Als ich Ende November in Windhoek ankomme, treffe ich am Meetingpoint zuerst Raoul aus Stuttgart. Er ist ca. 35 Jahre alt, grünbraun, 4-radgetrieben und hat Platz für 20 Menschen – und ist natürlich von Mercedes. Er wird das Herzstück unseres Basiscamps für die nächsten 7 Tage. Er sorgt für Wasser, Schatten, die Unterbringung der Zelte und Transporte der Crew.
Beyond the Ultimate heißt der Veranstalter aus England – unter seinem Logo der Slogan „Nothing tougher“. Das wird sich im Laufe dieses Rennens bewahrheiten, da die Hälfte der Teilnehmer aus USA, Korea, Europa, Angola oder Kanada das Ziel nicht erreichen werden. Alle, die sich an die Premiere zu diesem 250 km Lauf in 5 Etappen in Namibia wagen, sind wie immer schnell auf einer Wellenlänge – Irrsinn verbindet. Was uns auch eint, ist die große Neugierde und die Bereitschaft zum Risiko. Wir sind die ersten, die diese Region läuferisch erkunden werden. Für den Veranstalter aber auch eine Herausforderung, da die Logistik noch nicht so eingespielt ist. Das wird sich noch zeigen.
Die Aufgabenstellung: 250 km in 5 Etappen zu 43/57/37/100 und 15 km. Wir laufen in Selbstversorgung mit Rucksack, in dem sich Schlafsack, Essen und Sicherheitsausrüstung für eine Woche befinden. Das Gewicht variiert zwischen 5,8 kg bis 11kg. Jeweils nach 10 km passieren wir einen Checkpoint an dem wir bis zu 2,5 Liter Wasser erhalten. Das Camp, das wir morgens verlassen haben, ist bei unserer Ankunft nach dem Lauf bereits wieder an einem anderen Ort aufgebaut.
Als wir am darauf folgenden Tag um 6.30 Uhr endlich starten, verhält sich das nicht anders als eine Herde Jungpferde, die man ein paar Tage nicht auf die Wiese gelassen hat. Ich kenne das schon und warte die ersten 5 km ab und siehe da: sie haben sich auch schon ausgetobt. Die Wegmarkierungen sind kaum vorhanden. Die Anweisung lautet: „Bis zu dem Berg da vorne und dann rechts“. Das scheint auch erst einmal zu klappen.
Wir laufen im Geröll, Gestrüpp und gelegentlichen Sandflächen querfeldein. Alan Leed aus Dänemark, der bereits beim Mountain Ultra in den USA auf Platz 4 einlief, macht die Pole. Ich folge und hinter mir läuft Andrew Clarke aus Wales, der in Angola lebt. Bis dahin alles entspannt und so wollte ich das auch am ersten Tag haben. Bloß keine unnötigen Energieverschwendungen…oder wie ich gerne sage „Don’t kill yourself on the first day!“
Meine immerwährende Suche nach dem perfekten Rennen findet auch dieses Mal am ersten Tag ein frühes Hindernis. Die mutigen Lücken zwischen den Markierungen und meine immer ungewollt wiederkehrenden selbsthypnothischen Zustände beim Laufen schicken mich auf den falschen Weg. Da es selten Markierungen gibt, wundere ich mich auch nicht. Als ich auch keine Fußspuren mehr sehe, werde ich wieder wach. Ich spüre deutlich schlechte Laune in mir. Ich will mir aber nicht gleich zu Anfang die Laune verderben und schiebe deshalb die Schuld auf mich. Damit kann ich immer gut umgehen. Schuldiger gefunden und weiter geht’s. Umdrehen, Strecke finden, weiterlaufen.
Ich finde eine gelbe Flagge auf einem Berg und sehe, dort angekommen, keine weiteren Markierungen bis zum Horizont. Geprägt vom letzten Ärger beschließe ich auf weitere Läufer zu warten. Andrew und Alan sind mittlerweile über alle Berge – ich weiß nur leider nicht über welche. Als Edwin und Camilla kommen, ändert sich leider nichts an der Situation. Beide sind jung und haben gute Augen, aber auch sie finden keinen Anhaltspunkt. Wir laufen in Fächerform auseinander bis eine Straße gefunden ist, die sich als Teil der Strecke herausstellt.
Das Thema Markierungen wird in den darauffolgenden Tagen eindeutig besser. Ich laufe nach 47 km mit 40 Minuten Verspätung auf die beiden Führenden ein. Andrew trifft es an diesem Tag schlimmer. Neil Roche aus Irland geht verloren, wird aber noch am gleichen Tag gefunden. Georg Evetts stürzt so schwer, dass er mit Verdacht auf Armbruch ins Krankenhaus muss. Patrick aus Kanada kommt ins Ziel. Auf dem Weg von der Ziellinie ins Camp sehe ich schon, dass er von Ganzkörperkrämpfen geplagt wird. Ich laufe ihm entgegen, nehme ihm den Rucksack ab. Wir legen ihn hin und unser fabelhaftes Ärzteteam kümmert sich sofort um ihn. Ich bringe ihm meinen Schlafsack und sogar eine Mütze, da sein einsetzender Schüttelfrost Angst macht. Er ist vollkommen dehydriert - trotz Salzaufnahme und viel Wasser während des Rennens hatte er die Härte der Strecke und die Hitze nicht überstanden – wie andere auch. Es werden während der Woche auf der Strecke Werte von 46 Grad gemessen. Der Krankenwagen wird gerufen und bringt auch ihn ins Krankenhaus.