In drei Wochen steht der nächste Ultra an und so suche ich noch nach einem passenden langen Lauf in der Nähe. Im Grenzgebiet zu Frankreich ist das nicht schwer, denn dort findet an jedem Wochenende irgendwo irgendwas statt. Besonders beliebt sind die Strecken so bis 30 Kilometer, die sich hervorragend als Leistungstest, langer Lauf oder aber auch als knackiges Rennen eignen.
Ich werde in Malling fündig. Das liegt im Dreiländereck Saarland/Luxemburg/Frankreich. Meine Lauffreundin war im letzten Jahr dort und hat mir den Lauf empfohlen. Liebevolle, familiäre Organisation. Gute Verpflegung. Glühwein und Bier im Ziel. Hört sich doch prima an.
Also sitze ich am Sonntagmorgen um sechs Uhr im Auto und starte in Richtung Luxemburg. Die letzten Tage hat es heftig geregnet und ich bin noch nicht hinter dem Lenkrad, geht es schon wieder los. Auf der Autobahn läuft der Scheibenwischer auf der höchsten Stufe und ich überlege mir eine Ausrede, um wieder umzudrehen und mich ins noch warme Bett zu legen. Aber es hat ja keinen Zweck. Irgendwo müssen die Körner herkommen und im letzten Monat war mein Training recht dürftig. Also eher so null. Bestimmt hört es auch gleich auf.
So langsam kommt die Dämmerung, als ich die letzte Abfahrt in Deutschland nehme und nach Frankreich abbiege. Nach zehn Minuten liegt das Kernkraftwerk Cattenom direkt vor mir. Alles hell erleuchtet. Von meiner Lieblingshalde sehe ich bei gutem Wetter oft die aufsteigenden Wolken der Kühltürme, wenn nicht gerade einer der vielen Mängel beseitigt wird. Eine riesige Industrieanlage und wegen der häufig auftretenden Mängel sehr umstritten.
Noch zwei Kilometer und ich bin in dem kleinen Dörfchen Malling. Die Bürgersteige sind noch hochgeklappt. Ich folge dem blauen Flatterband, das bestimmt die Strecke markiert. Die Straße endet aber in einer Sackgasse. Also wieder zurück. Ich hänge mich an ein Auto, das zielsicher durch den Ort düst. So früh morgens kann das nur ein Läufer oder eine Läuferin sein. Ich habe Recht und komme auf das Startgelände.
Es regnet immer noch, aber nicht mehr so stark. Ich bin viel zu früh und verkrieche mich nach dem Abholen der Startnummer wieder ins warme, trockene Auto. Im nächsten Leben mach ich irgendeinen Hallensport. Meine Schuhe sind bereits nass und die Laune schafft es irgendwie nicht aus dem Keller. Nach und nach tröppeln die Läuferinnen und Läufer ein. Es wird richtig hell und dann hört es sogar fast auf zu regnen.
Ich treffe ein paar alte Bekannte. Aus unserem Verein sind Marius und Laura am Start. Etwa 150 Läuferinnen und Läufer stehen gutgelaunt an der Startlinie für die 32 Kilometer und die Stimmung der anderen, zieht auch meine wieder hoch. Auf allen Strecken zählen die Veranstalter heute 500 Teilnehmende. Der Start ist unspektakulär. Es wird kurz runtergezählt und schon geht es pünktlich los.
Wir laufen ein Stück durch den Ort und dann entlang der Mosel. Die Wiese ist komplett mit Wasser gesättigt und lässt uns schon ahnen, was uns heute noch blüht. Am Anfang geht es noch über gute, trockene Wege vorbei an abgeernteten Maisfeldern. In der Ferne sehen wir den Stromberg. Ich kenne den schönen Aussichtspunkt dort oben und weiß, dass uns einige Höhenmeter, aber auch schöne Trails erwarten.
Die erste Verpflegung kommt bereits nach viereinhalb Kilometern, aber ich brauche noch nichts. Es nieselt nur leicht und mit etwa 10 Grad ist es auch nicht besonders kalt. Wir laufen über gute Wege und kleine Straßen, bis wir die Mosel überqueren. Durch einen kleinen Ort gelangen wir in die Steilhänge, die zum Stromberg führen. Auf dem Muschelkalk gedeiht hier ein fantastischer Wein. Eine Flasche Auxerrois von hier gehört in jeden Weinkeller.
In dieser Region wurde früher Gips abgebaut und einige Stollen sind noch zu sehen. Es geht jetzt steil nach oben zu dem Aussichtspunkt, wo uns die zweite Verpflegung erwartet. Ich nehme eine Cola und von dem leckeren Käse. Die Helferinnen müssen hier im kalten Wind ausharren. Da haben wir es besser. Wir können wenigstens laufen. Eine lange Bergab-Passage folgt, mit sehr schönen idyllischen Abschnitten. Oft läuft man durch einen Blättertunnel. Schade, dass die Sonne das bunte Laub heute nicht zum Leuchten bringt, aber auch der Regen zaubert eine schöne mystische Stimmung in den Wald.
Der Matsch setzt sich auf der Strecke durch, aber es lässt sich alles sehr gut laufen. Die Weinreben kündigen das Ende dieser schönen Schleife an. Wir queren wieder auf der gleichen Brücke die Mosel, der wir nun auf einem guten Weg folgen. Vor uns liegt die Burg der Herzöge von Lothringen. Das kleine Städtchen Sierck-Les-Bains mit seinem Chateau liegt malerisch auf einem Felsvorsprung an einer Moselschleife. Die mittelalterliche Festungsanlage war eine der Lieblingsresidenzen der lothringischen Herzöge und wurde für Besucher liebevoll restauriert.
Auch wir kommen in den Genuss einer Besichtigung. Die Burg wurde extra für die Veranstaltung geöffnet, und wir durchqueren das gesamte Areal inklusive Wehrgänge und Aussichtsplattform.
Durch enge, mittelalterliche Gassen geht es weiter, bis zu einem kleinen Fluss, der durch den Regen angeschwollen ist. Wir folgen ihm ein Stück, bis wir zu einem aufgelassenen Steinbruch kommen. Es wird immer steiler. Der letzte Abschnitt geht weglos über einen Schutthang. Jeder sucht sich einen passenden Pfad, an dessen verlängertem Ende uns die dritte Verpflegung erwartet.
Der Himmel hat jetzt die Schleusen voll geöffnet und es schüttet, wie aus Kübeln. Ein längerer Downhill bringt uns wieder ins Tal, wo es auf schlammigen Wegen weitergeht. Ich schaue nur noch nach unten und laufe nach anfänglichen Ausweichmanövern die Strecke im belgischen Stil. Das bedeutet, dass ich immer in der tiefsten Matschrinne laufe, weil man dort nicht wegrutschen kann. Wer schon mal im Winter ein Rennen in Belgien gelaufen ist, weiß wieso ich es „belgischer Stil“ nenne. An einem Sportplatz erwartet uns die letzte Verpflegung. Jetzt ist es nicht mehr weit.
Nach wenigen hundert Metern erreichen wir eine schmierige Rampe. So wie es aussieht, sind hier schon einige auf dem Hosenboden runtergerutscht. Ich mogele mich am Rand vorbei und schaffe es ohne Bodenkontakt. Der weitere Weg ist eine einzige Schlammschlacht. Eine Straße queren wir durch eine Unterführung. Die ist so niedrig, dass ich auf allen Vieren durchmuss. Immerhin sind die Schuhe wieder sauber. Wieder im Freien spült der heftige Regen auch den Rest Matsch wieder ab.
Ein Singletrail bringt uns zu einem Bachlauf. Hier sind wohl schon alle Läuferinnen und Läufer der kürzeren Strecken durchgelaufen, wobei von Laufen jetzt keine Rede mehr ist. Ich hangele mich von Baum zu Baum. Auf dem schmierigen Untergrund finde ich auch mit meinem groben Profil keinen Halt mehr. Viele rutschen die steilen Stücke auf dem Po runter. Ich passe auf, wo ich mich festhalte, damit ich nicht in Dornen greife. Dort wo es geht, laufe ich einfach durch den Bach. Mir ist jetzt alles egal. Nur nicht verletzen. Bevor ich unkontrolliert rutsche, lasse ich mich fallen.
An einem langen steilen Stück stürzt ein Läufer direkt vor mir und tut sich richtig weh. Er hat sich das Bein verdreht und ist mit dem Rücken nach einer längeren Rutschpartie in einer Wurzel gelandet. Zum Glück kann er nach ein paar Minuten wieder aufstehen. Ansonsten müssten wir ihn hier wohl zurücklassen. Ich wüsste nicht, wie man einen Verletzten hier raus transportieren könnte.
Wir quälen uns durch den Bach, wo es geht und hangeln uns rutschend durch die kleine Schlucht, bis wir endlich das Moselufer erreichen. Dort wartet schon der Sanitäter, den wir angerufen haben und schaut sich unseren Verletzten an. Die Passage war echt grenzwertig.
Noch zwei Kilometer Matschpampe entlang der Mosel, dann sind wir wieder in Malling. Ein Stück geht es noch durch den Ort, dann erreiche ich die Zielwiese. Jetzt fällt mir auf, dass hier ein großer Schwimmweiher ist, mit Toiletten und Duschen, der im Sommer bestimmt ein schönes Ausflugsziel abgibt.
Marius erwartet mich im Ziel. Bei einem Finisherbier und einem Becher Kürbissuppe warten wir noch unter den Pavillons auf Laura, die wenig später eintrifft. Der Verletzte Läufer hat es auch noch ohne Hilfe ins Ziel geschafft. Zum Glück ist ihm nichts Ernstes passiert. Es regnet in Strömen und die meisten Läuferinnen und Läufer sind schon auf dem Heimweg.
Das kostenlose Zielbuffet hat alles, was man nach einem langen Lauf braucht. Crêpes, Würstchen, Sandwiches, Glühwein, Crémant, aber auch Früchte und Nüsse. Mir wird es langsam kalt und ich will jetzt nur noch nach Hause. Auf dem Weg zum Auto gibt der Himmel nochmal alles. Den Weg zur Dusche kann ich mir sparen. Unter der Heckklappe ziehe ich mich um und freue mich anschließend über die Sitzheizung.
Das war heute eine harte Nummer. Aber von nix kommt bekanntlich nix.
Es muss nicht immer ein Ultra sein. Der Trail Malling ist eine Reise ins Dreiländereck wert. Gute Stimmung, freundliche Helfer, familiäre Atmosphäre. Dabei ist die attraktive, knackige Strecke - anständiges Wetter vorausgesetzt - gut laufbar. Drei verschiedene Distanzen für jedes Niveau. Sehr gut markiert. Perfekte Zielverpflegung. Schade, dass es bei uns solche Veranstaltungen so selten gibt. Die Franzosen haben es drauf. Einfach. Gut.
Strecken
15 km / 380 Hm
22 km / 620 Hm
32 km / 960 Hm
Derzeit braucht man für rennen in Frankreich noch ein Certifikat Medical. Das soll aber demnächst wegen einer neuen gesetzlichen Regelung entfallen.