. Bisher war die Strecke hervorragend markiert, doch hier irritiert es mich, dass an zwei Stellen markierte Wanderwege hinab nach Schwäbisch Gmünd abzweigen, aber keine blauen Pfeile am Boden anzeigen, welchen ich nehmen muss. Egal, ich kenne mich aus. Die letzten Kreuzungen sind dann wieder klar markiert.
Zuletzt laufe ich noch einen Kilometer weit ähnlich wie beim Hinweg am Ortsrand, dann erreiche ich das Ziel. 7:13, nur 17 Minuten vor Zielschluss, mehr als eine Stunde später als beim letzten Mal. Aber dafür konnte ich aber auch die herrliche Herbstlandschaft länger genießen.
Den Albmarathon kann ich sehr empfehlen. Für Stadtmarathonis bietet er eine Gelegenheit, zwischendurch auch mal das Laufen auf Trails zu erleben. Für fanatische Trailrunner wie mich sind die vielen Kilometer auf befestigtem Untergrund mal eine Abwechslung anders herum.