Als ich mich vor einigen Monaten zum Dramathon anmeldete, hoffte ich nur, dass der Name nicht Programm werden würde. Der Untertitel “dinnae bottle it” machte mir auch nicht wirklich mehr Mut. Ehrlicherweise verstand ich die Worte auch nicht ganz… eine Whisky-Verkostung über 42 Kilometer bei fast 450 Höhenmetern? Klingt verrückt … ist es aber nicht!
Der Dramathon ist ein Trail-Marathon in den schottischen Highlands, welcher mitten durch die Speyside – einer bekannten Whisky-Gegend – führt. Es wird über die klassische Marathondistanz von 42 Kilometern bzw. 26 Meilen gelaufen. Wobei ungefähr 38 Kilometer davon Wald-, Forst-, Rasen- und Kieswege sowie Single-Trails sind. Mit fast 450 Höhenmetern ist das Profil darüber hinaus recht wellig. Große Teile der Strecke führen über die alte Highland Main Line Bahntrasse, d.h. stetig leichte Steigung! Ein nicht ganz gewöhnlicher Marathon.
Um den Ausdruck Dramathon zu verstehen, ist ein kleiner Exkurs in die schottische Sprache notwendig. “Dram” bedeutet “Schlückchen”. “Dramathon” kann also mit “Schlückchenlauf” übersetzt werden. Den Zusatz “dinnae bottle it” bzw. “don´t bottle it” kann mit “don’t give up” – also “gib´ nicht auf “- gleich gesetzt werden. Die Schotten sind zwar hart. Aber so hart, dass sie zum Marathon nur Whisky trinken, dann wohl doch nicht. Whisky ist eher der Begleiter nach dem Lauf.
Die wichtigsten Sponsoren des Dramathon sind die lokalen Distillerien, die man während des Laufs passiert. Im Ziel erhält jeder Teilnehmer von diesen Distillerien ein “Dram” – eine Minaturflasche Whisky! Neben dem Marathon wird auch ein Halbmarathon und ein 10k-Lauf angeboten. Die Teilnehmer der kürzeren Distanzen müssen sich aber mit weniger Drams begnügen! Wer also nicht nur den Laufsport sondern auch Whisky liebt, ist beim Dramathon goldrichtig!
Als ich am frühen Samstagmorgen die Startunterlagen in der Glenfiddich Distillery in Dufftown abholte, lag der Duft von gemälzter Gerste in der Luft. Ich war einer der letzten Athleten, die in einen der vier Busse stieg, welche die Teilnehmer des 2. Dramathon zur Startlinie bringen sollte. Gute 20 Minuten dauerte die Fahrt zur Glenfarclas Distillery, welche bereits zeitweilig die Whisky-Produktion einstellen musste. Gerste und Wasser waren aufgrund des schlechten Sommers Mangelware.
Die Temperaturen an diesem Tag waren für schottische Verhältnisse nahezu herbstlich perfekt. Milde 12 Grad, Wind, Wolken und zwischendurch Sonne! Ein leichter Nieselregenschauer trieb mich jedoch in das Innere des Glenfarclas Visitor Center. Ein Großteil der fast 400 Marathon-Starter warteten hier auf den Beginn des Laufs, welcher für 10 Uhr angesetzt war.
Auf dem Weg zur Toilette kam ich am Verkostungsraum vorbei und mir schlug whisky-geschwängerte Luft entgegen! Dicht gedrängt standen die Marathonläufer an der Theke und bereiteten sich und Ihre Körper auf die kommenden Stunden vor. Dank Derek´s Worten “a wee dram for the taste only …” verließ ich mit dem Geschmack des 15jährigen Glenfarclas Whisky den Raum in Richtung Startlinie.
Inzwischen fiel mir an den Handgelenken der Athleten ein Armband auf. Wie ich auf Rückfrage erfuhr, war dies der Zeitnahme-Chip, der neben den Startunterlagen in der Glenfiddich Distillery ausgegeben wurde. Dieser “Dipper” sei wichtig, um neben einer offiziellen Zeitnahme auch während des Rennens die Zeitnahme an zwei Straßenquerungen unterbrechen zu können. Verdammt! Das lief ja völlig an mir vorbei!! Leicht panisch suchte ich einen Helfer des Organisation-Personals auf und schilderte mein Problem. Die Antwort war einfach! Ich würde ohne Dipper laufen und sollte meine Bruttozeit im Ziel manuell nachtragen lassen! Die letzten Sätze gingen bereits in den markigen Klängen des Dudelsack-Spiels der schottischen Nationalhymne unter! Die letzte Minute vor dem Start war angebrochen!
Die ersten 1.200 Meter brachten die Dramathonis über 3% Steigung hinweg von der Teerstrasse auf die Naturwege des Cairngorm Nationalparks. Der steinige Untergrund war relativ feucht und mit diversen Gräsern überwachsen. Nach dieser ersten Steigung folgten schnelle Kilometer hinunter Richtung River Avon. Vorher musste zum ersten Mal die A95 überquert werden. Einige Meter vor der Straße standen Helfer mit kleinen roten Kästchen in der Hand. Durch Kontakt des Dippers auf diesem Kästchen unterbrachen die Athleten Ihre Zeitnahme und warteten in Ruhe bis die Straße frei war, um diese zu überqueren. Auf der anderen Seite aktivierte man die Zeitnahme durch erneutes “dippen” wieder.
Ich rannte direkt ohne “dip” über die Straße und sorgte damit für verwunderte Gesichter, wobei sich auf meine Gesichtszüge nur wenige Meter später ebenfalls Verwunderung legte. Die Laufstrecke führte direkt vom Uferweg des Avon auf die Kieszufahrt des imposanten Ballindaloch Castle. Die Schlossbewohner persönlich standen davor und feuerten die Athleten enthusiastisch an!
Meine Verwunderung riess nicht ab, als ich direkt im Anschluss auf das Grün des Ballindaloch Golf Court lief! Vorbei an den Putting Greens ging es über perfekten Rasen auf eine kleine Anhöhe, um in Richtung der Ballindaloch Distillery weiter zu laufen.
Nun stand auch schon die zweite Querung der A95 an. Das Piepsen der Zeitnahme-Unterbrechung zahlreicher Athleten vor und hinter mir begleitete mich, als ich ca. 100 Meter im Straßengraben entlang joggte. Erneut verwunderte Gesichter. Mein Zurufen “I have no dipper!” sorgte nur für weitere Verwunderung …
Meine Körper- als auch die Außentemperaturen waren inzwischen merklich angestiegen. Unnötiger Schweißfluss würde nur wertvolle Mineralien kosten. Dankbarerweise lief ich gerade auf einem der geteerten Straßenabschnitte hinunter nach Cragganmore, so dass ich problemlos Laufshirt, Thermo-Unterhemd und Armlinge während des Laufens ausziehen konnte. Lediglich das Laufshirt zog ich wieder an, den Rest spendete ich der Gemeinde Cragganmore.
Mit spürbar angenehmeren Mikroklima lief ich am Ortsschild vorbei. Der vorerst dezente Duft von Whisky-Maische wurde nun stärker und die Distillery konnte nicht mehr weit sein. Als ich die beiden dominaten Schornsteine sah, lief ich bereits mitten auf den Hof der Cragganmore Distillery in Richtung der Warehouses.
Nach einer kleinen Schleife auf die Anhöhe von Cragganmore eröffnete sich den Läufern ein wundervoller Blick auf das Flussbett der Spey. Das Wasser glitzerte in der Sonne und wurde durch die herbstlich gefärbten Bäume von gelb bis braun eingerahmt. Nur wenige Minuten später durchlief ich die historische Bahnstation von Cragganmore und würde nun für die nächsten sieben Kilometer der alten Bahntrasse folgen. Immer entlang der Spey!
Auf einem knappen halben Meter breiten Weg, der unter bunten Blättern verborgen lag, trabte ich mit inzwischen gemäßigtem Puls durch die Speyside. Die Umgebung erzeugte eine meditative Stimmung und ich fühlte mich wie im Runners High! Die kommenden Kilometer waren die schönsten des gesamten Dramathon. Eine Stahl- und zwei Holzhänge-Brücken lockerten die monotone, traumhafte Idylle auf und ich wartete gespannt auf die Halbzeit in Knockando.
Halbzeit bedeutet auch Start für die Halbdramathonis. Als ich die Tamdhu Distillery passiere, feuern Staffelteilnehmer als auch die Halbdramthonis die Dramathon-Läufer frenetisch an. Die Stimmung war einzigartig und der Startschuss für den Halbmarathon musste in Kürze erfolgen. Nach Kilometern der Stille kam mir die schreiende Menschenmenge unwirklich vor. Allerdings hatte ich auch kaum Zeit darüber nachzudenken, da es direkt in den zweiten längeren Anstieg der Strecke hinein ging. Auf den nächsten 2,6k müssen 49 Höhenmeter überwunden werden. Einige Meter maßen sogar mehr als 20% Steigung und zwangen nicht nur mich zum Gehen.
Nach diesem kräfteraubendem Anstieg konnte ich mich auf den steinigen Wiesenpfaden der nächsten drei Kilometer nur mäßig entspannen. Ich lief zwar im Gefälle, jedoch erforderte der Untergrund meine ganze Aufmerksamkeit. Die Zeit verflog und das Spey-Ufer samt alter Eisenbahntrasse hatte die Läufer nun wieder und begleitete diese bis nach der Aberlour Distillery.
Zwei Stunden und vierundzwanzig Minuten waren seit dem Startschuss vergangen, als ich in Charlestown of Aberlour einlief. Die 10k-Dramathonis waren bereits auf der Strecke und ich lief von hinten in die langsameren Teilnehmer hinein. Für die nächste halbe Stunde war nun zickzack laufen angesagt. Insbesondere auf den schmalen Single-Trail-Abschnitten bis Craigellachie ging es eng her. Viele Läufe waren schwer bepackt mit Laufrucksäcken und Trinkblase. Noch mehr hatten Kopfhörer in den Ohren und reagierten leider nicht auf meine Bitte passieren zu dürfen. Die zahlreichen Überholmanöver strengten an und ließen meinen Puls weiter steigen. Ich verordnete mir langsamer zu laufen, denn ein Marathon beginnt ja bekanntermaßen erst bei Kilometer 35!
Zwischen Laufkilometer 35 und 36 verließ die Route die Spey und folgte der alten Bahntrasse entlang des River Fiddich. Und nun begriff ich die Herausforderung der Streckenführung des Dramathon! Die kommenden 5 Kilometer würde es auf einem Naturpfad konstant mit 2-3% Steigung bergauf gehen. Und dies zu einem Zeitpunkt, an dem die Ermüdung am stärksten und die mentale Motivation eher down war. Meine Beine hatten fast 400 Höhenmeter auf über 36 Kilometern überwunden. Mein Kopf hatte ungefähr 2 3/4h Koordination und Konzentration geleistet. Und jetzt begann eigentlich erst der Lauf und meine Pace rutschte auf über 5:15 k/min. ab! Mein Puls stieg jenseits der 160 Schläge. Zudem war die Steigung kaum sichtbar! Fies!
Kontinuierlich arbeitete ich mich die Eisenbahntrasse hoch. Mit mehr Willens- als Muskelkraft erreichte ich die ersten Warehouses als Vorbote der Distillery. Erleichterung machte sich breit und ich dachte, ich bin am Ziel … als ich die weiß-schwarzen Lagerhallen passiert hatte, sah ich das Schild: Balvenie Distillery! Ahhh …. Ziel? Fehlanzeige! Ein Blick auf meine GPS-Uhr zeigte mir 40,6 Kilometer. Es war also noch nicht ganz vollbracht.
Jetzt aber! Die letzten abgesperrten Meter vor dem gelben Zielbanner erschienen abrupt hinter einer Gebäudeecke. Die jubelnden Familien und Freude der Läufer säumten die Absperrgitter und ich erkannte die Glenfiddich Distillery wieder. Helfer mit roten kleinen Kästchen forderten mich auf meinen Dipper vorzuhalten. Mit den Worten “I have no dipper, but please add my time to the list manuelly …” stoppte ich meine persönliche Zeitnahme: 41,6k bei 3:20:54h. Diese Zahlen hielt ich der Helferin vor die Augen. Sie lächelte und hängte mir ein Stück Eichenholzfass als Finisher-Medaille um! Danach zeigte sie mir den Weg zur Zeitnahmestelle. Vorher gab Sie mir noch den Lohn meines Laufs mit. 7 Drams (!!!), 7 Whisky-Minaturen!
Somit endete der Dramathon für mich mit einem 23. Gesamtplatz und einer 4. AK-Platzierung. Ungewohnt weit vorne für mich in einem Marathon-Event. Die Erklärung dafür ist nicht nur in meiner guten Tagesform zu finden, sondern eher der Tatsache geschuldet, dass bei diesem Event überwiegend Amateur- und Hobbysportler wie ich gestartet sind. Auch mal schön.
Es stand aber an diesem Tage weniger die Platzierung als das Gesamterlebnis im Vordergrund! Und das war einmalig und einzigartig!!! Der Dramathon hat mich mit seiner spektakulären Laufstrecke entlang der wunderschönen schottischen Speyside verzaubert und mir sprichwörtlich den Atem geraubt. Der Dramathon 2018 war ohne Zweifel mein bisher schönster Landschafts-Marathon. Slainte!!!