Gladiatoren werden nicht nur die antiken römischen Berufskämpfer genannt, sondern auch die mächtigen Zypressen, die in der hügeligen Landschaft der Toskana die staubigen Wege säumen. Aber erst seit Russell Crowe im gleichnamigen Film daran vorbei spaziert ist. Dank der Filmszenen bei „Gladiator“ sind einige dieser Wege zu weltberühmten Fotospots geworden. Dabei wurden die Szenen, die eigentlich in Iberien spielen, im Val d’Orcia in der italienischen Toskana aufgenommen.
Das Tal zählt zu den schönsten Landschaften Italiens und ist mit seinen sanften Hügeln, mittelalterlichen Ortschaften, malerischen Zypressenalleen und den weltweit besten Rotweinen nicht gerade ein Geheimtipp unter Reisenden. Ich habe die Toskana im letzten Jahr beim Trail Via degli Dei zum ersten Mal als Läufer besucht und war gefangen von der bezaubernden Landschaft. Dabei haben wir die Bilderbuch-Toskana nur gestreift.
So war ich mir mit meinen damaligen Mitstreitern einig, dass wir das erste lange Rennen dieses Jahres wieder in Italien bestreiten werden. Damit ich mit meinem Laufpartner Burkhard für den Sommer gut gerüstet bin, haben wir uns ganz euphorisch für die hundert Meilen Distanz beim Tuscany Crossing angemeldet. Damit haben wir uns ganz schön weit aus dem Fenster gelehnt. Kratzen wir doch beide schon an der Läuferrente. Beim Probelauf in Volvic haben wir trotz hartem Einsatz am letzten VP das Cutoff gerissen. Natürlich war das auch dem verrückten Wetter geschuldet, aber Ausreden gibt es viele und dieses Mal muss es einfach für ein Finish reichen. Zu allem Überfluss ist auch für unseren Toskana Ausflug die Wetterprognose ernüchternd. Waren es am Montag noch 30 Grad, ist für das Rennwochenende mal wieder ein Wintereinbruch prognostiziert.
Auf der Hinreise klammern wir das Thema einfach aus. Aber am Gotthard meldet sich der Winter deutlich zu Wort und zeigt uns, dass nicht mit ihm zu spaßen ist. Wir überlegen uns eine Strategie, wie wir das Ding auch bei schlechtem Wetter nach Hause bringen und einigen uns auf „Augen zu und durch“ und „so schlimm wird es nicht kommen“. Ab Florenz setzt dann heftiger Regen ein. Ein Regenbogen wechselt den nächsten ab und hinter Siena erreichen wir das Val D’Orcia, durch welches unser Lauf führt.
Die Buchung unserer Ferienwohnung im Start- und Zielort Castiglione D‘Orcia erweist sich als Missverständnis. Wir warten in einem Restaurant auf den Vermieter, der mit uns zur Wohnung fährt. Sie befindet sich leider nicht wie beworben mitten im Ort, sondern vier Kilometer außerhalb. Das fängt ja gut an. Wir fahren wieder zurück in das Restaurant und gönnen uns ein schmackhaftes Abendessen, während unsere Wohnung aus dem Winterschlaf geweckt wird. Immerhin ist es warm in dem schönen Landhaus, als wir zurückkommen.
Am nächsten Morgen blinzelt die Sonne durch die Fensterläden. Das ist doch mal ein gutes Zeichen. Vom Starkregen des letzten Abends ist keine Spur mehr. Wir treten auf die Terrasse und blicken auf eine Bilderbuchlandschaft. Wir genießen die Aussicht ins Val D’Orcia, wo auf den fruchtbaren Böden der rubin- bis granatrote Brunello di Montalcino gedeiht. Er wird nach strengsten DOCG-Regeln sortenrein aus der Sangiovese Grosso Traube hergestellt und gehört zu den bekanntesten italienischen Weinen. An unserer Zufahrt hängen schon die Flatterbänder vom Lauf. Wir werden etwa bei km 145 hier vorbeikommen. Es wir Nacht sein und ich hoffe, dass wir stark genug sind, nicht hier die Segel zu streichen.
Schnell verdränge ich den Gedanken und blicke nach dem mittelalterlichen Örtchen Castiglione, das etwa 4 Kilometer entfernt auf einem Kalkfelsen von einer schmucken Festung überragt wird. Ich fühle mich aus der Zeit gefallen. Keine modernen Gebäude stören den Anblick. Auf jedem sanften Hügel eine Villa, die Wege gesäumt von mächtigen Zypressen. Dazwischen Wein und Olivenbäume. Ein Traum. Darüber am blauen Himmel die warme Sonne. Es zieht noch ein wenig Dunst aus den Tälern. Die letzten Überreste der regnerischen Nacht. Wir werden von einer Bulldogge begrüßt, die sich anscheinend sehr über unsere Anwesenheit freut. Mit dem Frühstück warten wir noch auf Katja und Mike, die es gestern nicht mehr über den Alpenhauptkamm geschafft haben. Sie werden morgen früh auf der 103 Kilometer-Strecke starten.
Gemeinsam holen wir unsere Startnummern ab. Der obligatorische Wein, ein Shirt und eine kleine Flasche Olivenöl gibt es obendrauf. Noch ein Bierchen auf der Piazza Vecchietta, etwas Pasta, ein Verdauungsspaziergang und es geht wieder zurück in die Wohnung. Wir versuchen, noch etwas auszuruhen. Dann packen wir die beiden Dropbags und machen uns startklar.
Um halb fünf sind wir bereit für das große Abenteuer. Das Wetter ist perfekt. Sonne und etwa 12 Grad. Genau richtig zum Laufen. Das italienische Briefing bringt uns keinen Erkenntnisgewinn. Ich frage nochmal nach, weil ich was von Streckenänderung verstanden habe. Ja, es gibt zwei Änderungen, aber alles ausgeschildert und kein Problem. Okay, den Rest habe ich ja auf der Uhr.
Pünktlich um 17 Uhr fällt der Startschuss. Wir durchqueren das mittelalterliche Städtchen. Die Anwohner, die Läuferinnen und Läufer der kürzeren Strecken und die Angehörigen säumen die engen Gassen und machen uns mit ihren Anfeuerungsrufen Mut für das kommende Abenteuer. Von jetzt an werden wir auf den weißen Wegen unterwegs sein, die die Landschaft durchziehen. Ein ewig langer Downhill bringt uns zu einer aufgegebenen Bahnlinie, auf der wir einen Tunnel durchqueren, um auf der anderen Seite wieder aufzusteigen. Wir durchqueren Wein- und Olivenplantagen. Die allgegenwärtigen Zypressenalleen und die traumhaften Ausblicke, lassen mein Läuferherz höherschlagen. Genau dafür sind wir hierhergekommen.
Die Sonne steht schon niedrig und legt ihr warmes Licht über die Hügel. Ehrfürchtig genieße ich jeden Meter des Rennens. Schnell erreichen wir das erste Ristoro, was so viel wie Stärkung oder Erfrischung bedeutet. Diesmal will ich alles richtig machen und versuche, mich von Anfang an richtig zu verpflegen und vor allem genug zu trinken. Also fülle ich die leere Flask und gebe eine halbe Elektrolyt-Brausetablette dazu. Das gibt einen guten Geschmack und ein paar Mineralien.
Der folgende Streckenabschnitt ist einfach traumhaft. In der untergehenden Sonne passieren wir Zypressenalleen und Weinfelder. Die Bäume werfen lange Schatten. Wir passieren einen bekannten Foto-Spot, wo die Fotografen auf das beste Licht gewartet haben. Der Himmel wechselt seine Farbe von einem satten Orange in ein fahles Rosa bis Lila. Die ersten Sterne funkeln dazwischen. Die Stimmung ist unbeschreiblich. Mit der untergehenden Sonne wird es frisch, aber wir sind gut unterwegs und frieren nur ein wenig, wenn wir länger stehen bleiben, was nur an den Verpflegungspunkten passiert, die etwa alle 10 Kilometer in einem der malerischen Städtchen untergebracht sind, die wir im fahlen Mondlicht passieren.
Zuerst durchlaufen wir Torreniere, eine Station auf der Via Francigena, dem bedeutenden Pilgerweg vom Frankenland nach Rom, der in den letzten Jahren zum Weitwanderweg ausgebaut wurde. Die Beschilderung von Canterbury nach Rom wird uns noch des Öfteren begegnen.
Von Torreniere geht es weiter nach Montalcino, wo der besagte Brunello herkommt. Natürlich kann man ihn am Ristoro probieren. Ich nehme lieber eine warme Brühe und einen italienischen Café. Auf dem weiteren Weg passieren wir links und rechts der gut zu laufenden Wege immer wieder mittelalterliche Kapellen, Burgen und Villen, die beleuchtet sind. Schon von weitem erkennen wir unsere Hausburg in Castiglione, wo die erste Life-Base ist. Wir sind eine Schleife von 58 Kilometern gelaufen. Cutoff ist hier mit dem Start der 103 Kilometerstrecke um 5 Uhr. Bis dahin haben wir aber noch vier Stunden Zeit. Wir haben uns ein gutes Polster erarbeitet.
In Bagno Vignoni überrascht uns ein großer Pool mitten im Ort. Schnell sind wir in Quirico am nächsten Ristoro. Langsam beginnt die Dämmerung. Das Wetter ist noch okay, aber am Horizont ziehen die ersten Wolken auf. Die erste Hälfte haben wir in Pienza erreicht. Das nächste Highlight ist dann Monticchiello. Das mittelalterliche Erscheinungsbild hat sich vollständig erhalten. Die mächtigen Stadtmauern und der Bergfried sind schon von weitem zu sehen und zeugen von der Vergangenheit als Bollwerk der Republik Siena. Während wir an der Bar einen Café und ein Bier trinken, überholen uns die schnellsten Läufer der 103 Kilometer-Strecke.
Nach Verlassen der Stadt steht nun stärker die folgende Fluss-Landschaft im Vordergrund. Die Waldabschnitte und damit auch der Single Trail Anteil wird höher. Leider wird auch das Wetter schlechter. Es beginnt zu regnen und kühlt ab. Eine Zeitlang folgen wir einem Fluss, den wir an einer dafür günstigen Stelle durchqueren. Mike überholt uns. Er liegt sehr gut im Rennen und ist noch recht frisch. Wir haben hier knapp 100 Kilometer und fühlen uns auch noch ganz gut. Jetzt sind wir nur noch zweistellig. Immerhin.
Kleine Bäche müssen ab und an überquert werden. Die Strecke ist recht flach und verläuft zunehmend im Wald. Bei toskanischem Wetter bestimmt recht angenehm, weil schattig, fehlen mir die schönen Ausblicke der ersten Schleife. Der trübe Himmel und der kalte Regen schlagen auf die Stimmung. Katja zieht an uns vorbei. Sie macht uns wieder Mut, wie wir auch von den anderen Läuferinnen und Läufern immer wieder liebe Worte der Aufmunterung und des Respekts erhalten. Wir haben das Flusstal hinter uns gelassen und sind wieder in toskanischer Bilderbuchlandschaft.
Berg-Etappe
An der zweiten Life Base herrscht reges Treiben. Wir haben ein anständiges Zeitpolster wollen aber nicht unnötig trödeln, denn der schwerste Streckenabschnitt erwartet uns noch. Wir wechseln die Schuhe und ziehen und trockene Kleidung an.
Überraschend wird das Wetter wieder besser. Zwar hängt der Himmel voller schwarzer Wolken, aber dazwischen scheint immer mal wieder die Sonne und es bleibt trocken. Der Regen und die vielen Läuferinnen und Läufer vor uns haben allerdings die Single Trails in schlammige Pisten verwandelt. Das kostet Kraft und wir sind froh als wir wieder auf den weißen Fahrwegen sind.
Die führen uns jetzt nach Bagni San Filippo, wo mit heißen Schwefelquellen das Thermalwasser mit seinen weißen Kalkablagerungen ein Badeparadies geschaffen hat. Die wenigen Besucher baden in dem warmen Wasser des Flusses. Uns zieht es aber weiter in den winzigen Ort, wo wir uns am Ristoro für den längsten Anstieg zum Vivo D’Orcia noch einmal stärken. Immerhin liegt der Gipfel auf 1050 Meter. Der Blick zum Himmel verheißt nichts Gutes. Und schon 5 Minuten, nachdem ich mich aller wärmenden Schichten beim sonnigen Anstieg entledigt hatte, ziehe ich Schicht für Schicht wieder an. Dann geht das Theater auch schon los. Erste Hagelschauer gehen herunter. Besser als Regen denke ich. Man wird halt nicht so nass. Dann sinkt schlagartig die Temperatur. Ein Grollen zieht über den Berg und eröffnet einen Hagelsturm, der in wenigen Minuten mit seinem körnigen Weiß den Waldboden bedeckt. Stoisch ziehen wir den Berg hoch. Den Kopf zur Seite geneigt. Der Hagel von vorne tut einfach zu weh im Gesicht. Nicht schon wieder denke ich. Das hatten wir erst auf unserem letzten Rennen in Volvic. Mit dem Wetter stehe ich irgendwie auf Kriegsfuß.
Nach der höchsten Stelle geht es leicht bergab, dann nochmal in die Höhe. Das müsste es jetzt gewesen sein. Nix wie runter von dem Berg. Aber da beginnen erst die eigentlichen Schwierigkeiten. Eine steile Schlammrutschban mit einer zwei Zentimeter dicken Hagelschicht lässt uns nach unten schlittern. Meine Beine beschweren sich lautstark. Irgendwann wechsele ich in die Schlammrinne, mir ist jetzt alles egal. Immerhin wird es mit jedem Meter wieder wärmer. Aus dem Hagel wird Regen, dann werden auch die Wege wieder besser. In der kleinen Hütte des Ristoro stehen wir dicht gedrängt und schlürfen warme Getränke. Das Schlimmste haben wir hinter uns.
Bevor es im Warmen zu gemütlich wird, geht es wieder raus in die nasse Kälte. Burkhard hat kein Gefühl mehr in den Fingern. Ich muss ihm die Jacke schließen. Es regnet wie aus Kübeln und die vielen Rinnsale, die vom Berg führen, haben sich in wilde Bäche verwandelt. Es ist gar nicht so einfach, einen sicheren Weg in der braunen Brühe zu finden. Die Füße werden jedes Mal eiskalt. Immerhin wird der lehmige Schlamm von den Schuhen gewaschen, der das Laufen zusätzlich erschwert. Wobei von Laufen keine Rede mehr ist. Wir schlittern ins Tal. Zum Glück haben wir ein gutes Zeitpolster, das allerdings dahinschwindet, wie Hagel in der Sonne. Egal. Das muss reichen.
Nachdem mir der Fotoapparat zweimal in den Matsch gefallen ist, mache ich auch keine Fotos mehr. Zu wenig Gefühl in den Fingern. Außerdem habe ich keinen trockenen Stoff mehr am Leib, um die Linse zu putzen. Wir sammeln noch einige Läuferinnen und Läufer ein, also sind wir wenigstens noch ganz gut unterwegs. Der Abstieg geht vom höchsten zum tiefsten Punkt des Rennens und kostet Kraft, die nicht mehr vorhanden ist. Kurz vor unserer Wohnung zweigt der Weg links ab. Ich wundere mich. Statt über den guten Fahrweg gibt es wieder eine Schlammpackung ins Tal. Vielleicht ist es besser so. Und führe mich nicht in Versuchung, heißt es doch an prominenter Stelle.
An das Bergab-Geschlitter habe ich mich fast schon gewöhnt. Das größere Problem sind die vielen kurzen, steilen Gegenanstiege Anstiege im lehmigen Schlamm. Bei jedem Schritt befürchte ich, dass mein Schuh stecken bleibt. An der Sohle hängen 5 Zentimeter Pampe und ich freue mich über jede Pfütze, ohne die man den Ballast einfach nicht loswird. Auch ein Ausweichen nutzt nichts. So quälen wir uns die nächsten Kilometer weiter, bis wir an dem letzten Ristoro ankommen. Ein Bonus Posten, der nicht angekündigt war.
Noch vier Kilometer. Berghoch zwar, aber auf Fahrwegen. Es hat aufgehört zu regnen und die Schuhe sind ohne Schlamm etwa 2 Kilo leichter. Eine Wohltat. Vor uns thront hell erleuchtet unsere Burg auf der Rocca D‘Orcia. Erst flach, dann zweieinhalb Kilometer sehr steil. Wortlos erreichen wir den letzten Anstieg, den wir ohne ein einziges Mal stehen zu bleiben, hinter uns bringen. Nach dem Stadttor geht es noch bis zum höchsten Punkt an die beleuchtete Festungsanlage. Noch ein paar Meter und wir sehen an Ende der Gasse den Zielbogen, den wir recht unspektakulär durchschreiten. Endlich.
Wir sind fix und fertig. In der warmen Halle geben wir den GPS-Tracker ab und erhalten dafür eine Medaille aus gebranntem Ton. Auf das Essen verzichten wir. Dann sammeln wir unsere Dropbags ein und holen uns noch zwei Mülltüten. So wie wir aussehen, können wir uns nicht ins Auto setzen. Die Schuhe ziehen wir aus und stecken sie ebenfalls in eine Mülltüte.
Es war dann doch noch härter als gedacht. Aber wir haben es geschafft. Etwa die Hälfte der 115 Läuferinnen und Läufer haben das Rennen abgebrochen. Wir haben eine gute Grundlage für die Saison gelegt. Besonders mental. Meine Beine haben dazu eine andere Meinung.
Run in the tuscany dream. Das ist das Motto des Tuscany Crossing. Und die Strecke führt tatsächlich durch eine traumhaft schöne Bilderbuchlandschaft. Entspannte Atmosphäre, perfekte Verpflegung und gutes Wetter vorausgesetzt, ist das Rennen ein einfach zu laufender wunderschöner Trail. Die meisten Abschnitte folgen den weißen Fahrwegen. Dazu gepflasterte Gassen in den vielen mittelalterlichen Städtchen, die passiert werden, Single Trails in den Flussauen und hohen Anstiegen. Die Steigungen sind dabei alle moderat und nie technisch. Das Zeitlimit ist großzügig und erlaubt ein stressfreies Finish, auch auf allen Distanzen. Somit eignet sich das Rennen besonders für Novizinnen und Novizen auf langen und sehr langen Strecken.
Strecken
TC 100M 161 km / +-5230 Hm'
TC 103K 103km / +-3620 Hm
TC 53K 53 km / +-1580 Hm
Walking 103/53 und 14km (Wandern)
Webseite: https://en.tuscanycrossing.com/ (italienisch und englisch)