Dieser Lauf nennt sich Marathon, obwohl er „nur“ 32 Kilometer misst. Nach den Regeln der „International Skyrunning Federation“, kurz ISF, darf sich eine Strecke Marathon nennen, wenn sie zwischen 30 + 42 km lang ist, mindesten 2.000 Höhenmeter bergauf geht, über Waldwege, Pfade, Muränen, Felsen oder Schneefelder führt (Asphalt weniger 15%) und/oder der höchste Punkt auf 4.000 Meter über dem Meer liegt.
Die ISF hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Sport in großen Höhen zu unterstützen. Beim Monterosa Skymarathon liegt Start und Ziel auf 1158 Metern in Alagna und der höchste Punkt der Strecke ist auf 2.936 Metern. Wenn ich laut Höhenprofil richtig gerechnet habe, kommen hinauf + hinunter jeweils 2.400 Meter zusammen.
Alagna ist eine alte Walsersiedlung und ist der letzte Ort im Valsesia an der Südseite des Monte-Rosa-Massivs. Genau auf der anderen Seite ist Zermatt und am selben Wochenende samstags der Zermatt-Marathon. Während ich bei meiner Ankunft in Alagna den Campingplatz aufsuche, treffen drüben vermutlich gerade die Spitzenläufer in Riffelberg im Ziel ein. Ich beziehe Quartier auf einem wunderschönen schattigen Gelände direkt am Bach. Die Mittagszeit nutze ich und mische mich in Alagna unter Sommerausflügler, Wanderer, Bergsteiger, Biker und, das sieht bei dieser Sommerhitze witzig aus, es sind auch ein paar Skitourengeher in voller Skiausrüstung dabei. Beim Spaziergang durch den Ort bestaune ich die typischen Walserhäuser mit ihren schönen Balkonen.
Später, gegen 16 Uhr im „Palazzetto dello Sport“ hole ich meine Startnummer ab. Das Läuferbriefing ist erst um 21 Uhr. Wer Italienisch kann, sollte diese Veranstaltung besuchen, denn man erfährt hier aktuell Wichtiges zur Strecke und zum Wetter. Bis dahin bleibt mir noch genügend Zeit für ein Sonnenbad am Bach, ein leckeres Abendessen und es ist noch Zeit für die letzten Vorbereitungen, wie Kleider richten, Startnummer anheften usw. Am nächsten Morgen im Startbereich sehe ich die in dieser Laufszene bekannten Gesichter, z.B. Manuela Brizio bei den Frauen oder Bert Paolo bei den Männern. Alles in allem sind es jedoch nicht mehr als 120 Teilnehmer, die sich an diesem Morgen in der Starterliste eintragen. Ich beobachte, wie sich die gut trainierten Oberschenkel schon mal warm laufen. Vielleicht 15 Frauen haben eine Startnummer an. Bis kurz vor dem Start bleibt das Start- und Zieltor einsam. Erst in der letzten Minute strömen alle zusammen. Was mich bei italienischen Läufen immer ganz besonders amüsiert, ist die Ehrlichkeit in der Bezeichnung: es gibt keine Läufer oder Starter, sondern „concorrenti“. Manuel, der Race-Direktor, zählt den Count-down und um punkt 8:00 Uhr setzten sich „tutti concorrenti“ mit einem Höllentempo in Bewegung.
Nur ich habe es nicht so eilig, denn es liegt mir völlig fern, mit diesen Menschen, die das ganze Jahr bergauf-bergab in den Bergen unterwegs sind, zu konkurrieren. Ich bin weder so gut trainiert wie sie, noch bin ich an die Höhe angepasst. Ich verbinde heute zwei Hobbys zu einem, das Bergwandern und das Marathon laufen. Mir steht der Sinn lediglich nach einem weiteren wunderbaren Tag in meinen geliebten Bergen und ich möchte später irgendwann verletzungsfrei im Ziel eintreffen. Die Zeitlimits sind beim Monterosa-Skymarathon übrigens sehr moderat. Erster Kontrollpunkt ist bei Kilometer 14,5 nach 5 Stunden am Rifugio Guglielmina. Dort hat man schon die meisten Höhenmeter bewältigt. Zielschluss ist nach 7:30 Stunden. Das ist auch bei meinen Trainingsstand gut machbar. Zur Strecke selbst möchte ich nicht viel sagen, sondern lieber die Bilder sprechen lassen. Ich habe versucht, die Strecke möglichst vollständig zu dokumentieren. Zwischendrin musste ich die Kamera allerdings wegen einem Gewitterregen für eine halbe Stunde wasserdicht verstauen.
Wie ist dieser Lauf im Vergleich zum Zermatt-Marathon? Nun, es geht hier nicht um besser oder schlechter. Es kommt darauf an, was man möchte. Da ich beide Strecken kenne, erlaube ich mir folgende Bemerkungen: Wer gerne steil bergauf und bergab unterwegs ist, dabei weitgehend auf befahrbare Wege verzichten möchte und seinen Spaß hat an dem koordinativen Spiel im Geröll, wer gerne auch mal die Hände benutzt um vorwärts zu kommen und die Motivation durch Zuschauerjubel nicht braucht, der ist beim Monterosa Skymarathon bestens aufgehoben.
Dieser Lauf ist die optimale Strecke, um sich das erste Mal an einem Skymarathon zu versuchen. Es gibt keine ausgesetzten Passagen, oder lange, kettengesicherte Kletterstellen, es sind „nur“ 32 Kilometer, die sich allerdings wie 42 anfühlen. Auf der Strecke gibt es ausreichend Verpflegungsstellen mit Flüssigem und Festem. Bei den Getränken schmeckt mir das „Sali“ am besten. Das ist ein Mineralgetränk, welches nicht so süß schmeckt, wie man das sonst kennt. Die Begeisterung der italienischen Helfer für die verrückten „concorrenti“ ersetzt meines Erachtens jeglichen Zuschauerjubel. Nach dem Lauf werden alle im „Pallazzetto dello Sport“ mit einer üppigen Pastaparty und Livemusik wieder aufgepäppelt. Bei allen Skymarathons, die ich kenne, war die Pastaparty bislang immer nach dem Lauf und vor der Siegerehrung.
Noch ein paar Worte zur Sicherheit bei diesen Läufen. Die Veranstalter, vor allem wenn sie sich der IFS angeschlossen haben, sorgen mit großer logistischer Anstrengung für Wohl und Sicherheit der Läufer auf der Strecke. Die beste Sicherheit entsteht jedoch durch eine hohe Eigenverantwortung. Wir bewegen uns immerhin zum Teil im Hochgebirge. Es ist notwendig, vor dem Lauf das Wetter zu checken. Bei der kleinsten Unsicherheit sind wärmende Kleidungsstücke am Lauftag in einem Rucksack dabei und wir nehmen uns bei Bedarf die Zeit, diese anzuziehen. Es macht nichts aus, ein Kleidungsstück zu viel über die Berge zu tragen, es macht aber viel aus, das selbe bei Schneefall oder Hagel nicht dabei zu haben. Auch mancher Profi ist mit Rucksack unterwegs. Außerdem lassen wir den übermäßigen Ehrgeiz zu Hause, denn lieber kommen wir mit heilen Knochen etwas später ins Ziel, als mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus. Beim diesjährigen Lauf kam ein Gewitter auf, das senkte in den Höhenlagen die Temperaturen und machte die Kalksteine recht glitschig.
Wen dieser Bericht trotzdem neugierig macht, dem kann ich nur empfehlen, 2011 auf der Starterliste zu stehen. Bis dahin müsst ihr, wenn es nur darum geht, dabei zu sein, Ausdauer trainieren wie für jeden anderen Marathon auch, aber am besten so viel wie möglich davon bergauf und bergab auf schmalen Pfaden. Vor allem die negativen Höhenmeter sind wichtig. Einen Muskelkater mit Memory-Effekt gibt es anschließend sowieso. Wer allerdings den Profibergziegen ein „concorrente“ sein möchte, der sollte sich ganz genau informieren, wie er dafür am besten trainiert, oder er wechselt seinen Wohnort in die Alpen. Für mich waren dieses Wochenende und der Lauf wieder Stunden, die ich in meinem Leben nicht missen möchte.
schnellste Frau: Manuela Brizio 3:35:08
schnellster Mann: Tadel Pivk 2:59:20
meine Wenigkeit: 5:23:52