Laufen an sich ist schon eine Herausforderung, Trailrunning setzt da noch einen drauf. Und wenn dann der Trail noch durch eine besondere Landschaft führt, wird das zum Abenteuer. Egal ob Berge, Wüste, im Bergwerk unter Tage, im Schnee oder wie jetzt in den Sümpfen. Der einzige echte Trail-Ultra den ich kenne, der durch Sümpfe führt, ist in den Everglades in Florida im Fakahatchee Strand Preserve State Park.
Man hat die Wahl zwischen 25 km, 50 km und 50 Meilen. Da die 50 Meilen teilweise in absoluter Dunkelheit gelaufen werden, war mir das aufgrund der Tierwelt in den Sümpfe doch etwas Abenteuer zu viel und ich hatte mich für die Tagesvariante von 50 km entschieden.
Ich war geschäftlich in Florida, hatte zwischen 2 Terminen in Miami und Largo den Samstag frei und konnte daher den Lauf machen, der auch noch genau zwischen diesen beiden Städten stattfand.
Also bin ich morgens von Miami um 3.30 Uhr losgefahren, um rechtzeitig zur Abholung der Startunterlagen um 6 Uhr im Statepark zu sein. Der Start liegt in der Nähe von Copeland, einem ca. 100 Einwohner zählenden Dorf mitten in den Everglades, aber immerhin in meinem GPS verzeichnet.
Die Anreise führt über den berühmten Tiamiami Trail, einer befestigten Straße quer durch die Everglades. Diese Straße wird auch Alligator Alley genannt, weil man links und rechts überall diese beeindruckenden Tiere in den Sümpfen liegen sehen kann. Naja, jetzt war es noch dunkel und, wie in Nationalparks üblich, gelten nachts strikte Geschwindigkeitsbegrenzungen, in diesem Fall von 45 Meilen, also etwa 70 km/h. Ich merkte auch bald, weshalb das so ist, denn im Scheinwerferlicht tauchten doch tatsächlich Alligatoren auf, die die Straße kreuzten. Ist schon irgendwie unheimlich, aber wenn man langsam fährt, kann man auch reagieren.
An der Startnummernausgabe angekommen, war es noch stockfinster, aber da die 25 km Läufer erst später an den Start gehen, war noch ausreichend freier Parkplatz vorhanden und ich konnte zum Zelt gehen um mir die Startunterlagen ab zu holen.
Neben der Startnummer gab es auch ein schönes Funktionsshirt, natürlich mit Alligator drauf, und einen Rucksack. Gelaufen wurde mit einen Chip, um die Zwischenzeiten zu erfassen, und nicht um evtl. den Alligator zu finden, der das Wort Läuferfrühstück falsch verstanden hatte.
Um 6.45 Uhr ging‘s per Shuttle zum Startplatz (ca. 6 km entfernt). Dort war es dann auch schon etwas hell und Bob, der Race Director, gab die letzten Instruktionen.
Da die Wachstumsperiode in den Everglades durchgehend ist, hatte sein Team von Freiwilligen und Rangern 2 Wochen gebraucht, um den Trail einigermaßen freizuschneiden. Dennoch wurde auf die hiesigen Besonderheiten hingewiesen, wie zum Beispiel auf Hautreizungen durch Poison Ivy, einer Kletterpflanze, die wie eine starke Brennnessel wirkt und natürlich auf die Alligatoren.
Bob und die Ranger wiesen nochmals darauf hin, dass Alligatoren normalerweise den Menschen meiden und wir deshalb wahrscheinlich keine sehen würden. Wenn sich welche in der Nähe des Trails aufgehalten hätten, wären sie durch die vorweglaufenden 50M-Läufern und die patroulierenden Ranger längst vertrieben worden. Sollten wir dennoch einem Alligator begegnen, sollten wir ihn mittels der mit den Startunterlagen ausgehändigten Trillerpfeife verjagen. Durch den Pfiff würden auch die Ranger alarmiert, die den Alligator vertreiben würden, falls er den Weg nicht freigeben würdesollte.
Freilebende Alligatoren wären trotz ihres martialischen Aussehens für den Menschen ungefährlich, und es sei in Florida kein Fall bekannt, wo ein freilebender Alligator einen Menschen angegriffen und verletzt hätte.
Das klang ja alles recht gut und es von Rangern zu hören, erschien mir glaubhafter, als hätte es irgendein Touristenführer gesagt.
Dann ging es auch schon pünktlich um 7.30 Uhr los. Der leichte Nebel zeigte auch schon an, dass die Luftfeuchtigkeit sehr hoch war, nämlich ca. 80%. Die Temperatur am Start betrug 20 Grad und stieg in der ersten Stunde schon auf satte 30 Grad an. Das machte allen Läufern deutlich zu schaffen. Auch wenn der Untergrund nicht allzu feucht war, denn jetzt im Winter ist auch hier Trockenzeit, war der Boden sumpfig und extrem nachgiebig und entsprechend kräftezehrend.
Der Trail war aber sehr gut mit farblichen Bändchen markiert und wir liefen meistens in kleinen Grüppchen. Die rund 100 Teilnehmer kamen überwiegend aus Florida und waren das Klima gewohnt. Trotzdem (oder deshalb?) gingen auch sie das Rennen langsam an. Ich hatte ausreichend Trinkflaschen dabei und das war auch gut so, denn die Versorgungsstellen waren zwar hervorragend ausgestattet, aber, wie beim Trailrunning üblich, etwas weiter auseinander. Manchmal war man von einem zum anderen Verpflegungsposten 1,5 Stunden unterwegs. Ab und zu mal gab es auch Wasserstellen ohne Personal und man konnte seine Flaschen nachfüllen.
Soweit zu den „technischen Gegebenheiten“. Was hier aber zählt ist die Natur, sie ist einfach atemberaubend und ein echtes Erlebnis. Überall sieht man die zwei heimischen Palmenarten: Die Säbelpalme, zu erkennen an den gekreuzten alten Stengeln am Stamm, und die Cabbage Palm, aus der die essbaren Palmenherzen geschnitten werden. Daneben wachsen aber auch Ahorn und Mangrovenbäume und natürlich überall das Sawgrass. Saw bedeutet hier wirklich Säge. Wenn man von unten nach oben darüber streicht, ist es glatt und ungefährlich. Streicht man aber von oben nach unten, wirkt es mit seinen Zähnen wie eine Säge und verursacht entsprechende Schnittwunden. Deshalb hatten die fleißigen Helfer durch die Sawgrassfelder für uns eine Schneise geschnitten. Danke dafür.
Unterwegs traf ich den zweiten deutschen Teilnehmer, Jürgen Kuhlmey. Er lebt den Winter über in Miami und im Sommer in Deutschland, daher hatte er eine kurze Anreise.
Immer wieder passierten wir wasserführende Kanäle und sah dort viele der einheimischen Vögel, wie den weißen Ibis und den Fischreiher. Manchmal glaubte man auch, einen untergetauchten Alligator zu sehen, aber da konnte auch der Wunsch Vater des Gedankens sein.
Oft blieb ich stehen, ging ein Stück zurück, um die Natur in mich aufzunehmen. Es war zu schön, wirklich einmalig!
Die Everglades sind übrigens eigentlich kein echter Sumpf, sondern der breiteste Fluss der Welt, der von Nordflorida nach Süden fließt und in den Ozean mündet. Es ist mit ca. 1,5 Meter Fließgeschwindigkeit pro Tag auch der langsamste Fluss der Welt. Die durchschnittliche Wassertiefe ist ca. 30 cm. Dann folgen in der Regel 10 bis 20 cm Schlamm aus abgestorbenen Pflanzenresten und darunter beginnt dann Limestone, eine massive Kalksteinschicht.
Das war auch für mich überraschend und neu, aber was mich noch mehr erstaunte und erfreute, war, dass ich Fossilien sammeln konnte. Das ist mein zweites Hobby, neben dem Laufen. Ob man es glaubt oder nicht, an manchen „offenen“ Stellen gab es tatsächlich versteinerte Muscheln und Schnecken. Da konnte ich nicht widerstehen. Schon irgendwie verrückt: Ein deutscher Läufer in den amerikanischen Everglades, der sich Steine in die Taschen steckt. Aber mich machte das noch glücklicher.
Nach ca. 44 km kamen wir dann auf eine Schotterstraße, den „Janes Scenic Drive“, die uns zum Ziel führte. Hier kam es dann auch zu zwei erwähnenswerten Begegnungen. Zuerst kamen zwei Autos, die ersten, seit ich das Shuttle verlassen hatte, vorbei. Die Fahrer wunderten sich zuerst über die Läufer, dann feuerten sie uns an.
Dann die zweite: Ein Alligator lag am Streckenrand und schaute verdutzt auf uns Läufer. Da der Weg recht breit war, konnten wir nach einer Schrecksekunde in „sicherem“ Abstand passieren. Der Alligator rührte sich nicht. Nach einem weiteren Kilometer begegneten wir einem Ranger. Der avisierte uns einen weiteren Alligator, der aber auch nur faul da läge. Es war ein echtes Prachtexemplar, das unsere aus mittlerweile vier Läufern bestehende Gruppe bewundern konnte.
Die tollen Aus- und Einblicke in die Everglades setzten sich fort und dann sahen wir auch (leider?) schon das an einem See gelegene Ziel. Ein kurzer Endspurt und es war geschafft.
7 Stunden 47 Minuten, fast 2 Stunden unter der Sollzeit und noch fast 40 Läufer hinter mir. Gar nicht so schlecht, finde ich. Und doch zählt weit mehr das Erlebnis dieses einmaligen Laufes.
Im Ziel gab es dann noch ein ausgiebiges Barbecue und Gelegenheit, die restlichen Finisher im Ziel zu begrüßen. Einfach eine rundum gelungene Veranstaltung.