Was diesen Lauf speziell auszeichnet ist, dass er durch den größten zusammenhängenden Lorbeerwald der Welt führt. Ich hatte mich daher für dieses Abenteuer frühzeitig angemeldet
Amerikanische Läufe haben immer etwas Besonderes zu bieten. Ich war in diesem Jahr schon in den Everglades, der Mojave Wüste und den Santa Monica Mountains in Kalifornien. Insgesamt habe ich schon 50 Marathons und Ultras dort gemacht. Ein großer weißer Fleck blieb jedoch noch auf meiner US-Karte: Die Appalachen.
Die Appalachen (Appalachian Mountains) sind ein bewaldetes Mittelgebirge im Osten Nordamerikas, das sich über eine Länge von 2400 Kilometer von der kanadischen Provinz Québec bis in den Norden des US-Bundesstaates Alabama erstreckt. Benannt sind sie nach dem indianischen Stamm der Apalachee.
Diese Region ist sehr stark bewaldet und extrem abgelegen. Beim Cloudsplitter 100 werden Strecken von 25, 50 und 100 Kilometern sowie 100 Meilen Lauf angeboten und von Susan Howell und ihrem Mann organisiert. Er findet in Elkhorn City in Kentucky statt und verläuft entlang der Staatsgrenze von Kentucky und Virginia auf dem Pine Mountain Trail.
Was diesen Lauf speziell auszeichnet ist, dass er durch den größten zusammenhängenden Lorbeerwald der Welt führt. Ich hatte mich daher für dieses Abenteuer frühzeitig angemeldet und Flug, Hotel und Mietwagen bestellt. Dann kam jedoch der Schock: 4 Wochen vor Abflug zog ich mir einem Muskelriss in der rechten Wade zu. Aus leidvoller Erfahrung wusste ich, dass das normalerweise 4 Wochen Pause bedeutet. Also bestand noch ein wenig Hoffnung.
Nach 1 Woche konnte ich schon wieder ein wenig walken und konnte das Pensum langsam steigern bis auf 3 Stunden. Laufen hatte ich völlig sein lassen, weil das zu weiteren Einrissen hätte führen können. Also ging ich hoffnungsvoll auf die Reise mit dem Gedanken, notfalls auch eine kürzere Strecke zu laufen (gehen).
Also nach Düsseldorf zum Flughafen und dann über Amsterdam weiter nach Boston. Nach den Einreiseformalitäten dann schnell zum nächsten Gate, um den Flug nach Richmond, Virginia zu bekommen. Doch da stand verspätet dran. Erst eine Stunde, dann 2 dann 5 Stunden. Uns wurden Decken und Kissen und kleine Snacks gereicht und wir durften es uns auf den harten Warteraumstühlen „bequem“ machen.
Endlich, kurz vor Mitternacht ging es los. Der Grund für die Verspätung waren heftige Unwetter mit extremen Starkregen in Virginia (und damit in den Appalachen. Na toll). Um 2 Uhr morgens traf ich dann in Richmond ein, am Mietwagenschalter war natürlich keiner mehr. Also direkt in die Mietwagengarage, da ich ja aus meiner früheren Amerika Zeit einen VIP Pass hatte. Dort war dann noch ein Wächter, der mir einen Wagen übergab. Ein Cadillac, super, protziger geht nicht mehr, und damit in die Wildnis und in einer der ärmsten Regionen der USA (wegen dem extremen Rückgang des Kohlebergbaus, der fast ausschließlichen Einnahmequelle dieser Region).
Naja, dann mal los in mein Hotel. Es regnete immer noch heftig. Nach 5 Stunden Schlaf ging es dann morgens weiter, denn Pikeville in Kentucky, wo mein Laufhotel war, befand sich etwa 7 Autostunden entfernt. Auf der Route dorthin besuchte ich den Natural Bridge State Park, mit der von Jefferson entdeckten natürlichen Steinbrücke. Dieser, durch einen kleinen Bach geschaffene Sandsteinbogen überbrückt 24 m und ist 20 m hoch. Für nur 8 Dollar Eintritt konnte ich ihn erwandern und auch die naheliegende Salpeterhöhle, sowie einen kleinen Wasserfall. Das alles auf einem kurzen Trail von 4,5 km. Endlich Natur satt und ein erster tieferer Einblick in die Appalachen.
Dann weiter nach Pikeville, schnell was Essen und ins Bett. Am nächsten Morgen dann endlich mal ausschlafen und zum Einkaufen (Jeans und Laufschuhe sind hier extrem preiswert). Nachmittags fuhr ich dann nach Elkhorn City. City ist etwas zu viel gesagt, denn mit 982 Einwohnern (zusammen mit Cedarville), gibt es diesen Titel nur in den USA. Es entstand 1881 als Zeltstand die "Camp Praise-the-Lord" genannt wurde und vom Evangelisten George O. Barnes gegründet wurde. 1907 errichtete die C&O Railroad dort eine Station und der Ort wuchs und erhielt auch ein Postoffice. Heute ist es ein touristische Zentrum besonders für Wandern und Whitewater-Rafting mit Klasse II bis IV Stromschnellen.
Die Anmeldung und das verpflichtende Race Briefing findet im größten Gebäude von Elkhorn statt, der Baptisten Kirche. Also Startnummer und T-Shirt abgeholt und dann beginnt der Austausch mit den anderen Teilnehmern. Um Punkt 18 Uhr gibt es das Abendessen, das natürlich mit einem gemeinsamen Gebet begonnen wurde. Nach dem Essen hielten Susan und der örtliche Polizeichef das Briefing ab. Hier wurden besonders auf die Streckenmarkierung, die Versorgung und natürlich die potentiellen Gefahren auf der Strecke hin. In dieser Region gibt es nämlich auch eine größere Schwarzbären Population, die jedoch als relativ scheu bezeichnet wurde, solange man seine Lebensmittel nicht rumliegen lässt, oder sich eventuellen Bärenjungen nähern würde. Als deutlich gefährlicher wurden jedoch die Dornensträucher herausgehoben, die zu schweren Schürfwunden führen könnten, also lange Strümpfe und nachts lange Hose anziehen.
Danach ging es dann die 40 km zum Hotel zurück und direkt ins Bett. Am nächsten Morgen um 5.30 Uhr Frühstück mit vielen Läufern, unter anderem mit Ryan Yoch, der sich an die 100 Meilen wagt, und dann mit dem Auto wieder nach Elkhorn. Der Start findet auf dem örtlichen Baseballfeld statt und pünktlich um 8 Uhr setzten sich die knapp 200 Teilnehmer der 50 k, 100k und 100 m in Bewegung.
Nach knapp 1 km waren wir dann schon am Trail Head, dem Ausgangspunkt des Pine Mountain Scenic Trails und es ging erstmal gut 600 Höhenmeter über sehr steiniges Gelände nach oben, denn der Trail führt über den Appalachian Rim, einer Faltungszone dieses Gebirges und bringt uns immer wieder auf die höchsten Stellen dieses Gebirges. Schnell bin ich mit ein paar anderen Läufern am Ende des Feldes angelangt. Ich hatte schon einen Bericht gelesen und wollte es daher etwas langsam angehen lassen, denn, was ich bisher noch nicht erwähnt habe: Der 100 K Lauf hat 5.870 Höhenmeter!!! Und zwar jeweils rauf und wieder runter. So etwas hatte ich noch nie in meinem Leben gemacht, und erst recht nicht auf einen solch schweren Trail.
Schon bald erreichen wir dann auch schon die ersten Rhododendron Bäume, die hier eine Höhe von 25 Metern erreichen. Einfach nur beeindruckend. Aber aufpassen, denn sie bilden oft ein fast undurchdringliches Dickicht. Die Augen bleiben immer auf den Boden gerichtet, denn Steine, Wurzeln, Dornenbüsche, Tümpel und Lianen bilden ausreichend Stolperfallen, die zu einem vorzeitigen Rennabbruch führen können. Zum Schauen und Genießen bitte immer stehen bleiben!
Nach knapp 2 Stunden ist dann die erste Verpflegungsstelle erreicht. Die freiwilligen Helfer sind einfach super und müssen alles mit ATVs, den kleinen vierrädrigen Geländefahrzeugen, oder per Pferd dorthin bringen. Noch liegen die VPs relativ eng beisammen, später werden 5 Stunden dazwischen liegen, also immer alles gut auffüllen, besonders auch die Getränke, denn heute ist es bis zu 25 Grad warm und nach dem heftigen Regen auch recht schwül. Es geht weiter, natürlich bergauf und ich erreiche zum ersten Mal eine freie Aussicht und habe einen erhebenden Ausblick auf die Weite der Appalachen und zwar sowohl auf die Virginia Seite, als auch auf die Kentucky Seite, denn wir haben den Rim, also den Grat erreicht. Hier geben große Sandsteinfelsen einen sicheren Aussichtspunkt. Ich kann mich gar nicht satt sehen an den unendlichen Hügeln zu meinen Füßen. Kein Anzeichen einer menschlichen Behausung weit und breit.
Es geht weiter auf einem schmalen Pfad entlang der Bruchkante. Immer wieder über die Felsen. Die Strecke ist sehr gut mit pinken Bändern (Surveyor tape) und gelben Reflektoren (Blazern) und grünen Farbstrichen auf den Felsen gekennzeichnet. Nach 25 km und vielen weiteren tollen Aussichtspunkten ist 5,5 Stunden nach dem Start dann der VP Birch Knob erreicht. Dies ist die höchste Stelle der Strecke. Nachdem ich doch schon die Strapazen spüre, erspare ich mir die Ersteigung des Feuerwachturms, sondern erhole mich bei ausgiebiger Verpflegung.
Entlang der Strecke weisen Schilder immer wieder auf frühe spärliche Besiedlung hin und auch die Geschichten von Morden in dieser rauen Gegend sind so dokumentiert. Grund für diese Morde waren meist Streitigkeiten um schwarz gebrannten Schnaps, dem sogenannten Moonshine. Den gab es leider, oder glücklicherweise, an den VPs nicht zu kosten. Jetzt geht es auf die nächste größere Etappe, denn bis zu meinem Wendepunkt bei Kilometer 50 gibt es nur einen VP. Und der härteste Teil der Strecke liegt noch vor mir. Da einige Landbesitzer etwas eigen sind, musste die Laufstrecke hier 2-mal großräumig umgelegt werden (Das Problem gibt es auch häufig bei Trailläufen in Deutschland). Hier jedoch mussten die Veranstalter im wahrsten Sinne des Wortes einen Pfad in die Wildnis schlagen. Demzufolge war dieser „jungfräuliche“ Trail auch sehr schwierig zu bewältigen, da er oft extrem abschüssig war.
Etwas weiter brach dann ein leichtes Chaos aus. Ein wütender Jäger hatte auf 2 km Strecke alle Markierungen entfernt und teilweise umgehängt und „No trespassing = Betreten Verboten“ auf die Bäume gesprüht. Einige Läufer kamen mir von mehreren Richtungen entgegen. Ich hatte zum Glück alles dabei, worauf der Race Director hingewiesen hatte: GPS Gerät mit digitaler Karte und Streckenverlauf, offizielle Wanderkarte, auf der ich mir die Strecke schon eingezeichnet hatte und natürlich einen richtigen Kompass, halt typisch deutsch, oder wie ich zu sagen pflege: Lieber schleppen als verlaufen. Also haben wir uns in einer kleinen Truppe zusammengetan und folgten meiner Route, an den „Betreten Verboten“ Hinweisen vorbei. Etwas später kamen uns dann einige Läufer der Spitzentruppe entgegen, die schon auf dem Rückweg waren und sagten uns, dass wir richtig wären. Super. Alle atmeten auf, aber ich dachte schon an den Rückweg, denn da würde es hier stockfinster sein.
Jetzt kam der anspruchsvollste Teil mit einigen Kletterpassagen. Teilweise waren hier zum Glück auch Haken eingeschlagen. Endlich erreiche ich ein Stück Zivilisation, auf einem Hügel steht eine Satellitenstation und es beginnt eine Fahrstraße, die mich nach kurzer Zeit zum ersten Gebäude seit dem Start führt, zur Mountain Church, die zu Pound in Virgina gehört. Hier ist Halbzeit. Genauer gesagt Halbstrecke, denn der Rückweg würde deutlich länger dauern, da er durch die Nacht geht. Ich habe die Kirche genau bei Sonnenuntergang, nach 11,5 Stunden erreicht.
Hier liegt dann auch mein Dropbag mit trockenen Klamotten, neuem Getränkepulver und neuen Paketen mit gesalzenen Nüssen. Die Helfer der Kirchengemeinde sind einfach super. Ich erhalte frische Kartoffelsuppe und Kaffee. Der Polizeichef von Pound, Tony Baker, ist auch da und leiht mir seine Marke für ein gemeinsames Foto. Auch mit seiner Frau, die Touristikchefin des Ortes ist, halte ich ein Schwätzchen. Hier treffe ich auch Rob Apple wieder, den ich bereits auf der Strecke mehrfach kurz begleitet hatte. Rob ist Weltrekordhalter, er hat die meisten gelaufenen Ultras weltweit. Er geht vor mir auf den Rückweg und ich werde ihn dann auch nicht mehr sehen.
Nach gut 45 Minuten gehe ich dann etwas ausgeruht auf den Rückweg, zunächst bergan zu der Satellitenstation. Von da an ist es absolut finster. Und wenn ich absolut sage, dann ist es wirklich so. Wir haben Neumond, also keinen Mond und dichte Bewaldung. Gut, dass ich meine Hochleistungsstirnlampe und genügend Ersatz Akkus, sowie eine Ersatzlampe mithabe. Es bleibt zum Glück weiterhin trocken. Wie gesagt, hier ist das schwerste Stück der Strecke und ich treffe die letzte Läuferin der 100 k, die noch gut 2 Stunden bis zum Wendepunkt benötigt. Langsam und Stürze vermeidend bewege ich mich durch die Nacht. Überall Schatten, die alles Mögliche sein können, Bär oder Puma, oder einfach nur ein Strauch. Die Fantasie geht mit mir durch.
Dann sehe ich ein Leuchten vor mir, es ist Rebecca aus Cincinnati und wir begleiten uns gegenseitig ein paar Stunden bis zur nächsten Verpflegungsstelle. Bei Km 75 ist wieder der große VP bei Birch Knob erreicht. Hier setze ich mich esse wieder Kartoffelsuppe und Sandwiches und nach 30 Minuten geht es dick eingepackt weiter. Ich habe mir die Mütze, die Handschuhe und die Jacke aus meinem Rucksack angezogen, den mittlerweile ist es sehr kalt geworden, und das nächste Lagerfeuer ist 3 Stunden weiter auf dem Trail. Rebecca hat ihre Freundin Sarah getroffen, die Ihren 50 km Lauf hier unterbrochen hatte, um auf sie zu warten und die zweite Hälfte dann gemeinsam mit ihr zurückzulegen. Die beiden sind jetzt deutlich flotter unterwegs als ich und ihre Stirnlampen sind nach kurzer Zeit im dunklen Wald verschwunden.
Nach 3 Stunden erreiche ich den nächsten VP. Kein Feuer, die Crew schnarcht im Zelt. Auf dem Tisch steht alles was ich brauche und ich bediene mich. Auch trage ich mich in die obligatorische Liste ein, denn jeder Teilnehmer muss in den VP einchecken und auch wieder auschecken. So kann notfalls festgestellt werden, auf welchem Streckenabschnitt man verschwunden ist. Dann wieder weiter in der einsamen Nacht.
11 Stunden nach Verlassen der Mountain Church dämmert es. Genau als ich mich wieder an dem Grat befinde und die tolle Aussicht habe. Diesmal liegen die Täler alle in den Wolken und die Bergspitzen ragen aus diesem Meer hervor. Jetzt weiß ich auch warum der Lauf Cloudsplitter heißt, also der Wolkenteiler. Ein einmaliger Blick auf ein scheinbar unendliches Meer.
Kurze Zeit später überholt mich der erste 100 Meiler, Adam Rood aus Louisville Kentucky, also ein Lokalmatador, der das Rennen in 25.32 Std. gewinnt. Ich laufe weiter und nach einer weiteren Stunde kommt der Zweitplatzierte Robin Hages aus Lexington an mir vorbei und sagt mir, dass er noch rechtzeitig zur 11 Uhr Messe das Ziel erreichen würde. Ich treffe ihn an einem Streckenstück mit 50 Grad Steigung an dem ich mich nur mühsam hochziehen kann. Ich bitte ihn beim Gottesdienst ein Stoßgebet für die restlichen Läufer auf der Strecke zu sprechen. In der Ergebnisliste sehe ich später, dass er es rechtzeitig geschafft hat und mit 26.14 Std Zweiter wurde.
Dann dauert es wieder über 1 Stunde als mich der Dritte überholt, diesmal ist es eine Frau, Helene Dumais aus Silver Spring, die das Ziel in 27.11 Std. erreichen würde. Sie munterte mich auf und sagte mir, dass es jetzt fast nur noch bergab gehen würde. Ich hatte nämlich den 600 HM Abstieg erreicht. Aber leichter gesagt als getan. Die Füße waren malträtiert und taten höllisch weg und überall lagen nur spitze Steine. Also langsam weiter durch die Rhododendronwälder Richtung Elkhorn.
Dann höre ich endlich den rauschenden Russell Fork Seitenarm des Big Sandy Rivers, der durch Elkhorn fließt. Das Ziel ist nahe. Ich gebe noch mal etwas Gas. Nach 28.19 Std erreiche ich glücklich das Ziel und bekomme von Susan die Medaille umgehängt. Nach einer kleinen Mahlzeit begebe ich mich zu meinem Auto und fahre zum Hotel, dusche, wasche meine Wäsche und falle todmüde ins Bett. Der Wecker klingelt dann schon um 3 Uhr morgens und ich fahre nach Richmond zum Flughafen, um diesmal über Atlanta nach Hause zu fliegen.
Ein hartes aber unvergessliches Rennen mit toller Natur und tollen Menschen liegt hinter mir.