Fotos: Björn Niehenke
… das schaffen viele.“ Friedrich Wilhelm Raiffeisen, vor exakt 200 Jahren in Hamm (Sieg) geboren, gründete angesichts der wirtschaftlichen Not vieler bäuerlicher Mitbürger vor 160 Jahren in Flammersfeld (Westerwald) als deren Bürgermeister den „Flammersfelder Hilfsverein zur Unterstützung unbemittelter Landwirte.“ Die Idee des Sozialreformers war der Genossenschaftsgedanke: Menschen übernehmen füreinander Verantwortung, und jeder kann von den gemeinsamen Anstrengungen profitieren.
Dieser Leitgedanke, den ich auf dem Weg zur ersten Etappe des diesjährigen Rheinsteig-Erlebnislaufs von Bonn nach Wiesbaden im Radio hörte, war sofort als Berichtstitel beschlagnahmt. Denn was könnte besser zum karitativen Zweck des heute beginnenden gemeinsamen Unternehmens passen? „Gesunde Muskeln für kranke Muskeln“ heißt das Motto der achttätigen Tour über den Rheinsteig mit 320 km und 11.500 Höhenmetern. Jeder, auch Etappenläufer wie ich, spenden einen kleinen Betrag pro km zugunsten der Forschung gegen die Duchenne Muskeldystrophie. 2.500 Jungen in Deutschland leiden darunter, sie werden immer schwächer und versterben früh. Die wirtschaftlich orientierte Forschung behandelt sie stiefmütterlich, weil die Fallzahlen gering sind. Und dagegen laufen wir an.
Der nette Hotelier aus Scheuren (Unkel), der das Gepäck abholt, liefert meine Lauffreundin Iris und mich morgens an der Unterkunft auf dem Bonner Venusberg ab, wo es pünktlich um 8:30 Uhr losgeht. Im Gruppenlauf, versteht sich. Und der dauert zunächst einmal stolze 380 m, dann sind wir am Kindergarten und nehmen die nächsten 500 m, jeder ein Kind an der Hand, gemeinsam unter die Füße. Die knapp fünfjährige Frieda erzählt mir unterwegs ihre Lebensgeschichte und ihre Mama, die mit anderen einen netten Verpflegungstisch aufgebaut hat, lacht sich scheckig, was ich alles weiß.
Bergab geht es in die Bonner Innenstadt zum alten Rathaus. Dort, nach viereinhalb km am offiziellen Beginn des Rheinsteigs, werden wir, das sind heute rund fünfundzwanzig Läufer und Walker (die bestreiten Teilstrecken) beiderlei Geschlechts vom Bürgermeister, der BB-Bank als Hauptsponsor und der Vorsitzenden des Vereins öffentlichkeitswirksam begrüßt und pressebegleitet auf die Reise geschickt. Die BB-Bank, eine Genosenschaftsbank – hier sind wir wieder bei Raiffeisen und seinen genialen Gedanken -, spendet stolze 2.000 €.
Noch zunächst über den Rhein nach Beuel, durch die Telekom-Zentrale, über die Autobahn und durch einen Vorort steht bald die erste Steigung zum sog. Foveaux-Häuschen an. Dies ist ein im Jahr 1820 errichteter netter Aussichtspunkt, an dem eine erste kurze Rast eingelegt wird. Für diejenigen, die diese Art der Fortbewegung nicht kennen: Es eine Art „Wanderlauf“, die Gruppe bleibt zusammen, geht die Bergaufstücke, joggt die Geraden und läuft bergab. Trotzdem sollte die Veranstaltung aus sportlicher Sicht nicht unterschätzt werden.
Die Laufgruppe hat wegen der Tagesläufer ein täglich wechselndes, großes Teilnehmerfeld mit stark unterschiedlichem individuellem Leistungsvermögen. Dies stellt die Gruppe im wahrsten Sinne des Wortes vor eine Zerreißprobe. Der Lösungsansatz ist, auch wenn nicht alle händchenhaltend durch den Wald laufen müssen, in Sicht- bzw. Rufkontakt zu bleiben. Denn wenn die Schnellen schnell vorlaufen, müssen sie ganz schnell auch schnell warten, weil den etwas Langsameren auch eine schnelle Pause gegönnt sein will, wenn sie die Schnellen wieder eingeholt haben. Selbstverständlich gehört auch das Genießen von Aussichtspunkten dazu. Helmut und Björn, die für diesen Lauf erstmals organisatorisch die Verantwortung tragen und damit Brigitte und R(ud)olf Mahlburg beerbt haben, meistern dies bravourös: Einer vorne, einer hinten, so klappt das prima.
Wir erreichen den Wald, der sich hier noch Ennert nennt, bevor er später zum Siebengebirge wird. Oberhalb der unmittelbar am Rhein verlaufenden B 42 geht es rheinaufwärts über gute Waldwege in Richtung Oberdollendorf. Das nördlichste rheinische Weinanbaugebiet gewährt jede Menge schöne Blicke über die Weinberge und Vater Rhein. Der markante Petersberg mit dem Steigenberger Hotel auf der Spitze (früheres Gästehaus der Bundesregierung) ist unser nächstes Ziel, das wir durch ein kleines Tor auf steilem Weg erklimmen. Von dessen Terrassenseite aus kann man einen unvergleichlichen Blick auf das gegenüberliegende Bonn genießen, wenn das Wetter stimmt. Wir wollen uns nicht beschweren, es ist zumindest trocken. Hier machen wir, wie immer, eine kleine Rast und nutzen auch die saubere, geheizte (!) Toilettenanlage. Der Clou ist heute eine von der Frau eines Mitläufers gestellte private Verpflegungsstation, die fast zu gemütlich ist, um wieder anzulaufen.
Den Petersberg müssen wir wegen der Feuchtigkeit sehr aufmerksam hinablaufen, dazu hat man schnell mal eine Abzweigung verpaßt und muß wieder den Pfad der Tugend finden. Wir überwinden den vielbefahrenen Zubringer zur A 3 und sind im Gelände der traditionellen Läufe des LT Siebengebirge. Vom Geisberg haben wir eine sensationelle Sicht rheinaufwärts, bevor uns der Weg wieder hinabführt. Wir passieren nach einer langen Bergabpassage das sog. Milchhäuschen, ein hochbeliebtes Ausflugslokal.
Der nächste dicke Brocken, das erkennen wir nach der Unterquerung der Gleisanlage schnell, wird der Drachenfels. Zwischenziel auf dem Weg zum „höchsten Berg Hollands“ (früher fielen die Kameraden hier zu Tausenden ein) ist zunächst die Drachenburg, ein frisch renovierter Traum in Stein mit wechselvoller Geschichte. (Erst) 1882 legte Baron Stephan von Sarter, er war durch Börsenspekulationen zu großem Reichtum gelangt, den Grundstein zu seinem repräsentativen Wohnsitz, einer Mischung aus Villa, Burg und Schloss. Er wohnte hier zwar nie, hinterließ uns aber ein Kleinod, an dem vorbeizulaufen eine Freude ist. Wer hier noch nicht dabei war, hat echt etwas verpaßt.
Weiter geht es den Drachenfels steil hinauf. Früher wurden die Holländer in Bataillonsstärke auf Eseln hinaufbefördert. Leider ist der Eselsweg wegen Hangsicherungsarbeiten für ein Jahr gesperrt, weshalb wir eine Ausweichstrecke nehmen müssen. Wir teilen uns etwas unterhalb der Bergspitze, einige nehmen eine Abkürzung, die meisten aber wollen ganz nach oben. Hier angekommen überwältigt uns der Blick schlechthin. Auf der anderen Seite geht es wieder herunter Richtung Rhöndorf, der Heimat unseres ersten Bundeskanzlers, Konrad Adenauer. Es ist ein lohnenswertes Ausflugsziel.
Nach dem Erklimmen des Breibergs, umrunden wir (leider nur) die ruinöse Löwenburg. Nach 34,5 km legen wir eine etwas längere Rast im dortigen Gasthaus ein. Herrlich, auf den Tischen sind jede Menge Kaltgetränke bereitgestellt, Wasser, Apfelschorle und Cola können kaum so schnell nachgereicht werden, wie sie in unseren Hälsen verschwinden. Schon länger vorher hat eine gemeinsame Raum-/Zeit-Berechnung von Iris, dem unterwegs zugestiegenen Peter und mir ergeben, daß wir in diesem Tempo unsere unterschiedlichen Abendprogramme nicht rechtzeitig werden erreichen können. Daher müssen wir uns nach dem Genuß herzhaften Rhabarberstreusel von der Gruppe verabschieden und nach vorne absetzen. Trotz der Sitzpause kommen wir problemlos wieder in den Laufmodus. Anschließend stürzen wir uns hinab ins Schmelztal. Seit 1753 wurde hier für rund 120 Jahre intensiver Bergbau (Kupfer, Blei, Zink und Eisen) inkl. des Schmelzens (daher der Name des Tals) betrieben werden.
Die Aktualisierung unserer Raum-/Zeit-Berechnung fällt zuungunsten der weiteren Verfolgung des Rheinsteigs aus, daher steuern wir auf kürzestem Wege Bad Honnef an und sind begeistert über einen tollen, 2 km langen Singletrail entlang eines Baches in die Stadt. Und selbst dort zwischen Wohnbebauung und Gewerbegebieten finden sich zahlreiche schöne Pfade, wenn man sich, wie Iris und Peter, bestens auskennt.
So sind wir nach sechseinhalb Stunden Bewegungszeit bereits nach 45 km und 1.200 Höhenmetern am Ziel vorm Scheurener Hof. Die ohne uns verwaiste Truppe wird zwei Stunden später mit sieben km und 400 Höhenmetern mehr auf dem Tacho eintreffen. Peter schießt noch ein Beweisfoto von Iris und mir, dann ist das Thema Rheinsteig-Erlebnislauf 2018 für mich leider schon Geschichte.
Bis Karfreitag wird noch gelaufen, Begleitläufer, auch über nur wenige km, sind jederzeit herzlich gerne gesehen. Einfach morgens am Start da sein genügt. Wo das genau ist und noch viel mehr, verrät die Internetseite
www.rheinsteig-erlebnisauf.de.
Ich freue mich schon auf 2019.