2008 war Trailrunning noch die absolute Randsportart und der UTMB nur den wenigsten ein Begriff. Damals wurde von der Familie Poletti erstmals die Petite Trotte à Léon (PTL) ausgelobt und da wollte ich unbedingt dabei sein. Bei der Suche nach den erforderlichen zwei Teampartnern hatte ich in Deutschland aber kein Glück. Über das UTMB-Forum kam ich in Kontakt mit Stefano und Leo, zwei Läufern aus Bologna. Den beiden fehlte der dritte Mann und sie waren bereit, es mit mir zu versuchen.
So hörte ich erstmals von der Via degli Dei (Weg der Götter), einem Wanderweg, der Bologna und Firenze verbindet und dabei den Apennin durchquert. Stefano und Leo meinten, dass eine „Rotpunkt“-Begehung der Via degli Dei eine gute Gelegenheit wäre, uns kennen zu lernen und gemeinsam für die PTL zu trainieren. Mit Leos Frau Nicole und Pietro, einem weiteren Freund der beiden, liefen wir damals innerhalb von etwa 20 Stunden die gut 110 km von Firenze nach Bologna. Die Landschaft, die Trails, das italienische Flair und die dabei entstandenen Freundschaften waren bei mir seitdem immer präsent.
Für mich alles zwingende Gründe, beim in 2017 erstmals stattfindenden Ultra Trail Via degli Dei dabei zu sein. Aufgerufen werden dabei 129 km mit etwa 5.100 Höhenmetern im ständigen Auf und Ab. Das Zeitlimit erscheint mit 30 Stunden auch für meine Altersklasse M 60 ausreichend bemessen. Start ist in Bologna, Zielort Fiesole, ein kleiner malerischer Ort auf den Hügeln nördlich von Firenze. Margot und ich entscheiden uns, das Ganze mit einem Kurzurlaub zu verbinden und buchen ein Hotel in Fiesole. Mit Bus und Schnellbahn kann ich von dort Bologna innerhalb einer Stunde erreichen.
Die Startnummernausgabe befindet sich in einem historischen Gewölbe in unmittelbarer Nähe des Bahnhofes von Bologna. Dort geht es am Freitagabend völlig unaufgeregt zu. Die Startnummern gibt es nur nach Kontrolle der Pflichtausrüstung und die ist für einen Lauf im Mittelgebirge ziemlich umfangreich.
Nach einem sonnigen Tag ist es immer noch sehr heiß, während wir auf den Start um 22:00 h warten. Der Veranstalter bietet die Möglichkeit, in einem nahe gelegenen Schnellrestaurant verbilligt zu essen. Nach den nicht gerade begeisterten Schilderungen anderer Teilnehmer verzichte ich aber darauf.
Ohne verabredet zu sein, treffe ich die beiden anderen gemeldeten Deutschen, Renate aus dem Allgäu und Peter aus Ingolstadt. Die verbleibende Wartezeit verbringen wir gemeinsam, unterbrochen von lautstarken Begrüßungen einiger meiner italienischen Lauffreunde.
Vom stattfindenden Briefing kriegen die meisten Teilnehmer wohl wenig mit, da der vorhandenen Lautsprecher bei weitem nicht so dimensioniert ist, um alle zu erreichen. Ich fühle mich mit Roadbook und geladenem GPS-Track dennoch ausreichend informiert. Kurz vor 22:00 h setzt sich das Feld dann völlig unspektakulär in Bewegung.
Bologna ist eine Großstadt mit historischem Zentrum und wir starten mitten drin. Die ersten Kilometer führen uns durch breite Straßen, über große Plätze und schmale Gassen. Um die Verkehrswege im Mittelalter frei zu halten, entstanden damals entlang der Straßen Arkaden für Händler und Fußgänger. Die Arkaden haben eine Länge von heute noch ca. 38 km. Meist laufen wir in bzw. unter diesen Arkaden. Dort staut sich die Hitze des fast vergangenen Tages.
Diese Arkaden führen uns über 489 Stufen bis zum Santuario della Madonna di San Luca, einer Basilika auf einem Hügel westlich der Altstadt. Unter uns liegt die erleuchtete Stadt, über uns ein klarer Sternenhimmel. Vor uns beginnt der Trail, der recht steil und steinig hinunter nach Bregoli führt.
Ziemlich abwechslungsreich winden sich die schmalen Pfade meist eben durch Wald und Buschwerk entlang des Reno. Der erste Checkpoint (CP) mit Verpflegung befindet ich in Saso Marconi bei km 20,5. Das Verpflegungsangebot ist typisch italienisch und damit sehr überschaubar: Bananen, Trockenfrüchte, süße Kekse, Weißbrotscheiben mit Nutella oder Marmelade, Nüsse und für mich bei diesem Überangebot an Süßem überlebenswichtig, Parmesan. An Getränken werden nur Wasser und Iso angeboten.
Kurz vor 01:00 h am Samstag verlasse ich den CP. Das Feld ist bereits ziemlich auseinander gezogen. Ich laufe meist alleine, kurze Abschnitte gemeinsam mit Peter. Die Strecke verläuft manchmal anspruchsvoll auf Singletrails, dann wieder auf breiteren Wegen und leider auch immer wieder auf befestigten Straßen. Der Asphaltanteil ist für meinen Geschmack hier eindeutig zu hoch.
Der nächste CP befindet sich in Monzuno bei km 44,7. Kurz bevor ich dort eintreffe, beginnt die Morgendämmerung und lauter Vogelgesang kündigt einen makellosen Sommertag an. Das Angebot am Verpflegungstisch ist ähnlich wie am vorherigen. Kein Grund lange zu verweilen.
Nach Monzuno beginnt der für mich landschaftlich reizvollste Teil. Das liegt nicht nur daran, dass es jetzt heller Tag ist. Der Wanderweg verläuft nun abseits der Zivilisation. Die Trails sind schmal, steinig, teilweise geht es steil bergab oder bergauf. Weite Teile der Strecke verlaufen im Wald, dennoch bieten sich immer wieder schöne Ausblicke. An zwei Stellen kann man sogar die Spiegelung der Morgensonne im adriatischen Meer erkennen. That´s trail at its best!
In Madonna die Fornelli ist CP 3 erreicht. Runde 55 km können abgehakt werden. Ich habe einen für mich beruhigenden Zeitpuffer von weit über vier Stunden vor der Cut-Off-Zeit herausgelaufen.
Der nächste Abschnitt zum Monte di Fo ist ähnlich schön. Der Wanderweg führt immer wieder über die Reste einer alten römischen Militärstraße, sonst verläuft er auf Singletrails oder Waldwegen. Und die sind manchmal ordentlich zerfurcht. Da toben sich wohl immer wieder die Fahrer von Motocross-Maschinen ordentlich aus.
Der CP 4 am Monte di Fo liegt am Rande eines Campingplatzes. Hier finden wir unsere Kleiderbeutel, die in Bologna abgegeben werden konnten. Ich mache mich kurz frisch und ziehe ein trockenes Shirt über. Am Verpflegungstisch gibt es erstmals Nudeln mit Tomatensoße. Leider keine Löffel oder Gabeln. Also schütten wir uns die Nudeln aus dem Becher direkt in den Mund.
Es ist kurz vor 12 Uhr mittags und der Planet brennt heiß herunter. Ich entscheide mich für eine kurze Ruhepause im Schatten einiger Bäume. Die fällt mit einer guten halben Stunde etwas länger als geplant aus, tut aber richtig gut.
Der folgende Anstieg zum Monte Gazzaro fällt mir wohl auch deshalb leicht. Am Gipfel stehen zwei der vielen Helfer und bieten zusätzliches Wasser an. Überhaupt sind unglaublich viele Freiwillige im Einsatz, die an unübersichtlichen Stellen, Weggabelungen oder beim Überqueren von Straßen italienische Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft zeigen.
Nach dem Monte Gazzaro führt der Trail tendenziell bergab. Das bedeutet aber nicht, dass es nicht immer wieder knackige Gegenanstiege gibt. Einige Stellen sind recht steil und zum Teil mit Drahtseilen versichert.
Mit jedem Meter talwärts steigt die Temperatur ordentlich an. Der Wind, der auf den Bergen noch recht erfrischend war, bläst jetzt eher heiß. Wir durchqueren eine Landwirtschaftszone im Tal vor dem nächsten CP. Landwirtschaft und Bäume vertragen sich auch in Italien nicht. Schatten gibt es demzufolge keinen.
In San Piero a Sieve (CP 5)stehen etwas über 95 km auf der Uhr. Eine kurze Rast macht fit für den letzten größeren Anstieg auf den Monte Senario. Der zieht sich aber über gute 14 km und verläuft lange Strecken auf Schotterwegen. Das hätte ich gerne anders. Die letzten Kilometer versöhnen mich aber wieder. Der Trail führt jetzt durch Wald und macht auch richtig Spaß.
Immer wieder unterhalte ich mich nett mit wechselnden Läufern aus Italien. Wobei sie meinen rudimentären Italienischkenntnissen viel Verständnis entgegenbringen. Die Zeit bis zum CP 6 am Monte Senario vergeht fast wie im Flug. Mein Plan war es bisher, innerhalb des Zeitlimits gut ins Ziel zu kommen. Jetzt lockt eine Zeit von unter 25 Stunden.
Der CP 6 befindet sich am Rande einer Klosteranlage. Die Stimmung dort ist gut, das Angebot am Verpflegungstisch eher dürftig. Das hilft, die Pause kurz zu halten. Ich liege auf Platz 112 und bin etwas über 22 Stunden unterwegs. Die folgenden 15,5 km sollten doch in weniger als 3 Stunden machbar sein.
Die Aussicht auf ein Finish noch vor 23 Uhr und ein Bier vor Schließung der Bar am Marktplatz von Fiesole verleiht mit Flügel. Und das ganz ohne das widerliche Zeugs aus unserem Nachbarland.
Längst kann ich die letzten drei Hügel vor Fiesole, über die die Route verläuft, in der untergehenden Sonne erkennen. Immer wieder öffnet sich auch der Blick auf Firenze. Ohne Stirnlampe geht es aber doch nicht. Ein Läufer vor mir glaubt, mir entkommen zu können, während ich die Lampe aus dem Rucksack krame. Nach 500 Metern habe ich ihn aber wieder. So ergeht es noch einigen anderen. Insgesamt kann ich auf dem letzten Abschnitt 24 Plätze gut machen und mit einer für mich traumhaften Zeit von 24:52 h in das römische Amphitheater in Fiesole einlaufen. Da Renate und Peter leider aussteigen mussten, bin ich einziger deutscher Finisher.
Margot wartet dort auf mich. Ansonsten ist der Zieleinlauf unspektakulär. Eine Medaille und ein Finisher-Foto. Das war´s dann auch. Schon die Frage, wo es denn die versprochene Pasta gäbe und wie ich zu meiner Läufertasche kommen könnte, wird unterschiedlich und im Ergebnis unbefriedigend beantwortet. Das ist mir aber völlig egal, die Bar am Marktplatz hat nämlich noch geöffnet.
Fazit:
Der Ultra-Trail Via degli Dei ist sicher eine Reise nach Italien wert. Auch wenn die Organisation bei der ersten Austragung noch in einigen Punkten Verbesserungspotential hatte. Wettgemacht wurde dies für mich aber auf jeden Fall durch die vielen freundlichen Helfer und die über weite Teile wirklich traumhafte Landschaft des Apenin.
Gewonnen hat übrigens Alexander Rabensteiner in 14:41:52 h, bei den Damen Giulia Vinco mit 17:13:25 h (beide Italien). 300 Starter und 166 Finisher zeigen aber auch, dass die Strecke nicht so ganz ohne ist.
Für Liebhaber der italienischen Küche und der dazu passenden Weine lohnt es allemal, für die Regenerationsphase noch ein paar Tage in der Toskana anzuhängen