Von Glück darf man wohl sprechen, wenn der um die Jahreswende stark ausgedünnte Marathonkalender noch etwas Neues für einen und das dazu in akzeptabler Entfernung bereithält. So mache ich mich am vorletzten Tag des Jahres auf den Weg ins rund 110 km entfernte Wuppertal, um am gut besuchten Gruppenlauf über 42,195 km bei offiziellen 1.150 Höhenmetern teilzunehmen und dabei zu versuchen, nicht über die Wupper zu gehen. Alternativ ist auch ein Einstieg bei km 17 für die letzten 25 km möglich.
Was kennt man als Ortsfremder von Wuppertal? Nun, wir Läufer in erster Linie wohl das benachbarte Remscheid, wo man zumindest einmal im Leben am von unserem Kollegen Peter Ickert veranstalteten Röntgenlauf (63/42/21 km) teilgenommen haben sollte. Oder das nahe Solingen mit seinem immer wieder gerne belaufenen Klingenpfad. Bei Wuppertal, der aus Barmen und Elberfeld gebildeten Doppelstadt, fällt mir vornehmlich die historische Schwebebahn ein, mit der ich zu meinem Bedauern immer noch nicht gefahren bin. Apropos fahren: Soll ich überhaupt? Das Wetter ist bescheiden, schwere Matsche zu erwarten und ordentlich regnen soll's obendrein. Nun, 15 km fehlen mir noch zu meinen angestrebten 3.000 jährlichen km, die könnte ich doch auch schön zuhause... Fort mit den bösen Gedanken, bin ich denn ein Weichei? Leider ja. Ich fahre trotzdem.
Treffpunkt ist das Gartenhallenbad in Wuppertal-Cronenberg, an dem rund 100 Unentwegte um 9 Uhr über die Marathondistanz starten. Weitere rund 100 Teilnehmer werden sich nach 17 km gute zwei Stunden später anschließen, ein durchaus ansehnliches Feld also. Vernünftigerweise in Anbetracht der Jahreszeit und auch der Bodenverhältnisse handelt es sich beim Bergischen Wupperlauf um einen Gruppenlauf in „geschmeidiger“ Atmosphäre ohne Zeitdruck. Ortskundige Läufer sind als Zug- und Bremspferde eingeteilt und sollen für ein gleichmäßiges Tempo sorgen, Raser sind ausdrücklich nicht willkommen. Am zweiten Verpflegungspunkt bei KM 17 kann sich die Gruppe in mehrere kleine Einheiten mit verschiedenen Tempi teilen. Die letzten 11 km werden ausgeschildert und „frei“ sein. Anschließend steht das Bad zum Duschen, Planschen und Saunieren zur Verfügung, die Angestellten unterbrechen extra ihren Urlaub für uns. Welch ein Service!
Veranstalter ist Oliver Witzke, der beileibe nicht nur diesen Lauf anbietet, sondern eine ganze Reihe weiterer, so z.B. in Nachfolge der ehemaligen Organisatoren den Rheinsteig-Extremlauf und in diesem Jahr erstmals den kompletten Deutschlandlauf. Da hängt die Messlatte für heute aber hoch. Los geht’s nach seiner Einweisung unter der Führung von Andreas Häusler, dem immer wieder gerne gesehenen Lauffreund, der quasi im Herzen unseres heutigen Reviers zuhause ist. Nach einem km haben wir die Bebauung verlassen – hier bewundere ich immer wieder die regionstypischen, vollverschieferten Häuser mit weißen Fensterrahmen und grünen Klappläden - und tauchen in den Wald ein. Schön empfinde ich es, zahlreiche weitere Laufbekannte zu treffen, von denen ich nicht wenige bereits bei einer der bisherigen fünf Ausgaben meines Wiedtal-Ultratrails in Waldbreitbach begrüßen konnte. Das hier und heute geht definitiv als geeignetes Training dafür durch.
Bereits der zweite km zeigt, was uns im Folgenden erwarten wird: Schlammige Trails, die man im derzeitigen Zustand eben nicht locker herunterspringen kann (zumindest ich nicht), immer wieder mehr oder weniger elegant zu überquerende umgestürzte Bäume und auch zahlreiche Bäche, die im weiteren Verlauf mehr und mehr Kameraden unter dem Motto „Augen zu und durch“ überwinden werden. Nach 3 km streifen wir Berghausen, nach 5 km sind wir auch in Sudberg durch. Meinen Augen traue ich kaum, als ich einige Mitläufer beiderlei Geschlechts in den von mir unter anderen Bedingungen hochgeschätzten Luna-Sandalen laufen sehe. Grünlackierte Zehennägel, zwischen denen satt der Matsch quillt – das hat schon was. Die „große Kreuzung“ erreichen wir nach 6,5 km und überqueren erstmals die Wupper. Große Kreuzung deshalb, weil sich hier die nördliche und südliche Hälfte des Kurses in Form einer Acht treffen, wo wir nach gut 31 km wieder durchkommen werden.
Beim VP 1 nach 7,5 km können wir das erste von fünf Mal auftanken. Man bietet uns warmen Tee und ebensolches Wasser, was ich gerade im späteren Verlauf immer höher schätzen werde, an. Auch gibt es neben weiteren Getränken Abwechslungsreiches zu knabbern, da bleibt wohl kaum ein Wunsch offen. Ein besonderes Lob verdient sich Stefan Jung, der kurzfristig eine personelle Lücke schließt und selbstlos vom Läufer zum Versorger mutiert. Günter Liegmann, Finisher des Deutschlandlaufs 2017 aus Osnabrück, frage ich nach seinem Freund HaWe Rehers, auf den ich mich besonders gefreut hatte. Aber „Der hat heute ein Motivationsloch“. Beim Silvesterlauf mit Günter wird aber nicht gekniffen, HaWe!
Weiter geht's entlang der Wupper. Kurze Zeit später erreichen wir mit der Müngstener Brücke den für mich optisch attraktivsten Punkt des Kurses. Sowohl beim Röntgenlauf als auch beim Klingenpfadlauf konnte ich sie unterqueren, inzwischen fast schon vertraut wirkt sie auf mich. Kein Wunder übrigens, dass man sie auch schon als deutsche Antwort auf den Eiffelturm bezeichnet hat, denn die vor 120 Jahren fertiggestellte ehemalige Kaiser-Wilhelm-Brücke ist mit 107 m Höhe die höchste Eisenbahnbrücke Deutschlands. Über die Wupper verbindet sie Remscheid und Solingen, wobei wir wieder bei den vorhin genannten Läufen wären.
Bei der Gaststätte Wiesenkotten queren wir das zweite Mal den diesem Lauf namengebenden Fluss, der im Bergischen entspringt und nach 117 km und 400 Höhenmetern bei Leverkusen in den Rhein mündet. Der elfte und zwölfte km führen uns, einige Zeit begleitet mich der kurzweilige Dirk Pretorius, stramm bergauf und die Seilbahn außer Acht lassend, durch Burg mit seinem markanten Schloss. Die aus dem 12. Jahrhundert stammende Anlage wurde im 19. Jahrhundert als größte Burganlage Nordrhein-Westfalens umfassend wiederhergestellt und stellt heute das Wahrzeichen des Bergischen Landes dar. Womit auch wieder etwas erklärt wäre: „Bergischer“ Wupperlauf hat mitnichten mit „Bergigem“ zu tun, obwohl man das unter Beachtung der Topographie durchaus annehmen könnte. Nein, der Begriff leitet sich von den Grafen von Berg ab, die der Gegend ihren Namen gaben.
Eine Zeitlang bewegen wir uns nun (neben dem Bergischen Weg auch) auf dem Klingenpfad (den ich allerdings nicht wiedererkenne) und erreichen nach gut 13 km den südlichsten Punkt unseres heutigen Abenteuers. Weiteren Grund zu „Ah“ und „Oh“ bietet die Sengtalsperre, deren 178 m lange Staumauer wir nach 15 km überlaufen. 1903 fertiggestellt, zählt sie zu den ältesten deutschen Trinkwasserspeichern. 5 m ist die Staumauer oben dick, stolze 36,6 m unten. Um zum VP 2 nach 17 km zu gelangen, überqueren wir erneut die Wupper, auf dem Rückweg dann bereits zum vierten Mal. Einige Läufer inkl. mir glauben, intelligent zu sein, und den besseren Weg zu nehmen, landen aber mitten in einer total matschigen Wiese. Heute bekommen wir echt etwas geboten. Meine Herren, das saugt einem die Kraft aus den Knochen! Am VP werden wir schon erwartet und mit großem Hallo schließen sich uns an die hundert weitere Läufer für die letzten 25 km an.
Kaum weitergezogen, zeigen die ersten schon Ausfallerscheinungen, zumindest im Oberstübchen. Alle lachen sich schlapp über diejenigen, die mitten durch den Bach laufen anstatt die Brücke zu nehmen, denn wenigstens einmal sollte man doch heute saubere Schuhe haben. Das hält natürlich maximal fünf Meter... Das sind echte Trailer, muss man neidlos anerkennen. Zur Halbzeit geht’s zum fünften Mal über die Wupper und nach 24 km dient der seinerzeitige VP 2 jetzt als VP 3. Wieder glauben wir intelligent zu sein und nehmen eben nicht die Straße, sondern den parallel verlaufenden Weg. Der uns natürlich in eine Au führt, wo wir mit Riesenglück einen wackligen Übergang über den Graben zur Straße zurück finden. Fast überflüssig ist es, das Schild „Betreten verboten“ zu erwähnen.
Mein Orientierungssinn scheint mich verlassen zu haben, als neben einem einsamen Gebäude plötzlich das Straßenschild „Karlsruhe“ auftaucht. Da haben wir doch eine gewaltige Strecke zurückgelegt! Glücklicherweise hat, still und heimlich, der Regen nachgelassen, was die äußeren Umstände zumindest oberhalb der häufig kaum noch vorhandenen Grasnabe etwas einfacher macht. Nochmals Teile des Klingenpfads nehmend, kommen wir erneut zur Müngstener Brücke und können, jetzt gerade bei der Unterquerung, das gewaltige Bauwerk bewundern, das derzeit umfassend renoviert wird. Im letzten Augenblick höre und sehe ich erstmals eine Bahn darüber fahren. Nach 31 km stoßen wir wieder auf den Hinweg, laben uns am VP 4 (ehemals VP 1), überschreiten zum sechsten Mal die Wupper und befinden uns nach Verlassen der „großen Kreuzung“ wieder auf der nördlichen Hälfte unserer Kurses in Form einer Acht.
Bereits seit km 31 hat Oli den restlichen Weg mit rosa Pfeilen markiert, sodass grundsätzlich niemand mehr verlorengehen sollte. Ein ganz besonderes Glanzlicht stellt ein Weg inkl. des danebenliegenden Ackers dar, bei denen es völlig egal ist, wo man entlangwackelt. Das tiefgründige Lehrgeschmier bereitet nicht nur mir intensive Traktionsprobleme, und das auch noch bergauf. Den nächsten km verbringen wir auf der Bergbahntrasse, bevor es nach 36 km am fünften VP letztmals Atzung gibt. Hier erlebe ich einen echten Männertraum, denn drei Damen verführen mich. An Ort und Stelle. Gemeinsam. Gleichzeitig. Wohlig rinnt der Sekt durch unsere Kehlen, super Verpflegung! Wie hieß es doch schon beim Wolfgangseelauf, aus dem „Im weißen Rössl“, nur ganz wenig verfälscht?
Als Als Wolfi in der Wiege lag, da war es schon zu seh'n:
Das Kind wird wunderschön wie'n Standbild aus Athen!
Die Männer wurden grün vor Wut, die Mädchen in der Stadt,
Die sagten: Nur kein Neid! Wer hat, der hat!
Was kann der Wolfgang denn dafür, dass er so schön ist?
Was kann der Wolfgang denn dafür, dass man ihn liebt?
Die Leute tun, als ob die Schönheit ein Vergehn ist -
Man soll doch froh sein, dass es sowas Schönes gibt.
Was kann der Wolfgang denn dafür, dass er so schön ist?
Der Wolfgang ist nun mal ein süßer Kavalier,
Und dass er immer bei den Damen gern geseh'n ist,
Was kann der Wolfgang, ja der Wolfgang denn dafür?
Eine der Verführerinnen, die Koblenzerin Antje Ueberholz, nicht nur in Waldbreitbach immer gerne gesehen, begleitet mich jetzt bis zum Ende und gestaltet den letzten Weg kurzweilig.
Der 38. km bringt mit der Kohlfurther Brücke dann die siebte Wupperquerung, womit wir den „Auftrag“ des Titelsongs des zweiten Albums der Gruppe Karat erfüllt haben. Gefühlt schon kurz vor dem Ende kommen wir beim km 40 zum sog. Friedrichshammer im Kaltenbachtal. Wer den an zahlreichen Hämmern vorbeiführenden Röntgenlauf einmal mitgemacht hat, weiß die Bezeichnung Hammer zu deuten: Es handelt sich dabei nämlich um ehemalige Schmieden. Hier ist davon allerdings kaum noch etwas zu entdecken.
Zwei weitere Trail-km später ist es dann nach fast sechs (!) Stunden in Bewegung geschafft, das Gartenhallenbad wieder erreicht. Wer jetzt meint, das sei es nach 42 wunderschönen, witterungsbedingt aber wirklich harten km mit 1.215 Höhenmetern gewesen, der irrt. Denn wir dürfen die Annehmlichkeiten des Hallenbades noch genießen: Warme Duschen, Schwimmbecken, Saunalandschaft mit Tauchbecken und allem Drum und Dran, sowie einen geöffneten Kiosk – toll! Schlappe 14 Euro hat uns das heutige Vergnügen gekostet, alleine der reguläre Eintrittspreis für Bad und Sauna beträgt 14,50 €.
Leicht lädiert und nicht mehr ganz so geschmeidig verlasse ich mit einer handgeschriebenen Urkunde hochzufrieden diese schöne Veranstaltung und komme gerne wieder.
Streckenbeschreibung:
Sehr attraktiver Einrundenkurs in Form einer Acht mit 1.215 „netten“ Höhenmetern und sehr hohem Trailanteil.
Startgebühr:
14 € bei Voranmeldung, 20 € für Nachmelder.
Weitere Veranstaltungen:
25 km
Leistungen/Auszeichnung:
Vor-Ort-Urkunde
Logistik:
Alles am und im Gartenhallenbad Cronenberg, freier Eintritt ins Bad und Sauna.
Verpflegung:
5 gut bestückte VP.