Wenn man auf der AutoRoute de Soleil auf dem Weg zum Mittelmeer ist, sticht einem hinter Lyon immer wieder ein riesiger heller Fleck ins Auge. Wie die Silhouette einer Pyramide, überragt der Mont Ventoux als Gigant der Provence die Ebene.
Der 23 Kilometer lange heilige Berg der Kelten besteht aus Kalkstein. Sein absolut kahles Gipfelplateau verdankt er der Abholzung zum Bau der Seeflotten aber auch zur Gewinnung von Brennholz und Herstellung von Holzkohle. Die 1912 Meter hohe, karstige Bergkuppe wird an 200 Tagen im Jahr von Wolken und Nebel umhüllt und die Temperatur ist oben immer mindestens 10 Grad kälter als am Fuß. Am Gipfel weht an 240 Tagen eine steife Brise und während die Provence bereits frühsommerliche Temperaturen genießt, liegt hier noch Schnee.
Der Mont Ventoux ist ein mystisches Ziel für alle Rennradler und immer wieder Etappenziel bei der Tour de France, bei der er als legendäre Gipfelankunft und als einer der heiligen Berge (mit dem Col du Galibier, Col du Tourmalet und L’Alpe d’Huez) geführt wird. Dabei ist der touristische Zweck des Berges viel früher dokumentiert. Bereits 1336 verfasste Francesco Petrarca einen Brief, indem das Bergsteigen zum ersten Mal als Selbstzweck dargestellt wird. Das war quasi der Beginn des Alpinismus, wie wir ihn heute kennen.
Die Trail Läuferinnen und Läufer haben den Berg schon lange für sich entdeckt und auf den anspruchsvollen Strecken eröffnet die französische Trailcommunity seit mehr als 10 Jahren die Saison. Die Veranstaltung feiert nicht nur die Ankunft des Frühlings, sondern ist auch Start der nationalen Golden Trail Series von Salomon. Als Klassiker und Saison-Opener für viele Weltklasse-Athleten darf man mit der Anmeldung nicht lange fackeln und so war die 46 Km Strecke schon nach wenigen Tagen ausverkauft. Ich habe mich für ein Paket entschieden, damit sich die Anreise lohnt. Am Samstag laufe ich die 29 Kilometer der Balcon de Jas Strecke und am Sonntag dann die 46er Origine Strecke. Im Angebot ist auch noch die 72km Intégrale des Cretes und der 15km Ventoux Sprint. Am Sonntag kann auf zwei verschiedenen Strecken zusätzlich gewandert werden.
Am Freitag machen wir uns zu dritt bei strömendem Regen und kaltem Winterwetter auf die Reise nach Süden. Eigentlich wären wir zu viert, aber mein Laufpartner fällt diesmal aus. Unser Auto ist eher ein Krankentransporter. Astrid ist angeschlagen und hofft auf einen Start am Sonntag auf der Origine Strecke. Lukas hat gerade eine Erkältung durchgemacht, versucht aber am Samstag die 72 km anzugehen. Mich hat nach einer geplanten OP dann noch mal COVID erwischt. Mir geht es eigentlich ganz gut, aber es fehlen 2 Monate Training. Naja fast. Am Sonntag bin ich recht flott 10 Kilometer gelaufen. Und am Dienstag gleich nochmal. Die anderen Körner habe ich dann aber lieber für dieses Wochenende gespart. Am Samstag will ich die 29km machen und wenn das ohne größere Qualen geht, hänge ich am Sonntag die 46er Originalstrecke noch dran. Mal schauen.
Immerhin bessert sich bei jedem Kilometer nach Süden das Wetter merklich. Ein letzter verzweifelter Regensturm verabschiedet sich mit einem wunderschönen Regenbogen und entlässt uns auf die Autoroute du Soleil, die ihrem Namen jetzt alle Ehre macht. Das Thermometer klettert auf 20 Grad, als wir nach 700 Kilometer in Bedoin, dem Startort des Rennens, ankommen.
Zuerst beziehen wir unsere wunderschöne Ferienwohnung inmitten der kleinen verwinkelten Gassen des kleinen Örtchens. Hier beginnen mehrere legendäre Radanstiege auf den Giganten. Es gibt extra Geschäfte, wo man sich mit Finisher Shirts und allerlei Devotionalien eindecken kann. Wir schlendern über den Markplatz und nehmen in der warmen Sonne ein Bier in einer der vielen Bars. Das ist schon mal ein guter Anfang. Danach geht’s zum Startort, wo es bei den Sportanlagen die Startnummern gibt.
Neben der Nummer gibt es noch eine Tasche, gefüllt mit einer Flasche Wein, einem Set, bestehend aus Bierglas nebst Füllung passend zum Event und einem Paar Ärmlingen, ebenfalls mit Eventaufdruck. Eine Pizza auf dem Heimweg rundet das Programm ab. Aber bevor es nach Hause geht, müssen wir nochmal zur Apotheke. Astrid schwächelt. Die Sonne hat ihr gutgetan, aber ihre Erkältung will sich nicht bessern. So geht es heute für alle früh ins Bett.
Lukas muss bereits um halb vier raus. Sein Start ist um viertel vor fünf. Nachdem er weg ist, drehe ich mich nochmal auf die Seite und schlafe tatsächlich bis um halb acht. Ich kann mir Zeit lassen. Mein Start ist erst um halb elf. Als ich frühstücke, steht Lukas plötzlich in der Tür. Er musste den Lauf abbrechen. Nach dem langen Aufstieg gleich zu Anfang ging bei ihm nichts mehr. Für weitere 60 Kilometer hatte er keine Kraft mehr und so ist er nach der ersten Verpflegung wieder zurück in den Ort. Alles richtig gemacht. Immerhin lobt er die schöne Strecke im Aufstieg. Er begleitet mich noch zum Start. Astrid schaut auch noch kurz vorbei. Sie hat überhaupt keine Stimme mehr. Ich werde dieses Wochenende also allein die Vereinsfahne hochhalten müssen.
Auf dem Startgelände herrscht schon eine ausgelassene Stimmung. Viele Läuferinnen und Läufer kennen sich. Die Elite läuft sich bereits warm. Die Temperaturen sind angenehm mild. Der Gipfel des Ventoux wird von schwarzen Wolken eingehüllt. Bestimmt schneit es gerade dort oben. Das sieht ungemütlich aus. Aber hier unten ist es sehr angenehm. Ich laufe in kurz, habe aber alles für einen Wintereinbruch dabei. Nur die YakTraks habe ich im Zimmer gelassen. Die werde ich heute nicht brauchen, denn die Strecke führt nicht bis hoch zum Gipfel. Die 29 Kilometer hatten erst im letzten Jahr Premiere. Es geht bis auf 1500 Meter Höhe und dann in einer großen Acht zwischen der Beaume du Chat und der Combe de Maraval wieder zurück nach Bedoin.
Bereits zwei Minuten vor halb werden wir auf die Strecke geschickt. Zuerst geht es recht flach über Feldwirtschaftswege, damit sich das große Starterfeld auseinanderziehen kann. Nach ein paar Weinreben folgt der erste Singletrail, der aber immer noch breit genug zum Überholen ist. Kein Gedränge, keine nervigen Überholmanöver. Gute Laune und ein höfliches „à gauche“ oder „à droite“ als Hinweis, dass jemand überholen möchte, machen auch die ersten Meter am Berg zu einem entspannten Erlebnis, bis sich alle in ihrem Tempo eingefunden haben. Willkommen in Frankreich!
Wir steigen nach Westen entlang einiger Ockerfelsen. Immer noch im Wald passieren wir riesige Felsüberhänge. Es begleiten uns erst noch viele Olivenbäume, dann Eichen und schließlich Kiefern. Der Untergrund wird immer heller. Wir treten aus dem Wald und queren immer wieder Geröllflächen aus Kalkgestein. Im Süden liegt unter uns die Provence als flache Ebene. Ich schaue ständig zurück, bis ich schieftrete und mir dabei das Schienbein und die Hand aufschlage. Perfekt. Wie immer. Zum Glück ist nicht viel passiert. Zwei dicke Finger begleiten mich für den Rest der Strecke, aber die Schmerzen im Fußgelenk lassen nach wenigen Minuten wieder nach und alles scheint in Ordnung zu sein.
Das Geröll wird immer grober und der Aufstieg immer steiler. Der Schweiß fließt in Strömen. Langsam kommen wir in die Wolken. Wir haben die Richtung jetzt geändert. Es geht nach Osten, wobei wir aber immer auf der Südseite des Ventoux bleiben. Es wird frisch und ich ziehe eine Windjacke über. Sie ist so groß, dass ich sie über den Rucksack ziehen kann. Das ist sehr praktisch. Kommen wir auf einen Grat, wo uns der Wind um die Ohren pfeift, ziehe ich schnell den Reißverschluss bis unters Kinn, sind wir wieder im Windschatten, öffne ich die Jacke, damit es mir nicht zu warm wird. Immerhin ist der Anstieg recht fordernd.
Ich merke, dass ich die letzten zwei Monate im Stand-By-Modus war. Zum Glück hat sich meine zweite Corona-Infektion von ihrer milden Seite gezeigt und ich habe keine Probleme mit Puls oder Kreislauf, wie beim ersten Mal. Stöcke sind auf der 29 Kilometerstrecke nicht erlaubt und so müssen die Waden ohne Unterstützung arbeiten. Ohne Pause ziehe ich durch den nebligen Südhang, bis wir nach genau zehn Kilometern und etwa 1200 Höhenmetern die höchste Stelle für heute erreicht haben. Es ist kalt und ungemütlich. Ein paar Helfer applaudieren und feuern uns an, bevor es auf einem Fahrweg wieder gut laufbar nach unten geht.
Nach knapp zwei Kilometern ist aber mit der Erholung Schluss. Wir wechseln auf einen Single Trail. Die Steine sind schmierig und glatt. Tendenziell geht es die letzten 19 Kilometer nur noch nach unten, aber fiese, steile Rampen unterbrechen ständig den Laufspaß. Bei Kilometer 15 erreichen wir die Verpflegungsstelle. Ich lege eine kleine Pause ein und bediene mich am üppigen Buffet. In die Trinkflaschen kommt jetzt noch ein Schuss ISO.
Das Wetter ist wieder besser und die Sonne bahnt sich langsam, aber sicher den Weg durch die dünne Wolkenschicht. Im anschließenden Downhill begleiten uns jetzt die ersten Läuferinnen und Läufer der 72 km Strecke. Sie kommen aus dem Schneesturm am Gipfel und freuen sich über die angenehmen Temperaturen auf den letzten Kilometern. Die Strecke ist gut laufbar, nur wenige steile Abschnitte erfordern die volle Konzentration. Feucht und schmierig gibt es keinen Gripp auf den Felsen und im groben Geröll. Steile Rampen führen immer wieder in die Höhe. Wir queren einige Grate, bis wir wieder in den Wald eintauchen. Große Höhlen bringen etwas Abwechslung, dann genieße ich den weichen Waldboden, der mich bis ins Tal begleitet. Die wenigen letzten Geröllhänge machen mir nichts mehr aus. Es scheint jetzt die Sonne. Bedoin liegt unter uns. Wir treten ein in die Ebene.
Blühende Obstbäume und Weinreben säumen den Weg. Wir haben es gleich geschafft. Noch ein letzter Anstieg direkt vor dem Ziel und wir haben das Ding im Sack. Zufrieden gönne ich mir das angebotene Finisher Bier und ein paar Happen der Zielverpflegung. Das war also der erste Streich. Die 29 Kilometer sind im Kasten und eigentlich hat es für meinen Trainingsstand gut funktioniert. Fußgelenk und Schienbein sind wieder beschwerdefrei und nach einer heißen Dusche geht es direkt zum Carbo-Loading ins Restaurant.
Lukas war heute etwas Wandern, aber Astrid hat den Tag im Bett verbracht. Ich werde also morgen wieder allein laufen. Im Hinterkopf suche ich nach einer Ausrede, aber mir fällt nichts ein. Ich habe in diesem Jahr viel vor und brauche entsprechendes Training. Die Kombination von 29 und 46 Kilometer bietet sich daher als perfektes Trainingswochenende an.
Am nächsten Morgen geht um sechs Uhr der Wecker. Gut erholt und ohne merklichen Muskelkater geht es unter die Dusche. Ein Honigbrötchen und zwei Tassen Kaffee wecken die restlichen Lebensgeister. Ein Blick aus dem Fenster zeigt mir den Gipfel des Ventoux noch mit einer kleinen Wolkenfahne, aber ansonsten sehe ich nur blauen Himmel. Die Sonne braucht nur noch wenige Minuten, um ihre kräftigen Strahlen über die Ostflanke zu schicken und beim Weg zum Rennen wärmt sie mich schon. Lukas begleitet mich zum Startplatz, wo sich schon viele Läuferinnen und Läufer eingefunden haben.
Le 46 Origine ist der Hauptlauf. Erst kurz vor dem Start wird der Korridor geöffnet und die Massen strömen in den Kanal. Es wird, überraschend für mich, in Wellen gestartet. Verschiedene Zeitkorridore gibt es aber nicht. Die Stimmung ist ausgelassen und unaufgeregt. Wie ein großes Familientreffen. Ich starte mit der zweiten Welle und ganz viele sind noch hinter mir.
Zuerst geht es flach durch die Weinfelder nach Westen. Meine Welle ist schon komplett an mir vorbeigezogen und die ersten der nächsten Welle überholen mich bereits, bevor der erste Anstieg beginnt. Die Wege sind aber breit genug und langsam sortiert sich das Feld. Beim ersten Single Trail ist ein kleiner Stau. Wir passieren eine hohe Felskante. Fotos werden gemacht. Ein Stolpern wäre blöd, geht es doch einige Meter in die Tiefe. Die Läuferinnen und Läufer genießen den Abschnitt. Die Anstiege sind genauso steil wie gestern, jedoch gibt es zwischendurch immer wieder flache Abschnitte, die sich recht gut laufen lassen und den Muskeln etwas Erholung gönnen. Auf dem Boden überall die Kräuter der Provence. Es duftet nach Thymian, der hier wie Unkraut den Boden bedeckt. Die Sonne spendet angenehme Wärme auf der Haut.
Der Ventoux ragt als Gigant zu unserer Rechten drohend in den Himmel. Unser Weg führt zur westlichen Rampe. Wir durchqueren immer wieder Geröllfelder mit spärlichem Bewuchs, um dann wieder in Kiefernwälder einzutauchen. Auf dem Grat angekommen, wechseln wir die Richtung und haben jetzt den Gipfel und die bewaldete Nordseite im Blick. Von unten bläst der Wind und pfeift durch die zerzausten Bäume. Zum Glück liegt die Strecke meist im Windschatten, mit zunehmender Höhe wird es aber immer kälter. Zuerst ziehe ich die Ärmlinge an und nach und nach krame ich die Pflichtausrüstung aus den Taschen. Nach der Windjacke kommt die Mütze zum Einsatz. Schließlich auch noch Handschuhe und zusätzliches Stirnband.
Wir wechseln jetzt endgültig auf die Nordseite des Ventoux und laufen im Schatten. Alles ist grün. Viele Flechten wachsen an und in den Bäumen. Das hier ist die grüne Seite des Giganten. Die Strecke führt kurz über eine Fahrstraße in Richtung des Gipfels. Im Schatten gibt es immer mehr Schneereste. Vor uns liegt majestätisch der Alpenhauptkamm in seiner weißen Pracht. Über uns strahlend blauer Himmel. Wir wechseln zum Schlussanstieg auf einen Single Trail. Sehr steil und vereist folgen wir einem ausgeschilderten Schneeschuh-Wanderweg. Einige rutschige Passagen verhindern ein schnelles Vorankommen, aber alles gut machbar.
Immer den Gipfelturm im Blick, keuche ich den Berg hoch. Um mich herum nur noch Schnee. Der Wind bläst jetzt orkanartig. Ich ziehe den Schal bis unter die Augen. Die eiskalte Luft lässt meine Windjacke knattern und ich muss aufpassen, dass mir der Stoff nicht ins Gesicht schlägt. Der kahle Gipfel liegt vor mir und ich erkenne die Läuferinnen und Läufer als bunte Punkte, die den letzten Grat am Aufstieg hochziehen. Dann wieder ein Stück Fahrstraße und der Schlussanstieg vorbei an einer Kapelle, bis wir schließlich das Plateau und den Turm erreichen. Ein Schild markiert den höchsten Punkt. Dort ist eine Zeitmatte ausgelegt.
20 Kilometer mit 1800 Höhenmeter liegen hinter mir. Jetzt geht es nur noch bergab. Ich will meine Frau anrufen, aber der Lärm meiner Windjacke macht eine Verständigung unmöglich. Der 360 Grad-Rundum-Blick ist fantastisch. Gestern gab es hier außer Wolken und Nässe nichts zu sehen. Wir haben absolutes Glück. Auch ist der Gipfel aufgrund der Wetterverhältnisse nicht jedes Jahr zu erreichen. Für einen langen Aufenthalt ist es aber auch heute zu kalt und zu windig. Außerdem mahnt mich der Blick auf die Uhr zur Eile. Immerhin gibt es ein Zeitlimit an der nächsten Verpflegung und ich weiß nicht, was mich im Abstieg erwartet.
An Laufen in diesem Geröll ist für mich bei dem Wind jedenfalls nicht zu denken. Die Sturmböen begleiten uns noch, bis wir wieder halbwegs in den Windschatten auf die Südseite gewechselt sind. Jetzt geht es nur noch bergab. Ich rolle langsam, aber stetig entlang der kahlen Südseite in wärmere Gefilde. An einer Straßenquerung, wo es auch eine Getränkestation gibt, kann ich Jacke, Ärmlinge, Handschuhe und Mütze wieder wegpacken. Die warme Sonne taut mich wieder auf. Ich gönne mir ein Gel mit Koffein, das bei mir wieder alle Lebensgeister weckt.
Das Geröll tritt jetzt in den Hintergrund. Durch grüne Kiefernwälder geht es auf weichem Boden ins Tal. Eine Wohltat für Füße und Beine. Noch zwei kurze Rampen auf Geröll und schon habe ich die Verpflegung erreicht. Es ist die gleiche, an der wir gestern mit den Läuferinnen und Läufern der langen Strecke zusammengekommen sind. Ich habe eine gute halbe Stunde bis zum Cutoff und gönne mir eine warme Gemüsesuppe und ein paar der leckeren Happen, die dort angeboten werden. Zu trinken gibt es heute nur Wasser mit und ohne Kohlensäure. Gerne würde ich hier einen Schluck Cola nehmen, aber was soll’s. Dann halt noch ein Gel.
Die restlichen 16 Kilometer kenne ich ja schon von gestern. Erstaunlicherweise fühle ich mich heute aber deutlich besser. Meine Füße haben aufgehört, sich zu beschweren. Die Oberschenkel und Waden fühlen sich noch recht frisch an und so laufe ich gut gelaunt den Berg hinab. Durch die wärmende Sonne ist der Weg gut abgetrocknet, und dort, wo ich gestern noch über schmierige Felsen geschlittert bin, laufe ich heute sicher und mit gutem Gripp entspannt bergab. Sogar die sehr steilen Passagen haben ihren Schrecken verloren. Ich bin froh, dass ich heute Morgen nicht gekniffen habe und mir der innere Schweinehund keine Fallen gestellt hat. Ich genieße die Sonne und die Wärme auf der Haut. Auch die fiesen Rampen nehme ich mit Freude. Was für ein schöner Sport.
Unter mir sehe ich bereits Bedoin. Kurz bevor es wieder zu den Höhlen geht, kommt mir Lukas entgegen. Er ist die Strecke in entgegengesetzter Richtung gewandert und bedauert, dass es gestern für ihn einfach nicht gelaufen ist. Ich genieße die letzten Kilometer. Im Wald treffe ich auf eine Gruppe Sanitäter, die einen Verletzten (offensichtlich schiefgetreten) ins Tal begleiten. Schon spuckt mich der Wald wieder aus und ich befinde mich in den Weinfeldern. Ein kleiner Tunnel führt unter einer Straße durch. Jetzt noch der Schlussanstieg, den ich heute richtig genieße und da ist auch schon der Zielbogen. Ein fantastisches Rennen in einer fantastischen Landschaft geht zu Ende. Trotz fehlendem Training hat der Einstieg in die Saison bestens geklappt. Der Gigant ist bezwungen. Der innere Schweinehund auch.
Der Trail Du Ventoux ist ein Klassiker. Oft liegt auf dem Gipfel und den Graten noch Schnee, während im Tal schon die Mandelbäume blühen. Eine Zielankunft wird nicht garantiert und oft muss die Strecke noch kurzfristig umgelegt werden. Man sollte sich also auf alle Unwägbarkeiten gefasst machen. Die Strecke ist auch ohne Extremwetterereignisse wild und hart. Bei gutem Wetter reicht der Blick nach Süden bis zum Mittelmeer und im Osten bis zu den Alpen. Der Trailanteil liegt bei 99,57 Prozent.
Die Strecken
72 km - Intégrale des Crêtes (+/- 3900Hm)
46 km - Origine (+/- 2050 Hm)
29 km – Balcon de Jas (+/- 1400 Hm)
15 km – Ventoux Sprint (+/- 530 Hm)
Die Intégrale kann auch als Staffel gelaufen werden. Es besteht die Möglichkeit, bei der Anmeldung verschiedene Strecken miteinander zu kombinieren.