„Der Rheinsteig ist der unbequemste Wanderweg, um von Bonn nach Wiesbaden zu gelangen. Aber auch der schönste.“ So überschrieb seinerzeit die Wochenzeitschrift „Die Zeit“ ihren Beitrag zur Erstausgabe des Rheinsteig-Erlebnislaufs über 320 km und 13.200 Höhenmeter in acht Tagesetappen. Zum zehnten Mal findet er statt, zum zehnten Mal bin ich als Etappenläufer dabei und verbinde das Angenehme mit dem Nützlichen.
Rund 40 Ultramarathonläufer sind in dem geführten Gruppenlauf (kein Wettkampf) die komplette Strecke oder als Etappenläufer dabei und spenden ihre Startgelder von mindestens 0,50 Cent pro km dem Kampf gegen die Duchenne Muskeldystrophie. An dieser tödlich verlaufenden Krankheit leiden ausschließlich Jungen, im gesamten Bundesgebiet ca. 3.500. Die „aktion benni & co.“, ursprünglich von meinem Nachbardorf Niederbreitbach ausgehend, widmet sich dem Kampf gegen diese Geißel und freut sich über die stets zum Jahresende von den Laufinitiatoren und –organisatoren Brigitte und R(ud)olf Mahlburg beim Eisweinlauf in Baden-Baden übergeben Spenden. Zwischen 5.000 und 6.000 € kommen da jedes Jahr zusammen.
Gerade erst von einem trainingsreichen Wander- und Laufurlaub mit vielen Höhenmetern aus Mallorca zurückgekehrt, hänge ich gerne noch einen freien Tag dran und bin mit etwas müden Beinen auf der vierten Etappe von Urbar bei Koblenz bis nach Filsen dabei. Rund 45 km und 1.600 Höhenmeter hat sie im Gepäck, die aber nicht schrecken, schließlich kenne ich das Procedere zur Genüge.
Nach der freudigen Begrüßung vieler Wiederholungstäter kommen wir nach wenigen Metern wir zu einem Kindergarten, wo man uns schon erwartet. Heute ist es etwas ungünstig, da uns aufgrund der Osterferien nur wenige kleine Jungs und Mädels ein paar Meter begleiten können, doch die gelebte Ökumene zwischen Evangelen und Katholen macht’s möglich. Wieder unter uns erreichen wir bald das Vorfeld der Festung Ehrenbreitstein, die seit der Bundesgartenschau 2011 wieder mustergültig hergerichtet ist. Leider (oder Gott sei Dank?) durchmessen wir die Anlage heute nicht, sondern legen zuerst ein Schaulaufen für den SWR hin, der einen Beitrag für die Landesschau dreht. Die waren uns bereits beim Start und vorm Kindergarten nicht von der Seite gewichen. Dann geht’s zur Seilbahn.
Man ist doch vor Überraschungen nicht gefeit: Heute steht ein öffentlichkeits- und spendenwirksamer Empfang im altehrwürdigen Koblenzer Rathaus an und die Stadt hat uns eine Freifahrt mit der die Festung und die Altstadt verbindenden Seilbahn gestiftet. Fein, so geht es gelenk- und muskelschonend bei tollen Aussichten talwärts. Ich freue mich, den Koblenzer Ex(?)-Ultraläufer und Mitorganisatoren der drei Trans-Europa-Läufe, Joachim Barthelmann, zu treffen, der uns die Ehre gibt. Weiter gute Besserung, lieber Joachim, damit es mit dem Laufen wieder klappt! Im ehemaligen Jesuitenkolleg empfängt uns die Bürgermeisterin in Vertretung des urlaubenden OB, zahlreiche Spenden wechseln die Seiten und am Ende übergibt Rolf dem Verein „aktion benni & co.“ die Summe von 20.000 €. Darauf können er und seine Frau Brigitte stolz sein und dafür nimmt man als Läufer auch gerne lange Wartezeiten in Kauf, schließlich geht es ja neben dem Lauferlebnis im Wesentlichen um die karitative Sache.
Linksrheinisch geht es zur Pfaffendorfer Brücke, wir streifen das Weindorf, das 1925 zur „Reichsausstellung Deutscher Wein“ eröffnet wurde und den Krieg erstaunlicherweise überlebt hat. Über die Brücke wechseln wir die Seite und ziehen über den Leinpfad, auf dem früher Pferde die Schiffe rheinaufwärts zogen, in den Koblenzer Stadtteil Pfaffendorf. Wir verlassen den Rhein, steigen ins Bienhorntal auf und bekommen so einen ersten Geschmack von den heutigen schönen Trailabschnitten. Bei der Überquerung der Zufahrtsstraße zur Schmittenhöhe, dem ehemaligen Standortübungsplatz (wie oft bin ich hier mit dem Panzer hochgedonnert!) beglücken uns die Bad Emser Lauffreunde mit einer üppigen Verpflegungsstelle. Aufgrund der vorjährigen Erfahrung hatte ich schon befürchtet, daß es auch diesmal wieder keine negative Kalorienbilanz geben wird. Frischer Kaffee, verschiedene Kuchen, ach, ich könnte mich nur so durchfressen! Rolf rettet mich vor dem weiteren Ausbau des Bauchumfangs durch den Befehl zum Abmarsch.
Gut ausgebaute Waldwege und schöne schmale, heute jedoch äußerst matschige Trampelpfade, teilweise wirklich anspruchsvoll, bringen uns zum Einstieg in die Ruppertsklamm. Heinrich hat vom Barfußlaufen mittlerweile die Nase voll und die Schuhe wieder angezogen. Die Klamm ist einfach klasse, das absolute Glanzlicht dieser Etappe und ein Traum für jeden echten Trailer, schaut Euch die Bilder an. Viele Jahrtausende lang hat sich ein kleiner Bach tief ins Gestein geschnitten.
Natürlich ist das insgesamt eine gemütliche, teils sehr gemütliche Art der Fortbewegung. Aber es ist gut so, denn die Gegend ist einerseits zu schön zum Durchhetzen und andererseits können durch das langsame Tempo und immer wieder Warten auf Nachzügler auch Marathonnovizen einen Ultra schaffen. Als Etappenläufer muß ich mir auch immer wieder in Erinnerung rufen, daß die meisten Läufer in den Vortagen schon drei schwere Ultras von je über 50 km mit jeder Menge Höhenmeter hinter sich haben.
Ein paar Meter entlang der Lahn bringen uns auf eine Fußgängerbrücke, über die wir auf die andere Seite wechseln. In der Mitte des kleinen Flusses befindet sich ein Grasstreifen mit Pavillons und Gartenstühlen. Idylle pur! Nur nicht heute, denn gerade pfeift der Wind wieder eiskalt, die Wetterverhältnisse wechseln ständig hin und her. Auf dem folgenden Aufstieg überrascht uns ein massiver, frischer Holzeinschlag, der uns eine muntere Kletterpartie mit viel Spaß einbringt. Aber auch das ist irgendwann einmal geschafft, so geht es weiter auf die Höhe zur Aspichklamm. Die ist allerdings wesentlich moderater zu bewältigen und nachdem Rolf die Jagd freigegeben hat, brettert alles, je nach Lust und Laune, ins Tal. Hinter dem Lahnsteiner Stadtteil Einmuth verlassen wir die Zivilisation und steigen erneut auf. Rolf hat hier die „Bergwertung“ ausgeschrieben, da darf ich mich nicht lumpen lassen und hechele hoch, zartfühlende Seelen treiben mich zusätzlich an („Du hast auf Malle doch gut trainiert!“).
Oben beglückt uns ein weiterer steiler, teils seilgesicherter Abstieg über blanken Felsen. Frohgemut mache ich mich bergab, nachdem wir vorher noch ein paar Minuten beim Warten auf die Nachzügler mit zwei Wanderern, Vater und Sohn, ins Gespräch gekommen und Visitenkarten ausgetauscht haben. Da höre ich einen markerschütternden Schrei und vermute zunächst einen überdrehten Mitläufer, der mit Gebrüll gen Tal strebt. Ein heftiger, dumpfer Aufprall belehrt mich Sekundenbruchteile später eines Besseren. Wie ich später erfahre, telefoniert der Vater am Beginn des Abstiegs mit seiner Frau („Schatz, ich muß jetzt Schluss machen, hier wird’s steil“), als er schon das Gleichgewicht verliert. Einige Versierte von uns kümmern sich um ihn, alarmieren den Rettungsdienst, kümmern sich um die Erstversorgung, bis Feuerwehr, Polizei und Rotes Kreuz eintreffen und kommen später nach. Riesenglück hat er gehabt, ist auf den Kopf gefallen, hat aber dort wie durch ein Wunder nur ein paar Schrammen abbekommen. Alle Anzeichen eines Schocks zeigend, hat er wohl Schulter, Schlüsselbein und mehrere Rippen gebrochen, aber das ist alles heilbar. Leute, seid nicht leichtsinnig!
Derart ernüchtert erwartet uns als weiterer Höhepunkt die Marksburg hoch über Braubach. Diese einzige nie zerstörte Höhenburg am Rhein ist quasi das Wahrzeichen des Rheinsteig-Erlebnislaufs. Eine vom Marksburger Gastronomen gesponserte heiße Gemüsesuppe und ein bleifreies Weizen bringen die Lebensgeister wieder zurück. Das Wiederanlaufen fällt nicht leicht.
Die Raum-/Zeitberechnung sorgt für eine, wie soll ich sagen, leichte Änderung des Restprogramms zu unseren Gunsten, die es erlaubt, noch zu einer anständigen Zeit durch das beschauliche Fachwerkstädtchen Osterspai das Etappenziel in Filsen zu erreichen. Ich freue mich, wieder dabei gewesen sein zu dürfen und habe diesen schönen Etappenlauf schon fest im 2016er Programm verankert. Wer den Rhein von seiner schönsten Seite kennenlernen möchte, dem sei zumindest die eine oder andere Etappe ans Herz gelegt. Aber Achtung: Die Gesamtreise ist immer sehr früh ausgebucht!